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Was bedeutet „um sie zu beruhigen“?

 

Menschenhandel, Terrorfinanzierung, Propaganda: Die Vorwürfe spanischer Ermittler gegen den Leipziger Imam Abu Adam sind heftig. Und die Recherche ist kompliziert. Folge 3 unseres Ermittlungsblogs

Von Yassin Musharbash

Hesham Shashaa alias Abu Adam

 

Nimmt nicht ab.

Nummer nicht vergeben.

Nimmt nicht ab.

Zur Zeit nicht erreichbar.

E-Mail unbeantwortet.

Nimmt nicht ab.

Nimmt nicht ab.

„No one is available to answer your call right now.“

Viele Personen, die etwas über den Fall Abu Adam wissen könnten, sind nur schwer oder gar nicht erreichbar: Etliche seiner angeblichen Spender zum Beispiel, die in verschiedenen Golfstaaten leben. Und ebenso die jungen Männer, die dem IS nahestehen sollen sollen, und deren Kennverhältnisse zu Abu Adam den spanischen Ermittlern so brisant vorkommen, dass sie den Leipziger Imam seit Ende April in Untersuchungshaft halten.

Ein Lichtblick deshalb, dass die Kollegin Lea Frehse aus dem Politik-Ressort der ZEIT sich letzte Woche einen halben Tag Zeit genommen hat, um mit mir die zentralen Passagen der spanischen Ermittlungsakten noch einmal genau durchzugehen. (Ich muss ansonsten mit Latinum, Google Translate, einem Volkshochschulsemester Spanisch und Nachfragen bei Spanisch sprechenden Bekannten zurechtkommen.)

Bis jetzt habe ich in diesem Ermittlungsblog Abu Adam vorgestellt (lesen Sie Teil 1 hier) und seine Beziehung zu dem jungen Deutschen Peter beschrieben (lesen Sie Teil 2 hier). Aber es gibt  noch viel zu tun. Ist Abu Adam ein glaubwürdiger Kämpfer gegen den Extremismus, ein im Verborgenen wirkender radikaler Aufwiegler, oder irgendetwas dazwischen?

Heute will ich einen Überblick über die Vorwürfe gegen Abu Adam geben, wie sie sich aus den Teilen der spanischen Ermittlungsakten ergeben, die ich kenne. Ob die Unterlagen vollständig und aktuell sind, weiß ich nicht. Das weiß auch der deutsche Anwalt von Abu Adam nicht, weil er mangels Zulassung in Spanien gegenüber den Behörden dort kein Recht auf Akteneinsicht geltend machen kann. In Spanien hat Abu Adam erst seit Kurzem überhaupt einen Anwalt, der sich aber noch einarbeitet.

Trotzdem ist es möglich, die wichtigsten Verdachtsmomente zusammenzufassen.

In einem Dokument des Ermittlungsgerichts listen die Ermittler unter der Rubrik „unterstellte Verbrechen“ zunächst Folgendes auf:

  • Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung IS (wörtlich: „integración en“, was man eventuell noch treffender mit „Einbindung in“ übersetzen kann)
  • Terrorverherrlichung und Indoktrination
  • Terrorfinanzierung

Dann heißt es etwas ausführlicher, es sei „als Ergebnis der bisherigen Aktionen bestätigt worden“, dass Hesham Shashaa (so Abu Adams bürgerlicher Name) eine Organisation mit Sitz in Alicante gegründet habe, die als „Zufluchtsort, Transitort oder Basis für Operationen oder logistische Versorgung“ für Rückkehrer des IS aus Syrien oder dem Irak dienen solle, welche gemäß den Richtlinien des IS das Ziel hätten, terroristische Anschläge in Spanien oder auf europäischen Boden zu verüben. Absicht dieser Organisation sei es wohl zudem, junge Muslime zu manipulieren, um sie später als Führer zu islamistische Gruppen „wie IS, Al-Kaida oder Dschabhat al-Nusra zu entsenden“.

Und weiter: Die Ermittlungen hätten ergeben, dass man Abu Adam „als eingebunden in die Struktur des IS“ betrachten könne – als ein Mitglied außerhalb der Konfliktgebiete, das in der Lage sei, muslimische Communitys in Europa zu erreichen.

Er habe zudem selbst gesagt, dass er für die Terrororganisationen „Al-Kaida, Injes und Najda arbeite“. (Ich habe keine Ahnung, wer oder was mit Najda und Injes gemeint sein könnten.) Und er soll zu Dschabhat al-Nusra gehören und die Gruppe unterstützen.

Es folgt der Vorwurf des Menschenhandels.

Außerdem verfüge Abu Adam über erhebliche finanzielle Mittel, die er einsetze, um „Bereiche des internationalen, islamistischen Terrorismus sowie diverse Ideen zu finanzieren, die die Anwendung von Gewalt rechtfertigen“.

Er habe in sozialen Medien extremistische Videos geteilt, um Terrorismus zu lehren und zu verherrlichen.

Es werden mehrere Kontakte zu mutmaßlichen IS-Mitgliedern aufgezählt.

Und schließlich habe Abu Adam sich verdächtig gemacht, weil er Habiba A. mitsamt ihrer Familie aus Rakka (damals noch Hauptstadt des IS in Syrien) nach Spanien verbracht habe.

Ich glaube, es ist am sinnvollsten, die Vorwürfe in zwei Gruppen zu teilen: solche, die offensichtlich schwerwiegend und recherchenwürdig sind; und andere, die eher Missverständnissen geschuldet sein dürften, nicht schlüssig sind oder angesichts der übrigen Verdächtigungen so wenig ins Gewicht fallen, dass es nicht lohnt, sie zeitraubend zu untersuchen.

Die folgenden Vorwürfe werde ich in kommenden Folgen einzeln durchgehen:

  • Kontakte zu mutmaßlichen IS-Mitgliedern und mutmaßliche Mitgliedschaft beim IS
  • Geldflüsse und angebliche Terrorfinanzierung
  • Terrorpropaganda und soziale Medien

Auf einige andere Vorwürfe werde ich keine eigenen Blogposts verwenden, weil  die Beweislage meiner Meinung nach dürftig ist. Diese werde ich an dieser Stelle kurz betrachten.

Da ist zum Beispiel der Vorwurf des Menschenhandels. Es geht dabei, wo weit ich sehen kann, um ein abgehörtes Telefonat aus dem Oktober 2016, in dem Abu Adam mit einem Mann namens Amar spricht und diesem empfiehlt, eine „junge, arme Frau marokkanischer Abstammung zu suchen“, sodass er der Familie lediglich 200 Euro zahlen müsse. Er selbst habe das so gehandhabt.

Abu Adams Ehefrau (die ich auf ihre Bitte hin nicht namentlich nenne) behauptet, dass es sich bei dem Gespräch um das Thema Mahr drehte, also das traditionelle Brautgeld, das bei einer islamischen Eheschließung in den Besitz der Ehefrau übergeht. Weil Frauen in Europa heutzutage oft sehr hohe Beträge verlangten, habe Abu Adam seinem Gesprächspartner vorgeschlagen, sich eine marokkanische Frau aus armer Familie zu suchen, die nicht mehr als 200 Euro verlangen würde. Solch einen Vorschlag würden die meisten Leser vermutlich nicht nachahmenswert finden (ich auch nicht); es erscheint mir aber plausibel, dass das Gespräch so gemeint war. Ob dass den  Tatbestand des Menschenhandels erfüllt (solange keine weiteren Verdachtsmomente hinzukommen), kann man anzweifeln.

Es erscheint mir auch etwas weit hergeholt, Abu Adam die Unterstützung von (beziehungsweise Mitgliedschaft bei) IS, Al-Kaida und Dschabhat al-Nusra zugleich vorzuwerfen. Die drei Terrorgruppen sind untereinander verfeindet. Zum Teil haben sie gegeneinander gekämpft oder tun das noch.

Sehen wir uns die Begründung der Ermittler an. Woher kommt der Vorwurf, Abu Adam „arbeite für Al-Kaida“? Auch er ergibt sich den Akten zufolge aus einem abgehörten Telefonat. Im Januar 2016 hat Abu Adam demnach zu einem Mann namens Saad gesagt:

„Ich habe einen Job, einen sehr sehr speziellen Job, der an vielen Orten stattfindet (…) Ich arbeite für („para“) Al-Kaida, Injes und Najda, arbeite daran („para“), sie zu beruhigen.“

Die Ermittler notieren dazu, dass sie den Begriff  „sie zu beruhigen“ (im spanischen Original „para tranquilizarlos“) folgendermaßen interpretieren: Aufgaben ausführen, die es ihnen ermöglichen, Ressourcen zu dem Zweck zu erhalten, ihre gegenwärtigen oder künftigen Aktivitäten weiterzuentwickeln (…) .“

Auch das finde ich nicht zwingend. Warum soll „beruhigen“ nicht einfach genau das bedeuten: beruhigen?

Und woher rührt der Vorwurf, Abu Adam habe eine Verbindung zu Dschabhat al-Nusra? Ausweislich der Akten gründet er auf einem Facebook-Kommentar Abu Adams aus dem Herbst 2015. Abu Adam hatte damals eine Meldung des arabischen Satellitensenders Al-Arabiya verlinkt und darüber einen Kommentar gesetzt. In der Meldung von Al-Arabiya ging es darum, dass syrische Oppositionskämpfer Waffen an die aus Al-Qaida hervorgegangene dschihadistische Gruppe Dschabhat al-Nusra abgegeben hätten.

 

Der Facebook-Kommentar, auf den sich die Ermittler stützen

 

Die spanischen Ermittler haben Abu Adams Kommentar aus dem Arabischen ins Spanische übersetzt. Die wörtliche Übersetzung aus dem Spanischen ins Deutsche lautet so:

„Nein … aussprechen und (die Welt) verändern … wir glauben … in Wahrheit verdienen wir, ‚Dschabhat al-Nusra‘, die Führer zu sein.“

Ich schrieb ja eingangs, dass ich nicht fließend Spanisch verstehe. Aber ich bin studierter Arabist. Und ich habe den Facebook-Kommentar von Abu Adam mit meinem Kollegen Mohamed Amjahid besprochen, der arabischer Muttersprachler ist. Wir finden beide, dass die Übersetzung aus dem Arabischen fehlerhaft ist. Richtig ist:

„Nein … ihr ändert eure Meinung … wir haben euch geglaubt … es stimmt, wir verdienen etwas Besseres (oder: mehr).“

Es erschließt sich zwar nicht, was Abu Adam gemeint hat, der Kommentar bleibt kryptisch. Aber das Wort Dschabhat al-Nusra taucht darin gar nicht auf. Es sind die spanischen Ermittler, die das „wir“ in dem Kommentar so interpretieren und den Namen der Gruppe ergänzt haben. Warum, das erklären sie nicht.

Ich plädiere dafür, den Verdacht, Abu Adam sei Mitglied von Al-Kaida und Dschabhat al-Nusra, einstweilen zur Seite zu legen: Die Belege der spanischen Ermittler sind mir zu dünn. (Ob Teile von Abu Adams Gedankenwelt sich mit den Ideologen solcher Gruppen überschneiden, ist eine andere Frage, auf die ich auch noch eingehen werden.)

Als nächstes werde ich mich am Mittwoch in der vierten Folge einem Verdacht zuwenden, für den es substanziellere Belege gibt: Abu Adams angebliche Kontakte zu IS-Mitgliedern.


Haben Sie Hinweise oder Informationen, die für diese Recherche hilfreich sein könnten? Schreiben Sie an yassin.musharbash@zeit.de