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Netflix: Die Hoffnung der Serienjunkies

 

Netflix-CEO Reed Hastings (Archivbild © Getty Images)
Netflix-CEO Reed Hastings (Archivbild © Getty Images)

Die Zahlen sind und bleiben beeindruckend: In den Abendstunden entfallen inzwischen 34 Prozent des gesamten Internetverkehrs in den USA auf das Videoportal Netflix. Das ist so viel, dass das Unternehmen vor einigen Monaten sogar die großen Internetanbieter dafür bezahlte, die Streams der Filme und Serien doch bitte möglichst ruckelfrei durchzuleiten – und damit eine neue Diskussion um das sogenannte Zwei-Klassen-Internet auslöste.

Jetzt kommt Netflix nach Deutschland, das bestätigte das US-Unternehmen am Mittwoch. Bis jetzt war der Video-on-Demand-Dienst (VoD) in Europa lediglich in den skandinavischen Ländern, den Niederlanden und Großbritannien vertreten. Ein offizielles Datum für den deutschen Start gibt es noch nicht, es dürfte Insidern zufolge aber auf Ende des Jahres hinauslaufen.

Vor einigen Jahren machte Netflix seinen Hauptumsatz noch mit dem Verleih von DVDs per Post, inzwischen ist das börsennotierte Unternehmen der größte und bekannteste Streamingdienst für Filme und Serien der Welt. In den USA kostet die monatliche Mitgliedschaft gerade einmal 8,99 Dollar, dafür bekommen die Kunden die größte Auswahl an TV-Inhalten im Netz geboten. Wie es im aktuellen Geschäftsbericht heißt, glaubt Netflix, dass das internationale Geschäft den US-Markt früher oder später überholen wird.

Mit selbst produzierten Serien zum Erfolg

In den USA ist Netflix längst eine kulturelle Institution. Mit mehr als 30 Millionen Abonnenten hat der Dienst in den USA mehr Kunden als der Kabelkanal HBO, mit dem Netflix oft verglichen wird. Ab Mitte der neunziger Jahre revolutionierte HBO mit Serien wie den Sopranos, The Wire und Six Feet Under das amerikanische Fernsehen: Sozialkritische Themen, komplexe Erzählungen, Antihelden und bisweilen explizite Sex- und Gewaltdarstellungen – all das galt im quotengetriebenen TV-Geschäft als Kassengift. Doch je mehr Zuschauer zu HBO wechselten, desto mehr öffneten sich die Fernsehsender neuen Inhalten.

Auch Netflix betreibt hochwertiges Original Programming, wie die Produktion eigener, exklusiver Inhalte heißt. Und revolutioniert damit ebenfalls die Branche: Als das Unternehmen vor zwei Jahren erstmals die selbst produzierte Serie House of Cards mit Oscar-Gewinner Kevin Spacey in der Hauptrolle ankündigte, war das eine Zäsur in der Filmindustrie. Zuvor waren Streamingdienste vor allem Zweitverwerter, die Inhalte von den Produktionsstudios, von den Kabelsendern und internationalen Verleihen für viel Geld einkauften.

Netflix hat gezeigt, dass auch ein reiner Onlinedienst qualitativ mit den Fernsehprogrammen mithalten kann. 100 Millionen US-Dollar soll die erste Staffel von House of Cards gekostet haben. Wie viele Abonnenten die Serie tatsächlich sahen? Darüber schweigt Netflix bis heute. Doch kaum jemand bezweifelt, dass es sich gelohnt hat. Inzwischen hat das Unternehmen ein halbes Dutzend Originalserien im Angebot, neben House of Cards die Gefängnisserie Orange is the New Black, die wiederbelebte Sitcom Arrested Development und die Horrorserie Hemlock Grove. Mehrere exklusive animierte Kinderserien sind noch für dieses Jahr geplant.

Die Möglichkeiten des Web nutzen

Netflix möchte aber nicht bloß qualitativ mit dem klassischen Fernsehen mithalten, sondern auch die Sehgewohnheiten revolutionieren. Der Autor Tim Wu nennt es einen „Krieg gegen die Massenkultur“. Da Netflix – wie auch HBO – nicht auf Quoten und Werbung angewiesen ist, können sie ihre Inhalte anders ausliefern. So, wie es die Zuschauer eigentlich bevorzugen, glaubt das Unternehmen. Serien wie House of Cards strahlt das Portal deshalb nicht nacheinander aus, sondern bietet die komplette Staffel auf einmal an, damit die Zuschauer sofort eintauchen können. Das sogenannte binge viewing, der Konsum von Serien am Stück, ist dank Netflix zum geflügelten Wort in der Branche geworden.

Zum anderen nutzt das Portal die Möglichkeiten der Vernetzung und Big Data: Netflix kennt das Sehverhalten seiner Nutzer ganz genau. Auf die Minute genau kann das Portal analysieren, wann ein Zuschauer was guckt und wann er ausschaltet. Auf Basis der Vorlieben ist es Netflix möglich, individuelle Programmpläne und Empfehlungen zu erstellen. Der Vorteil des Streamings: Die Inhalte sind jederzeit verfügbar, und die Zuschauer sind, im Gegensatz zum linearen Fernsehen, auf Netflix ihre eigenen Programmdirektoren. Wie Tim Wu schreibt, wird diese Form des „Konsums per Mausklick“ für die kommenden Generationen die erste Wahl sein.

In Deutschland ist noch Platz für Netflix

In Deutschland betritt der Dienst einen Markt, der zwar nicht groß, aber zersplittert ist. Mit Apple iTunes, Google Play und Amazon Prime Instant Video (ehemals Lovefilm) sind zum einen drei große Konzerne mit ihren Filmplattformen bereits vertreten. Auf der anderen Seite stehen die klassischen VoD-Portale: Maxdome, ein Angebot von Pro7/Sat1, Watchever, das von der französischen Vivendi-Gruppe betrieben wird, oder Videoload von der Deutschen Telekom. Dazu kommen Portale von Kabelanbietern wie Kabel Deutschland oder Vodafone, sowie Nischendienste wie etwa realeyz für Arthouse-Filme oder das werbefinanzierte Netzkino.

Stefan Schulz, Geschäftsführer von Watchever, sieht die drohende Konkurrenz gelassen. Man sei stark genug, um auch gegen Netflix bestehen zu können. Tatsächlich arbeitet auch Watchever inzwischen an Eigenproduktionen und trumpft mit Inhalten aus dem europäischen Ausland auf wie der Zombieserie The Returned.

Doch können die deutschen Anbieter auf Dauer mit dem weltweiten Marktführer mithalten oder entscheiden sich die Kunden nicht zuletzt doch nur für den Dienst, der sowohl die beste Auswahl als auch die beste Umsetzung hat?

In nahezu allen gängigen Spielkonsolen, mobilen Betriebssystemen, Set-Top-Boxen, Smart-TVs und Streaming-Sticks wie Chromecast ist Netflix als App bereits integriert – ein technischer Vorsprung, der für deutsche Anbieter nur schwer aufzuholen ist. Zudem könnte Netflix als US-Unternehmen etwas mitbringen, das die deutschen Plattformen noch immer nicht für alle Inhalte anbieten: eine Bibliothek an Filmen und Serien im Originalton, am besten natürlich möglichst aktuell.

Möglicherweise könnte Netflix eigene Serien nicht streamen

Doch ausgerechnet hier könnten die Erwartungen enttäuscht werden. Die Hoffnung, dass Netflix in Deutschland für einen monatlichen Abo-Preis von etwa 10 Euro das komplette US-Serienangebot abdeckt, dürfte sich kaum bestätigen. Dafür sind die Lizensierungsmodelle zu komplex, zumal diese oft von Land zu Land verschieden sind, und in Deutschland die bestehenden Plattformen bereits exklusive Deals mit Studios und Verleihen abgeschlossen haben.

Ein Beispiel: Amazon hatte sich vor wenigen Wochen die Rechte an älteren HBO-Serien gesichert. Sollte der Deal international gelten, hätte Amazon auch in Deutschland einen Vorteil gegenüber Netflix. Aktuelle HBO-Serien wie Game of Thrones oder True Detective dagegen wird es zunächst weder bei Amazon noch auf Netflix per Stream geben – die laufen nämlich exklusiv auf Sky.

Es könnte noch kurioser werden, nämlich wenn Netflix seine eigenen Serien in Deutschland nicht streamen dürfte. Der deutsche Sky-Programmchef Gary Davey sagte Die Presse im Januar als Antwort auf eine mögliche Netflix-Expansion, dass Netflix‘ House of Cards „nicht in absehbarer Zeit“ in Deutschland zeigen könne, da Sky die Rechte für Deutschland besitzt.

Am Ende wird es auf die Frage hinauslaufen, ob Netflix es gelingt, seine ebenso große wie aktuelle Bibliothek von Filmen und Serien im schwierigen deutschen Markt zu etablieren. Im besten Fall könnte Netflix in Deutschland das Gleiche gelingen wie in den USA: Dort ist das Streaming nicht mehr bloß eine Ergänzung zum traditionellen Fernsehen, sondern eine Alternative.