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Bundeswehrreform und Auslandseinsätze: Der Verteidigungsminister in Übereinstimmung mit den Deutschen?

Seit Monaten ist Verteidigungsminister zu Guttenberg der Spitzenreiter in allen Umfragen zur Beliebtheit von Politikern. Einige Kritiker weisen jedoch darauf hin, der Minister müsse erst noch zeigen, dass er schwierige Entscheidungen treffen und durchsetzen könne. Denn dann könnte die Beliebtheit des Ministers beim Wahlvolk rasch nachlassen. Dabei verweisen sie nicht zuletzt auf die anstehende Reform der Bundeswehr. Wie steht es also um die Unterstützung der Bürger für diese Vorhaben?

Die Aussetzung der Wehrpflicht und der damit verbundene Übergang zu einer Freiwilligenarmee findet in der Gesellschaft weitgehend positive Resonanz. Wie die Ergebnisse einer telefonischen Befragung von 1162 zufällig ausgewählten Bundesbürgern, die zwischen 21. Oktober und 25. November 2010 vom Bamberger Centrum für Empirische Studien (BACES) durchgeführt wurde, votieren über Parteigrenzen hinweg zwischen 60 und 80 Prozent der Befragten für den faktischen Abschied von der Wehrpflichtarmee.

Auch die angestrebte Verkleinerung der Bundeswehr stößt nicht auf Widerstand in der Gesellschaft. Knapp die Hälfte der Befragten kennt die momentane Truppenstärke nicht einmal der Größenordnung nach, was auf geringes Interesse an der Bundeswehr hindeutet. Gefragt nach der gewünschten Truppenstärke, machen 20 Prozent der Befragten keine Angabe. Von den übrigen Befragten sprechen sich gut 10 Prozent für die vom Minister angestrebten 180.000 Soldaten aus, jeweils knapp 20 Prozent sogar für eine Reduzierung auf 100.000 oder 150.000 Soldaten. Ein solches Meinungsklima macht es Gegnern einer Verkleinerung nicht leicht, wirksamen Widerstand zu organisieren.

Beim Umbau der Bundeswehr kann der Minister also eher mit Rücken- als mit Gegenwind aus der Gesellschaft rechnen. Das sieht anders aus, wenn es um den Einsatz der Bundeswehr geht. Die Deutschen lehnen den Einsatz militärischer Mittel zwar nicht rundweg ab, betrachten bestimmte Einsätze jedoch mit großer Zurückhaltung. So spricht sich eine große Mehrheit gegen militärische Eingriffe zur Beseitigung von Gewaltherrschern, wie etwa im Irak, aus. Gar nur jeder zehnte Befragte befürwortet die Idee, wirtschaftliche Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Als der Minister jüngst – wie vor ihm Horst Köhler – die These vertrat, Wirtschaftsinteressen militärisch zu sichern, hatte er demnach die große Mehrheit der Deutschen gegen sich. Sollte die Bundesregierung in die Verlegenheit geraten, über einen vorwiegend wirtschaftlich begründeten Militäreinsatz zu entscheiden, wäre die Öffentlichkeit dafür nicht leicht zu gewinnen. Hier könnte das Ansehen des Ministers beträchtlichen Schaden nehmen – oder ihm würde die Überzeugungsarbeit gelingen, was für manchen Beobachter wohl mehr als ein politisches Gesellenstück wäre.

 

Das Kopf-an-Kopf-Rennen, das nie eines war

Als die Massenmedien den Volksentscheid in Bayern wenige Tage vor der Abstimmung für sich entdeckten, fehlte in kaum einem Bericht der Hinweis darauf, dass die Ja- und die Nein-Seite Kopf an Kopf lägen. Womöglich haben diese Berichte die beiden Kampagnenseiten zusätzlich angestachelt, womöglich auch die Beteiligung am 4. Juli ein wenig gesteigert. Ob solche Wirkungen aufgetreten sind, wissen wir (noch) nicht. Bemerkenswert sind die Berichte in jedem Fall, und zwar aus zwei Gründen.
Als Grundlage für die Kopf-an-Kopf-Diagnose diente eine Telefonumfrage, die TNS Infratest im Auftrag von „Bayern sagt Nein!“ durchgeführt hatte, und zwar in der Zeit vom 8. bis zum 23. Juni. Merkwürdigerweise wurden Ergebnisse dieser Mitte Juni geführten Interviews noch Anfang Juli als aktueller Stand dargestellt. Dies legt den Eindruck nahe, dass die geradezu gebetsmühlenhaften Hinweise, dass es sich bei Umfrageergebnissen um Momentaufnahmen handele, in der öffentlichen Kommunikation weitgehend ungehört verhallen.
Es kommt hinzu, dass die Kopf-an-Kopf-Diagnose die Realität offenbar nicht zutreffend beschrieb. Diese Einsicht verdanken wir einem – unkoordinierten – Methodenexperiment. Denn zwischen 8. und 23. Juni fand nicht nur eine Befragung im Auftrag der Nein-Seite statt, sondern auch im Rahmen des Forschungsprojekts zum Volksentscheid an der Universität Bamberg. Beide Erhebungen verwendeten die gleiche Befragungsmethode im gleichen Zeitraum – gelangten aber zu unterschiedlichen Ergebnissen. Wie Tabelle 1 zeigt, zeichnete sich in der Umfrage im Auftrag der Nein-Seite ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. In der Bamberger Untersuchung war dagegen eine deutliche Mehrheit für ein Ja zu erkennen, wie im gesamten Erhebungszeitraum vom 25. Mai bis zum 3. Juli. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen gab es demnach nicht – wie auch nicht bei der Abstimmung am 4. Juli.

Tabelle 1: Angaben zum Stimmverhalten am 4. Juli in den beiden Befragungen

  „Bayern sagt Nein!“ Uni Bamberg
Dafür 48 62
Dagegen 49 29
Ungültig 0
Weiß nicht 2 6
Keine Angabe 1 3
N 740 1327

Quelle: „Volksentscheid Bayern – Nichtraucherschutz-Gesetz Juni 2010“ Ergebnisse einer repräsentativen Erhebung und eigene Analysen der Daten aus dem Bamberger Projekt zum Volksentscheid. Aus Vergleichsgründen werden nur Personen betrachtet, die „bestimmt“, „wahrscheinlich“ oder „vielleicht“ am Volksentscheid teilnehmen wollten.

Wie ist dieser Unterschied zu erklären? Der Schlüssel dürfte in den Frageformulierungen liegen. In der Bamberger Untersuchung wurde gefragt: „Beim Volksentscheid am 4. Juli können Sie für oder gegen den Gesetzentwurf ‚Für echten Nichtraucherschutz!‘ stimmen. Wie werden Sie stimmen: für oder gegen den Gesetzentwurf?“ Das Aktionsbündnis der Nein-Seite ließ fragen: „Die Befürworter des Volksentscheids wollen ein komplettes Rauchverbot durchsetzen, die Gegner wollen, dass das geltende Nichtraucherschutzgesetz Bestand hat, dass also auch weiterhin in abgetrennten Räumen oder in Festzelten geraucht werden darf. Wie würden Sie beim Volksentscheid am 4. Juli abstimmen: für den Gesetzentwurf oder dagegen?“ Diese Formulierung bietet den Befragten wesentlich mehr Informationen als das Bamberger Instrument – und vermutlich mehr Informationen, als viele der eher wenig informierten Befragten vor dem Interview besaßen. Zudem scheinen die Hinweise auf das „komplette Rauchverbot“, auf den „Bestand des geltenden Nichtraucherschutzgesetzes“ und auf die Möglichkeit, „weiterhin in abgetrennten Räumen oder in Festzelten“ zu rauchen, manche Befragte zu einem Nein veranlasst zu haben. Im Ergebnis bildete das Interview offenbar die Meinungsbildung einiger Bürger nicht zutreffend ab, so dass die Umfrage einen falschen Eindruck von der Stimmungslage in Bayern vermittelte.
Man könnte versucht sein, dieses Beispiel zum Anlass zu nehmen, die Umfrageforschung und ihre Ergebnisse zu verwerfen. Das hieße jedoch, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Denn Umfragen können wichtige Erkenntnisse über die Gesellschaft an den Tag bringen, wenn sie sorgfältig und sachkundig konzipiert, durchgeführt und interpretiert werden – und dabei kann es gelegentlich auf vermeintlich vernachlässigbare Details ankommen.

 

Ein klares Ja für strikteren Nichtraucherschutz in Bayern – eine erste Analyse

Am Sonntag waren Bayerns Bürger aufgerufen, in einem Volksentscheid über den Nichtraucherschutz abzustimmen. Das Ergebnis fiel deutlich aus. Über 60 Prozent der Stimmen wurden für die Ja-Seite abgegeben, knapp 40 Prozent für die Nein-Seite. Solch klare Kräfteverhältnisse zeichneten sich bereits seit Ende Mai, als die Befragung der Universität Bamberg zum Volksentscheid begann. Die Kampagnen der Ja- und der Nein-Seite konnten an dieser Kräfteverteilung in der Zwischenzeit wenig ändern.

Das Thema Nichtraucherschutz, obgleich als emotional geltend, scheint bei vielen Bürgern nicht gezündet zu haben. Ablesen lässt sich das etwa daran, dass bis in die vergangene Woche hinein weniger als zehn Prozent der Befragten wussten, dass Sebastian Frankenberger, der führende Kopf der Ja-Seite, für den Gesetzesentwurf „Für echten Nichtraucherschutz!“ eintritt. Kaum besser war es um das Wissen der Bayern über die Position des „Aktionsbündnis Freiheit und Toleranz“ bestellt. Ein Wahlkampf, der viele Stimmberechtigte nicht erreicht, geschweige denn fesselt, kann kaum große Verschiebungen auslösen.
Insbesondere konnte die „Bayern sagt nein“-Kampagne nicht das Ziel erreichen, im Laufe des Wahlkampfes immer mehr Nichtraucher auf ihre Seite zu ziehen. Sie machen etwa 70 Prozent der bayerischen Bevölkerung aus, während rund 30 Prozent der Bürger zu den Rauchern zählen. Der Nein-Kampagne gelang es, im Laufe der Zeit die Bereitschaft der Raucher zu steigern, am 4. Juli mit Nein zu votieren. Das konnte allerdings nur ein Teil einer erfolgreichen Strategie sein. Darüber hinaus hätte die Nein-Seite auch immer mehr Nichtraucher für sich gewinnen müssen. Aber das gelang ihr nicht. Eher stieg der Anteil der Nichtraucher, die sich für ein Ja entscheiden wollten. Strategisch geschickt hatte sich die Nein-Seite als ein „Aktionsbündnis Freiheit und Toleranz“ organisiert, suchte sich also zum Anwalt nicht nur der Raucher, sondern des bayerischen „Leben und leben lassen“ zu machen. Allerdings vermochte sie diesen Anspruch kaum einzulösen, wie die Analyse des Stimmverhaltens zeigt.

Die Klarheit des Ergebnisses und die Schwierigkeiten, auch einen beträchtlichen Teil der Nichtraucher gegen einen strikten Nichtraucherschutz zu mobilisieren, sprechen dagegen, dass wir in Bayern bald ein Volksbegehren gegen den strikten Nichtraucherschutz erleben werden. Allerdings könnte das bayerische Vorbild andernorts Schule machen. Auch in anderen Bundesländern könnten Bürger versuchen, auf dem Wege der Volksgesetzgebung striktere Regeln für den Nichtraucherschutz durchzusetzen. Der bayerische Volksentscheid könnte somit ein Kapitel in einer längeren Geschichte zu direktdemokratischen Verfahren und dem Nichtraucherschutz in Deutschland bilden.

 

Bayerns Volksentscheid über den Nichtraucherschutz: erreicht und informiert die Kampagne die Bürger?

Am kommenden Sonntag, dem 4. Juli, ist es soweit: Bayerns Bürger werden in einem Volksentscheid über den Nichtraucherschutz abstimmen. Damit werden sie dem langwierigen und für einige politische Akteure schmerzhaften Ringen um den Nichtraucherschutz im weiß-blauen Freistaat ein (vorläufiges) Ende setzen. Gerade in Zeiten verbreiteter Kritik an Parteien und Politikern mögen Volksentscheide als Patentrezept erscheinen, um solche Fragen verbindlich zu entscheiden. Gleichwohl wenden Skeptiker ein, viele Bürger seien zu wenig interessiert und zu schlecht informiert, als dass sie verantwortungsvolle Entscheidungen treffen könnten. Befürworter direktdemokratischer Verfahren führen dagegen ins Feld, auch Politiker träfen nicht immer wohlinformierte Entscheidungen – und die Kampagne vor Volksentscheiden böte so viele Informationen, dass Bürger in die Lage versetzt würden, wohlinformiert zu entscheiden.
Lässt sich eine solche Entwicklung beim Volksentscheid über den Nichtraucherschutz in Bayern erkennen? Daten aus einer telefonischen Befragung, die seit dem 25. Mai läuft, deuten darauf hin, dass die Kampagne bis etwa zwei Wochen vor dem Abstimmungstag die Bürger selektiv erreicht hat. Gaben Ende Mai rund zehn Prozent der Befragten an, in verschiedenen Medien Werbung zum Volksentscheid gesehen zu haben, so waren es zwei Wochen vor der Abstimmung rund doppelt so viele. Der Anteil derjenigen, die Flugblätter oder ähnliches Material gelesen haben, stieg von rund fünf auf etwa zehn Prozent. Plakate der Pro- und Contra-Seite hatte zwei Wochen vor der Abstimmung gut ein Drittel der Befragten gesehen. Die Kampagne entwickelt sich also durchaus dynamisch, hat aber beileibe noch nicht alle Bürger erreicht.
Dieses Ergebnis findet seine Entsprechung in der Informiertheit der Bürger. Ende Mai hielt sich jeder fünfte Befragte für (sehr) gut informiert über den Volksentscheid, rund zwei Wochen vor der Abstimmung war es jeder dritte. Gleichzeitig hat das Wissen über den Volksentscheid selektiv zugenommen. Hatte anfangs nur jeder zehnte Befragte gewusst, wann der Volksentscheid stattfinden wird, kannte zwei Wochen vor der Abstimmung jeder zweite den Termin. Der Anteil derjenigen, die wissen, dass Stimmenthaltung nicht als Neinstimme wirkt, stieg von knapp einem Viertel auf rund ein Drittel. In Bezug auf Inhalte des Gesetzentwurfes lassen die Umfrageergebnisse hingegen keine Hinweise auf Lernen der Stimmberechtigten erkennen.
Damit ergibt sich eine ambivalente Bilanz. Die Aktivitäten der Befürworter und Gegner des Gesetzentwurfes „Für echten Nichtraucherschutz!“ haben bisher durchaus Aufmerksamkeit erregt, aber gewiss keinen durchschlagenden Erfolg erzielt. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Kampagne und ihre Resonanz auf der Zielgeraden entwickeln werden. Einfach wird es für den Volksentscheid nicht werden, da die Fußballweltmeisterschaft und die Wahl des Bundespräsidenten mit ihm um die öffentliche Aufmerksamkeit konkurrieren und sich die CSU aus dem Volksentscheid weitgehend heraushält. Umso interessanter wird es sein zu beobachten, was sich die Wahlkämpfer mit ihren begrenzten Ressourcen bis zum 4. Juli einfallen lassen werden, um Stimmberechtigte zu mobilisieren und auf ihre Seite zu ziehen.

 

Wer mit wem? Die Parteien und ihre Koalitionsaussagen vor der Bundestagswahl

Nach den Landtags- und Kommunalwahlen vom Wochenende versuchen die Parteien in gewohnter Weise, aus den Ergebnissen mit mehr oder minder gewagten Interpretationen Kapital für die verbleibenden vier Wochen bis zur Bundestagswahl zu schlagen. Aus einigen Medien erschallt hingegen der Ruf, nun sei es Zeit, über neue Koalitionsformationen nachzudenken. Stichworte sind: Rot-Rot-Grün und Jamaika-Koalition. Die Führungen der Bundestagsparteien scheinen sich auf diese Ideen nicht einlassen zu wollen. So wenden sich beispielsweise die Grünen gegen Koalitionen mit den Unionsparteien. Oskar Lafontaine schließt ein Bündnis mit der SPD auf Bundesebene aus. Und die SPD-Führung bleibt bei ihrem Mantra, was auch immer auf Landesebene geschehe, werde es im Bund keine Koalition mit der Linken geben. Da sie sich mit ihrer ablehnenden Haltung gegen neue Konstellationen zusätzlicher Machtoptionen nach dem 27. September begeben, dürften die Parteiführungen ihre Entscheidungen wohlbedacht getroffen haben. Vermutlich nehmen sie an, mit einem Richtungswechsel in der Koalitionsfrage kurz vor der Bundestagswahl mehr zu verlieren, als sie damit nach dem Wahltag gewinnen könnten.

Wie sich eine koalitionspolitische Kehrtwende auf die Wahlchancen der Parteien bei der anstehenden Bundestagswahl tatsächlich auswirken würde, werden wir nicht endgültig erfahren. Einige Indizien deuten jedoch darauf hin, dass veränderte Koalitionsaussagen die Wahlentscheidung der Bürger nicht unberührt ließen. So gab in einer Onlineumfrage rund ein Viertel der voraussichtlichen Grünen-Wähler auf die Frage, wie sie sich entscheiden würden, wenn sich die Grünen für eine Koalition unter Führung der Union aussprächen, an, in diesem Fall würden sie ihre Stimme der SPD geben. Im Falle einer Koalitionsaussage zugunsten eines Bündnisses aus SPD, Grünen und der Linken würden sich ebenfalls einige Grünen-Wähler anders entscheiden. Rund 15 Prozent gaben die Unionsparteien an, zwischen fünf und zehn Prozent wollten der Wahl fernbleiben. Von den befragten SPD-Wählern würden sich demnach gut zehn Prozent für die Unionsparteien entscheiden, knapp 15 Prozent würden von ihrem Wahlrecht nicht Gebrauch machen. Diese Werte dürfen nicht überinterpretiert, entstammen sie doch einer nicht bevölkerungsrepräsentativen Onlinebefragung und beruhen auf Antworten auf höchst hypothetische Fragen. Allerdings deuten sie doch darauf hin, dass Bürger bei der Wahlentscheidung auf Koalitionsaussagen reagieren.

Mit neuen Koalitionen eröffnen sich Parteien also nicht nur neue Möglichkeiten zum Machterwerb, sondern sie scheinen dafür auch einen Preis in Form von Stimmen bezahlen zu müssen. So betrachtet, ist es nicht unverständlich, dass sich Parteiführungen bis zum Wahltag zögerlich zeigen, neue Bündnisse begeistert zu begrüßen. Eine andere Frage ist es allerdings, welche Schlüsse Wahlberechtigte aus dem Koalitionsgeschehen auf Landesebene ziehen werden. Erst recht lässt sich aus den Bündnisaussagen vor der Wahl am 27. September nicht folgern, dass auch in der neuen Legislaturperiode koalitionspolitisch alles beim Alten bleiben wird.

 

Mehr direkte Demokratie wagen?

Wie in früheren Bundestagswahljahren erscheinen auch 2009 zahlreiche Bücher zu politischen Themen. Einen publikumswirksamen Startschuss gab Gabor Steingart mit dem Band „Die Machtfrage. Ansichten eines Nichtwählers“ ab. In seiner Philippika rechnet der Spiegel-Journalist mit den Parteien ab und fordert zum kalkulierten Wahlboykott auf. In einem jüngst erschienenen Band wirbt Beatrice von Weizsäcker unter dem provokanten Titel „Warum ich mich nicht für Politik interessiere“ für politisches Engagement. So unterschiedlich beide Autoren und Bücher sein mögen, eint sie das Plädoyer für mehr direktdemokratische Verfahren in Deutschland, und zwar auch auf der Bundesebene. Davon versprechen sich Steingart wie von Weizsäcker nicht zuletzt eine Steigerung des politischen Interesses und Engagements, aber auch eine Stärkung des politischen Verantwortungsgefühls der Bürger.

Ihre Argumente für die Ausweitung direktdemokratischer Elemente klingen auf den ersten Blick bestechend. Wenn die Bürger erst einmal mehr zu entscheiden hätten, würden sie sich besser über politische Fragen informieren, intensiver mit Politik auseinandersetzen und dann ebenso kompetente wie verantwortungsbewusste Entscheidungen treffen. Nicht zuletzt entkräftet diese Argumentation den beliebten Einwand, Umfrageergebnisse zeigten, dass Deutschland unter den Bedingungen direkter Demokratie nicht Nato-Mitglied geworden wäre und längst wieder die Todesstrafe eingeführt hätte. Denn verändern direktdemokratische Verfahren tatsächlich die Haltung der Bürger zur Politik, dann lassen sich aus vorliegenden demoskopischen Befunden gerade keine Rückschlüsse auf die Ergebnisse direktdemokratischer Prozesse ableiten.

Auch plausible Argumente können sich jedoch als empirisch falsch erweisen. Um das zu klären, lohnt sich ein Blick über den Tellerrand. Denn die internationale Abstimmungsforschung hat einige Befunde zur Frage zusammengetragen, wie sich direktdemokratische Elemente auf politisches Interesse und Engagement der Bürger auswirken. Diese Untersuchungen, in erster Linie gestützt auf Material aus den USA und der Schweiz, legen den Schluss nahe, dass direktdemokratische Elemente kein Wundermittel zur Stimulierung des politischen Engagements der Bürger sind. Das politische Wissen der Bürger scheint infolge direktdemokratischer Verfahren ebenso allenfalls leicht zuzunehmen wie das Gefühl der Bürger, politisch kompetent zu sein. Auch lassen direktdemokratische Elemente das Gefühl der Bürger, das politische System reagiere auf ihre Wünsche und Forderungen, kaum intensiver werden. Auf die Wahlbeteiligung lassen sich in den USA leichte Mobilisierungseffekte nachweisen, während in der Schweiz eher umgekehrte Effekte aufzutreten scheinen.

Selbst wenn man berücksichtigt, dass Befunde nicht ohne weiteres von Land zu Land übertragen werden können, hieße es wohl, die empirische Evidenz allzu sehr zu strapazieren, interpretierte man sie als Beleg dafür, dass nach der Einführung direktdemokratischer Verfahren ein sprunghafter Anstieg des politischen Interesses und Engagements in Deutschland zu erwarten wäre. Steingart und von Weizsäcker scheinen sich von direktdemokratischen Verfahren also mehr zu versprechen, als diese zu leisten vermögen. Das heißt allerdings nicht, dass es nicht andere gute Gründe geben könnte, ernsthaft über die Einführung direktdemokratischer Elemente auch auf Bundesebene nachzudenken.

 

Von den „Fantastischen Vier“ zur „Intrige“ – eine kommunikative Herausforderung für die SPD

„Hessen und kein Ende“, so mag die SPD-Führung stöhnen. Beinahe das gesamte Jahr 2008 hindurch lieferte die hessische SPD in ihrem Ringen mit sich selbst und der Frage, ob sie eine von der Linken geduldete Koalition mit den Grünen eingehen solle, viel Stoff für Berichte, Diskussionen und Spekulationen. Bei der Landtagswahl im Januar 2009 erhielt sie dafür von den hessischen Wählern eine Quittung. Der Absturz in der Wählergunst war schmerzhaft genug, doch schien damit die Sache ausgestanden, so dass die Bundes-SPD unbelastet von hessischen Querelen in das Bundestagswahljahr 2009 gehen konnte. Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Doch nun hat Volker Zastrow von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Rechercheergebnisse präsentiert, die die Geschehnisse des Jahres 2008 in einem etwas anderen Licht erscheinen lassen. Aus den „Schurken“ von damals werden zwar nicht „Heilige“, doch wirken die vier sogenannten Abweichler weniger als aufrichtige und selbstlose Streiter für eine gute Sache, als es damals für die Öffentlichkeit den Anschein haben konnte. Vielmehr scheinen wenigstens einige der einstigen „politischen Lichtgestalten“ auch eigene Karriereinteressen verfolgt und ein doppeltes Spiel gespielt zu haben. Diese Geschichte ist aus dem Stoff gemacht, der sie für die Massenmedien und die Öffentlichkeit interessant macht. Es geht um Personen, es gibt überraschende Wendungen und reichlich Raum für vielerlei Spekulationen. Öffentliche Aufmerksamkeit dürfte dem Thema daher sicher sein.

Eine politische Enthüllungsgeschichte, die das Interesse der Öffentlichkeit findet, ist für die SPD nicht zwangsläufig von Nachteil. Sie mag zwar die Bürger an die hessischen Querelen erinnern, doch könnte sie auch das damalige Handeln einiger führender Sozialdemokraten in einem besseren Licht erscheinen lassen. Gefährlich dürfte die Geschichte für die SPD vor allem deshalb sein, weil einige Sozialdemokraten die Gelegenheit gekommen sehen könnten, innerparteiliche Gegner zu attackieren. Beispielsweise könnten sich Verfechter des Ypsilanti-Kurses bestätigt sehen und die vier sogenannten Abweichler angreifen – und damit innerparteiliche Kontroversen auslösen. Gerade in Wahlkampfzeiten dürfte es für eine Partei aber nur wenig geben, was so abträglich ist wie innerparteiliche Auseinandersetzungen. Denn zum einen schätzen Bürger Parteien, die geschlossen auftreten und nicht zerstritten wirken. Zum anderen lenken interne Diskussionen die Aufmerksamkeit von Mitgliedern, Anhängern und Sympathisanten davon ab, dass das Ziel eigentlich darin besteht, den politischen Gegner, also andere Parteien zu attackieren. Folglich sollte Ruhe als erste Pflicht eines jeden Sozialdemokraten gelten. Es bleibt freilich abzuwarten, ob es der SPD-Führung gelingen wird, diesen Imperativ durchzusetzen und alle Sozialdemokraten zu kommunikativer Selbstdisziplin anzuhalten.

 

Das Kieler Landeshaus im Schatten des Berliner Reichstags?

Gut zwei Monate vor der Bundestagswahl hat das landespolitische Geschehen in Schleswig-Holstein die Bundespolitik wenigstens für den Moment aus dem Zentrum des öffentlichen Interesses verdrängt. Bedenkt man, dass eine Landesregierung, überdies eine, die von den gleichen Parteien getragen wird wie die Bundesregierung, auf des Messers Schneide steht, ist das nur allzu verständlich. Wie diese Krise ausgehen wird und ob der schleswig-holsteinische Landtag den Weg für eine Landtagswahl am 27. September ebnen wird, lässt sich im Moment nicht absehen. Dies gilt umso mehr, als geheime Abstimmungen gerade im nördlichsten Bundesland zu erheblichen Überraschungen führen können. Sollte es tatsächlich zu einer vorgezogenen Landtagswahl kommen, stellt sich freilich die Frage, ob das Zusammentreffen von Landes- und Bundestagswahl Konsequenzen für das Wahlverhalten hätte.

Im deutschen Mehrebenensystem lassen sich die verschiedenen Politikarenen generell nicht scharf voneinander trennen. In Landtagswahlkämpfen spielt daher häufig die Bundespolitik eine wichtige Rolle. Auch Bürger reagieren mit ihrem Landtagswahlverhalten auf die Bundespolitik. Beispielsweise nutzen einige die Stimmabgabe bei einer Landtagswahl, um ihrer Unzufriedenheit mit der Bundesregierung auszudrücken. Diese Verhaltensmuster haben dazu beigetragen, dass Landtagswahlen häufig als Nebenwahlen charakterisiert werden. Diese Charakterisierung mag in etlichen Fällen übertrieben sein. Bei Landtagswahlen, die am Tag der Bundestagswahl stattfinden, scheint sie der Realität jedoch recht nahe zu kommen. Dafür sprechen empirische Befunde zu parallel abgehaltenen Land- und Bundestagswahlen in der Vergangenheit. Parteien erzielten bei beiden Wahlen beinahe identische Stimmenanteile, und nur sehr wenige Wähler machten von der Möglichkeit des Stimmensplittings zwischen Land und Bund Gebrauch. Zudem scheint die Landtagswahlentscheidung vergleichsweise stark von bundespolitischen Motiven bestimmt gewesen zu sein. Die Zusammenlegung trug somit zu einer verstärkten bundespolitischen Durchdringung von Landtagswahlen bei.

Vor diesem Hintergrund liegen die Schlussfolgerungen für Schleswig-Holstein recht klar auf der Hand. Sollte die Landtagswahl auf den 27. September vorverlegt werden, wird es die Landespolitik vergleichsweise schwer haben, im Wahlkampf eine prominente Rolle zu spielen. Zudem wird das Landtagswahlverhalten relativ stark von bundespolitischen Faktoren beeinflusst werden. Es ist also damit zu rechnen, dass die Landtagswahl stärker als bei getrennten Urnengängen eine bundespolitische Nebenwahl sein wird. Damit ist freilich noch nicht gesagt, welche Parteien davon profitieren werden. Denn wie schnell sich ein vermeintlich stabiler Bundestrend umkehren kann, das haben nicht zuletzt die Wahljahre 2002 und 2005 gezeigt.

 

Vom Hindukusch an die Wahlurne? Der Afghanistan-Einsatz und die Wahl 2009

Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist nicht sonderlich populär. Wie der jüngste ARD-Deutschlandtrend zeigt, stehen die Deutschen dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan mehrheitlich kritisch gegenüber. Rund zwei Drittel der Befragten plädieren dafür, die Bundeswehr aus Afghanistan möglichst schnell abzuziehen. Auch das jüngste ZDF-Politbarometer weist eine, wenngleich weniger deutliche Mehrheit gegen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr aus. Diese Muster sind nicht neu. Bereits seit einiger Zeit sprechen sich in Bevölkerungsumfragen – je nach Institut und Frageformulierung – deutliche Mehrheiten oder bedeutende Minderheiten gegen die Fortsetzung des Afghanistan-Engagements aus. Folglich könnte eine Partei, der es gelingt, am 27. September die Gegner dieses Bundeswehreinsatzes auf ihre Seite zu bringen, mit erheblichen Stimmengewinnen rechnen. Gibt es realistische Chancen dafür?

Außenpolitische Themen haben es nicht leicht, das Wahlverhalten zu beeinflussen oder gar über den Wahlausgang zu entscheiden. Viele Bürger schenken der Außenpolitik häufig keine allzu große Aufmerksamkeit. Daher sind ihre Urteile über solche Fragen nicht sehr fundiert und recht leicht beeinflussbar. Aus diesem Grund ist bei der Interpretation entsprechender Umfrageergebnisse besondere Vorsicht geboten. Da viele Wahlberechtigte außenpolitischen Themen eine geringe Bedeutung beimessen, lassen sie solche Fragen nicht in ihre letztliche Stimmentscheidung einfließen. Innenpolitische Themen liegen für viele Bürger wesentlich näher. Daher gelten außenpolitische Fragen für die innenpolitische Meinungsbildung im allgemeinen und für Wahlverhalten im besonderen als nicht allzu bedeutsam.

Aber auch zu dieser Regel gibt es Ausnahmen. Man denke nur an die Bundestagswahl 2002. Im Sommer 2002 setzte Gerhard Schröder einen möglichen Krieg im Irak auf die innenpolitische Agenda. In den letzten Wochen vor der Wahl gewann das Thema merklich an Einfluss auf das Wahlverhalten und trug entscheidend dazu bei, dass die rot-grüne Bundesregierung nicht von einer schwarz-gelben Bundesregierung unter Edmund Stoiber abgelöst wurde. Schröder gelang es offenbar, den Bürgern die Wichtigkeit des Irak-Themas vor Augen zu führen und sie dabei auch emotional anzusprechen. Dass gerade letzteres nicht unwichtig ist, zeigen Analysen zum Irak-Krieg 1991. Denn damals sorgte vom Krieg ausgelöste Angst nicht nur dafür, dass die Bundesbürger die Regierungsparteien, die den US-geführten Militäreinsatz unterstützten, schlechter bewerteten. Vielmehr trug Angst sogar dazu bei, dass Bürger langfristige Parteiloyalitäten in Frage stellten. Die innenpolitische Meinungsbildung kann also durchaus erheblich auf die Außenpolitik reagieren.

Ob das im Falle des Afghanistan-Einsatzes gelingen wird, ist damit noch nicht gesagt. Zwar wirbt die Linke seit langem als entschiedene Gegnerin des Bundeswehreinsatzes um Stimmen. Doch scheint sie damit nicht durchzudringen. Das mag zum einen daran liegen, dass das Thema wenige Menschen anspricht. Zum anderen mag eine Rolle spielen, dass ein Votum für die Linke aus anderen Gründen für etliche Bürger kaum in Frage kommt. Würden andere Parteien eine einsatzkritische Position vertreten, stiegen die Chancen für Einflüsse der Afghanistan-Frage auf die Wahlentscheidung. Erst recht würde eine Emotionalisierung des Themas dessen Durchschlagskraft an der Wahlurne erhöhen. Damit wäre etwa dann zu rechnen, wenn die Zahl gefallener Bundeswehrsoldaten dramatisch anstiege oder aber ernstzunehmende Anschlagsdrohungen gegen Deutschland gerichtet würden. So betrachtet, bleibt zu hoffen, dass die Afghanistan-Frage am 27. September wirkungslos bleibt – ausgeschlossen sind solche Effekte freilich nicht.

Literaturempfehlungen

Schoen, Harald, 2004: Der Kanzler, zwei Sommerthemen und ein Foto-Finish. Priming-Effekte bei der Bundestagswahl 2002, in: Frank Brettschneider/Jan van Deth/Edeltraud Roller (Hrsg.), Die Bundestagswahl 2002. Analysen der Wahlergebnisse und des Wahlkampfes, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 23-50.

Schoen, Harald, 2006: Beeinflusst Angst politische Einstellungen? Eine Analyse der öffentlichen Meinung zum Golfkrieg 1991, in: Politische Vierteljahresschrift 47, 441-464.

 

Die SPD und die Überhangmandate

Die Überhangmandate lassen die Abgeordneten des Bundestags bis zum Ende der Legislaturperiode nicht los. Am kommenden Freitag wird ein Gesetzentwurf der Grünen zur Vermeidung von Überhangmandaten bei der kommenden Bundestagswahl beraten. Diese Frage, die sonst eher nur Wahlrechtsfeinschmecker interessieren würde, darf diesmal mit erheblichem öffentlichem Interesse rechnen. Denn bei der Wahl am 27. September könnten laut Simulationen Überhangmandate dafür sorgen, dass eine schwarz-gelbe Koalition im Bundestag über eine Mandatsmehrheit verfügt, die sie andernfalls nicht erhielte (siehe auch meinen früheren Beitrag sowie Beiträge von Thomas Gschwend und Thorsten Faas). Anders als bei früheren Wahlen könnte man die Überhangmandate nicht mehr als wahlsystemisches Kuriosum ohne praktisch-politische Bedeutung betrachten. Vielmehr könnte diese vom Bundesverfassungsgericht monierte Regelung zu einem echten Machtfaktor werden.

Die Meinungsbildungsprozesse in Parteien und Fraktionen sind in vollem Gange. Die Linke signalisierte bereits Unterstützung für den Vorschlag der Grünen. Union und FDP sprachen sich – vermutlich aus nahe liegenden Gründen – gegen den Entwurf aus. Die Rolle des Züngleins an der Waage fällt damit den sozialdemokratischen Abgeordneten zu. Die SPD hat sich Zeit genommen für einen längeren Abwägungsprozess. Nachdem aus der Fraktion Signale zugunsten des Grünen-Vorschlags ausgesandt wurden, scheint die SPD-Führung nun eher dazu zu neigen, nicht für den Entwurf der Grünen zu votieren. Doch damit muss das letzte Wort noch nicht gesprochen sein.

Unabhängig davon, wie sich die SPD letztlich entscheiden wird, dürfte der sorgfältige Abwägungsprozess der Sozialdemokraten damit zusammenhängen, dass sie sich in einer interessanten Situation befinden. Würden die Sozialdemokraten für den Gesetzentwurf der Grünen votieren, würde das vielen Beobachtern angesichts der vermutlichen Auswirkungen der Überhangmandate auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag durchaus einleuchten. Allerdings entbehrte ein solches Votum nicht einer gewissen Pikanterie, und zwar aus zwei Gründen. Entschieden sich die Sozialdemokraten für den Entwurf der Grünen, würden SPD, Grüne und die Linke in einer politisch brisanten Frage gemeinsam abstimmen. Mancher politische Gegner dürfte das wohl als Indiz oder gar Beweis dafür werten, dass die Sozialdemokraten ihre Schwüre, auf Bundesebene keine sogenannte rot-rot-grüne Koalition zu bilden, vergäßen, sobald ein Bündnis mit der Linken den Sozialdemokraten eine Machtperspektive eröffnete. Aus der Wahlrechtsfrage könnte also Wahlkampfmunition werden.

Eine zweite Komplikation ergibt sich aus der vermutlichen Wirkung der angestrebten Wahlrechtsänderung. Die Vermeidung von Überhangmandaten würde dazu führen, dass eine Koalition aus Union und FDP weniger wahrscheinlich eine Mehrheit im Bundestag erhält. Nimmt man zusätzlich an, dass die Koalitionsaussagen der Parteien auch nach dem 27. September noch gelten, heißt das, dass eine Fortsetzung der Großen Koalition wahrscheinlicher würde. Das Klima in dieser Koalition dürfte allerdings nicht dadurch verbessert werden, dass ein Partner kurz vor dem Wahltag die eherne Koalitionsregel, dass die Bündnispartner einheitlich abstimmen, bricht. Mit anderen Worten: Die Große Koalition würde wahrscheinlicher, ihre Arbeit aber wohl nicht einfacher.