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Nein, Messi wird nicht Amir von Südamerika

 

Das erste Opfer in jedem Krieg… genau. Auch im Irak ist es derzeit nicht anders, die Wahrheit wird passend gemacht, erfunden, geschönt und verkürzt – je nach dem, wer welche Interessen verfolgt. Das ist wenig überraschend. Trotzdem habe ich mir heute vorgenommen, ein paar Beispiele zu dokumentieren; nicht zuletzt weil manche Fakes es immer  wieder bis in die internationalen Mainstream-Medien schaffen. Vielleicht schärft das den Blick.

Fangen wir mit einem spektakulären Fall an. Gestern berichtete Ishaan Tharoor, der für die Washington Post bloggt, dass die Terrorgruppe „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“ (Isis) dem argentinischen Stürmer Messi gratuliert habe, nachdem dieser mit seinem späten 1:0 den Sieg über Iran besiegelt hatte. Dies sei über ein Twitter-Account erfolgt, das aus dem Isis-Umfeld stamme („affiliated with Isis„). Tharoor dokumentierte den (arabischen) Tweet. Tatsächlich steht dort, man gratuliere Messi, er möge sich den „Schlachtreihen des Dschihad“ anschließen und könne „Amir über Südamerika“ werden. Wie man sich vorstellen kann, ging die Meldung rasch um die Welt.

Das Dumme ist, dass das Twitter-Account nicht aus dem Isis-Umfeld stammt. Man hätte schon deshalb drauf kommen können, weil in dem Tweet Isis als „Da’sh“ bezeichnet wird. Das ist ein Begriff, der sich in den letzten Monaten in der arabischen Welt etabliert hat – ein Kunstwort, das entsteht, wenn man die Anfangsbuchstaben des arabischen Namens von Isis zusammensetzt. Isis verwendet das Wort „Da’sh“ selbstverständlich nicht als Selbstbezeichnung.

Noch aufschlussreicher ist es allerdings, in die Selbstbeschreibung des besagten Twitter-Accounts zu schauen. Dort steht, das Anliegen des Accounts sei es, die „Verbrechen“ von „Da’sh“ zu thematisieren. „Affiliated“ ist das Account mit einer syrischen Webseite. Ich bin mir noch nicht ganz im Klaren, wie das passieren konnte. Aber noch absurder ist, dass der arabische Satellitensender Al-Arabija die vermeintliche Nachricht ebenfalls weiterverbreitete.

Etwas elaborierter finde ich da schon einen anderen Fake. Ebenfalls über Twitter wurde ein angeblich von Isis verfasstes Schreiben verbreitet. Es besagt, dass nach der Einnahme der Provinz Ninive im Irak, alle Familien ihre unverheirateten Frauen präsentieren müssten, damit diese den „Mudschahidin“ sexuell zu Diensten sein könnten. Der Ursprung des angeblichen Isis-Dokuments scheint ein Bericht auf der Webseite von AINA zu sein, der „Assyrischen Nachrichtenagentur“. Ich kenne AINA nicht. Aber es ist klar, dass es sich um eine Webseite assyrischer Christen handelt, die (natürlich und zu Recht) Angst vor Isis haben. Sagen wir so: Ich traue Isis alles mögliche zu, Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt inklusive. Aber diese angebliche Erklärung ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Quark. Der Sprachgebrauch und der Duktus liegen weit jenseits dessen, was ich aus Dokumente von Isis und anderen dschihadistischen Terrorgruppen kenne, die ich selbst gelesen habe. Und das sind Tausende. Es passt schlicht nicht. Ich will damit nicht sagen, dass die Leute von AINA das Dokument erfunden haben. Vielleicht halten sie es wirklich für echt (auch wenn sie ehrlicherweise betonen, sie könnten die Authentizität nicht garantieren). Aber ich halte es  für eine Fälschung.

Andererseits betreibt natürlich niemand mehr Propaganda und Desinformation als Isis selbst. Mein Lieblingsbeispiel aus der letzten Woche ist das Bild eines Hubschrauber mit Isis-Flagge drauf, das in einem dschihadistischen Internetforum herumgereicht wurde und suggerieren sollte, die Dschihadisten hätten nicht nur Helikopter erbeutet, sondern könnten sie auch fliegen. Als ich darüber gewittert hatte, schickte mir jemand ein deutlich schärferes Bild desselben Helikopters – mit der Originalbeschriftung und Beflaggung der irakischen Luftwaffe. Es sieht also ziemlich klar danach aus, dass hier ein Isis-Sympathisant Fotoshop angewendet hat. Denn die beiden Bilder sind dasselbe Bild – aber eines wurde manipuliert.

Es gibt Hunderte solcher Fakes. Das Problem ist, wenn sie für wahr gehalten werden. So kursieren mehrere Landkarten des Nahen Ostens unter Isis-Anhängern, in denen das von Isis beanspruchte Gebiet schwarz eingefärbt und mit ihrer Flagge markiert ist – das zukünftige Kalifat. Solche Karten gibt es seit Jahren, von Al-Kaida-Anhängern fabriziert, von Sympathisanten von Isis‘ Vorläufergruppen – es ist ein alter Propaganda-Hut. Weiterverbreitet wurde aber letzte Woche eine Version dieser Karte mit dem Hinweis, es handle sich um den Fünf-Jahres-Plan von Isis. Huch! Und schon wird aus einer schnell hinretouchierten Karte plötzlich ein vermeintliches Dokument.

Als hätten wir nicht schon genug Schwierigkeiten, bei den wirklich von Isis stammenden Informationen herauszufinden, welche bedeutsam sind, welche die Wahrheit abbilden oder nur einen absichtsvoll gewählten Teil der Wahrheit, und welche gelogen sind. Auch dafür ein Beispiel: Isis meldet seit gestern mehrere Fälle, in denen Kader der verfeindeten Dschihadistengruppe „Dschabhat al-Nusra“ in Syrien sich Isis angeschlossen hätten. Es werden Namen genannt und entsprechende Bilder gepostet. Das könnte der Beginn einer bedeutsamen Entwicklung sein – oder ein paar aufgebauschte Einzelfälle. Zu früh, um es zu sagen. Und mühsam, es herauszufinden.