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YouTube Music Awards: Avantgarde und Albernheit

Jason Schwartzman nach der Veranstaltung (© REUTERS/Andrew Kelly)
Jason Schwartzman nach der Veranstaltung (© REUTERS/Andrew Kelly)

Jason Schwartzman hat nicht gelogen, als er vor einigen Tagen sagte, er wüsste „nur zehn Prozent mehr“ vom Ablauf der YouTube Music Awards als die Zuschauer. Zum ersten Mal verlieh die Plattform am Sonntagabend einen Musikpreis. Live aus New York und per Stream im Internet. Mit Spike Jonze als Regisseur und Schwartzman als Moderator. Fünf Stunden Vorprogramm. Preise in sechs Kategorien. Live-Musikvideos! YouTube-Stars! Und alle so: Yeah, endlich ein Musikpreis für die digitale Generation! Doch am Ende bleiben viele Fragen offen und die Erkenntnis, dass YouTube das Genre in diesem Jahr noch nicht revolutionieren wird.

Dabei ist der Zeitpunkt eigentlich richtig: „Es ist an der Zeit, die Rolle YouTube im Musik-Ökosystem zu feiern“, sagte YouTubes Vize-Marketingdirektorin Danielle Tiedt kürzlich. Denn YouTube ist eine Macht im Musikgeschäft. Nach Analysen des Marktforschungsinstituts Nielsen hören Jugendliche bis 24 Jahre den Großteil ihrer Musik auf YouTube. Der Musikkanal Vevo alleine, an dem Google Anteile besitzt, generiert monatlich fast vier Milliarden Klicks. Und jüngst kündigte man noch an, schon bald einen eigenen Musikdienst mit einem Abo-Modell à la Spotify auf den Markt zu bringen.

Die YouTube Music Awards sind deshalb eine Chance für die Plattform, sowohl die Stellung zu festigen als auch in ein neues Gebiet vorzudringen, das in den kommenden Jahren noch wichtiger wird: Die Live-Veranstaltung. Gerade zu einer Zeit, in der mit den MTV Music Awards der mutmaßliche Platzhirsch vor allem durch die Peinlichkeiten junger Popsternchen und ewiggleicher Preisträger auffällt.

Live-Auftritte als Musikvideo

YouTube wollte es anders machen. Eigentlich. „Es wird chaotisch“, sagt Regisseur Spike Jonze schon vorher. Seine Idee war es, die Auftritte der musikalischen Gäste nicht auf einer klassischen Bühne, sondern an individuellen Sets zu filmen. Jeder Auftritt wurde somit gleichzeitig zu einem Musikvideo, ganz im Sinne YouTubes. Jedenfalls die Namen konnten sich sehen lassen: Die Britin M.I.A. performte in einem psychedelischen Lichttunnel, Eminem in düsterer Schwarzweiß-Optik, und Lady Gaga gab mit Truckerkappe und Holzfällerhemd (aber ohne Hose) am Piano eine Ballade zum Besten.

Gleich zu Beginn der Veranstaltung wechselt die Kamera zur Musik von Arcade Fire plötzlich in eine scheinbare Filmszene. Die Schauspielerin Greta Gerwig tanzt furios durch eine Wohnung und anschließend einen verschneiten Wald. Erst nach drei Minuten zoomt die Kamera heraus und die Zuschauer erkennen, dass dies alles live auf der Bühne geschieht. Die vierte Wand ist durchbrochen, der Auftritt ein frühes Highlight. Leider bleibt es fast das einzige.

Denn sobald die Moderatoren Jason Schwartzman und Reggie Watts übernehmen, kippt die Veranstaltung. Weitestgehend ohne Drehbuch soll es ablaufen. Das Ergebnis ist vor allem chaotisch, eine Anreihung von Stammeleien, von halbgaren Witzen und fragwürdiger Performancekunst. Schwartzman und Watts schnaufen mit schreienden Kleinkindern auf dem Arm ins Mikrofon, rennen durch das scheinbar wahllos umherstehende Publikum, wühlen in Torten, musizieren und verleihen fast beiläufig Preise.

YouTube-Stars nur am Rande

Ja, die gab es auch. In sechs Kategorien konnten die YouTube-Nutzer in den vergangenen Wochen abstimmen. Hier zeigte sich das vielleicht größte Problem der YouTube Music Awards: Es ging weniger um die YouTube-Stars sondern vor allem um die Künstler mit den meisten Fans. Die Nominierten in den Kategorien „Bester Künstler“, „Bestes Video“ und „Durchstarter des Jahres“ wurden nach Anzahl der Klicks und Kommentare ausgewählt. Der Rapper Tyler, the Creator, der ironischerweise selbst einen Auftritt hatte, twitterte schon vor zwei Wochen seinen Unmut heraus:

Die Gewinner hätte auch MTV nicht beliebiger aus der Retortenkiste ziehen können: Eminem, die koreanische Girlgroup Girl’s Generation und Konsens-Rapper Macklemore. Selbst in der Kategorie „YouTube Phänomen“ gewannen nicht etwa Gangnam Style oder der Harlem Shake, sondern Teeniequeen Taylor Swift.

Wo waren sie also, die „echten“ YouTube-Stars? Jene Künstler, die vor allem durch ihre Videos auf der Plattform bekannt wurden? Lediglich zwei Auftritte, nämlich von Collective Cadenza und der hüfpenden Geigenspielerin und Preisträgerin in der Kategorie „Beste Antwort“ Lindsey Stirling spendierte YouTube seinen hausgemachten Stars in 90 Minuten. Der Rest wurde im Rahmenprogramm verwurstet. Schon Stunden vor Beginn der Show streamte die Plattform Events aus London, Seoul und Rio de Janeiro mit lokalen und internationalen YouTubern. Eigentlich genau diese Art von Inhalt, die man von den YouTube Awards erwartet hätte.

Avantgarde und Albernheit

Die legen letztlich die Identitätskrise der Plattform offen: Zum einen möchte YouTube zeigen, dass es mit der Fernsehkonkurrenz mithalten kann. Dass auch die größten Namen der Musikszene auftreten und YouTube als Bestandteil der Branche sehen. Zum anderen möchte YouTube sich gerne weiterhin anarchisch präsentieren, bunter, eben anders als die alten Medien. Der Versuch, in den Music Awards beides zu verknüpfen mündete jedoch in einer Mischung aus Avantgarde und Albernheit, die auch den Zuschauern nicht entging. Gegen Ende der Ausstrahlung hatte der Livestream zwar rund 80.000 positive Bewertungen – aber auch 20.000 negative.

So wurden Erinnerungen wach an die erste Live-Veranstaltung, die YouTube vor fünf Jahren im November streamte. Bei YouTube Live standen damals die aufstrebenden, größtenteils unerfahrenen YouTuber im Mittelpunkt, die ihre eigene, chaotische wie bunte Show ablieferten. „Die Insassen betreiben die Anstalt“, frotzelte das Technikportal The Verge dieser Tage. Doch die damalige Veranstaltung enthielt mehr YouTube-Spirit als die erste Ausgabe der Music Awards. Die waren unterm Strich nichts weiter als ein weiterer Musikpreis mit den größtenteils bekannten Popkünstlern – und einem höchst anstrengenden Konzept. „I think we’re done?“, fragte Schwartzman am Ende fast unsicher in die Runde. Wenigstens das hätte ihm doch einer sagen können.

 

Der Fall Matthew Cordle: YouTube als Beichtstuhl

Die Stimme ist tief und verzerrt. „Ich habe einen Mann getötet“, sagt sie. Ein verpixelter Kopf erscheint, dann zwei tätowierte, vernarbte Arme. „Ich habe viel getrunken und bin in meinen Truck gestiegen. Ich kam in den Gegenverkehr und habe ein Auto erwischt.“ Langsam steigert sich die Musik. „Die Anwälte sagen, sie könnten meinen Bluttest nichtig machen. Ich würde durchkommen. Ich müsste nur lügen. Doch diesen Weg werde ich nicht gehen.“

Dann blicken die Zuschauer in das unverpixelte Gesicht eines jungen Mannes. „Mein Name ist Matthew Cordle“, sagt dieser, „und am 22. Juni 2013 habe ich Vincent Canzani getötet. Dieses Video ist mein Geständnis.“

Der dreieinhalbminütige Clip wurde am 3. September auf YouTube geladen. Doch erst am Ende vergangener Woche wurde er entdeckt und verbreitet sich seitdem rasant, nachdem unter anderem CNN und die Washington Post die Geschichte aufgriffen.

Cordle schildert sie so: Nach einem feuchtfröhlichen Abend mit seinen Kumpels setzt sich der 22-jährige aus Ohio in den Morgenstunden des 22. Juni in sein Auto und fährt nach Hause. Dabei gerät er auf die falsche Straßenseite und rammt das Auto des 66-jährigen Vincent Canzani. Dieser stirbt noch am Unfallort. Cordle kommt ins Krankenhaus, wird vernommen – und anschließend wieder freigelassen. Bis heute wurde er nicht angeklagt.

Das könnte sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft nun ändern. Sie habe das Video vergangene Woche gesehen und plane noch diese Woche eine Anklage Cordles wegen fahrlässiger Tötung. „Ich werde auf schuldig plädieren“, sagt Cordle im Video und bittet alle Zuschauer, niemals betrunken Auto zu fahren.

Eine mutige Tat oder Inszenierung?

Eine eindringliche Nachricht. Doch das Geständnis sorgt für Diskussionen. In den Kommentaren auf YouTube loben viele Cordles Mut, sich seine Fehler einzugestehen und somit ein positives Beispiel für andere zu geben. Andere Nutzer sind kritischer. Sie vermuten hinter dem Video eine versteckte Agenda. Einen Versuch, durch die öffentliche Reue ein milderes Strafmaß zu bekommen.

Tatsächlich ist das Video in mehrfacher Hinsicht problematisch. Da wäre zum einen die professionelle Aufmachung. Der Clip ist in Kooperation mit dem gemeinnützigen Projekt Because I Said I Would entstanden. Wie dessen Gründer Alex Sheen sagt, habe Cordle ihn über Facebook kontaktiert und sie hätten das Video anschließend gemeinsam aufgenommen. Sheen sagt auf Facebook, dass er Cordle deshalb nicht als einen Helden sehe. Er müsse für seine Tat die Schuld tragen und wolle mit dem Video bloß auf die Gefahren des betrunkenen Autofahrens hinweisen. In „Erinnerung an Vincent Canzani“, wie es heißt.

Darin liegt das zweite Problem. Matthew Cordles Entscheidung, sich seiner Tat zu stellen, ist zweifelsfrei richtig. Die Entscheidung, nicht erneut direkt zur Polizei zu gehen – die ihn ja bereits als Hauptverdächtigen führten – sondern das Geständnis präventiv öffentlich im Netz zu machen, ist zumindest fragwürdig.

Denn mit seinem Geständnis zeigt Cordle vor allem, wie YouTube als Plattform instrumentalisiert werden kann. Aus einer fahrlässigen Tötung wird eine Aktion gegen das Autofahren unter Alkoholeinfluss. Aus einem rücksichtslos handelnden Täter ein reumütiges Vorbild, das sich dem Rat seiner Anwälte widersetzt. Der Name des Opfers, der eigentlich gar nicht erwähnt werden müsste, wird plötzlich zum Teil der Kampagne.

Kombiniert mit der orchestralen, fast sakralen Musik und dem plötzlichen Wechsel von Verpixelung zu Klarbild erzählt das Video eine klassische Erlösungsgeschichte, fungiert als eine Art digitaler Ablasshandel. Die Zustimmung gibt es per Daumen-Hoch-Knopf: Mehr als 7.000 YouTube-Nutzer haben das Video bereits positiv bewertet. Es scheint zu funktionieren. Zumindest der Staatswalt Ron O’Brian spricht von einem „überzeugenden Video“ und einem Mann, der „reumütig und ehrlich“ daherkommt.

Und der Einfluss auf die Zuschauer? Ob sich nun reihenweise mutmaßliche Verkehrssünder schuldig bekennen? Wohl kaum. Ob Cordles Video abschreckender wirkt als alle anderen der zahlreichen Don’t-Drink-and-Drive-Kampagnen? Auch das vermutlich nicht. Am Ende dürfte Cordle als der Mann in Erinnerung bleiben, der auf YouTube ein Geständnis abgelegt hat. Und dem nun zwischen zwei und acht Jahren Haft drohen.

 

Pogo: Mehr als nur der Disney-Remixer

Alles begann mit Alice: Im Juli 2007 veröffentlichte der Australier Nick Bertke unter seinem Künstlernamen Pogo ein Lied auf YouTube. Alice wurde gesampelt aus den Stimmen des Disney-Films Alice im Wunderland. Das Video war ein viraler Hit. Seitdem hat sich viel getan in der Karriere von Pogo. Über die Jahre hinweg verfeinerte er seinen Stil als Remix- und Sample-Künstler. Heute hat er nicht nur über 270.000 Abonnenten auf YouTube, sondern arbeitet mit seinem eigenen Studio auch für bekannte Film- und Fernsehunternehmen. Wieso der Erfolg ohne das Netz nicht möglich gewesen wäre, erzählt er im Interview.

ZEIT ONLINE: Alice ist nun sechs Jahre alt. Was hat das Lied für Ihre Karriere bedeutet?

Nick Bertke (© Privat)
Nick Bertke aka Pogo ist ein Musik- und Videoproduzent aus Perth. (© Privat)

Nick Bertke: Etwa ein Jahr nach Alice bekam ich eine Anfrage von Disney. Sie flogen mich nach San Francisco, führten mich auf dem Pixar-Campus herum und fragten mich, ob ich nicht einen ähnlichen Song zu ihrem neuen Film Oben produzieren möchte. Vier Wochen später hatte ich Upular im Kasten. Das war der Zeitpunkt, an dem meine Karriere so richtig begann. Vorher war ich nur ein Wohnzimmer-Produzent, der zunächst Musik nur auf der PlayStation gemacht hatte. Plötzlich konnte ich mir ein Studio einrichten und bekam Aufträge von großen Filmunternehmen.

ZEIT ONLINE: Woher kommt diese Faszination für alte Disney-Filme?

Bertke: Ich hatte schon immer ein Ohr für besondere Klänge, interessante Stimmen und seltsame Töne in Filmen. Alte Disney-Produktionen wie Alice im Wunderland haben ein ganz spezielles Sounddesign, das mich emotional anspricht. Als ich begann, mit dem Computer Musik zu machen, wollte ich diese Sounds verwenden. Ein Künstler namens Akufen hat mich damals sehr inspiriert: Er hat Hunderte Schnipsel aus dem Radio zu neuen Liedern zusammengefügt. Das hat mich total umgehauen. Über ihn bin ich schließlich zu der Art von Musik gekommen, die ich bis heute produziere.

ZEIT ONLINE: Nervt es Sie eigentlich, dass Sie immer noch als „Der Typ, der die Disney-Remixe gemacht hat“ bezeichnet werden?

Bertke: Der Stempel als Remixer nervt schon etwas. Es ist ja heute nur ein kleiner Teil dessen, was ich mache. Der Großteil meiner Arbeit besteht darin, Werbung oder andere Aufträge für Unternehmen zu produzieren. Da fließen die Remixe natürlich immer wieder mit ein. Aber ich arbeite schon so lange mit bereits existierenden Filmen, dass es mich etwas langweilt. Deshalb versuche ich, vermehrt mein eigenes Material aufzunehmen. Ich bin mehr als nur der „Disney-Remixer“.

ZEIT ONLINE: Sie reisen zum Beispiel um die Welt und nehmen Videos auf.

Bertke: Ich hatte immer schon eine Schwäche für Fotografie und natürlich auch für das Filmemachen. Daraus ist vor zwei Jahren das World Remix Project entstanden. Dank einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne konnte ich an Orte wie Kenia, Tibet oder Südafrika reisen und dort meine eigenen Audio- und Videoaufnahmen machen. Ich wollte Sounds eingefangen, die für die jeweilige Kultur einzigartig sind und habe sie musikalisch umgesetzt.

ZEIT ONLINE: Wie findet man die wirklich interessanten Klänge?

Bertke: Man kann sich zwar vorbereiten, aber letztlich ist es Zufall. Ein gutes Beispiel ist das Video aus Tibet. Wir wanderten gerade von einem Kloster zurück, als uns ein Bauer auf unsere Kameras ansprach. Er lud uns zu sich in die Hütte ein, servierte Tee, und seine Töchter sagten für uns Kinderverse auf Bhutanisch. Wir nahmen das auf und daraus wurde anschließend die Hauptstimme des Liedes.

ZEIT ONLINE: Wie wichtig ist der visuelle Aspekt für Ihre Arbeit?

Bertke: Vor Alice hatte ich nichts mit Videos am Hut. Ich hatte den Track eine ganze Weile auf dem iPod, bevor ich noch das Video dazu produzierte. Ich hatte kaum Software und musste die Szenen von der DVD Frame für Frame aufnehmen. Erst nachdem der Clip so erfolgreich auf YouTube war, hat sich auch diese visuelle Seite meiner Arbeit entwickelt.

ZEIT ONLINE: Sie sagten mal, dass Sie sich auf YouTube schnell in die Ecke gedrängt fühlen. Was meinen Sie damit?

Bertke: Mit einem viralen Video zeigt man Unternehmen nicht nur, was man machen kann. Man zeigt vor allem, wie vielen Menschen das gefällt. Wenn potenzielle Auftraggeber die Klickzahlen sehen, sind sie schneller überzeugt. Soweit, so gut. Das Problem ist natürlich, dass sie dann genau diese Sachen wieder sehen möchten. Auch die YouTube-Kultur bedient dieses Muster: Je mehr Menschen dir folgen, desto mehr vom Gleichen erwarten sie, desto höher ist der Druck. Auch ich habe deshalb am Anfang recht viele ähnliche Sachen gemacht. Inzwischen versuche ich aber, mich mit jedem neuen Auftrag ein wenig weiterzuentwickeln. Du musst aufpassen, dass du nicht zu einem Klischee wirst.

ZEIT ONLINE: Und das klappt?

Bertke: Mein erstes eigenes Video war Gardyn 2010. Ich war davon überzeugt, dass es floppen würde, weil jeder ein neues Disney-Video erwartet hatte. Aber es war so erfolgreich, dass es im Rahmen eines YouTube-Events später sogar im Guggenheim Museum in New York gezeigt wurde. Das war vielleicht die wichtigste Lehre für mich: Produziere immer Sachen, die du vor allem selbst hören möchtest. Du bist am Ende immer noch dein eigener Kanalbetreiber und niemandem etwas schuldig.

ZEIT ONLINE: Würden Sie sich dennoch als Teil der YouTube-Kultur beschreiben?

Bertke: YouTube ist meine Hauptplattform, aber die „richtigen“ YouTuber laden fast täglich Videos hoch, bei mir ist es vielleicht eins pro Monat. Natürlich habe ich YouTube einiges zu verdanken. Es wäre unmöglich gewesen, schon finanziell, meine Arbeit ins Fernsehen oder auch auf DVD zu bekommen. Meine Zukunft sehe ich jedenfalls noch weiter in Sachen Film, vielleicht auch im Animations- und Effektbereich. Aber das und YouTube müssen sich ja nicht ausschließen.

ZEIT ONLINE: Lohnt sich YouTube denn auch finanziell für Sie?

Bertke: Die Sache ist, dass ich nicht alle meiner Videos auch vermarkten kann. Ich kann schließlich schlecht Profit machen mit Videos, die Szenen aus Disney-Filmen enthalten, ohne dass es Ärger gäbe. Es sei denn, es handelt sich um Auftragsarbeiten für Pixar oder Showtime. Allein schon deshalb muss ich meine eigenen Sachen aufnehmen. Letztlich aber ist YouTube für mich vor allem eine prima Promotionsplattform.

ZEIT ONLINE: Hatten Sie schon mal Probleme mit dem Urheberrecht?

Bertke: Erstaunlicherweise nur einmal, als ich ein Video aus Szenen von Spielbergs Film Hook veröffentlicht habe. Da hat die automatische Inhalte-Erkennung auf YouTube angeschlagen. Ich habe mich an Sony, den Rechteinhaber, gewandt und erklärt, wieso das Video unter die Fair-Use-Regel fällt. Am nächsten Tag war es dann tatsächlich wieder online. Die Amerikaner sind meiner Erfahrung nach in Sachen Fair-Use relativ offen. Hoffentlich bleiben sie es auch.

 

Menschen mit Behinderungen auf YouTube: Humor ist kein Handicap

„In diesem Video zeige ich Euch meinen Fuß und erkläre, wieso ich ihn mir amputieren lasse“, sagt Christina Stephens mit einem Lächeln in die Kamera. Es ist das erste Video im YouTube-Kanal von AmputeeOT, wie sich Stephens im Netz nennt, und die Bilder, die im Februar entstanden, sind nichts für schwache Nerven. Vier Monate später kann man der 31-Jährigen dabei zusehen, wie sie sich aus Lego eine Prothese baut. Eine Million Abrufe hat das Video aus dem Juni inzwischen – und Stephens ist plötzlich ein kleiner Internetstar.

Die ausgebildete Ergotherapeutin ist nicht alleine: Immer mehr Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen nutzen YouTube, um gegen Stigmatisierung vorzugehen und Vorurteile aus dem Weg zu räumen. Nicht mit medizinischen Fakten, sondern vor allem mit Humor und Persönlichkeit. „YouTube bietet eine neue Form des Austauschs“, sagt Stephens im Interview mit ZEIT ONLINE, „vor allem jüngere Menschen kommen so mit Behinderten in Kontakt, die sie sonst niemals im Leben treffen würden.“

Wie schnell das gehen kann, erfuhr Stephens Anfang des Jahres. Im Januar fiel bei einem Unfall ein Auto auf ihren Fuß. Die Frakturen waren kompliziert, die Blutgefäße verletzt. Nach einigen Wochen ohne Fortschritte beschloss sie mit ihren Ärzten, ihr linkes Bein unterhalb des Knies amputieren zu lassen. Da sie zuvor schon immer mal wieder Videos auf YouTube gestellt hatte, sei ihr ganz automatisch in den Sinn gekommen, ihre Amputation und die Folgen mit der Kamera zu begleiten, sagt Stephens.

Rund 30 Videos enthält der Kanal von AmputeeOT inzwischen. Viele davon zeigen Stephens bei der Reha, den Heilungsverlauf und den ersten Schritten mit der Prothese. Andere zeigen die junge Frau bei alltäglichen oder sportlichen Aktivitäten. Beim Gärtnern etwa und beim Bogenschießen. Oder eben beim Bauen eines „Legolegs“. Die Idee dafür hatten ihre Kollegen. In allen Videos anwesend ist die scherzende und lachende Protagonistin. „Lachen ist wichtig für mich, weil sich mein Umfeld dann wohler fühlt“, sagt Stephens, „und außerdem hilft es mir, mit der Situation umzugehen.“

Kleine Frau mit keinen Armen

Ähnlich denkt auch die als Tisha UnArmed bekannte YouTuberin. Die 26-jährige wurde ohne Arme geboren. Seit vergangenem Sommer ist sie auf der Plattform aktiv. Anders als Stephens kam sie eher zufällig zum Filmen. Aus einer Laune heraus nahm sie sich eines Tages dabei auf, wie sie mit den Füßen ein Sandwich aß. Das Video wurde mehr als 300.000 mal geklickt, inzwischen haben 20.000 Menschen ihren Kanal abonniert.

In ihren Videos zeigt Tisha, wie sie ihren Alltag ohne Arme meistert. Sie benutzt Make-up, verpackt Geschenke, kocht, mäht den Rasen und fährt mit einem speziellen Auto sogar an einem Drive-In-Schalter vor. Zu ihren ungewöhnlicheren Aktivitäten zählen der Besuch auf einem Schießstand und der Bowlingbahn. Die Leichtigkeit, mit der Tisha ihren Alltag mit Füßen und Schultern meistert, kommt bei den YouTuber-Nutzern an. Zwar bekomme auch sie unter jedem Video einige abfällige Bemerkungen, in der Summe aber seien die Reaktion sehr herzlich, sagt Tisha.

Sie möchte nicht nur zeigen, dass sie es auch ohne Arme mit den „Norms“, den nichtbehinderten Menschen, aufnehmen kann, sondern auch andere Betroffene ermutigen, ähnlich offen mit ihren Beeinträchtigungen umzugehen. Und das mit Humor: Tishas Profilbild zeigt sie mit einem T-Shirt, auf das ein Tyrannosaurus Rex und die Worte gedruckt sind: „If you’re happy and you know it clap your… oh.“

Der blinde Filmkritiker

Mit dieser Form des Selbst-auf-die-Schippe-Nehmens kennt sich Tommy Edison bestens aus. Es ist schließlich das Markenzeichen des Blinden. Seit zwei Jahren kennt man ihn als Blind Film Critic auf YouTube – und längst auch darüber hinaus. Neben seiner langjährigen Karriere als Radiomoderator hat sich Edison inzwischen mit seinen Videos ein zweites Standbein aufgebaut. Mit über 100.000 Abonnenten gehört er zu den bekanntesten blinden YouTubern.

Wenn er nicht gerade Kinofilme bespricht, beantwortet Edison in The Tommy Edison Experience Fragen der Zuschauer. Was sind die Vorteile des Blindseins? Eine kleinere Stromrechnung. Wie sucht ein Blinder seine Klamotten aus? Er trägt einfach immer Bluejeans, die funktionieren mit allem. Wie träumen Blinde? Mit miesem Bild, aber super Ton.

Eigentlich wollte Edison immer ins Fernsehen. Weil ihm dies nicht gelang, begann er mit dem Dokumentarfilmer Ben Churchill YouTube-Videos zu drehen. „Wir dachten uns, hey, wir haben hier eine Stimme, also lass sie uns nutzen“, sagt Edison. Seinen Kanal bezeichnet er als eine Anlaufstelle für alle, die sich für das Leben von Blinden interessieren – und Spaß haben möchten.

Direkter Austausch mit den Zuschauern

Das Konzept funktioniert, weil Edisons direkte und lebensfrohe Art wider die Vorurteile wirkt, die manche Menschen Blinden gegenüber haben. Außerdem steht das Format im Kontrast zu vielen, meist drögen Inklusionskampagnen, die sich für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen einsetzen, aber oft gerade an den jüngeren Generationen vorbeireden.

Nicht so Tommy Edison, Christina Stephens und Tisha UnArmed: Angetrieben von dem direkten Austausch mit den Zuschauern haben alle drei einen Weg gefunden, besser mit ihren Beeinträchtigungen leben zu können und auch anderen Menschen die Scheu und Unsicherheit im Umgang mit behinderten Menschen zu nehmen. Auch deshalb möchte Christina Stephens ihren Kanal künftig noch weiter ausbauen. Sie möchte sich als Peer-Educator für Amputationspatienten, Angehörige, Ärzte und interessierte Laien etablieren. Nicht in einer klassischen Praxis. Sondern auf YouTube und Facebook.

 

„Inside Jaws“: Jäger der verlorenen Filmszenen

"Inside Jaws"

Dun-dun, dun-dun, dun-dun-dun-dun-dun-dun-dun, da-na-na … na, erkannt? Jetzt aber. Die Titelmelodie von Steven Spielbergs Der Weiße Hai aus dem Jahr 1975 gehört schließlich zu den bekanntesten Tonfolgen der Filmgeschichte. Weniger bekannt ist dagegen die turbulente Entstehungsgeschichte des Klassikers. Etwa die Rivalität der Hauptdarsteller Robert Shaw und Richard Dreyfuss am Set. Glücklicherweise gibt es Filmfans wie Jamie Benning. Der Brite sammelt seit einigen Jahren seltene Interviews, Audios und gelöschte Szenen seiner Lieblingsfilme und schneidet sie neu zusammen. Für seine neuste Arbeit Inside Jaws ist Benning tief die Historie des Weißen Hais eingetaucht.

„Filmumentary“ nennt Benning seine Arbeiten, die einen Zwitter aus Dokumentation, Making-Of und Audiokommentar darstellen. Anders als klassische Dokumentarfilme enthalten Bennings Werke keine selbstgedrehten Aufnahmen, keine Rahmenerzählung oder wertende Kommentare. Stattdessen nimmt Benning die Originalfilme und reichert sie mit dem gefundenen Material an. Benning sieht sich als Fan und Sammler und nicht als Filmemacher. Man könnte ihn aber auch einen Remixer nennen, der aus bestehendem Material eine neue, informative Erfahrung bastelt – und das nicht nur für die Hardcore-Filmfans.

Es begann mit Star Wars

Die Idee für dieses Format hatte Benning erstmals 2006. Er befand, dass die Audiokommentare auf den DVDs der Star-Wars-Trilogie zu klinisch seien und fragte sich, ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, das zahlreiche Extramaterial besser aufzubereiten. Er begann zu sammeln. Monatelang studierte er Bücher, Internetforen, Archive und unterschiedliche DVD-Versionen, ordnete das Material und stellte Verknüpfungen her. Am Ende hatte er den Film Building Empire fertig, seine persönliche Hommage an Das Imperium schlägt zurück.

Zigtausende Klicks auf YouTube und das größtenteils positive Feedback hartgesottener Star-Wars-Fans animierten Benning dazu, das Projekt fortzusetzen. 2008 und 2011 komplettierten Returning to Jedi und Star Wars Begins die Original-Trilogie der Filmumentaries.

2012 betrat Benning mit seiner Indiana-Jones-Filmumentary Raiding the Lost Ark neues Gebiet. Statt sich nur auf bereits verfügbares Material zu stützen und dieses neu anzuordnen, ging er erstmals selbst auf die Macher zu. Er schrieb Personen an, die bei den Dreharbeiten beteiligt waren, führte Interviews über Skype und brachte somit neue Informationen zutage. Warfen ihm bei Star Wars noch einige Kritiker vor, er verwurste bloß die Arbeit von anderen, konnte sich Benning nun als akribischer Filmforscher etablieren.

Das Projekt lebt vom Austausch mit anderen Fans

Trotzdem sieht sich Benning nicht als professioneller Filmemacher. Zwar habe er Medienproduktion studiert und einige Jahre beim Fernsehen gearbeitet, zum Filmen sei aber erst mit dem Projekt gekommen, sagt er. Bis heute sind die Filmumentaries bloß ein Hobby für den Familienvater. Ein zeitraubendes Hobby: 16 Monate lang war er mit der Produktion von Inside Jaws beschäftigt.

Doch darum geht es gar nicht. Benning schätzt vor allem den Austausch mit anderen Fans auf Twitter, Vimeo und Facebook. Schon Raiding the Lost Ark war ein kollaboratives Projekt, wie Benning in einem Interview erzählt. Nicht nur traten viele Filmfans an ihn heran und versorgten ihn mit exklusivem Material von der Entstehung des Films. Viele boten ihn auch gleich Hilfe an. So bekam die Filmumentary erstmals ein eigenes Artwork mit Postern und Postkarten.

Geld verdient Benning mit seinen Arbeiten nicht. Denn urheberrechtlich bewegt er sich in einer gefährlichen Grauzone. Eine einzige Mail der Rechteinhaber könnte die Arbeit mehrerer Monate zunichte machen. Bis jetzt haben sich die Unternehmen von George Lucas und Steven Spielberg noch nicht direkt gemeldet, auch wenn Benning die Star-Wars-Episoden auf Bitten von 20th Century Fox inzwischen von YouTube nehmen musste. Allerdings schrieb ihm ein anonymer Mitarbeiter von George Lucas Unternehmen ILM vor einigen Jahren eine E-Mail: Er und seine Kollegen fanden die Star-Wars-Filmumentary schlicht großartig.

 

Smosh, die YouTube-Millionäre

Anthony Padilla und Ian Hecox, beide 25 Jahre jung, modische Frisur und sonniges Gemüt, würden problemlos als Abiturienten durchgehen. Im Internet aber sind sie alte Hasen. Als Comedy-Duo Smosh gehörten sie zu den ersten YouTube-Stars überhaupt. Inzwischen sind sie auch die erfolgreichsten, jedenfalls den Zahlen nach: Vergangene Woche durchbrachen Smosh mit ihrem Kanal die Marke von zehn Millionen Abonnenten, als erster überhaupt in der Geschichte YouTubes. Insgesamt 2,3 Milliarden Abrufe zählen ihre Videos bis heute, die vor allem unter Teenagern ein Hit sind.

Das Wirtschaftsmagazin Forbes schätzt die Erlöse von Smosh allein im vergangenen Jahr auf zehn Millionen US-Dollar, knapp die Hälfte davon soll aus den Werbeeinnahmen auf YouTube stammen. Selbst wenn das übertrieben sein sollte, ist sicher: Smosh hat geschafft, wovon viele junge Filmemacher träumen. Auch, weil sie früh erkannten, dass YouTube zwar ein Sprungbrett ist, es sich aber auf anderen Websites auch prima surfen lässt.

Das „Modell Smosh“ – auf YouTube eine Fanbase aufzubauen und dann anderswo Geld zu verdienen – ist ein Vorbild für andere erfolgreiche Macher. Für die Google-Tochter könnte das zum Problem werden.

Die ersten YouTube-Stars

Das konnten Hecox und Padilla natürlich vor acht Jahren noch nicht ahnen. Etwa zur gleichen Zeit, als YouTube im Jahr 2005 an den Start ging, begannen die Schulfreunde, gerade frisch aus der High School, eigene Videos zu drehen. Teils aus Langeweile, teils aus ihrer gemeinsamen Faszination für Comedy, veröffentlichten die damals 18-Jährigen erste Clips auf MySpace, in denen sie die Titelsongs von Trickfilmserien im Playback nachsangen.

Im November 2005 tauchten sie erstmals auf YouTube auf. Gleich ihr erstes Video schaffte es auf die Startseite – und sollte sich dort lange halten. Sechs Monate lang war es das meistgeklickte Video auf der damals noch verhältnismäßig kleinen Videoplattform. Nur ein Jahr später nannte das Time Magazine die beiden „das Saturday Night Live“ von YouTube. „Die ersten Superstars des Web-TV“, schrieb die BBC.

Wirklich glamourös war das Leben der vermeintlichen Superstars zu diesem Zeitpunkt nicht. Sie drehten ihre Videos im heimischen Schlafzimmer, etwas Geld kam lediglich durch T-Shirt-Verkäufe auf ihrer Website zusammen. Trotzdem weckten Smosh die Aufmerksamkeit von Barry Blumberg. Der frühere Disney-Mitarbeiter suchte für das Medienunternehmen Alloy Digital neue Gesichter im Netz und erkannte das Potenzial eines netzaffinen Comedy-Formats für Teenager. Als YouTube im Frühjahr 2007 ein Partnerprogramm einführte, das die Kanalbetreiber an den Werbeeinnahmen beteiligt, gehörten Smosh zu den ersten Teilnehmern. Laut Forbes garantierte der Deal damals den beiden Machern 9.000 Dollar im Monat.

Sieben Kanäle betreiben Smosh inzwischen

Über solche Summen können Hecox und Padilla heute nur schmunzeln. Inzwischen betreibt Smosh sieben Kanäle auf YouTube, fünf davon bespielen sie regelmäßig. Neben zwei Hauptkanälen gibt es noch einen mit spanischen Übersetzungen ihrer Sketche, einen mit Cartoons und einen für Videospiele. 70 Millionen Abrufe generierte allein der Hauptkanal im vergangenen Monat nach Angaben von VidStatsX, über 100 Millionen Abrufe waren es bei allen fünf zusammen. Die YouTube-Partner schweigen traditionell über ihre Erlöse, genaue Schätzungen scheitern oft an der Frage, wie viele Videos letztlich monetarisiert werden und wie die individuellen Verträge zwischen Google und den Betreibern aussehen. Angesichts der hohen Abrufzahlen und der Bekanntheit der Macher aber dürften die Einnahmen problemlos im oberen fünfstelligen oder unteren sechsstelligen Bereich liegen – pro Monat, versteht sich.

Das ist viel Geld, das aber natürlich nicht allein in die Taschen der beiden Protagonisten fließt. Seit 2011 besitzt Alloy Digital die Markenrechte an Smosh. Das Unternehmen erkannte frühzeitig das Potenzial des Formats jenseits von YouTube. „Wir hatten immer das Gefühl, dass ein Geschäft auf dem Rücken eines einzelnen Partners gefährlich sei“, sagt Blumberg. Deshalb bauten sie die Website von Smosh kontinuierlich aus. Heute gibt es auf smosh.com nicht nur die Videos des Duos, sondern auch ein Forum, ein Blog mit Internet-Memes sowie einen Onlineshop. Zusätzliche Einnahmen verbucht das Duo aus den Verkäufen ihrer Songs auf iTunes, durch mobile Games und virale Videos für Unternehmen.

Die Investitionen lohnen sich. Zum einen ist Werbung auf der eigenen Website deutlich profitabler als auf YouTube, wo Google knapp die Hälfte der Einnahmen einbehält. Zum anderen schafft es Unabhängigkeit. Zwar zeigt das starke Wachstum, dass YouTube für Smosh noch immer die wichtigste Adresse ist, um neue Fans zu gewinnen. Gleichzeitig könnten sie schon jetzt problemlos exklusiv für ihre eigene Website produzieren. Das ist erfreulich für Smosh – und schlecht für Google, das sich mit den Erfolgsgeschichten seiner Partner schmückt und diese möglichst eng binden möchte.

Viele YouTuber suchen nach Alternativen

Stattdessen steht YouTube immer häufiger in der Kritik. Zwar steigen die Nutzer- und Besucherzahlen sowie die Werbeeinnahmen ständig an. Geschätzte vier Milliarden Dollar steckten die Werbetreibenden vergangenes Jahr in die Plattform. Viele Kanalbetreiber aber glauben, dass sie nicht genug vom Kuchen abbekommen. Googles Anteil von 45 Prozent an den Erlösen sei zu hoch, sagten einige Kanalbetreiber der Website All Things Digital. Andere bemängelten, dass YouTube keine Infrastruktur habe, um für jeden Kanal die bestmögliche Werbung zu schalten. „Es wird schwieriger, auf YouTube Geld zu verdienen“, heißt es in einer Analyse der Businessweek. Wie Smosh versuchen viele Macher ihr Glück deshalb zusätzlich an anderen Stellen im Netz.

Ray William Johnson etwa, den Smosh im Januar als Nutzer mit den meisten Abonnenten überholten, hat gerade einen Fernsehdeal mit dem Fernsehsender FX unterzeichnet. Freddie Wong, durch seine Video Game High School bekannt, hat mit Rocketjump ein eigenes Netzwerk gegründet, um seine Videos zusätzlich vermarkten zu können. In Deutschland möchte der Videospieler Gronkh und das Unternehmen dahinter die Website künftig mit redaktionellen Nachrichten aus der Gaming-Szene anreichern. Und wenn die Gerüchte stimmen, plant mit Maker Studios eine der größten YouTube-Produktionsfirmen sogar eine komplett eigene Konkurrenz-Plattform. Diese Diversifikation ist Teil der Markenbildung. Sie zeigt aber auch: Ein Erfolg auf YouTube ist für immer mehr Macher nicht das Ziel, sondern bloß eine Zwischenstation.

Auch Hecox und Padilla ruhen sich nicht auf ihren 10 Millionen Abonnenten aus. Wie Variety berichtet, hat das Duo ebenfalls gerade einen TV-Deal abgeschlossen. Zu Beginn des Jahres hatte es noch erklärt, das Internet auf keinen Fall verlassen zu wollen. Doch wenn jemand eine Chance sieht, dann Smosh. Schließlich sind sie schon lange genug im Geschäft. Auch wenn sie nicht so aussehen.

Nachtrag vom 12.6.2013: Die YouTube-Analyseplattform Social Blade hat nun Daten veröffentlicht, die jeweils die kleinsten und größten geschätzten Einnahmen der Top 25 YouTuber aufzeigt. Für die beiden Zahlen wurden unterschiedliche Werte je 1.000 Abrufe als Berechnungsgrundlage genommen: von 0,70 US-Dollar bis hoch zu sieben Dollar, was bei bekannten Namen durchaus sein kann. Smosh hätte demnach bis zu 5,7 Millionen im vergangenen Jahr eingenommen, was sich auch mit der Schätzung von Forbes deckt.

 

„Tatort+“ aus Stuttgart: Ermittlungen im Netz

Die "Tatort"-Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller, r) und Sebastian Bootz (Felix Klare) (© ARD/SWR
Die „Tatort“-Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller, l) und Sebastian Bootz (Felix Klare) (© ARD/SWR)

Das Crossmedia-Fieber geht um und hat nun auch den Tatort erwischt: Während die Stuttgarter Kommissare Lannert und Bootz erst am 26. Mai in der Folge Spiel auf Zeit auf Fahndung gehen, können die Fans schon eine Woche vorher nach dem Täter suchen. Am Samstagabend können sich die Spieler beim Tatort+ registrieren und bis zur Ausstrahlung am kommenden Sonntag das Verbrechen aufklären.

Spiel auf Zeit ist der zweite Online-Tatort des SWR. Das erste Mal hatte der Sender das Format im vergangenen Mai beim Ludwigshafener Tatort getestet. Mit mäßigem Erfolg. Statt mit Rätseln hatten die Zuschauer in den ersten Tagen vor allem mit Fehlermeldungen zu kämpfen. Die Macher hatten den Besucheransturm falsch eingeschätzt. Auch gab es Kritik, dass der Mörder in der Folge nicht enttarnt wurde. Die Zuschauer waren stattdessen dazu aufgerufen, im Internet das Fernsehverbrechen aufzuklären. Pech für alle, die dazu keine Lust oder Mittel hatten.

Das Problem soll es in diesem Jahr nicht geben. Der Film ist in sich abgeschlossen, die Ermittlungen im Netz arbeiten lediglich auf den Fall im Film hin und ergänzen die Geschichte um weitere Details. Knapp sechs Monate habe man die Aktion geplant, sagte der Social-Media-Manager des SWR, Guido Bülow, ZEIT ONLINE.

Zeugenbefragung per Google Hangout

Tatsächlich ist der Tatort+ etwas komplexer. Gab es im Vorjahr nur Audiomaterial, hat der Sender nun mit den Darstellern zusätzliche Szenen gedreht, die bei der Ermittlung vorkommen. Das Spiel selbst etwa beginnt mit einem Video, das im Internet auftaucht und ein mögliches Verbrechen zeigt. Im Browser können die Hobby-Kommissare es mit einem Tool analysieren und anschließend auf Spurensuche gehen.

Auch weitere Kanäle sollen genutzt werden: In den kommenden Tagen hat der Sender ein Zeugenverhör via Google Hangout geplant. Bis zu acht Zuschauer können dabei gemeinsam mit einem Moderator die Personen aus dem Video befragen. Die Aufzeichnung des Verhörs landet anschließend für alle anderen Spieler sichtbar auf YouTube. Die Erzählgeschwindigkeit sei insgesamt bewusst langsam gehalten, sagt Bülow: „Pro Tag kommt man ein Stückchen weiter, wie bei einer Echtzeitermittlung.“

Ermittlungen im Browser (© ARD/SWR)
Ermittlungen im Browser (© ARD/SWR)

Die Ermittlungen finden aber nicht nur im Netz statt, jedenfalls nicht für Zuschauer aus Stuttgart. Im Laufe der Woche gibt es an einem Tag ein Ereignis in der Stadt, dessen Zeitpunkt und Ort zunächst im Laufe des Spiels ermittelt werden muss, und an dem es noch weitere Indizien für die Aufklärung des Falls gibt. Hinweise dazu gibt es sowohl online als auch auf eigens verteilten Bierdeckeln in ausgewählten Tatort-Kneipen.

Auch mit der TV-Ausstrahlung am kommenden Sonntag ist die Aktion noch nicht vorbei. In einem zweiten Erzählstrang können die Zuschauer einen zweiten Mord aufklären. Selbst wenn sie den ersten Teil der Ermittlung nicht verfolgt haben. Die nötigen Hinweise soll es während der Ausstrahlung über den Second Screen, also im Internet und sozialen Netzwerken geben.

Bindung an die Marke

Überhaupt geht es dem SWR mit der Aktion vor allem um eines: Die Bindung der jüngeren Zuschauerschichten an die Marke Tatort. Schon jetzt schafft es #tatort regelmäßig in die Trending Topics der deutschen Twitter-Szene, die Zuschauer der Reihe werden insgesamt jünger – und damit netzaffiner. „Wir sehen Woche für Woche, wie viele Fans im Netz in Foren und Kommentaren über den Tatort sprechen. Ihnen wollen wir ein Stück zurückgeben, indem wir das Tatort-Erlebnis erweitern“, sagt Bülow.

Der SWR ist deshalb überzeugt, dass viele Tatort-Zuschauer den Weg ins Netz finden werden, die 100.000 Spieler aus dem vergangenen Jahr gelten als Minimalziel. Die gehen nicht leer aus: Eine/r von ihnen soll im nächsten Stuttgart-Tatort Happy Birthday, Sarah auf einem Foto auftauchen.

(mit dpa)

 

Crossmedial bis in die Klinik: „About:Kate“

Kate surft auch in der Klinik (© Arte/Ulmen.tv)
Kate surft auch in der Klinik (© Arte/Ulmen.tv)

Kate Harff ist fast 30 aber fühlt sich wie 18. Sie hat exakt 428 Freunde auf Facebook und kennt nur die wenigsten. Tagsüber macht sie was mit Kunst und abends was mit Partys. In der Zwischenzeit hört sie angesagte Indie-Musik und stellt bedeutungsschwangere Bilder in ihr Blog. Und weil sie nicht mehr weiß, was das alles soll, legt sie nicht etwa ihr iPhone zur Seite, sondern weist sich kurzerhand in eine Nervenklinik ein, nur um von dort aus noch mehr im Netz abzuhängen. Klingt unlogisch? Ist es auch, macht aber nix.

Kate, gespielt von Natalia Belitski, ist die Hauptfigur der Arte-Serie About:Kate (ab Samstag 23:45 Uhr oder im Netz). In 14 Teilen, immer Samstagnachts, wird die Psyche der Berlinerin untersucht. In Gesprächen mit ihrer Therapeutin, mit Pflegern, anderen Patienten und Freunden kommen Bruchstücke aus Kates Vergangenheit ans Licht. Zusätzlich gräbt sich Kate per Laptop und Smartphone durch Facebook-Timelines und Blogs, durch Videos, Chats und Tagebucheinträge, um ihre echte Identität wiederzufinden. Doch die Suche bewirkt zunächst das Gegenteil: Die Grenzen zwischen Realität und virtueller Inszenierung verschwimmen, und das nicht nur für Kate, sondern auch für die Zuschauer.

Zuschauervideos erwünscht

Die nämlich sollen möglichst Teil des Projekts sein. „Wir geben dem Zuschauer keine Möglichkeit zu entfliehen“, sagt Christian Ulmen, dessen Produktionsfirma ulmen.tv die Serie gemeinsam mit Arte entwickelt und produziert hat. Das klingt nach einer Drohung und ist es womöglich auch. Denn About:Kate soll auf allen Kanälen unterhalten und lässt keine Gelegenheit aus, die Zuschauer daran zu erinnern: Über fiktive Facebook- und Twitter-Profile, Bilder, Playlisten und Videoclips sollen die Zuschauer möglichst eng mit der Hauptfigur verbunden werden.

Während der Sendung bekommen die Zuschauer zusätzliche Informationen über die Smartphone-App. Eine neue Technik des Fraunhofer Instituts synchronisiert das Handy oder Tablet mit dem Audiosignal des TVs oder Streams. Die App kann somit punktgenau zum Geschehen auf dem Bildschirm Informationen liefern, die Zuschauer verfolgen, auf welchen Websites Kate gerade herumsurft. Über Fragebögen können die Nutzer über den Verlauf der Serie zudem ihr eigenes psychologisches Profil erstellen.

Dazu kommen die Einsendungen der Zuschauer. Schon jetzt wird auf der Website um Material wie Bilder oder kurze Videoclips zu einem bestimmten Thema gebeten, das es später auch in die Serie und damit in Kates Bewusstseinsstrom schafft. Erzählerisch ändert sich dadurch natürlich nichts. Es verleiht den Zuschauern aber ein Gefühl der Beteiligung. Auch wenn die Zahl der Einsendungen zu einigen Themen zu wünschen lässt.

Fernsehen als Erlebniswelt

About:Kate schließt sich damit dem Trend an, Fernsehen nicht bloß als lineares Programm, sondern als transmediale Erlebniswelt feilzubieten. Ähnliche Projekte gab es bereits. Dass ZDF ließ etwa 2011 mit dem Krimi Wer rettet Dina Foxx? die Zuschauer nach der Ausstrahlung im Netz nach dem fiktiven Mörder fahnden. Aktuell versucht der Pay-TV-Kanal SyFy mit der Weltraumserie Defiance eine Geschichte gleichzeitig im Fernsehen und in einem Computerspiel zu erzählen.

Bei allen Projekten bleibt die Frage, wann man der erwünschten und bisweilen geforderten Interaktion überdrüssig wird. Denn auch About:Kate wünscht sich nicht nur Interaktion, sie ist Teil der Erzählung. Nur wer simultan zur Protagonistin ins Netz eintaucht, kann der Geschichte vom digitalen Burn-Out etwas abgewinnen. Wer sich dagegen nicht nachts um zwölf noch auf die volle Social-Media-Dröhnung einlassen möchte, bekommt ein eher diffuses Fernsehprogramm. Man fragt sich, wieso Kate nicht einfach das iPhone beiseite legt und eine Runde spazieren geht. Das wäre doch viel logischer.