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Maker-Übernahme: Disney sucht den Superstar

PewDiePie mit seiner Freundin (Screenshot YouTube)
PewDiePie mit seiner Freundin (Screenshot YouTube)

Es ist ein Aufeinandertreffen von old media und new media: Der Medien- und Filmkonzern Disney kauft das YouTube-Netzwerk Maker Studios für 500 Millionen US-Dollar. Sollten vereinbarte Geschäftsziele erreicht werden, erhöht sich der Preis um weitere 450 Millionen. Es geht also um fast eine Milliarde Dollar – und die Frage, woher die nächsten Film- und Entertainment-Stars kommen.

Mit Disney steigt die dritte Hollywood-Größe innerhalb eines Jahres ins YouTube-Geschäft ein. Dreamworks übernahm bereits im vergangenen Jahr das Netzwerk Awesomeness TV für 150 Millionen US-Dollar. Die Konkurrenz von Warner investierte vor wenigen Wochen in das Gaming-Netzwerk Machinima.

Bei allen handelt es sich um sogenannte Multi-Channel-Networks (MCN). Diese Netzwerke bündeln eine Vielzahl von Kanälen, im Fall von Maker sind es rund 55.000, die auf bis zu 5,5 Milliarden Abrufe im Monat kommen.

Die Netzwerke sorgen nicht nur für die Vermarktung und PR ihrer Partner, sondern entwickeln auch neue Formate, bieten Produktionsstätten und bringen Partner für Kollaborationen zusammen. Für diesen Service bekommen sie einen Teil der Werbeeinahmen, die YouTuber für jedes Video erhalten. Wie kürzlich der Fall von Grace Helbig zeigte, laufen diese Geschäftsbeziehungen nicht immer problemlos, aber die meisten erfolgreichen YouTuber sind inzwischen Teil von Netzwerken.

Doch was genau erhofft sich Disney von diesem Geschäft?

Der Einfluss auf Google steigt

Da wäre zum einen der Einfluss auf YouTube. Obwohl YouTube-Netzwerke aus dem Webvideo-Ökosystem nicht mehr wegzudenken sind, ist ihr Geschäftsmodell alles andere als sicher: Schließlich hat Google als Eigentümer von YouTube letztlich die Kontrolle über die Technik und die Vermarktung. Immer wieder beschweren sich die Netzwerke und YouTuber, dass die Plattform nicht genug Ressourcen in die Anzeigenvermarktung steckt und zudem einen zu großen Anteil der Werbeeinahmen für sich behält.

Netzwerke wie Maker sind deshalb weiterhin auf die Gelder von Risikokapitalisten und Investoren angewiesen, die jährlich Millionenbeträge in die Netzwerke pumpen. Maker konnte in den vergangenen Jahren zwar seine Umsätze um jährlich 300 Prozent steigern, doch Insider vermuten, dass das Unternehmen Geld verliert.

Durch den Einstieg einflussreicher Konzerne wie Disney und Dreamworks könnte die Netzwerk-Szene sowohl die dauerhafte Finanzierung garantieren, als auch mehr Druck auf Google ausüben. Michael Carney schreibt auf Pando Daily, dass die Übernahme deshalb ein positives Zeichen für die Webvideo-Szene in Los Angeles sei, die zwar professionell ist, mit den finanziellen Strukturen des Filmgeschäfts aber noch lange nicht mithalten kann. Disney wiederum könnte Makers 55.000 Kanäle in der Hinterhand für eigene Lobby-Zwecke nutzen.

YouTube = Kids

Dazu kommen die Inhalte. Obwohl Disney längst ein vielseitiger Medienkonzern ist, liegt das Kerngeschäft noch immer in der Unterhaltung junger Menschen. Und ausgerechnet diese sind inzwischen immer häufiger auf YouTube als vor dem Fernseh- oder Kinobildschirm zu finden. Für die Kleineren hat sich YouTube zwar noch nicht etabliert, doch auch das könnte sich ändern. Gerüchten zufolge könnte die Google-Tochter noch in diesem Jahr eine Videoplattform für Kinder unter 10 Jahren starten.

Für Disney ist YouTube in jedem Fall eine Möglichkeit, seine Inhalte ans Publikum zu bringen und die kommende Generation von Kindern und Teenagern noch einfacher zu erreichen. Disney-Inhalte könnten von bekannten YouTubern aufgegriffen werden, wie es etwa der virale Erfolg von Let it Go, dem Titelsong des Disney-Films Die Eiskönigin, gezeigt hat.

Doch wie Peter Kafka auf Re/Code vermutet, ist das für Disney vermutlich nur ein netter Nebenaspekt. Wenn es darum geht, eine eigene YouTube-Präsenz aufzubauen, benötigt Disney nicht die Hilfe von Maker. Der Konzern könnte bekannte Namen für eine Zusammenarbeit direkt ansprechen, wie er es mit den Muppets getan hat.

Auf der Suche nach dem Superstar

Plausibler scheint, dass Disney sich eine Beziehung in der anderen Richtung vorstellt: Also YouTube-Inhalte, die zu Disney wandern statt umgekehrt. Netzwerke wie Maker sind schließlich ein riesiger Talentpool. Mit der Übernahme holt sich Disney die Expertise gleich mit ins Haus. „Mit Maker gewinnt Disney Einblicke, wie Nutzer Webvideoinhalte finden und damit interagieren“, heißt es in einer Pressemitteilung des Konzerns.

Maker Studios könnte unter dem neuen Besitzer vermehrt Partner suchen, die kinderfreundliche Formate entwickeln. Gleichzeitig säße Disney direkt an der Quelle zu bereits etablierten Kanälen und Machern, die möglicherweise auch außerhalb der Plattform bestehen können. YouTube-Stars wie Grace Helbig, Smosh oder Ray William Johnson zeigen, dass sich Onlinepräsenz und ein Flirt mit dem vermeintlich uncoolen Fernsehgeschäft nicht ausschließen müssen.

Das naheliegende Beispiel ist der Schwede Felix Kjellberg. Unter dem Namen PewDiePie ist er das Aushängeschild von Maker Studios, und hat es mit seiner Mischung aus Videospielen und pubertärem Humor zum erfolgreichsten YouTuber der Welt gebracht: 25 Millionen Abonnenten hat PewDiePie inzwischen, jedes seiner Videos erreicht bis zu fünf Millionen Abrufe im Schnitt – das ist mehr als manche TV-Serie im Primetime-Programm. Für Kjellberg sprechen aber nicht nur die Zahlen. Er ist auch noch jung und sieht gut aus.

 

Das klingt oberflächlich, ist aber sowohl in der TV- als auch der Webvideowelt kein Nachteil. Selena Larson erinnert bei ReadWrite an den Mickey Mouse Club – Disneys TV-Show, die Stars wie Ryan Gosling, Britney Spears und Justin Timberlake hervorbrachte. Für Disney könnte YouTube der nächste Mickey Mouse Club sein. Auch wenn es unvorstellbar scheint, PewDiePie abseits seines Computers in einer TV-Show zu sehen. „Nicht jeder YouTuber funktioniert auch auf anderen Plattformen“, sagt der frühere Disney-Mitarbeiter und jetzige Berater David Beebe gegenüber VideoInk. Und auch PewDiePie stellte auf Twitter klar, dass ihn niemand gekauft habe.

Disney möchte Maker Studios weiterhin als eigenständiges Unternehmen führen. Für die Macher dürfte sich deshalb nichts ändern – vorerst. Sicher ist aber, dass Disney sich von seiner Investition früher oder später Erfolge erhofft. Der 500 Millionen-Dollar-Deal ist einer der größten in der Geschichte von YouTube, und gleichzeitig eine der größten Annäherungen der traditionellen Filmwirtschaft an die Webvideo-Szene. Es wird nicht die letzte bleiben.

 

Veronica, der Film ist da

© Robert Voets / Warner Bros. Entertainment
© Robert Voets / Warner Bros. Entertainment

„Ein Liebesbrief an die Fans“ sei dieser Film, sagt der Drehbuchautor Rob Thomas über das am Wochenende erschienene Veronica Mars: The Movie. Die Spielfilm-Adaption der gleichnamigen TV-Serie hat tatsächlich noch einmal alle zusammengebracht: die Protagonistin, die ihre Zeit als jugendliche Hobby-Detektivin hinter sich gelassen hat und nun in New York lebt. Der Ex-Freund, der unter Mordverdacht steht und Veronica um Hilfe bittet, was zu einem warmen Wiedersehen mit alten Freunden und Feinden in der kalifornischen Kleinstadt führt. Dazu etwas Mystery und Noir, flotte Dialoge und ein bisschen Teenage Drama. Wer die Serie mochte, wird von dem Film nicht enttäuscht sein.

Doch die Geschichte von Veronica Mars ist nicht bloß die eines ungewohnten Comebacks. Die Entstehung des Films ist dem Internet und den Fans der Serie zu verdanken. Und sie stellt die Frage, ob Veronica Mars eine neue Ära der Filmwirtschaft einleiten könnte oder ein kurioser Einzelfall bleibt.

Wo Fans sind, ist auch ein Markt

Dass Veronica Mars überhaupt noch einmal auf den Bildschirmen auftaucht, ist jedenfalls bemerkenswert. Die Serie lief ursprünglich in drei Staffeln zwischen 2004 und 2007. Obwohl von den Kritikern gelobt und den Fans geliebt, schaffte es die Serie nie aus der Nische im umkämpften US-Primetime-Geschäft. Zum Ende hatte Veronica Mars mit die schlechtesten Einschaltquoten aller Serien und wurde schließlich abgesetzt.

Rob Thomas präsentierte dem Rechteinhaber Warner Brothers schon früh ein Drehbuch für eine mögliche Filmfortsetzung. Offenbar verschreckt von Experimenten wie Serenity, der gelobten, aber finanziell enttäuschenden Spielfilm-Adaption von Josh Whedons Sci-Fi-Serie Firefly, lehnten die Verantwortlichen ab. Zudem untersagten sie Thomas, den Film unabhängig zu produzieren.

Für Thomas und die Hauptdarstellerin Kristen Bell war die Sache damit erledigt. Nicht aber für die Fans. Wie auch Arrested Development, das inzwischen von Netflix wiederbelebt wurde, florierte Veronica Mars abseits des Fernsehens. Der Kultstatus der Serie sprach sich herum und so blieben die DVD-Verkäufe über Jahre hinweg beständig. Dazu kamen die neuen Medien: Über Streamingportale erreichte die Serie die Wohnzimmer neuer Fans, die sich zunehmend auch über die sozialen Medien austauschten.

Thomas und Bell, beides aktive Twitter-Nutzer, merkten, dass auch Jahre nach dem Ende der Serie viele Menschen an einer Fortsetzung interessiert waren. Es gab offenbar einen Markt – aber wie konnten sie ihn erschließen und gleichermaßen die Verantwortlichen von Warner überzeugen?

Crowdfunding erobert Hollywood

Die Antwort kam Thomas erstmals im Jahr 2011, als er Kickstarter entdeckte. Zwei Jahre später startete er die Kampagne für Veronica Mars: Zwei Millionen US-Dollar peilten er und Bell an. 5,7 Millionen kamen am Ende dabei zusammen. Es ist die höchste Summe, die ein Filmprojekt jemals erreichte. 91.585 Unterstützern bedeuten zudem einen neuen Rekord auf der Plattform Kickstarter.

Dennoch war die Kampagne umstritten. Kritiker warfen den Initiatoren vor, nicht nur sich, sondern auch Warner von den Fans bezahlen zu lassen. Sollte der Film tatsächlich ein Erfolg werden, würde davon schließlich vor allem die Filmfirma profitieren. Und das, ohne dafür viel getan zu haben. Ähnliches musste sich auch Zach Braff anhören, als er seinen kommenden Film auf Kickstarter vorstellte.

Eines zeigt die Kampagne in jedem Fall: Crowdfunding ist nicht mehr nur für die vermeintlich kleinen Hobbyfilmer. In Zeiten, in denen die Budgets für kleinere Titel und unbekannte Filmemacher auch in Hollywood sinken, kann die Unterstützung der Masse über ein Projekt entscheiden. Junge Filmemacher wie Freddy Wong drängen mit diesem Modell von YouTube aus in das traditionelle Filmgeschäft. Die Voraussetzung ist, dass die Zuschauer und Fans sich nicht als Geldgeber sehen, sondern für ihre Unterstützung einen fairen Gegenwert bekommen.

© Robert Voets / Warner Bros. Entertainment
© Robert Voets / Warner Bros. Entertainment

Ein Experiment mit wenig Risiko

Bei Warner war man dennoch skeptisch, als Thomas die Idee des Crowdfundings vorstellte. Dass die Aktion dennoch zustande kam, ist vor allem einer Person im Warner-Management zu verdanken: Thomas Gewecke, der Leiter des digitalen Verleihgeschäfts.

Was Rob Thomas präsentierte, war für Gewecke nicht bloß die Fortsetzung einer mäßig erfolgreichen TV-Serie und Gratis-Film für sein Studio. Es war eine Form des viralen Marketings: Statt Millionen in ein Werbebudget zu stecken, sorgen die Fans im Netz für Aufmerksamkeit. Warner lenkte schließlich ein und übernahm außerdem die Versandkosten der Kickstarter-Geschenke sowie der fertigen DVDs für die Unterstützer.

Auch wenn Warner das finanzielle Risiko durch das Geld der Fans minimierte, ist die Entscheidung für die Crowdfunding-Kampagne eine Besonderheit im Filmgeschäft. Erstmals öffnet sich damit ein großes Studio einer alternativen Finanzierungsmöglichkeit.

Die Implikationen könnten weitreichend sein – theoretisch: Filmemacher und Fans bekommen mehr Entscheidungskraft, längst abgesetzte Serien könnten wiederbelebt werden. Vor allem bringt es die Zuschauer und die Filmwirtschaft näher zusammen. Entscheidend ist, ob sich die ganze Sache lohnt oder lediglich einen nostalgischen Wert für die Fans der Serie bereithält.

© Robert Voets / Warner Bros. Entertainment
© Robert Voets / Warner Bros. Entertainment

Aber lohnt das?

Obwohl Veronica Mars am Ende mehr als drei Millionen US-Dollar mehr einnahm als geplant, ist das Budget für einen zweistündigen Film im Vergleich zur klassischen Finanzierung verschwindend gering. Wie Thomas betont, war die Realisierung nur möglich, weil sich die Darsteller und Crew mit einer geringen Gage zufrieden gaben. Nur 23 Drehtage standen dem Team zur Verfügung. Dem Film sieht man das nicht an, aber es stellt sich die Frage, ob dieses Low-Budget-Modell nicht doch eine Ausnahme bleibt.

In etwa 290 US-Kinos lief Veronica Mars am vergangenen Wochenende an. Es ist kein gewöhnlicher Kinostart, denn Warner mietete diese Kinos vorab an. Im Gegenzug bekommt das Studio die kompletten Ticketeinnahmen anstelle der üblichen 50 Prozent. Knapp 242.000 Zuschauer sahen den Film am ersten Wochenende, was in etwa einem Erlös von zwei Millionen US-Dollar entspricht. Das sei nicht schlecht, aber zu wenig, um tatsächlich von einem Erfolg zu sprechen, schreibt Adam B. Vary auf Buzzfeed. Schließlich fehlten noch 3,7 Millionen US-Dollar, um die Produktionskosten wieder reinzuholen. Und wer, wenn nicht die Fans der Serie sollten ins Kino gehen?

Streaming ist keine Resteverwertung

Die Details stecken im Online-Verleih. Dass Warner die Kinos angemietet hat, ist nämlich dem Umstand geschuldet, dass Veronica Mars zeitgleich zum Kinostart auch online erscheint – jedenfalls in den USA. In Deutschland müssen die Fans noch auf einen VoD-Termin warten. In der Regel lassen sich die Kinobetreiber in den USA ein Exklusivfenster von 90 Tagen zusichern. Dass Warner mit Veronica Mars das umgeht, ist ein weiterer mutiger Schritt und gleichzeitig ein Eingeständnis an die Online-Community: Nur so ist garantiert, dass alle Unterstützer den Film auch zum Start sehen konnten.

Ganz ideal lief der Start nicht. Warner hatte den Kickstarter-Unterstützern zum Start lediglich einen Code für das eigene Streamingportal Flixster geschickt, was bei vielen nicht lief. Sie hatten gehofft, den Film auf Plattformen wie iTunes oder Amazon gratis sehen zu können. Inzwischen hat Warner reagiert und allen Spendern eine Erstattung angeboten, um den Film auch auf anderen Portalen kaufen zu können.

Den Startproblemen zum Trotz könnte das von den Studios oft als Resteverwertung geschasste VoD-Geschäft entscheidend sein. Nicht nur löst Veronica Mars das traditionelle Modell mit Vertriebsfenstern auf. Am Wochenende war der Film auf Platz drei der Filmcharts und die erste Staffel der Serie auf Platz eins der TV-Charts in iTunes. Die Mundpropaganda in den sozialen Netzwerken scheint also zu funktionieren und den Film auf diesem Weg zum Erfolg zu machen.

Und auch wenn Veronica Mars am Ende bloß ein Einzelphänomen ist, dass von einer Gruppe leidenschaftlicher Fans finanziert wurde: Eines hat der Film schon jetzt erreicht. Die großen Studios sind einmal mehr aufmerksam geworden auf die Möglichkeiten, die aus dem Netz kommen. Und auch für die pfiffige Detektivin muss es nicht der letzte Auftritt sein. Man habe sich mit Warner auf eine Zahl geeinigt, sagt Rob Thomas, bei der über einen weiteren Film nachgedacht wird.

 

Der Kampf ums Kabel

Die Netflix-Zentrale in Los Gatos (© Justin Sullivan/Getty Images)
Die Netflix-Zentrale in Los Gatos (© Justin Sullivan/Getty Images)

Als Netflix am vergangenen Freitag die zweite Staffel von House of Cards veröffentlichte, dürften die US-Internetbetreiber ganz genau hingesehen haben. Die Kombination aus Valentinstag, Wochenende und schlechtem Wetter an der Ostküste versprach neue Rekorde für die Streaming-Plattform und damit einen Härtetest für die Provider. Denn längst ist Netflix eine Macht im Internet. Aber nicht alle spielen mit. Es geht schließlich um die Vorherrschaft von Streaming-Angeboten im Netz – und wer davon profitiert.

Im vergangenen Jahr zählte Netflix 31,7 Millionen Abonnenten in den USA und übertraf damit erstmals den Pay-TV-Sender HBO. Netflix-Gründer Reed Hastings glaubt, dass der Dienst eines Tages zwischen 60 und 90 Millionen US-Bürger erreichen könnte und sich damit der rückläufigen Anzahl der Kabelanschlüsse annähert. Eine Prognose, die den Kabelanbietern, die in vielen Fällen auch als Internetprovider fungieren, gar nicht gefällt.

Netflix lahmt bei vielen Providern

Der Erfolg von Netflix ist jedenfalls schon jetzt messbar. Nach Analysen des Dienstleisters Sandvine war Netflix im vergangenen Jahr in der Primetime zwischen 21 und 0 Uhr für 31,6 Prozent des gesamten Internetdownstreams in den USA verantwortlich, gemeinsam mit YouTube sogar für rund die Hälfte. In dieser Zeit sinken die Downloadgeschwindigkeiten, was bei vielen Nutzern bisweilen zum Buffering und damit zu Pausen beim Abspielen führt. Das Problem könnte noch größer werden, wenn Netflix Inhalte in datenintensiver 4K-Auflösung für die nächste Generation von Fernsehgeräten ausspielt.

Interessant ist, welche Betreiber davon am meisten betroffen sind. Nach Netflix‘ Messungen liefern mit Comcast, AT&T und Verizon drei der fünf größten amerikanischen Breitbandanbieter regelmäßig unterdurchschnittliche Geschwindigkeiten für den Dienst. An der mangelnden Bandbreite liegt es aber gar nicht: Die allgemeine Downloadgeschwindigkeit ist meist völlig normal. Lediglich Netflix und andere Videodienste scheinen gedrosselt zu sein. Wie kann das sein? Verstößt das nicht offensichtlich gegen das Prinzip der Netzneutralität, wonach sämtliche Datenpakete gleich behandelt und zugestellt werden müssen?

Alles eine Frage des Peerings

Nicht unbedingt. Ein Begriff, der in den vergangenen Monaten im Webvideo-Bereich immer wieder auftauchte, ist das sogenannte Peering. Dabei handelt es sich um eine grundlegende Funktion des Internets. Peering bedeutet nichts anderes, als den Zusammenschluss zweier Netzwerke zum Datenaustausch. Große Internetprovider geben die Daten ihrer Netzwerke untereinander entweder direkt oder an den Knotenpunkten weiter – in der Regel kostenlos im gegenseitigen Einverständnis. Das System funktioniert, denn jeder profitiert von jedem und keiner wird diskriminiert. Theoretisch.

Praktisch gibt es um diese Peering-Absprachen immer mal wieder Streit – und seit einiger Zeit geraten Webvideo-Anbieter wie YouTube, Amazon oder eben Netflix in den Mittelpunkt der Diskussion.

Etwa im vergangenen Sommer, als die Netzbetreiber Cogent und Verizon aneinandergerieten. Beide Anbieter haben eine Peering-Absprache und tauschen kostenlos Daten aus. Sollte es zu einem hohen Datenaufkommen kommen, sollten beide entsprechend mehr Kapazitäten bereitstellen. Doch das tut Verizon nicht für Cogent. Der – inoffizielle – Auslöser des Streits ist Netflix. Der Dienst liefert nämlich seit einiger Zeit einen Großteil seiner Inhalte über das Netz von Cogent aus – und Verizon möchte den Traffic offenbar nicht einfach übernehmen.

In diesem Fall verstößt Verizon nicht direkt gegen die Netzneutralität (gegen die Verizon unlängst klagte), denn der Anbieter blockiert nicht gezielt Netflix. Er gibt lediglich nicht genug Kapazitäten frei für das Netz, aus dem die Netflix-Daten kommen, die deshalb „Umwege“ nehmen müssen. Das Ergebnis? Verizons DSL gehört heute zu den langsamsten Anbietern in Sachen Netflix. Das Nachsehen haben die Kunden beider Dienste.

Ein Milliardendeal der Kabelanbieter

Hinter der Entscheidung von Verizon steckt aber mehr als die Angst vor verstopften Leitungen. Es geht um das immer attraktivere Geschäft mit Videos im Netz. Mit Redbox ist Verizon nämlich selbst Teilhaber eines Streaming-Services, der in direkter Konkurrenz zu Netflix steht. Auch andere Kabelanbieter betreiben oder planen eigene Video-on-Demand-Dienste und möchten nicht zusehen, wie Netflix ihre Angebote dominiert. Die Konkurrenz einfach auszubremsen, scheint da eine naheliegende Option.

Vor diesem Hintergrund erscheint auch der neueste Deal im US-Fernsehgeschäft in einem anderen Licht. Vor wenigen Tagen kündigte der größte amerikanische Kabelanbieter Comcast an, den Konkurrenten Time Warner Cable für 45 Milliarden US-Dollar zu schlucken. Sollte die Regulierungsbehörde FCC der Übernahme zustimmen, wäre Comcast der mit Abstand größte Kabel- und Internetanbieter des Landes.

Entsprechend nervös blicken die Kritiker auf die Übernahme. Einige vermuten, dass Comcast mit seiner quasi-Monopolstellung die Preise für Kabel- und Internetanschlüsse diktieren könnte. Andere glauben, dass der Kauf vor allem Druck auf Anbieter wie Netflix, aber auch Amazon oder Apple ausüben soll. Erste Indizien gibt es bereits: Nur wenige Tage nach der Übernahme stocken die Verhandlungen zwischen Netflix und Time Warner. Netflix hatte gehofft, seinen Dienst in die Set-Top-Box der künftigen Comcast-Tochter integrieren und somit sein Portfolio im Smart-TV-Bereich ausbauen zu können. Da aber Comcast selbst an einem Streaming-Dienst arbeitet, scheint dieser Deal nun unwahrscheinlich.

Wer hat die besseren Inhalte?

Doch Comcast verfügt nicht bloß über die technische Infrastruktur, die Netflix für seinen Service benötigt. Comcast besitzt auch Inhalte, nachdem man 2011 das Medienunternehmen NBC Universal, zu dem unter anderem das Filmstudio Universal und die Sender NBC und Syfy gehören, übernahm. In einer Auflage der Regulierungsbehörde verpflichtete sich Comcast zwar, sowohl die Prinzipien der Netzneutralität zu befolgen, als auch die Inhalte von NBC Universal anderen Anbietern zu Verfügung zu stellen. Diese Regelung gilt aber bloß noch bis zum Jahr 2018.

Der Zusammenschluss der beiden großen Kabelanbieter könnte also in absehbarer Zeit massive Folgen für Netflix haben. Comcast hätte dann mehr Einfluss auf die Peering-Absprachen mit anderen Providern, was dazu führen könnte, dass Netflix bei einem Großteil der amerikanischen Internetnutzer schlicht nicht ideal läuft.

Zudem könnte Comcast sich exklusive Inhalte aus dem NBC-Umfeld für den eigenen Kabel- und On-Demand-Service vorbehalten und gleichzeitig andere TV-Sender gängeln, ihnen und nicht Netflix die Serien und Filme zu lizensieren. Denn kein TV-Sender möchte von einem Kabelbetreiber aufgrund mieser Deals „nach Sibirien verlegt“ werden, wie es Michael Weinberg von der NGO Public Knowledge beschreibt. Netflix hätte das Nachsehen. Denn auch wenn das Unternehmen vermehrt eigene Serien wie House of Cards produziert, besteht ein Großteil des Geschäfts in der Lizensierung von Filmen und Serien Dritter.

Auch in Deutschland gibt es bereits Diskussionen. Etwa darüber, ob die Telekom in ihren DSL-Flatrates den firmeneigenen Videoservice Entertain von der Datenbegrenzung ausnimmt. Und auch Kabel Deutschland – ebenfalls Anbieter eines VoD-Services – sagt, dass man bei einer „Überlastung des Netzes“ unter Umständen priorisieren müsse. Das klingt bewusst vage, aber es zeigt: Der Kampf um die Bewegtbilder im Netz fängt gerade erst an.

Update 24.2.

Medienberichten zufolge haben sich Netflix und Comcast auf einen neuen Vertrag geeinigt, der dem Streaming-Anbieter schnellere Verbindungen im Comcast-Netz zusagt. Obwohl die Details nicht bekannt sind bedeutet das, dass mit Netflix erstmals ein Inhalte-Provider einen ISP bezahlt. Kritiker fürchten deshalb, dass der Deal die Prinzipien der Netzneutralität aushebelt.

 

Sundance: Kinofilme waren gestern

(© Scott Halleran/Getty Images)
(© Scott Halleran/Getty Images)

Auf dem Sundance Film Festival, das in dieser Woche in Park City in Utah stattfindet, werden traditionell die kommenden Indie-Hits des Jahres gesucht. Doch dieses Jahr zeigt: Längst geht es nicht mehr bloß um den Erfolg an der Kinokasse. Stattdessen schalten sich immer mehr Online-Anbieter in das Geschäft mit den Exklusivrechten ein. Für viele Filmemacher dürfte die Veröffentlichung im Netz am Ende sogar die einzige Alternative sein.

Das war noch vor wenigen Jahren unvorstellbar. Sundance gilt in seinem mehr als dreißigjährigen Bestehen als eines der wichtigsten Festivals für US-Indiefilme. Wer seinen Film hier zeigen durfte, hatte bisweilen gute Chancen auf einen lukrativen Deal – und manchmal auch auf den ganz großen Erfolg.

2006 etwa debütierte Little Miss Sunshine in Park City. Während der Produktion noch als „wenig kinotauglich“ eingestuft, spielte der Film mehr als 100 Millionen US-Dollar weltweit ein und gewann zwei Oscars. Ähnliches gelang Precious nur drei Jahre später. 2010 machte auf dem Festival eine gewisse Jennifer Lawrence durch ihre Rolle im Hinterwäldler-Drama Winter’s Bone erstmals auf sich aufmerksam.

Rückläufige Erlöse für Indiefilme

Doch die Zeiten, in denen sich die Vertriebe unmittelbar nach dem Screening eines Films gegenseitig im Handel um die Rechte überboten, scheinen vorbei. Wie die New York Times vorrechnet, fielen die Erlöse der fünf erfolgreichsten Sundance-Debütanten seit dem erfolgreichen Jahr 2006 auf mehr als die Hälfte, zwischen 2010 und 2012 sogar auf unter ein Drittel. An der Qualität liegt es nicht: Das hochgelobte Beasts of the Southern Wild, immerhin der Caméra-d’Or-Gewinner von Cannes, spielte 2012 in den USA lediglich 12,8 Millionen US-Dollar ein.

Inzwischen ist die Filmwirtschaft deshalb vorsichtig geworden, wenn es nicht gerade um bekannte Marken und Namen geht. Die traditionelle Veröffentlichungskette vom Kino hin zum DVD-Verkauf und schließlich ins Fernsehen löst sich zunehmend auf. Die digitalen Filmverkäufe auf Plattformen wie iTunes, Netflix oder über die Kabelanbieter steigen zwar jährlich, können aber den Verlust des DVD-Geschäfts zurzeit lediglich ausgleichen. Zudem drängen immer mehr On-Demand-Anbieter (VoD) auf eine möglichst schnelle Veröffentlichung, was wiederum die Kinobetreiber und damit auch die Verleiher unter Druck setzt.

Für die aufstrebenden Filmemacher und Schauspieler auf dem Sundance und anderen Festivals bedeutet das konkret, dass die Filmvertriebe häufig keine Vorschüsse mehr zahlen, sondern die Macher stattdessen nur an den tatsächlichen Erlösen beteiligen. Andere, auch etablierte Vertriebe, konzentrieren sich immer öfter auf die VoD-Veröffentlichung und lassen Filme nur für kurze Zeit in ausgewählten Kinos laufen, um den offiziellen Spielfilmstatus zu erlangen.

Neue Online-Anbieter betreten den Markt

Doch wo die klassischen Verleiher zögern, betreten neue aus dem Onlinebereich den Markt. Rena Ronson, eine Vertreterin der United Talent Agency, die einige Filmemacher des diesjährigen Sundance-Programms vertritt, sagt der New York Times, dass die „zusätzlichen Vertriebsfenster inzwischen nicht nur Nebensache“ seien.

Gemeint sind Plattformen wie Netflix, die herkömmliche Vertriebswege einfach überspringen. So sicherte sich die Streaming-Plattform bereits vor der Sundance-Premiere die Exklusivrechte an der Dokumentation Mitt, die sechs Jahre lang den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney begleitet. Bereits am Freitag, einen Tag vor dem Ende des Festivals, erscheint der Film online.

Auch die Videoplattform Vimeo sucht inzwischen aktiv nach Exklusivinhalten. Soeben haben die Betreiber die Streaming-Rechte an 13 Filmen des Toronto Film Festival gesichert. Außerdem verspricht Vimeo ein Marketingbudget von bis zu 500.000 US-Dollar für Filme, die über Kickstarter finanziert wurden. Das ist zwar weit entfernt von den zehn Millionen US-Dollar, die Fox einst für die Rechte an Little Miss Sunshine ausgab. Doch es ist eine Option für Indiefilmer, die bei klassischen Vertrieben keine Chance haben.

Ein anderer Anbieter ist Fandor. Die Streaming-Plattform ist auf Indiefilme spezialisiert und basiert auf einem interessanten Geschäftsmodell: Die Hälfte aller Erlöse aus dem Abo-Geschäft werden wieder an die Filmemacher ausgeschüttet. Am Mittwoch gewann der Kurzfilm Rat Pack Rat, der exklusiv auf Fandor läuft, den Sundance Jury-Award in der Kategorie „Beste Vision“. Jonathan Marlow, CCO von Fandor, sagte dem Filmportal Indiewire, dass man zudem hoffe, auf dem Festival noch mehr Kurzfilmer für die Plattform gewinnen zu können.

Alternative: Selbstvertrieb

Nicht zuletzt ist auch der lange Zeit belächelte und allenfalls als Notlösung angesehene Selbstvertrieb eine Möglichkeit, Inhalte an das Publikum zu bringen. Sundance bietet seit vergangenem Jahr in seinem Künstlerprogramm Kooperationen mit Anbietern wie Reelhouse und VHX an. Sie ermöglichen Filmemachern den Vertrieb von Inhalten über die eigene Website. Vor allem Filme, die bereits eine Fanbase mitbringen, etwa durch eine Crowdfunding-Kampagne, können hier von fairen Konditionen profitieren, ohne die Rechte an Vertriebe abtreten zu müssen.

Circa 12.000 Filme wurden in diesem Jahr für das Sundance Festival eingereicht. 117 Spielfilme und 66 Kurzfilme haben es in das offizielle Programm geschafft. Vielleicht die Hälfte der Macher wird am Ende einen Vertrag mit einem Vertrieb unterschrieben haben, schätzt Adam Leipzig von der Filmberatungsfirma Entertainment Media Partners.

Der Schauspieler Robert Redford, der Sundance einst mitgründete, sieht das Festival ohnehin in erster Linie nicht als Filmbörse. „Sundance möchte unterschiedlichen Stimmen eine Chance geben“, sagt Redford. Am besten natürlich über das Festival hinaus. Deshalb gilt für alle Filmemacher, die ihre Arbeit nicht mehr unbedingt im großen Kinosaal sehen müssen: Nie waren die Vertriebsmöglichkeiten so vielfältig wie heute.

 

Improv Everywhere: Hosenlose Frechheit

Das Team von IE. Dritter von links: Gründer Charlie Todd. (© Brian Fountain)
Das Team von Improv Everywhere. Dritter von links: Gründer Charlie Todd. (© Brian Fountain)

Boxershorts, Slips und Tangas, Feinripp oder Seide, gepunktet oder einfarbig – am vergangenen Wochenende durften die U-Bahn-Passagiere in den Großstädten der Welt wieder Unterwäsche bestaunen. No Pants Subway Ride heißt die jährliche Aktion, in der Freiwillige in der Bahn kollektiv die Hosen runterlassen. Ins Leben gerufen hatte sie im Jahr 2002 die New Yorker Performance-Gruppe Improv Everywhere.

Die feiert aber nicht nur die 13. Ausgabe der hosenlosen U-Bahnfahrt, sondern in der gerade online erschienenen Dokumentation We Cause Scenes auch die eigene Erfolgsgeschichte. 1,6 Millionen Abonnenten und über 340 Millionen Abrufe hat Improv Everywhere inzwischen auf YouTube. Die Truppe gilt als Vorreiter von Self-Made-Comedy und viralen Videos im Netz. Und auch wenn sie den Begriff des Flashmobs nicht erfanden, so waren ihre Aktionen maßgeblich an dessen Verbreitung beteiligt.

Anfänge unter Freunden

Charlie Todd mag das Wort Flashmob trotzdem nicht; zu inflationär gebraucht sei es heutzutage. Der Mittdreißiger ist der Gründer und kreative Kopf von Improv Everywhere. Todd spricht bei seinen ausgeklügelten Aktionen viel lieber von „Missionen“, ausgeführt von unzähligen freiwilligen „Agenten“, die sich vor der Kamera allzu gerne zum Obst machen.

Die Idee für Improv Everywhere kam, wie so oft, beim Bier: An einem Augustabend im Jahr 2001 hatten Todd und einige College-Kumpels nach einigen Drinks die Idee, Todd als den Sänger Ben Folds auszugeben. Sie baten ihn um Autogramme und nach und nach näherten sich auch die anderen Gäste. Sie fielen auf den Schwindel herein. Am darauf folgenden Montag registrierte Todd eine Adresse beim Webhoster Geocities und schrieb die Aktion auf. Den Titel der Website dachte er sich spontan aus: Improv Everywhere.

In den nächsten Monaten fanden die Freunde Gefallen an den Streichen (englisch pranks) in der Öffentlichkeit. Mal „hypnotisierten“ sie eingeweihte Menschen im Park und rannten weg, während die Hypnotisierten sich küssten und tanzten. Mal gaben sie sich als Karikaturisten aus und zeichneten miese Werke unwissender Touristen. Es war eine Freizeitbeschäftigung, nicht mehr.

Rekrutierung per Mailingliste

Zur gleichen Zeit belegte Todd Kurse am New Yorker Improvisationstheater Upright Citizens Brigade, und lernte dort mit versteckter Kamera umzugehen und viele comedybegeisterte Menschen kennen. Auf der Website von Improv Everywhere entstand eine Mailingliste. Als die Gruppe im Jahr 2002 dazu aufrief, nach und nach ohne Hose in die U-Bahn zu steigen, als sei es das Normalste auf der Welt, kamen immerhin sechs Freiwillige. Am vergangenen Wochenende waren es 4.000 – allein in New York.

Der No Pants Subway Ride war die erste Aktion von Improv Everywhere, bei der fremde Menschen aufgrund einer einfachen E-Mail spontan mitmachten. Als der Journalist Bill Wasik im Sommer 2003 mit dem Mob Project erstmals den Begriff Flashmob nutzte, hatte Improv Everywhere bereits ein Jahr Vorsprung. Sie führten Choreografien in Musikläden auf, spielten als U2 verkleidet auf dem Dach gegenüber der Konzerthalle und erfanden das MP3-Experiment, bei dem alle Mitmachenden gleichzeitig eine MP3-Datei mit Instruktionen abspielen – eine Aktion, die inzwischen in Städten weltweit aufgeführt wurde.

Durchbruch dank YouTube

Improv Everywhere entwickelte sich zum New Yorker Untergrundphänomen. Doch die nationale Aufmerksamkeit fehlte den Machern. Das änderte sich im April 2006, als Todd den YouTube-Kanal von Improv Everywhere registrierte. „Wir hatten einen gewissen Wettbewerbsvorteil“, sagt Todd, „denn wir hatten bis dato fast alle Aktionen mit der Kamera aufgenommen und konnten von Anfang an auf dieses Archiv zurückgreifen.“

Der Erfolg kam prompt: Innerhalb weniger Monate hatten Improv Everywhere mehrere virale Videos im Netz, Artikel in Zeitungen wie der New York Times und schließlich das Angebot, eine Pilotfolge für eine Show auf dem TV-Sender NBC zu drehen. Aus der Serie wurde am Ende nichts, doch die vier Missionen, die Improv Everywhere gemeinsam mit NBC drehte, waren ein Hit im Netz.

Vor allem eine Aktion ist legendär: Rund 200 Menschen versammelten sich in der Eingangshalle der Grand Central Station und verharrten zur gleichen Uhrzeit für fünf Minuten in der gleichen Pose. Mit über 33 Millionen Abrufen ist das Video zu Frozen Grand Central bis heute das erfolgreichste der Gruppe – ein Klassiker des Flashmob-Genres.

Für Charlie Todd war die Sache allerdings „ein zweischneidiges Schwert“. Da die Produktionsqualität höher war als bei den vorangegangenen Videos, stiegen die Erwartungen der Fans. Todd musste sich entscheiden: Wollte er weiter mit der Do-it-Yourself-Wackelkamera arbeiten? Oder sollte er Improv Everywhere technisch und inhaltlich auf die nächste Stufe heben?

Die Antwort ist bekannt: Seit 2008 reist Todd regelmäßig mit Improv Everywhere um die Welt. In der Zwischenzeit denkt er sich neue pranks aus, plant akribisch die richtigen Orte und Zeitpunkte. Denn längst gilt es, statt einem Dutzend ein paar hundert Menschen zu koordinieren. Zur Belohnung schaffen es die Aktionen regelmäßig in die großen Blogs und Medien. Auch weil sie auch nach 13 Jahren immer wieder kreativ sind. So stellte die Gruppe in den vergangenen Monaten Szenen aus Filmen wie Indiana Jones, Rocky oder Harry Potter an öffentlichen Plätzen nach und ließ dabei unter anderem Gandalf den Zauberer durch den Park flitzen.

Die Idee der vernetzten Comedy

Ob der Erfolg ohne das Internet und YouTube möglich gewesen wäre? Charlie Todd glaubt es nicht. Zum einen war es für ihn erst durch YouTubes Partnerprogramm möglich, Improv Everywhere sowohl hauptberuflich als auch unabhängig zu führen. Vielen aufstrebenden Comedians geht es ähnlich: Inzwischen hat die Plattform die verrauchten Comedy-Klubs abgelöst, und die Prank-Videos bilden ein erfolgreiches eigenes Genre auf YouTube.

Zum anderen steckt hinter dem Projekt seit jeher das Konzept einer „vernetzen Comedy“, die die Menschen zusammenbringt, um für Spaß zu sorgen. Was lange vor Facebook und Twitter in Foren und Mailinglisten begann, konnte durch den Aufschwung der Webvideos auch Menschen begeistern, die nicht zufällig bei einem der pranks vor Ort waren. Und je mehr Fans der Kanal hatte, desto schneller wuchs die Beteiligung. Heute kann Todd mit einer einzigen E-Mail Tausende Menschen mobilisieren.

Eine Anekdote erzählt Todd zum Abschluss der Dokumentation We Cause Scenes, die stellvertretend für Improv Everywhere steht: Als er das Video des ersten No Pants Subway Ride auf YouTube stellte, meldete sich wenig später die junge Frau, die in dem Video die unwissentliche Hauptrolle einnimmt. Nach mehr als fünf Jahren wusste sie endlich, was an diesem Tag in der U-Bahn geschah, und was sie all die Jahre ihren Freunden erzählt hatte. „Das ist genau das, was wir mit Improv Everywhere erreichen möchten“, sagt Todd, „dass die Menschen mit einer schönen Geschichte nach Hause gehen.“

 

Grace Helbig: Neue Inhalte auf alten Kanälen

Grace Helbig (Screenshot)
Grace Helbig (Screenshot)

Als sich Grace Helbig im Oktober 2006 auf YouTube anmeldet, geschieht das nicht ganz freiwillig. Es ist Teil eines College-Kurses, ein Video aufzunehmen, zu schneiden und auf die Videoplattform hochzuladen. Knapp sieben Jahre später zählt Helbigs Daily Grace mit fast 2,5 Millionen Abonnenten nicht nur zu den 200 erfolgreichsten Kanälen auf YouTube überhaupt. Helbig ist auch eine der bekanntesten Frauen der Webvideo-Szene.

Nun aber muss die 28-Jährige noch einmal neu anfangen. Jedenfalls auf YouTube. Da ein neuer Vertrag mit ihrem Netzwerk My Damn Channel platzte, besitzt Helbig seit dem 1. Januar keine Rechte mehr an ihrem Kanal und der Marke Daily Grace. Der Fall zeigt, dass in der Webvideo-Szene längst ein Kampf um Geld und Rechte entbrannt ist und Verträge schwerer wiegen als jahrelange Freundschaften.

Von Stand-up zum YouTube-Star

Tatsächlich war die Beziehung zwischen My Damn Channel und Helbig lange Zeit ein Geben und Nehmen. Ursprünglich peilte Helbig eine Karriere als Stand-up-Comedian an und tingelte mehr schlecht denn recht mit Improvisations-Comedy durch die New Yorker Klubs. 2008 wurde Rob Barnett auf die junge Frau und ihre wenigen Videos aufmerksam. Barnett betrieb mit My Damn Channel einen eigenen YouTube-Kanal und suchte junge Talente für neue Formate. Helbigs Onlinepersona – witzig und schrullig, immer etwas lethargisch und nicht selten profan – passte genau in sein Profil.

Im Frühjahr 2008 bekam Helbig mit Daily Grace eine tägliche Show auf My Damn Channel, die im Oktober 2010 schließlich auf einen eigenen Kanal wechselte. Seitdem konnte Helbig ihre Beliebtheit ständig steigern. Sie zog nach Los Angeles, tauchte in diversen Fernsehshows auf, ließ sich von Ford sponsern und drehte jüngst einen Spielfilm mit zwei befreundeten YouTuberinnen. Von ihrem Erfolg profitierte auch My Damn Channel. Helbig war die Werbefigur, das Postergirl des Kanals, und tauchte regelmäßig in dessen Shows auf.

Vergangenes Jahr expandierte My Damn Channel zu einem sogenannten Multi-Channel-Network (MCN). Diese YouTube-Netzwerke bündeln viele unterschiedliche Kanäle und übernehmen für einen Teil der Werbeeinahmen Funktionen wie Talentförderung, Produktionshilfe und die zielgruppengerechte Vermarktung. Das ist prinzipiell gut. Doch die Kritik an den Netzwerken steigt. Vor allem erfolgreiche YouTuber bemängeln immer häufiger die Verträge, die oft über Jahre hinweg geschlossen werden. Manchmal, wie im Fall von YouTube-Star Ray William Johnson, landen beide Parteien deshalb auch vor Gericht.

Die Rechte liegen beim Netzwerk

Das zumindest blieb Grace Helbig erspart. Sie und My Damn Channel trennten sich in gegenseitigem Einverständnis. Es hieß, man habe sich nicht auf einen neuen Vertrag einigen können. Das Netzwerk dankte Helbig auf seiner Website und Helbig sagte in einem letzten Video: „Sie haben mir einen Job gegeben, das war großartig.“

Alles gut also? Nicht ganz. Denn anstatt Helbig und ihren Daily Grace wohlwollend auf die Reise zu schicken, beharrt My Damn Channel auf seinen Rechten. Der Name Daily Grace und somit auch der Kanal bleibt in den Händen des Netzwerks – es sei denn, ein anderes erwirbt ihn. Anders gesagt: Der Kanal, den Helbig nahezu im Alleingang über Jahre hinweg aufbaute, der ihren Namen trägt, und der maßgeblich zum Erfolg von My Damn Channel beitrug, gehört ihr schlicht nicht mehr.

Das klingt bizarr, ist aber rechtens. Für das Netzwerk ist es vor allem eine wirtschaftliche Entscheidung: Der Analysedienst Social Blade schätzt die jährlichen Werbeeinnahmen von Daily Grace auf bis zu 600.000 US-Dollar. Auch wenn dort künftig keine neuen Inhalte mehr erscheinen, dürften die rund 840 Videos im Archiv noch eine ganze Zeit lang Umsätze generieren.

Verträge wie in Hollywood

Der Fall zeigt, wie sehr sich die klassische Filmwirtschaft und die Webvideo-Szene inzwischen annähern. Das YouTube-Ökosystem erfährt im Schnelldurchlauf eine ähnliche Entwicklung wie Hollywood, das heute aus einem komplexen Geflecht aus Film- und Namensrechten, aus Verwertungsketten und Werbeverträgen besteht. Und wo nicht selten die großen Unternehmen am längeren Hebel sitzen.

Vor allem die Schnelllebigkeit macht es aufstrebenden YouTubern schwierig, die richtigen Verträge zu unterzeichnen. Ob Grace Helbig vor fünf Jahren zugestimmt hätte, ihre Rechte an Daily Grace abzutreten, wenn sie den Erfolg geahnt hätte? Wohl kaum. Helbigs Bruder Tim twitterte etwas zynisch, dass er nun zwei Schwestern im Netz hätte: eine Echte und eine im Besitz von Unternehmen.

 

Ein Neuanfang, der keiner ist

Grace Helbig kehrt nun zurück auf den Kanal, auf dem im Jahr 2006 alles begann. It’s Grace wird noch eine Weile brauchen, bis die Einnahmen das alte Niveau erreichen. Doch die Chancen auf Erfolg stehen gut. Denn auch wenn Helbig noch einmal von null anfängt, ist sie ja kein Neuling mehr im Geschäft. Zahlreiche andere YouTuber rühren zurzeit kräftig die Werbetrommel für den neuen Kanal – etwas, das Helbig per Vertrag zuvor nicht durfte.

Vor allem aber kann Helbig auf ihre treue Fangemeinde zählen. Schon nach einer Woche wird deutlich, wie die Fans Helbig von ihrem alten Kanal auf den neuen folgen. Bei der jetzigen Entwicklung dürfte es nur wenige Wochen dauern, bis sie wieder an die alte Abonnentenzahl anschließt. Helbig wäre damit der erste YouTube-Star, der einen Kanalwechsel erfolgreich vollzieht und ihr gesamtes Archiv hinter sich lässt.

Die Entwicklung von Daily Grace und It's Grace
Die Entwicklung von Daily Grace und It’s Grace

All das ist auch ein Zeichen an die Netzwerke. Denn in der ganzen Sache kommt My Damn Channel alles andere als gut weg. Viele Nutzer auf Reddit und in den Kommentarspalten kündigten an, künftig Inhalte des Netzwerks zu boykottieren. Auch könnte es aufstrebende YouTuber davon abschrecken, mit My Damn Channel zusammenzuarbeiten.

Das Webvideo-Portal VideoInk fasst es zusammen: Die Inhalte mögen auf YouTube König sein. Doch nur wer die Rechte an ihnen besitzt, hat auch den Schlüssel zum Königreich. Grace Helbig mag Daily Grace verloren haben. Ihre Persönlichkeit hat sie behalten.

 

Die Craft-Beer-Revolution erobert YouTube

Eine Brauerei in Bend, Oregon (© Eike Kühl)
Eine Brauerei in Bend, Oregon (© Eike Kühl)

Die kleine Stadt Bend im US-Bundesstaat Oregon sieht nicht wie der Schauplatz einer Revolution aus. 80.000 Einwohner, kaum Kriminalität, zufriedene Menschen. Die typisch amerikanische Idylle. Doch hinter den Türen braut sich was zusammen, Bier nämlich. 17 Brauereien gibt es in Bend, zwei Drittel davon haben erst in den vergangenen drei Jahren eröffnet. Damit hat Bend relativ zur Einwohnerzahl eine der höchsten Brauereidichten des Landes. Die Revolution, sie wird abends in den zahlreichen Brewpubs ertrunken.

Die sogenannte Craft-Beer-Revolution ist inzwischen ein Buzzword, die Bewegung dahinter tobt nicht bloß in Central Oregon. Hotspots von San Francisco bis Boston, von Austin bis Seattle zeugen von einem landesweiten Phänomen, dass nun auch auf YouTube übergreift: Neue Webserien wie Brew Age und The Beer Diaries porträtieren die junge Craft-Beer-Szene und zeigen, dass Bier heute spannender ist denn je.

In 30 Jahren von 90 zu 2.500 Brauereien

Ihre Wurzeln hat die Wiederbelebung der Heimbrauerei in den Siebzigern und Achtzigern. Zu diesem Zeitpunkt gab es in den USA nur noch knapp 90 Brauereien. Ein halbes Dutzend von ihnen kontrollierte den Markt. Also begannen kleine, sogenannte Mikrobrauereien, Craft-Beer zu brauen. Das trägt seine Besonderheit bereits im Namen: „Handwerklich“ hergestellt, in kleinen Mengen und unabhängig von den Getränkekonzernen, so lautet die Prämisse der Craft-Beer-Macher bis heute.

Nachdem die Bewegung zwischenzeitlich abflachte, entstand um die Jahrtausendwende ein regelrechter Boom. Angetrieben von erschwinglichem Equipment, neuen Gesetzen, alternativen Vertriebswegen im Internet und einer neuen Generation Biertrinker, schossen Mikro- und Heimbrauereien aus dem Boden wie der Hopfen auf dem Feld. 2.538 Brauereien gab es im Juni nach Angaben des US-Brauereiverbandes. Nie waren es mehr. Obwohl der aktuelle Marktanteil bloß bei ca. sieben Prozent liegt, wächst er stetig. Analysen wie die der Demeter Group glauben, dass er sich bis zum Jahr 2020 auf 15 Prozent verdoppeln könnte.

Die Webserie Brew Age richtet sich an die Fans dieser neuen Bierbewegung. Hinter dem Kanal steckt mit TestTube ein Netzwerk der Discovery-Gruppe, die auch den Discovery Channel betreibt. TestTube verarbeitet auf YouTube wissenschaftliche Inhalte mit einer gewissen Nerdigkeit. Das passt auch zum Craft-Beer. Denn die jungen Braumeister der Mikrobrauereien sind nicht selten Tüftler und Bastler, die auch mal mit ungewöhnlichen Methoden arbeiten.

Die Grenzen ausloten

So zum Beispiel Dirty Robot Brew Works aus San Francisco. Sie sind die Protagonisten der ersten Folge von Brew Age. Die beiden Gründer waren in der Robotertechnik tätig, bevor sie ihre selbsternannte „Nanobrauerei“ eröffneten. Heute brauen sie ungewöhnliche Biersorten in geringer Menge mithilfe von selbst programmierten Robotern. Ein Gag, das geben sie zu. Doch gerade der Spaß an der Sache zeichnet die Craft-Beer-Szene aus.

Auch die weiteren sechs Folgen von Brew Age zeigen Biertrends, die in Deutschland noch weitestgehend unbekannt sind. Denn Craft-Beer bedeutet auch Grenzen ausloten und längst vergessene Sorten wiederbeleben. Hier darf das Ale gerne etwas stärker gehopft sein und das dunkle Stout auch mal eine Kaffee- oder Schokonote enthalten. Brew Age etwa stellt die Gründer von Calicraft Brewing vor, die mit Hefekulturen aus der Weinbranche und lokal angebautem Bienenhonig ein speziell trübes Sparkling Ale herstellen. Hen House Brewing dagegen reichert die Maische mit Austern an.

All das mag Fans des hiesigen Reinheitsgebots vergraulen. Doch die Experimentierfreude der US-Brauer kommt an beim Publikum. Craft-Bier-Trinker haben nämlich etwas, dass die Marktforscher „nicht lineare Geschmackspräferenzen“ nennen. Anders gesagt: Sie sind auf keine bestimmte Sorte festgelegt und probieren gerne Neues.

Personality is King

Das tut auch Greg Zeschuk. Seit einem Jahr betreibt er mit The Beer Diaries ein weiteres Webvideo-Projekt. Wie viele Craft-Beer-Fans machte auch er seine Leidenschaft zum Beruf: Er war Mediziner, gründete später ein bekanntes Spielestudio und ist heute hauptberuflicher „Bier-Enthusiast“.

Anders als Brew Age, das mit kurzen und hip gefilmten Episoden punktet, geht es bei The Beer Diaries gemächlicher zu. Die Episoden sind bisweilen schon mal eine halbe Stunde lang und basieren größtenteils auf Interviews, die Zeschuk mit den Braumeistern führt. Interessant ist das trotzdem, weil The Beer Diaries immer wieder kurze Infos und Animationen mit Fachbegriffen und Trends einfließen lässt.

Vor allem aber zeigt The Beer Diaries auch die unterschiedlichen Motivationen der Craft-Beer-Brauer. Die einen waren bei Großbrauereien angestellt und wollten ihre Braukunst endlich selbst entfalten. Andere möchten ökologisch und regional produzieren. Andere begannen mit einem Kit zu Hause und machten ihr Hobby zum Beruf. Wieder andere schätzen die Kreativität der Szene, die neben dem Bier auch in kunstvoll gestalteten Etiketten, in ausgefallenen Namen, Websites und auf Festivals ausgelebt wird. Sie alle haben, was den großen Marken längst verloren gegangen ist: Persönlichkeit.

Craft-Beer-Kanäle auf YouTube

Die zeigt sich auch in den Inhalten im Netz. Brew Age und The Beer Diaries sind nämlich nicht die einzigen Kanäle, die sich mit dem Phänomen beschäftigen. Bereits seit drei Jahren etwa gibt es mit BrewingTV, Real Ale Craft Beer und American Beer TV drei Kanäle, die Brauereien vorstellen und vor der Kamera neue Sorten testen. Die Brewers Association und die Website CraftBeer.com veröffentlichen in unregelmäßigen Abständen Infovideos und Neuigkeiten aus der Szene.

Etwas heiterer geht es bei Beer Geek Nation und auf dem britischen Craft Beer Channel zu. Hier wird schon mal eine Weihnachtstorte mit Bier gebacken oder in Tutorials gezeigt, wie man zu Hause seine eigene Sorte produzieren kann. Und wer das erst einmal ausprobiert hat, wird schnell auch über Clips wie Shit Beer Geeks Say lachen können oder bei 26 Facts About Beer noch etwas lernen.

Natürlich finden sich nicht nur Serien, sondern auch Filme und Animationen. Beer Culture etwas ist eine einstündige Dokumentation über die Fans der Craft-Beer-Szene und frei auf YouTube verfügbar. Den Nachfolger Crafting a Nation, der sich mit den wirtschaftlichen Aspekten beschäftigt, ist unter anderem auf iTunes erhältlich.

Etwas kürzer ist die 15-minütige Doku Craft Beer – A Hopumentary von Jeremy Williams oder eine Homebrewing-Episode aus dem Subculture Club, die einen guten Überblick auf das Phänomen präsentiert. Kurze Clips von visually oder Michael Jolly erklären die Entwicklung in einfachen Animationen. Formate wie die Kurzdoku Oregon Brewed beschäftigen sich mit regionalen Entwicklungen.

Apropos regional: Auch in Deutschland nimmt die Liebe zum etwas anderen Bier immer weiter zu, auch wenn es in Sachen Webvideo noch etwas mager aussieht. Einzig die Macher von Craft Beer TV und Bierrevier wagen sich mit einem regelmäßigen Format auf YouTube vor, das allerdings technisch und inhaltlich noch nicht ganz mit den Vorreitern aus den USA mithalten kann. Aber das kann ja noch werden. Eine Revolution findet schließlich nicht von heute auf morgen statt. Fragen Sie mal die Menschen in Bend.

 

Zu Besuch im YouTube Space Los Angeles

(© Eike Kühl)
Der YouTube Space ist in einem früheren Hangar untergebracht (© Eike Kühl)

Hannah Hart rückt die Baseballkappe zurecht und holt noch einmal tief Luft. Take 6, Klappe, Action! Die Kamera läuft. Zum sechsten Mal spricht die 27-Jährige mit ihrem Kollegen Chuey Martinez die Szene ein. Scheinwerfer, drei Kameras und Mikrofone sind auf sie gerichtet. Eine kleine Gruppe beobachtet das Geschehen aus dem Dunklen, darunter Fotografen, Visagisten, Produzenten und Techniker. Nach einer Minute ertönt das „Aaaand…cut!“ des Regisseurs. Wohlwollendes Nicken. Applaus. „Good job, everyone!

Wer die Szenerie betritt, erkennt keinen Unterschied zu einem professionellen Filmstudio. Doch hier entsteht an diesem Oktobertag kein traditioneller Film, sondern eine Episode der neuen Webserie El Show. Und Hannah Hart ist keine Schauspielerin. Sie ist ein YouTube-Star und heute als Gast zu Dreharbeiten im YouTube Space Los Angeles: Nur wenige Minuten vom Flughafen und dem Pazifik entfernt, hat YouTube einen ehemaligen Flugzeughangar in eine moderne Produktionsstätte umgewandelt. Hier soll die nächste Generation von YouTube-Inhalten entstehen.

Creators“ nennt YouTube die jungen Kreativen wie Hannah Hart, die sich mit Inhalten auf der Plattform längst ihren Lebensunterhalt verdienen. „Im YouTube Space möchten wir ihnen die Werkzeuge geben, um Dinge zu tun, die sie bisher nicht machen konnten“, sagt Liam Collins. Er leitet die Einrichtung seit der Eröffnung vergangenen November. Für ihn verheißt der Space vor allem Potenzial. „Wir wollten eine Einrichtung für Macher auf allen Stufen schaffen. Wer noch neu auf der Plattform ist, bekommt Workshops und Networking-Hilfe angeboten. Wer schon einen etablierten Kanal hat, kann an verschiedenen Programmen teilnehmen, in denen wir Ausrüstung, Crew und Expertise zur Verfügung stellen.“

Hannah Hart und Chuey Martinez (© Eike Kühl)
Hannah Hart und Chuey Martinez (© Eike Kühl)

Modernste Technik auf 4.000 Quadratmetern

Entsprechend viel los ist an diesem Tag. Im Foyer flackert ein Mosaik aus 36 einzelnen Bildschirmen mit YouTube-Videos. Junge Leute unterhalten sich über Laptops und Kaffee, Techniker wuseln mit Kabeln und Adaptern hin und her. Zahlreiche Film- und Soundtechniker stehen den YouTubern zur Seite. Im Bürotrakt des Hangars arbeiten noch etwa 50 Angestellte von YouTube. Im Zweiten Weltkrieg ließ der exzentrische Luftfahrtpionier Howard Hughes hier seine Fichtengans bauen. Heute erinnert bloß ein kleiner Helikopter aus Hughes‘ Privatsammlung vor der Tür an den früheren Besitzer, der von den YouTubern gern als Requisit benutzt wird.

Drei voll ausgestattete Sound-Stages gibt es in dem knapp 4.000 Quadratmeter großen Areal. Dazukommen drei Greenscreen-Studios, eine Anlage für Motion-Capturing, ein Kinosaal, ein Tanzstudio, ein Raum für Soundbearbeitung und noch ein gutes Dutzend Rechner für die Post-Produktion. Nur über die Kosten redet hier niemand. Es wird vermutet, dass die Google-Tochter mindestens 25 Millionen Dollar in die Anlage gesteckt hat.

Das ist viel Geld für ein Studio, das seine Nutzer nichts kostet. Doch YouTube denkt längerfristig. „Wir möchten den Machern auf der Plattform zeigen, dass ihr Erfolg auch unser Erfolg ist“, sagt Collins und erwähnt im gleichen Atemzug die Initiativen der Plattform: die Originalprogramme etwa, die YouTube vorfinanziert und Themenwochen wie die Comedy-Week, deren Inhalte zum Teil im Space entstanden. Das Ziel ist klar: Je professioneller die Inhalte auf der Plattform werden, desto besser lassen sie sich vermarkten. Da YouTube an jedem Video durch Werbung mitverdient, ist man nur allzu interessiert daran, dass die Qualität der Inhalte steigt.

Dreharbeiten vor dem Gebäude (© Eike Kühl)
Dreharbeiten vor dem Gebäude (© Eike Kühl)

Mitmachen kann fast jeder YouTuber

Für die Nutzung des YouTube Space kann sich jeder YouTube-Partner mit mehr als 10.000 Abonnenten bewerben. Entweder für einen kurzen Dreh an maximal zwei Tagen. Oder als Teilnehmer eines sogenannten Labs: Jeweils einen Monat lang dürfen sich eine Handvoll Teilnehmer dann austoben. Das Thema gibt YouTube vor. Ein Musik-Lab gab es bereits, ein Parodie-Lab, und im Hinblick auf Halloween wurden die Requisiten für ein Scream-Lab errichtet. „Zusammenarbeit ist der Schlüssel zum Erfolg auf YouTube“, sagt Collins, „und indem wir den Teilnehmern der Labs ein gemeinsames Thema anbieten, ist der Grundstein bereits gelegt.“

Die Teilnahmebedingung von 10.000 Abonnenten, sagt Collins, wurde gewählt, weil YouTuber erst ab dieser Schwelle das Meiste aus den Möglichkeiten des Space machen könnten: Sie haben in der Regel schon erste Erfahrungen mit der Arbeit in einem Studio gesammelt, sind aber dennoch nicht mit allem vertraut. Machern mit weniger Abonnenten bietet YouTube Workshops und Lehrgänge an, wie man seinen Kanal zunächst aufbaut und Inhalte entwickelt.

Blick ins Foyer (© Eike Kühl)
Blick ins Foyer (© Eike Kühl)

Wer nicht in Tausenden, sondern schon in Millionen Abonnenten rechnet, hat es leichter. Freddie Wong etwa nahm im YouTube Space große Teile der erfolgreichen Webserie Video Game High School auf und brachte dazu eine Crew von fast 50 Leuten mit. Zurzeit gastieren die News-Talker von The Young Turks als sogenannte residents im kleinsten Studio des Space, nachdem sie ihr eigenes Studio kurzfristig räumen mussten.

Auch die Hollywood-Prominenz ließ sich bereits blicken. Die Schauspielerin Amy Poehler schaute schon vorbei, Matt Damon ebenfalls. Die Verantwortlichen von YouTube freut’s; man hofft auf Synergien mit „old media„, wie die Filmbranche gern bezeichnet wird. Deshalb fiel die Wahl des Standorts auf Los Angeles und nicht etwa auf San Francisco, wo Google sein Hauptquartier hat, erklärt Liam Collins: „Zum einen gibt es in Los Angeles diese Kreativszene, die versteht, wie man Inhalte produziert. Zum anderen aber haben sich viele YouTuber hier niedergelassen. Wir wollten deshalb dorthin, wo die Szene sich trifft.“

Dass YouTube sein Studio auch als Community-Zentrum versteht, zeigt sich am frühen Abend. Jeweils an einem Freitag im Monat lädt YouTube alle Mitarbeiter, Teilnehmer und Gäste zur Happy Hour ein, eine Mischung aus After-Work-Party und Fan-Event. Es gibt Bier und Softdrinks aufs Haus, Foodtrucks servieren Burritos auf dem Parkplatz und ein DJ beschallt das Foyer mit elektronischer Musik. Kichernde junge Frauen nippen an Pepsidosen und blicken verstohlen auf eine Gruppe YouTuber. Anzugträger mit Firmennamen aus der IT-Branche auf dem Namensschildchen unterhalten sich angeregt mit Mitarbeitern.

Kontrollraum (© Eike Kühl)
Kontrollraum (© Eike Kühl)

Der Einfluss der Internetfirmen auf die Filmindustrie wächst

Auch das ist kein Zufall: Wenn der YouTube Space etwas verdeutlicht, dann dass der Einfluss des Silicon Valley auf die klassische Filmindustrie wächst. Noch wurden die in diesem Jahr viel diskutierten Eigenproduktionen der Streaming-Portale von Netflix, Hulu und Amazon bei den etablierten Studios eingekauft. Doch das könnte sich bald ändern. Neben YouTube hat auch Microsoft in diesem Jahr ein Filmstudio in Los Angeles errichtet. Der Trend geht dahin, die gesamte Wertschöpfungskette zu kontrollieren, weg von der reinen Vertriebsplattform hin zur kompletten Filmproduktion.

Neben dem Flaggschiff in Los Angeles gibt es noch YouTube Spaces in London, Tokio und New York. Weitere sollen folgen. Vielleicht sogar bald in Deutschland? „Etwa 70 Prozent aller YouTube-Nutzer kommen von außerhalb der USA“, sagt Collins, „und wir wissen, dass talentierte Macher überall auf der Welt sitzen. Deutschland ist ein wichtiger und schnell wachsender Markt für YouTube. Es gibt da noch keine konkreten Überlegungen, wir planen statt eigenen Spaces auch Kooperationen mit bestehenden Einrichtungen. Ich kann nur so viel sagen: Wir haben Deutschland auf dem Schirm.“

Schwarzes Brett (© Eike Kühl)
Schwarzes Brett (© Eike Kühl)