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Lernen von Obama?

Barack Obama hat den Kontinent verlassen. Aber er hinterlässt uns einige bemerkenswerte Botschaften. Neben den inhaltlichen Signalen, die dieser Tage breit diskutiert werden (Wirtschaftskrise, transatlantische Beziehungen, Afghanistan), kann man am Besuch des US-Präsidenten auch interessante Hinweise in Sachen Wahlkampf ablesen. Immerhin befindet sich der amerikanische Präsident quasi per definitionem im Dauerwahlkampf. Und während seines Besuches wurde deutlich, dass er nicht nur Staats- und Regierungschefs, sondern auch das europäische Volk von seinen Ideen überzeugen wollte. Zudem gilt der Wahlkampf Obamas seit Monaten als leuchtendes Beispiel für eine perfekt organisierte und inszenierte Kampagne. Die Amerikanisierung bzw. Obamasierung des Wahlkämpfens scheint auch in Deutschland alternativlos zu sein. Welche Erkenntnisse lassen sich also aus Obamas Auftritten für die anstehenden Wahlkämpfe in Deutschland gewinnen? Über zwei Anregungen könnten unsere Spitzenpolitiker nachdenken.

Überzeugende Personen…

Dass Barack Obama seiner Politik ein Gesicht gibt, dass seine Person unmittelbar mit dem „Change“ verknüpft ist, ist bestens bekannt. Entsprechende Bemühungen, Personen mit Programmen zu verknüpfen, sind auch in Deutschland erkennbar. Ein Trend jedoch, auf den wir hierzulande noch warten, ist die professionelle Inszenierung des privaten Umfelds. Für die Ehepartner der deutschen Regierenden wird auf Auslandsreisen üblicherweise ein separates „Damenprogramm“ angeboten, Michelle Obama hingegen steht regelmäßig im Rampenlicht. Durch überzeugende Auftritte im vergangenen Herbst hat sie dazu beigetragen, dass die Wählerinnen und Wähler die menschliche Seite ihres Mannes kennen lernten – und auch in London, am Rande des G-20-Gipfels, galt ihr mehr Aufmerksamkeit als manchem Politiker. Auf diese Weise trägt sie ebenso wie andere Menschen aus seinem privaten Umfeld aktiv zur Persönlichkeitsbildung ihres Gatten bei. In einer letzte Woche veröffentlichten Gallup-Umfrage ist Michelle Obama unter den US-Bürgerinnen und -Bürgern mit einer Zustimmungsrate von 72 Prozent und einer Ablehnungsrate von 17 Prozent sogar noch etwas beliebter als ihr Mann (69 zu 28 Prozent). Das politische Potenzial dessen wird deutlich, wenn man auf die Zustimmungsraten im gegnerischen Lager blickt: Immerhin 48 Prozent der Republikaner befürworten Michelle Obama, ihr Mann erreicht 36 Prozent. In Deutschland hingegen werden solche Daten zu Joachim Sauer oder Elke Büdenbender gar nicht erhoben.

… haben Visionen

In Prag träumte der US-Präsident laut von einer Welt ohne Atomwaffen. Kein besonders realistisches Szenario, dennoch war das Medienecho auf diese Rede sehr positiv. Es scheint, als habe Obama hier mit einer Mischung aus Vision und Emotion den richtigen Nerv getroffen. Der enge, durch so viele Faktoren beschränkte reale Handlungsspielraum der Politik spielte einen Moment lang keine Rolle mehr. Für Deutschland könnte die Lektion hier lauten, dass auch und gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise Visionäre gebraucht werden. Wem es gelingt, in den nächsten Monaten eine Botschaft zu entwickeln, die die Menschen berührt und die ihnen Hoffnung gibt, der hat gute Chancen gewählt zu werden. Auch wenn diese Vision nicht jeder Prüfung unter realpolitischen Gesichtspunkten auf Anhieb standhält. Die deutschen Spitzenpolitiker haben diesbezüglich Nachholbedarf: Der aktuelle „Deutschlandtrend“ von Infratest dimap (der vor der Ankunft Obamas in Europa erhoben wurde) besagt, dass 80 Prozent der Deutschen Barack Obama zutrauen, einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Krise zu leisten. Angela Merkel kommt in der selben Befragung auf 58 Prozent, Frank-Walter Steinmeier auf 49 Prozent.

Fußnote: Natürlich waren neben den strahlenden Auftritten des US-Präsidenten auch die Probleme erkennbar, die sich mit seinem politischen Stil verbinden. Visionäre Persönlichkeiten werden gerne von verschiedenen Seiten vereinnahmt und zu Symbolfiguren erklärt (in der Werbebranche spricht man hier von „Testimonials“). So musste der Präsident in Istanbul beispielsweise den schwierigen Spagat zwischen seinen armenischen und seinen türkischen Freunden bewältigen. Er tat dies gleichwohl geschickt, indem er sich nicht direkt mit dem Genozid an den Armeniern beschäftigte, sondern stattdessen auf die Schuld seiner Landsleute an den Verbrechen an den amerikanischen Ureinwohnern verwies. Diese rhetorische Glanzleistung Obamas war dann wieder einen Eintrag ins Vokabelheft unserer Politiker wert.

 

„As Hessen goes, so goes the nation“

So gering das Medienecho derzeit auch sein mag: Das Spektakel um den hessischen SPD-„Abweichler“ Jürgen Walter hat eine bundespolitische Dimension. Einerseits kann die Krise der hessischen SPD jederzeit auf die Bundespartei überschwappen, wenn die laufenden Verfahren nicht schnell und möglichst geräuschlos beendet werden. Und andererseits ist die politische Stimmung in Hessen ein wichtiger Gradmesser für das gesamte Bundesgebiet.

Denn Hessen ist das deutsche Ohio. Dort, im vielleicht wichtigsten amerikanischen „swing state“, nehmen die Bürger stolz für sich in Anspruch, bei den Wahlen zum Präsidenten der Vereinigten Staaten eine Art politischer Kompass der Nation zu sein: „As Ohio goes, so goes the nation“ ist das Credo. Tatsächlich lagen die Wähler zuletzt 1960 nicht im nationalen Trend, als sie mehrheitlich für Richard Nixon votierten, John F. Kennedy jedoch die Wahl gewann. Seither aber gingen die 20 Stimmen Ohios in zwölf Präsidentschaftswahlen nacheinander an den späteren Sieger.

Die hessische Bilanz in den Bundestagswahlen ist ähnlich beeindruckend. Seit dem Ende der ersten Großen Koalition 1969 galt bis zur Wahl 2005: Wer Hessen gewinnt, stellt auch den Kanzler. Erst die zweite Große Koalition der Geschichte beendete diesen Trend. 2005 hatte die SPD in Hessen einen Vorsprung von zwei Prozentpunkten, während sie bundesweit denkbar knapp hinter der CDU landete.

Natürlich ist die Aussagekraft solcher Beobachtungen begrenzt, zumal bei der Bundestagswahl nicht das in den USA verbreitete „The winner takes it all“-Prinzip gilt. So stimmen die Wahlmänner Ohios geschlossen für den siegreichen Kandidaten, die Wahlergebnisse der Parteien in den deutschen Bundesländern werden hingegen anteilig in das bundesweite Ergebnis eingerechnet. Eine neuerliche Wahlschlappe in Hessen bei der Bundestagswahl würde die SPD allerdings definitiv einige Sitze kosten. Gut zeigen lässt sich dies am Beispiel der Direktmandate: Bei der Bundestagswahl 2005 gewann sie 13 von den 21 hessischen Direktmandaten, in der Landtagswahl vom Februar 2009 waren es noch ganze neun von möglichen 55.

Die Spaltung der hessischen SPD in zwei Lager muss die Bundespartei alarmieren, selbst wenn dies ein rein hessisches Problem bleiben sollte. Verdruss an der Basis und eine schwierige Mobilisierung der Wähler wären unmittelbare Folgen für die Bundestagswahl. In den USA nennt man Ohio auch einen „battleground state“. Diese Metapher muss sich die SPD bewusst machen: Es gilt, um die Wähler zu kämpfen.

 

Europa: Lost in translation?

Es ist Wahlkampf in Europa und bereits heute darf vermutet werden, dass der entscheidende Faktor für den Ausgang und die Auswirkungen der Wahl einmal mehr die Wahlbeteiligung sein könnte. Seit der ersten Direktwahl im Jahr 1979, wo 63 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben, ist sie konstant rückläufig und lag im Jahr 2004 noch bei knapp 46 Prozent. Nun hat das Europäische Parlament die Kampagne gestartet, mit der dieser Trend gestoppt werden soll. Das Motto lautet „Deine Entscheidung“ und Mechthild Rothe, Vize-Präsidentin des Parlaments, betont insbesondere die Diversität der EU: „Der Schlüsselfaktor ist es, die Sprache zu sprechen, die von den Menschen gesprochen wird, gerade auch in Bezug auf Gefühle sowie politische und kulturelle Unterschiede der einzelnen Mitgliedstaaten.“

Der Hinweis auf die angemessene Sprache ist durchaus wörtlich zu nehmen. Die Bürgerferne der EU und die nur schwach ausgeprägte europäische Identität werden nicht zuletzt an sprachlichen Barrieren festgemacht. So wirkt die am Dienstag verabschiedete Resolution des Europäischen Parlaments wie ein Weckruf an das europäische Bewusstsein der Bürger: Die Parlamentarier bekennen sich zur Sprachenvielfalt in der EU und fordern einen höheren Stellenwert des Sprachunterrichts an Schulen, jeder Schüler solle zwei Fremdsprachen erlernen.

Es klingt dabei wie ein Treppenwitz, dass am Tag nach der Verabschiedung dieser Resolution ein „Übersetzungsfehler“ (so die offizielle Darstellung) zu einem Eklat im Europäischen Parlament geführt hat. Der geschäftsführende tschechische Ministerpräsident Mirek Topolanek sprach in seiner Rede vor dem Europäischen Parlament über den Wertpapierhandel der USA mit Bonds (tschechisch: „bondy“), in den Dolmetscherkabinen wurde daraus der Handel mit Waffen (tschechisch: „bomby“). Noch bevor dieses Missverständnis aufgeklärt werden konnte, wurde die auch ansonsten fragwürdige Rede scharf kritisiert. Es zeigt sich, dass Anspruch und Realität in der EU bezüglich der Mehrsprachigkeit noch weit auseinander liegen.

Die Förderung der Mehrsprachigkeit genießt einen hohen Stellenwert in der EU, seit 2007 gibt es einen eigenen EU-Kommissar für dieses Ressort. Der rücksichtsvolle Umgang, gerade mit Minderheiten, gebietet dabei, dass das Thema mit einem großen Maß an kultureller Sensibilität behandelt wird und nicht für Wahlkampfzwecke instrumentalisiert wird. Die jüngste Resolution jedoch war ein solches Politikum: Der Text wurde bei vielen Gegenstimmen letztendlich von einer linken Mehrheit der Parlamentarier angenommen, ein ähnlicher Entwurf aus dem konservativen Lager war kurz zuvor gescheitert. Diese Uneinigkeit über ein an sich unumstrittenes Ziel könnte den Europaskeptikern in die Hände spielen. Für sie ist der Erhalt der nationalen Sprachen eine Kernforderung, der EU stehen sie kritisch gegenüber. Wenn nun gerade diese Gruppierung von den jüngsten Unstimmigkeiten profitieren würde, wäre dies ein Rückschlag für das europäische Projekt.

 

Noch immer in Führung…

Ein beliebter Vorwurf an Angela Merkel lautet derzeit, sie sei führungsschwach. Sowohl die Opposition, jüngst in Person von Guido Westerwelle, als auch der Koalitionspartner betonen, dass Frau Merkel die Republik eher verwalte denn führe. Es wird eine Kanzlerin gefordert, die im eigenen Land und auf internationalem Parkett sichtbar ist und hier wie dort die Interessen der Bevölkerung durchsetzt. Doch Angela Merkel bevorzugt einen weniger pompösen Politikstil, der gerade in Zeiten der Krise angemessen erscheint. Sie lässt sie sich nicht auf Wahlkampfrhetorik ein, sondern betont, dass die Regierung bis zum Herbst weiterarbeiten müsse und werde. Mit den klassischen „Stimmungsthemen“ wie vorgezogenen Neuwahlen möchte sie sich nicht beschäftigen, auch gestern Abend bei „Anne Will“ hat sie das Gespräch sehr schnell auf inhaltliche Fragen gelenkt.

Bei den Wählerinnen und Wählern bringt ihr dieser Ansatz viele Sympathien ein, die Umfragewerte für sie persönlich sind unverändert gut. Der Grund scheint nahe liegend: Gerade in Krisenzeiten erwarten wir von unseren politischen Führern keinen Aktionismus sondern verantwortungsvolles Handeln. Eine Studie der Forschungsgruppe Wahlen und der Bertelsmann Stiftung hat ergeben, dass Glaubwürdigkeit die mit Abstand wichtigste Eigenschaft von Politikern ist – 71 Prozent der Befragten nannten diese Qualität, damit liegt sie klar vor den Eigenschaften „Sachverstand“ (53 Prozent), „Bürgernähe“ (36 Prozent), „Tatkraft“ (26 Prozent) und „Sympathie“ (9 Prozent). Genau diesen Eindruck einer authentischen, sachlichen und unaufgeregten Führungspersönlichkeit vermittelte Frau Merkel auch gestern wieder im Gespräch mit Anne Will.

Zwei Fragen bleiben jedoch offen. Erstens: Werden die Wähler im September auch gemäß dieser Kriterien ihre Wahlentscheidung treffen oder werden im dann hoch emotionalisierten Wahlkampf nicht doch wieder andere Beweggründe im Vordergrund stehen? Schon die zitierten Daten der kürzlich veröffentlichten Studie sind nicht mehr ganz aktuell, sie wurden Ende 2008 erhoben. Und zweitens: Ist die derzeitige Beliebtheit der Kanzlerin ein Ausdruck ihrer Führungsstärke?

Politische Führungsqualitäten sollten nicht mit der Beliebtheit und auch nicht mit den Wahlchancen einer Person gleichgesetzt werden. Denn die Beliebtheit in der Bevölkerung spiegelt allenfalls die Führungsqualitäten nach außen wider. Führung wirkt aber auch nach innen – sie muss Parteimitglieder an die Wahlstände und befreundete Ministerpräsidenten auf Linie bringen. Dazu reichen ausgezeichnete Managementfähigkeiten allein nicht aus, es braucht auch die Qualität, die Partei zu begeistern. Der zugehörige Begriff lautet „inspirational leadership“ und das große Vorbild ist – natürlich – Barack Obama. Der große Erfolg seiner Kampagne lag nicht nur (und vielleicht nicht einmal in erster Linie) in der Ansprache der Wähler, sondern in der Mobilisierung der Anhänger. In diesem parteipolitischen Sinne kann man Angela Merkel tatsächlich eine gewisse Führungsschwäche attestieren.

Dass die politische Konkurrenz dies aber beklagenswert findet, ist nicht anzunehmen. Eher liegt die Interpretation nahe, dass es Müntefering und Westerwelle den Wahlkampf eröffnet haben, während die Kanzlerin sich ihrer Arbeit verpflichtet fühlt. Welche der genannten Personen da nun inspirierend ist, muss wohl jeder Wähler für sich selbst entscheiden.