Die Pegida-Bewegung trägt den Begriff schon im Namen: „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes„. Doch Abendland ist hier nicht als geografische oder historische Bezeichnung gemeint; der Begriff „Islamisierung“ ist ein erster Hinweis: Die Pegida-Demonstranten meinen ein Abendland, das sie selbst oft mit den Attributen „christlich“ oder „christlich-jüdisch“ anreichern. Dieses Abendland stellt in ihren Augen eine Art gewachsene Wertegrundlage dar, deren Bedeutung durch die „Islamisierung“ in Frage gestellt werde.
Nun sind die evangelische und die katholische Kirche natürlich nicht die Gralshüter dieses Begriffs. Auch der Zentralrat der Juden ist es nicht. Jeder ist frei, ihn zu verwenden. Ich fand es trotzdem interessant, alle drei Institutionen zu fragen, wie sie zu diesem Begriff stehen. Außerdem wollte ich wissen, ob sie eine Islamisierung des Abendlandes befürchten.
Ich habe deshalb drei Mal dieselbe E-Mail verschickt; die beiden Fragen lauteten folgendermaßen:
1.) Glauben Sie, dass es eine schleichende, offene oder drohende „Islamisierung“ in Deutschland gibt?
2.) Finden Sie den Begriff „Abendland“ oder „christliches Abendland“ oder „christlich-jüdisches Abendland“ sinnvoll? Was bedeutet er für den Zentralrat der Juden / die Deutsche Bischofskonferenz / die Evangelische Kirche in Deutschland, verwenden Sie ihn oder halten Sie ihn für irreführend?
Im Folgenden dokumentiere ich die Antworten in voller Länge.
Ein Sprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland antwortete so:
„Von einer Islamisierung kann angesichts eines Bevölkerungsanteils von weniger als fünf Prozent Muslimen und des friedlichen Zusammenlebens keine Rede sein. Der Begriff christliches Abendland ist ein Kulturbegriff, der mit Religion nur bedingt etwas zu tun hat. Er kann leicht dazu missbraucht werden, etwas als christlich auszugeben, was faktisch den christlichen Orientierungen entgegensteht. Der Begriff wird leider auch oft missbraucht, um sich von anderen Menschen, anderen Religionen und anderen Kulturen abzugrenzen. Wenn der Begriff benutzt wird, um ausländerfeindliche, rassistische und menschenverachtende Parolen zu unterfüttern, ist das das genaue Gegenteil von Christentum.“
Die Antwort von Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden:
„Von einer ‚Islamisierung‘ Deutschlands kann überhaupt keine Rede sein. Das zeigen allein die Zahlen: In Deutschland leben nur vier Millionen Muslime, vier Millionen von 80 Millionen Bürgern. Hier werden von den Pegida-Initiatoren in unverantwortlicher Weise Ängste geschürt und zugleich eine bestimmte Religion verunglimpft. Mit Blick auf unsere Geschichte kann man durchaus von einer christlich-jüdischen Kultur sprechen. Der Begriff „christlich-jüdisches Abendland“ wird von Pegida und Co. jedoch in einem ausgrenzenden Sinn verwendet. Das lehne ich ab. Sowohl in der Geschichte Europas als auch heutzutage hat der Islam zu wichtigen kulturellen und zivilisatorischen Errungenschaften beigetragen und war und ist eine Bereicherung. Ebenso gab es immer säkulare Strömungen, die unsere Kultur vorangebracht haben.“
Schließlich die Antwort des Pressesprechers der Deutschen Bischofskonferenz (DBK):
„Wir bitten um Verständnis, dass wir uns derzeit nicht an der Debatte beteiligen möchten. Die jüngsten Positionen von Papst Franziskus zum Islam (s. Besuch in der Türkei) und die Bedeutung Europas (s. Besuch in Straßburg) sind sicherlich wegweisend.“
EKD und ZdJ sind sich also einig: Von einer Islamisierung kann keine Rede sein. Zudem sehen sie die Art und Weise der Verwendung des Begriffes „Abendland“ durch Pegida skeptisch bis kritisch. (Allerdings warnt der EKD-Vorsitzende zugleich vor einer „Dämonisierung“ der Pegida-Bewegung, das ergänze ich hier gerne der Vollständigkeit halber.)
Ich bin dem Hinweis des DBK-Sprechers gefolgt und habe nachgelesen, was Papst Franziskus in der Türkei beziehungsweise in Straßburg gesagt hat. Der Papst hat hat auf diesen Reisen deutliche Worte gegen islamistischen Terrorismus, für die Religionsfreiheit und für den interreligiösen Dialog gefunden. Er hat auch inhumane Praktiken im Umgang mit Flüchtlingen angeprangert. Es waren starke, klare Aussagen. Aber auf das Phänomen Pegida sind sie nur schwer anzuwenden.
Unter dem Strich scheint es mir dennoch so zu sein, dass die Pegida-Demonstranten sagen wir mal: eher wenig Rückhalt in jenen offiziösen Institutionen genießen, deren Werte und Maßstäbe sie verteidigen möchten. Heute wollen die Demonstranten in Dresden mit dem Singen von Weihnachtsliedern gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ protestieren. Ich vermute, dass kaum ein katholischer, evangelischer oder jüdischer Geistlicher dabei sein wird.