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Die aktuelle Lage im Irak (2)

Vorbemerkung: Dieser Text bildet den Stand von Freitag, dem 13. Juni, 15 Uhr ab. 

ISIS-FathNeue Eroberungen durch Isis

Am gestrigen Donnerstag hat die Dschihadisten-Gruppe Isis weitere Ortschaften eingenommen. Laut Al-Jazeera sind darunter sechs Dörfer nahe Baquba in der Provinz Diyala, die an den Bezirk der Hauptstadt Bagdad angrenzt. Laut BBC und Al Jazeera wurden außerdem die Orte Saadiya und Dschalaula eingenommen, ebenfalls in der Provinz Diyala gelegen. Damit ist Isis nachweislich zwischen 60 und 80 Kilometer vor Bagdad angekommen. Meldungen, dass Isis-Kämpfer über Nacht bis auf 30 Kilometer an Bagdad vorgerückt sind, sind unbestätigt.

Ansonsten sind wir jetzt in einem Stadium angekommen, wo die Berichte der Konfliktparteien sich überlagern und Unklarheiten verstärken. Ein Beispiel ist die Lage in der Stadt Tikrit. Sie wurde vorgestern offenbar von Isis eingenommen, fiel aber schon am Donnerstag zahlreichen Berichten zufolge wieder in die Hände der irakischen Regierung. Zugleich wird aber aktuell Propagandamaterial von Isis-Anhängern verbreitet, dass zum Beispiel zeigt, wie sie in Tikrit Gefangene abführen – Bilder, die also vermutlich entstanden, bevor Isis die Stadt wieder aufgab. Solche Überlagerungen werden künftig vermehrt auftreten.

Isis stellt Regeln auf

Am Donnerstag verbreitete die offizielle Isis-Pressestelle für die Provinz Ninive (Ja, so etwas gibt es) ein zweiseitiges Dokument, in dem die neuen Regeln verkündet werden, die für nunmehr unter Isis-Herrschaft lebende Iraker gelten. Das Dokument ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit authentisch, zum einen, weil es inhaltlich zu ähnlichen, früheren Proklamationen passt, zum anderen weil es über die Kanäle verbreitet wurde, die Isis nachweislich schon länger nutzt, zum dritten, weil Isis-Anhänger wie Isis-Gegner es für echt halten.

Die wichtigsten Punkte in Kürze:

  • Alle Muslime sollen fünf Mal am Tag zum Gebet in der Moschee erscheinen
  • Frauen sollen die Häuser nur in zwingenden Fällen verlassen
  • Wer erbeutetes Geld stiehlt, dem wird die Hand abgehackt
  • Versammlungen, die nicht von Isis einberufen wurden, sind verboten
  • Tabak, Alkohol und Zigaretten sind verboten
  • Regime-Angehörigen wird mitgeteilt, dass „der Weg der Reue unversperrt“ sei. Es würden demnächst Pläne vorgestellt, wie mit diesen Personen umzugehen sei.

Gefangene und Getötete

In den Gebieten, in denen Isis einmarschiert ist, gab es Tote und Gefangene. Ich habe gestern schon über Bildmaterial von offenkundigen Hinrichtungen geschrieben. Nun gibt es Videos, die wohl gestern oder vorgestern in Tikrit aufgenommen wurden. Sie zeigen Hunderte gefesselte Gefangene, die in einer langen Kolonne eine Straße entlanggeführt werden. Was genau das zu bedeuten hat, ist unklar. Mutmaßlich handelt es sich um irakische Regierungssoldaten. Isis-Anhänger behaupten, es gebe mittlerweile über 4.500 Gefangene. Diese Zahl lässt sich unmöglich verifizieren.

Wie mit den Gefangenen verfahren wird, davon gibt derweil womöglich ein Tweet eine Ahnung, der über mehrere Isis-nahe Twitter-Accounts verbreitet wurde. Demzufolge seien 1.700 festgenommene Soldaten begnadigt worden (es soll sich um Sunniten handeln), während 2.500 dieses Glück nicht hatten (angeblich waren sie Schiiten). Was mit den Letzteren geschah, ist nicht eindeutig. Einige Isis-nahe Aktivisten behaupten, sie seien exekutiert worden, aber das ist vollkommen unbestätigt. Um es ganz klar zu sagen: Die Bilder hingerichteter Soldaten, die ich bisher kenne, zeigen Einzelpersonen oder kleine Gruppen; so wenig ich Massenhinrichtungen ausschließe, so wenig Belege dafür oder Hinweise darauf jenseits unverifizierter Twitter-Meldungen habe ich bisher gefunden. Laut BBC haben die UN 17 Hinrichtungen von Zivilisten dokumentieren können.

Was kommt als Nächstes?

Ob die Isis-Kommandeure ihre Offensive mit derselben Geschwindigkeit weiterführen wollen, lässt sich im Moment (Stand Freitagvormittag) noch nicht eindeutig sagen. Laut Al Jazeera hat mindestens einer dieser Kommandeure angekündigt, man wolle Nadschaf und Kerbala angreifen – zwei den Schiiten sehr wichtige Städte, was deswegen auch ziemlich sicher zu schwersten Kämpfen führen würde. Andere Isis-Anhänger behaupten derweil, die Offensive auf Bagdad habe begonnen. Im Laufe des Tages wird die Lage vermutlich etwas klarer werden.

Der Iran hat unterdessen versichert, auf der Seite der irakischen Regierung zu stehen. Offiziell geht es nun um diplomatische Einflussmöglichkeiten. Derweil häufen sich (unbestätigte) Medienberichte, dass paramilitärische iranische Einheiten bereits im Irak eingetroffen seien.

Und sonst?

Es gibt ein interessantes Twitter-Posting eines Isis-Sympathisanten (vielleicht auch -Kämpfers?), der seiner Hoffnung Ausdruck verleiht, dass die Geiseln, die Isis genommen hat, unter anderem gegen „Abu Osama al-Almani“ ausgetauscht werden. Dabei dürfte es sich um Mohammed Mahmoud handeln, einen österreichischen Hassprediger, der sich seit Monaten in der Türkei in Haft befindet. Er war wohl auf dem Weg nach Syrien gewesen, um dort zu kämpfen. Mahmoud hat in Österreich zuvor schon eine Gefängnisstrafe wegen Terrorismus abgesessen, er ist einer der einflussreichsten deutschsprachigen Dschihadisten.

Eine letzte Bemerkung noch: Ich bin gestern gefragt worden, ob ich mehr Quellenangaben machen könnte. Wo das sich anbietet, will ich das gerne tun. Aber ich möchte an dieser Stelle nicht auf dschihadistische Internetseiten verlinken. Zum einen, weil das oft keinen Sinn macht, wenn diese Seiten passwortgeschützt sind. Zum zweiten, weil die fast alle arabischsprachig sind, der Mehrwert für die breite Leserschaft hielte sich also in engen Grenzen. Sehen Sie mir also nach, wenn ich darauf verzichte.

 

Die aktuelle Lage im Irak (1)

Dieses wird das erste von voraussichtlich einer ganzen Reihe ähnlicher Postings. Ich glaube nämlich, dass es sinnvoll ist, jeden Tag in Kürze zusammenzufassen, welche der sich überschlagenden Meldungen aus dem Irak bestätigt sind und welche nicht, welche vermutlich Gerüchte sind und welche eine Grundlage haben könnten. Von Yassin Musharbash

Was hat Isis in Mossul erbeutet?

Vor allem über Twitter verbreiten Dschihadisten Unmengen von Fotos angeblicher Beute aus der Übernahme der Stadt Mossul im Nordirak Anfang der Woche. Es ist schwer zu verifizieren, dass es sich bei den Absendern wirklich in jedem Fall um Teilnehmer an der Schlacht handelt, aber in diesem Fall lässt die schiere Menge an ähnlichen Bildern eine gezielte Desinformationskampagne unwahrscheinlich erscheinen. Ich gehe davon aus, dass zumindest das Folgende als gesichert gelten kann: Isis hat in Mossul eine größere Anzahl Militärfahrzeuge erbeutet, darunter auch Panzerfahrzeuge. Aktuelle Bilder zeigen, wie diese Fahrzeuge bewegt werden, die Dschihadisten behaupten: über die Grenze nach Syrien, um dort die Kampfanstrengungen von Isis zu unterstützen.

Immer wieder wird auf dschihadistischen Websites, aber auch in arabischsprachigen Online-Medien behauptet, Isis seien mehr als 400 Millionen US-Dollar in bar in die Hände gefallen. Es gibt ein Bild, das einen riesigen Stapel Bargeld zeigt und angeblich von der Einnahme Mossuls stammt. Aber das hat keine Beweiskraft. Tatsächlich gibt es für die Behauptung, es sei Geld in solchen Größenordnungen erbeutet worden, keinen Beleg. Es gibt angeblich eine Aussage eines irakischen Offiziellen, die das zu bestätigen scheint. Aber auch diese Aussage hat nicht die Kraft einer unabhängigen, überprüfbaren Bestätigung. Es bleibt daher einstweilen unklar, ob und wenn ja wie viel Geld Isis erbeutet hat.

Sicher ist hingegen, dass Isis in Mossul den zivilen und wohl auch einen militärischen Flughafen übernommen hat. Am Anfang wurde behauptet, dabei seien Black Hawk-Helikopter erbeutet worden. Dafür fehlt jeder Beweis. Zumal die irakische Armee (nach Aussage mehrerer Experten) über keine Black Hawks verfügt. Dschihadisten stellten aber zahlreiche Bilder von anderen Hubschraubern ins Netz. Gut möglich, dass das stimmt. Auf einer wichtigen dschihadistischen Website wurde am Donnerstagmorgen behauptet: „Wir bestätigen, dass die ersten Flugzeuge, die Isis übernommen hat, einen Testflug absolviert haben.“ Das riecht allerdings nach Propaganda. Es ist jedenfalls nicht bekannt, dass es überhaupt Piloten bei Isis gibt.

Wurden Gefangene freigelassen?

Ja. Es gibt Fotos, die freigelassene Gefangene in Mossul und an anderen Orten zeigen. Es handelt sich zumindest zum Teil offenbar um solche Gefangene, die unter Terrorverdacht standen oder wegen Terrors verurteilt wurden (was im Irak nicht immer dasselbe heißen muss wie in einem funktionierenden Rechtsstaat!). Nach Isis-Angaben sind es weit über 1.000 Gefangene, die freigelassen wurden. Das lässt sich nicht ohne Weiteres verifizieren. Aber die Angaben deuten daraufhin, dass ganze Gefängnisse geöffnet wurden. Es könnten also wirklich viele Freigelassene sein.

Wie hat die irakische Armee reagiert?

Ziemlich sicher stimmen die Berichte, nach denen die Armee zumindest in Mossul die Stadt mehr oder weniger kampflos den Dschihadisten übergeben hat. Es gibt Bilder, die ausgezogene Uniformen am Straßenrand zeigen, darüber hinaus Fotos aus übernommenen Polizei- und Armee-Checkpoints mit zurückgelassenen Dokumenten, die auf einen hastigen Rückzug deuten. Auch aus anderen Städten, vor allem Tikrit, wurde berichtet, dass die Regierungssoldaten sich zurückgezogen haben, statt zu kämpfen. Auch heute sollen wieder Soldaten desertiert sein.

Es gibt aber auch Bilder von durch Isis-Kämpfer getöteten und übel zugerichteten Regierungssoldaten, punktuell kam es also offenbar zu Kampfhandlungen – oder auch zu Morden, falls die Soldaten sich zuvor ergeben haben sollten. Die Kommentare der Dschihadisten lassen diese Möglichkeit offen, denn sie schreiben sehr deutlich darüber, dass die Soldaten aus Rache sterben mussten.

Dschihadisten behaupteten am Donnerstag, über 100 irakische Regierungssoldaten hätten sich Isis angeschlossen. Dafür fehlt aber jede unabhängige Bestätigung. Es könnte sich um Propaganda handeln.

Unbestätigt, aber nicht unwahrscheinlich sind Berichte, dass Isis am Donnerstagmittag mit einigen Kämpfern 90 Kilometer vor Bagdad stand. Am Tag zuvor waren sie in Tikrit, das 150 Kilometer von der Hauptstadt entfernt liegt. Mehrere Isis-Führer haben zudem angekündigt, es werde einen Sturm auf Bagdad geben. Aber taktisch scheint es ziemlich waghalsig, diesen Vorstoß jetzt schon zu wagen, denn Isis verfügt über nicht mehr als 10.000 Kämpfer, die mittlerweile über ein großes Gebiet verteilt sind. Um Bagdad einzunehmen, müssten sie sich zuvor wohl zusammenziehen.

Am Donnerstagmittag gab es zudem unbestätigte Medienberichte, denen zufolge die Stadt Tikrit wieder unter Regierungskontrolle steht. In der Umgebung von Samarra sei zudem die Luftwaffe gegen Isis eingesetzt worden.

Und sonst?

In der nordirakischen Stadt Kirkuk haben kurdische Sicherheitskräfte die Kontrolle über die irakische Armee übernommen; Hintergrund ist offenbar, dass sie sich bereit machen für den Fall, dass Isis die Offensive dorthin trägt. Quelle ist unter anderem die Nachrichtenagentur Reuters.

Iraker berichten über Twitter, dass Isis bislang Zivilisten verschont habe. Demgegenüber stehen allerdings Bilder und Videos, die zeigen, wie Isis-Kämpfer Menschen hinrichten. Die Dschihadisten behaupten natürlich, es handle sich dabei ausnahmslos um verurteilte Kollaborateure mit dem Regime in Bagdad (die Hinrichtungen wären trotzdem Kriegsverbrechen) oder um „Abtrünnige“ beziehungsweise „Schiiten“ (was ebenfalls Kriegsverbrechen darstellen würde).

Etwas unklar ist die Nachrichtenlage mit Blick auf die aktuellen Bemühungen der irakischen Regierung. Angeblich verhandelt sie mit schiitischen wie mit kurdischen Milizen darüber, gegen Isis zusammenzuarbeiten. Angeblich gab es aber auch eine heimliche Botschaft an Washington, dass man Luftschläge der US-Armee gegen Isis-Stellungen nicht verurteilen würde.

 

Wie gefährlich ist „Der Islamische Staat im Irak und Großsyrien“?

Seit 2006 behauptet die Terrorgruppe Islamischer Staat im Irak und Großsyrien (Isis), ein Staat zu sein. Seit Anfang der Woche, als Isis-Kämpfer weite Teile der nordirakischen Metropole Mosul einnahmen, ist die aus dem Al-Kaida-Netzwerk hervorgegangene Organisation diesem Ziel einen Schritt näher gekommen. Mosul ist eine Millionenstadt, sie ist das kommerzielle Zentrum des Iraks und die wichtigste Durchgangsstation auf dem Weg nach Syrien.

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Wollen Sie den Lauf der Welt beeinflussen? Bewerben Sie sich hier!

Ab und zu schaue ich auf die Webseiten der einschlägigen Geheimdienste dieser Welt, um zu schauen, in welchem Bereich diese gerade neues Personal suchen; das ist mitunter ganz aufschlussreich. Der britische Mi5 etwa, ein Inlandsgeheimdienst irgendwo zwischen dem deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und dem US-Ministerium für Heimatschutz, sucht derzeit Russisch-Experten, die Telefonate abhören und Dokumente übersetzen sollen („abgefangen mit Genehmigung“, steht extra dabei). Der Job ist frisch ausgeschrieben; ziemlich naheliegend daher, dass er mit der Ukraine-Krise in Verbindung steht.

Interessant ist auch, wie enthusiastisch britische und US-amerikanische Geheimdienste ihre Jobs anpreisen – vor allem im Gegensatz zu den extrem nüchternen deutschen Diensten.

Die CIA etwa, der US-Auslandsgeheimdienst, verspricht Bewerbern für den clandestine service, also den verdeckten (Außen-) Einsatz: „This is more than just a job – it’s a way of life…“. Dem Terrorismus und der Proliferation von Massenvernichtungswaffen auf der Spur, müsse man als Kandidat Eigenschaften mitbringen wie „physische und psychische Gesundheit, Energie, Intuition, street sense, und die Fähigkeit, mit Stress klarzukommen“. Außerdem sollte man mit „sich schnell entwickelnden, uneindeutigen und unstrukturierten Situationen“ fertig werden können.

Die US-Lauschbehörde NSA wirbt ebenfalls recht glamourös: „Fordere das Unbekannte heraus! Löse das Unmögliche! Und bei der NSA geht es auch noch darum, die Nation zu beschützen. Eine Karriere bei der NSA bietet dir die Gelegenheit, mit dem Besten zusammenzuarbeiten, den Lauf der Welt zu beeinflussen, und deine eigene Zukunft zu sichern. Ist es nicht an der Zeit, deine Intelligenz arbeiten zu lassen?“

Der britische Mi5 kleidet die Ausschreibung des Russisch-Jobs in regelrechte Spionage-Prosa: „Je tiefer Sie in eine Sprache eintauchen, desto mehr entdecken Sie. Eine Konversation beginnt mit Sport, dreht sich um die Ökonomie, landet bei der Politik. Und Sie sind nicht nur dabei, um zu übersetzen; und auch nicht, um zu interpretieren; Sie sind dabei, um eine Verständnistiefe beizusteuern, die uns in die Lage versetzt, die richtigen Entscheidungen zu treffen, um die nationale Sicherheit zu gewährleisten… In dieser Rolle werden Sie gefordert werden wie in keiner anderen; sie werden nicht nur ihr Russisch verfeinern, sondern noch andere Fähigkeiten erlernen, innerhalb eines unterstützenden Umfeldes, das zugleich freundlich und locker ist.“

Der deutsche Auslandsnachrichtendienst BND sucht derweil „Freiberufliche Mitarbeiter/innen mit hervorragenden Sprachfertigkeiten für die Sprachen des Maghreb, der Levante, der Sahelzone und Somali sowie für die Sprachen und Dialekte aus dem kaukasischen Raum auf Honorarbasis.“ Die Jobbeschreibung:
Aufgabenschwerpunkte – Übersetzen und Verschriften von fremdsprachlichen Sachverhalten in die deutsche Sprache.“ Dazu noch eine Ermahnung: „Bitte behandeln Sie die Bewerbung diskret.“ Das war’s auch schon.

Das BfV sucht aktuell „IT-affine Sachbearbeiter/innen“; die Ausschreibung klingt so: „Als Sachbearbeiter/in im Bereich „Zentrale Fachunterstützung“ erbringen Sie vielfältige Dienstleistungen für alle Fachaufgaben und -bereiche. Das Aufgabenspektrum erstreckt sich auf die Bearbeitung und Auswertung gesammelter Informationen, die Dokumentation von Arbeitsergebnissen sowie die Fertigung von Stellungnahmen und Berichten. Das Arbeitsumfeld ist geprägt durch abwechslungsreiche Tätigkeiten in leistungsstarken und motivierten Teams. Ständig neue Herausforderungen werden durch eine offene Kommunikationskultur, in Eigenverantwortung und Teamarbeit bewältigt.“

Da sieht man die Resopal-Schreibtische gewissermaßen vor sich. War das jetzt gemein? Ich meine nicht. Lieber solche Nachrichtendienste als CIA und NSA. (Und noch lieber welche, die von engagierteren Parlamentariern noch besser kontrolliert werden.)

 

Berliner Ex-Rapper in Syrien leistet Terrorgruppe den Treue-Eid

Er ist nicht der erste deutsche Dschihadist, der sich in Syrien der Terrorgruppe Islamischer Staat in Irak und Großsyrien (ISIS) angeschlossen hat – aber der bekannteste, und deshalb wichtigste: Dennis Cuspert, früher einmal als Rapper Deso Dogg (ein bisschen) berühmt, seit seiner dschihadistischen Selbstfindung als Abu Talha al-Almani fungierend.

Am Freitagabend veröffentlichte er ein sechs Minuten langes Video im Internet, in dem er dem ISIS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi, einem Iraker, die Baia’a, den offiziellen Treueid schwört. „Ich gebe meine Bai’a an den Amir Al-Muminin (Anführer der Gläubigen, YM), um ein Zeichen zu setzen, dass wir auf dem geraden Weg sind. Ich denke, es ist für mich eine Bereicherung.“

Cuspert hält sich seit Monaten in Syrien auf, im vergangenen Jahr wurde er dort schwer verwundet, ist seitdem aber offenbar wieder genesen. Von Beginn an publizierte er Bilder, Statements und kurze Videos aus dem Bürgerkriegsland, die an seiner dschihadistischen Gesinnung keinen Zweifel ließen; trotzdem war lange unklar, welcher Organisation er sich angehörig fühlt. Diese Frage ist jetzt geklärt – Abu Talha hat sich, wie zu erwarten, für die denkbar brutalste Variante entschieden, für die Schächtet, Terroristen und Kriegsverbrecher des aus der Al-Kaida-Filiale im Irak hervorgegangenen ISIS.

Das ist aus mehreren Gründen relevant. Zum einen, weil ISIS ideologisch und in der Praxis die extremste Gruppe in Syrien ist. Wo sie Einfluss haben, richten ihre Kämpfer Menschen für lächerlichste Vergehen hin, hacken angeblichen Dieben die Hände ab und zwingen Frauen unter die Vollverschleierung. Auch ihre Ziele liegen weit jenseits einer besseren oder auch nur alternativen Zukunft für die Bürger Syriens. Abu Talha selbst macht das in dem Video klar, wenn er sagt, dass er und seine Genossen den Kampf „so Gott es will“ nach Al-Kuds, also nach Jerusalem tragen werden. ISIS ist internationalistisch ausgerichtet, Syrien ist für die Kämpfer nur eine Etappe.

Zugleich ist ISIS freilich aus dem Al-Kaida-Universum ausgeschert, es gab Anfang dieses Jahres ein nicht wieder zu kittendes Zerwürfnis zwischen der ISIS-Führung, die sich selbst zu Beginn noch als Teil des Al-Kaida-Netzwerks verstand, und Aiman Al-Sawahiri, dem Al-Kaida-Chef. Seitdem kracht es immer wieder zwischen ISIS-Kämpfern und Verbänden anderer islamistischer und/oder dschihadistischer Gruppen in Syrien – zum Beispiel der Dschabhat al-Nusra, einer zweiten Gruppe, die aus dem Al-Kaida-Nexus hervorging und deutlich stärker auf Syrien konzentriert ist als ISIS und (etwas) moderater auftritt.

Abu Talha behauptet derweil, für ihn sei mit dem Treue-Eid ein „Traum wahr geworden“, er werde kämpfen, bis dereinst eine Rakete oder Kugel ihn töten werde.

Es ist davon auszugehen, dass er nicht der einzige aus Deutschland eingereiste Dschihadist ist, der beim ISIS gelandet ist. Der Verfassungsschutz geht mittlerweile von über 320 Syrien-Reisenden aus Deutschland aus; wie viele von ihnen tatsächlich an Kampfhandlungen teilnehmen, ist ungewiss, aber einige dürften es schon sein. Zuletzt verdichteten sich die Hinweise, dass die Kämpfer aus Deutschland in mehreren Gruppen organisiert sind; auch Abu Talha wird also wohl kaum ganz alleine sein.

In dem Video behauptet er, er befinde sich in Raqqa, einem Ort zwischen Aleppo und Deir ez-Zor, der als ein wichtiges ISIS-Zentrum gilt. Überprüfen lässt sich das nicht ohne Weiteres – genau so wie in dem Video auch unklar bleibt, ob ein ISIS-Repräsentant den Treue-Eid offiziell akzeptiert. Normalerweise geht das entsprechende Ritual mit einer Berührung der Hände zwischen Eid-Geber und -Empfänger einher. Abu Talha legt seine Hand in die Hand eines zweiten Mannes, dieser wird aber nicht gezeigt. Authentisch ist das Video wohl trotzdem – zumindest in dem Sinne, dass es wirklich Dennis Cuspert zeigt und seine Ansichten widerspiegelt.

Ob der Treue-Eid Auswirkungen haben wird, die über die Bürgerkriegssituation in Syrien hinausweisen, wird sich zeigen; Sicherheitsbehörden sind besorgt, dass heimkehrende Kämpfer aus Deutschland hierzulande Anschläge verüben könnten. Bislang hat ISIS nicht zu Anschlägen in Europa aufgerufen. Das könnte sich natürlich ändern; und Cusperts Eid würde ihn dann zu unbedingtem Gehorsam verpflichten.

PS: Ich beschreibe hier einen Sechs-Minuten-Auszug aus einem anscheinend insgesamt längeren Video.

 

„Erscheine fett!“

Al-Kaidas Filiale auf der Arabischen Halbinsel, im Jargon der Nachrichtendienste und Terroeforscher „AQAP“ genannt, hat in der vergangenen Nacht die mittlerweile 12. Ausgabe ihres englischsprachigen Online-Magazins „Inspire“ veröffentlicht. Das sorgt immer für ein bisschen Aufregung, denn „Inspire“ wird in der internationalen Szene der Kaida-Sympathisanten aufmerksam rezepiert. In einer ganzen Reihe von Terrorverfahren in den USA, Großbritannien und auch Deutschland ist in den letzten Jahren herausgekommen, dass die jeweiligen Verdächtigen „Inspire“ gelesen hatten; in einigen Fällen wurden auch Bomben nach Rezepten aus dem Magazin hergestellt.

„Inspire“ inspiriert also tatsächlich. Das rechtfertigt einen Blick in die aktuelle Ausgabe.

Der größte Teil der 37 Seiten besteht aus dem üblichen, eher langweiligen Material: Umständliche Ideologie-Traktate von lebenden und verstorbenen Kaida-Größen; darin steht wenig, was nicht anderswo und in ähnlichen Worten schon zu lesen stand.

Eindeutig relevanter sind hingegen die hinteren Seiten. Ein Autor, der sich „AQ Chef“ nennt und schon aus früheren Ausgaben bekannt ist, erklärt ausführlich, wie man eine Autobombe herstellen kann. „Es ist absolut simpel“, schreibt er, „dieses Rezept gibt dir die Möglichkeit, eine Autobombe selbst in einem Land mit dichtmaschiger Überwachung zu machen. Der Grund dafür ist: Die primären Zutaten sind einfach zu bekommen und sind unverdächtig.“ Auf der mitgelieferten Zutatenliste stehen Dinge wie Draht, ein Barometer, Kochgas. Ich bin kein Bombenbauer und verstehe auch wenig vom Bombenbau, deshalb kann ich nicht beurteilen, wie präzise die Anleitung ist und ob dabei eine funktionsfähige Bombe herauskommt. Aber die „Inspire“-Anleitungen der Vergangenheit waren gut genug, um die Sprengsätze explodieren zu lassen.

Auf die Anleitung selbst folgen dann zwei Seiten mit Vorschlägen für deren Einsatz – „Inspire“ hat seit jeher den Ansatz, möglichst praxisbezogen zu sein, da verwundert das nicht weiter. Schon früher hat das Blatt zum Beispiel Vorschläge für gezielte Ermordungen geliefert.

Etwas absurd ist die dann folgende Liste allerdings schon. Als sinnvolles Zeil, weil man quasi automatisch wichtiges US-Personal treffen würde, werden Restaurants in Arlington und Alexandria (wo es in der näheren Umgebung Geheimdienst-Einrichtungen gibt) sowie Bars in der M Street in Washington, DC genannt. Außerdem: „Tennis-Stadien“, zum Beispiel während der US Open.

Für die USA schlägt „Inspire“ vor, Pferderennen (in Anwesenheit der Queen!) anzugreifen. Und das Savoy-Hotel „gegen zehn Uhr abends“, wenn Geschäftskeute und hochrangige Ziele sich dort versammelten: „Ein perfekter Ort für deine Autobombe“.

Auch Frankreich steht im Fokus: Der Louvre, die Urlauber in der Dordogne (Briten und Franzosen gleichzeitig!) sowie die Militärparade am 14. Juli werden genannt. Deutschland taucht nicht auf.

Wie ist das alles zu werten?

Sagen wir so: Das Benennen von Terroranschlagszielen dient natürlich zuvorderst der Verunsicherung. Al-Kaida denkt hier außerdem um die Ecke: Verunsicherung bedeutet zum Beispiel unter Umständen versträkte Schutzmaßnahmen, was wiederum Kosten verursacht, was wiederum die westlichen Volkswirtschaften in Mitleidenschaft zieht. Diese Argumentation kennen wir auch aus anderen Kaida-Anleitungen: Alles, was dem Feind Kosten verursacht, ist schon mal gut.

Andererseits weiß Al-Kaida und wissen die „Inspire“-Macher, dass Drohungen, aus denen nie etwas wird, irgendwann ihren Schrecken verlieren. Deswegen lautet ihr Kalkül, dass sich schon der eine oder andere finden wird, der etwas davon umzusetzen versucht. „Inspire“ ist in dieser Hinsicht auch sehr deutlich und ruft die Leser auf, selbst tätig zu werden, auch ohne vorher Verbindung aufzunehmen: Du musst kein Mitglied sein!

Tatsächlich hat es in den vergangenen Jahren mehrere erfolgte und versuchte Anschläge gegeben, bei denen es genau so ablief, auch wenn nicht immer klar ist, dass die Attentäter dabei „Inspire“ im Hinterkopf hatten: Zwei Männer töteten in London auf offener Straße einen britischen Soldaten. Zwei Brüder zündeten Sprengsätze beim Boston-Marathon. Vier deutsche Islamisten werden verdächtigt, Pro-NRW-Politiker getötet haben zu wollen.

Die Liste der gewünschten Ziele bedeutet also nicht, dass entsprechende Anschläge bereits in der Planung sind. AQAP lässt seine Sympathisanten lediglich wissen, welche Art von Anschlägen das Terrornetzwerk für wünschenswert erachtet – und liefert neben Motivation die technische und operative Anleitung (Verkleide dich! Erscheine fett!) gleich mit. „Terror by remote control“ nennen das einige Forscher, „Terror durch Fernsteuerung“. Wobei „Steuerung“ nicht das ganz treffende Wort ist, es geht ja eben nicht darum, eine Zelle zu steuern, sondern sie zu „inspirieren“. Der Rest ist dann ihr selbst überlassen.

Diese Vorgehensweise Al-Kaidas ist natürlich eher ein Zeichen der eigenen (operativen) Schwäche als der Stärke. Aber aus Sicht der Terroristen funktioniert das neue Rezept ganz gut. Auch die Al-Kaida-Zentrale in Pakistan hat bereits in Videos zum „individuellen Dschihad“ auf der Grundlage der Selbstrekrutierung aufgerufen.

„Inspire“ wird auch dieses Mal zahlreiche Leser finden, auch diese Ausgabe wird in Zukunft bei Terrorverdächtigen auf dem Rechner gefunden werden, das ist schon jetzt so gut wie sicher.

 

Und welcher Dschihad ist jetzt der richtige?

Der Bruderkrieg, der zwischen den in Syrien aktiven Dschihadisten-Gruppen tobt, verunsichert zusehends auch die aus dem Westen in das Land gereisten Kämpfer. Sollen sie sich der vom Irak aus geführten Gruppe „Islamischer Staat im Irak und Großsyrien“ (Isis) anschließen, die mittlerweile ihre Bande zur Al-Kaida-Zentrale mehr oder weniger gekappt hat? Oder sind die Kämpfer von Dschabhat al-Nusra (JN), der „Unterstützerfront“, einer syrisch dominierten Dschihadisten-Gruppe auf der richtigen Seite?

Die Verwirrung kommt nicht zuletzt daher, dass sowohl Isis als auch JN aus dem Al-Kaida-Universum stammen – seit Monaten aber bereits vor allem gegeneinander kämpfen. Schlichtungsversuche der Al-Kaida-Zentrale verfingen nicht, Befehle von dort wurden von Isis ignoriert. Der Streit entzündete sich zunächst an der Frage, wer die wahre Al-Kaida-Vertretung in Syrien sei, später dann an ideologischen Fragen – so wirft JN dem Isis vor, keine eigentlich syrische Agenda zu haben, sondern das Land bloß als eine Art Startbahn für eine internationale Tagesordnung zu nutzen.

Für akademische Experten und Geheimdienstanalysten ist es schwer genug, da den Überblick zu behalten. Den Kämpfern vor Ort geht es teilweise aber nicht anders. Kürzlich schrieb ein wohl aus England stammender Gotteskrieger im Dienste des Isis: „JN in Rakka hat uns beschossen, JN in Badia schenkte uns ein Auto mit Maschinengewehr. Verwirrend? Aber hallo!“

„Viele Geschwister sind verunsichert“

Nun zeigt sich die Spaltung des dschihadistischen Lagers auch in Meldungen deutscher Freiwilliger in Syrien. „Viele Geschwister sind verunsichert und wissen nicht, wem sie glauben sollen, da selbst viele Gelehrte gegen Dawla (Isis, YM) reden. Ich gebe euch eine Nasiha (einen Rat, YM), die ein Schari‘ (Rechtsgelehrter, YM) von Dawla sagte als Nasiha an Brüder, die noch keine Bai’a (Treue-Eid, YM) gegeben haben und nicht wussten, mit wem sie kämpfen sollen: ‚Schaut welche Brüder von den Kuffar (Ungläubigen, YM) … am meisten bekämpft wird. Der folgt ihr.'“ Danach hätten alle dem Isis die Treue geschworen.

Interessant, diese Betonung auf die Bai’a. Aber tatsächlich gilt der Treue-Eid, einmal geleistet, in der dschihadistischen Ideologie als nahezu unlösbar; er verpflichtet außerdem zum Gehorsam. Den „Brüdern“, welche die Bai’a schon geleistet hatten, stand also keine Wahl mehr offen …

Am Donnerstag dann verbreitete eine Propaganda-Seite des Isis ein interessantes Video eines deutschen Kämpfers. Der junge Mann nennt sich Abu Mudschahid al-Muhadschir, seinen Dialekt würde ich für rheinisch gefärbt halten. Er erklärt in dem Acht-Minuten-Film, dass er ausgewandert sei, weil er fand, dass man als Muslim in Deutschland nicht leben könne – ein bekannter Topos. In Syrien habe er sich dann JN angeschlossen, weil er einen weiteren Deutschen getroffen habe, der dort Mitglied war. „Ich habe gedacht, Al-Kaida, das ist schon der richtige Manhadsch (Methodologie, YM).“

Viel „Unfug“ und „Unislamisches“

Aber nach einigen Monaten habe er gemerkt, bei JN werde „viel Unfug geredet“ und „Unislamisches“ praktiziert. Vor allem über den Isis sei viel „gelogen“ worden. Als er aufgefordert wurde, gegen Isis-Kämpfer zu kämpfen, habe er sich geweigert. Danach habe man ihn nicht mehr informiert, ihn isoliert. Er habe sich nicht mehr wohl gefühlt. Seine folgenden Recherchen über Isis hätten ihn dann dazu bewegt, dort anzuheuern. Er sei nun „ein stolzes Mitglied“ dort und habe Abu Bakr al-Baghdadi, dem Isis-Chef, seine Treue geschworen.

Insgesamt halten sich vermutlich mehr als 300 aus Deutschland stammende Islamisten in Syrien auf. Wie viele wirklich kämpfen, ist nicht bekannt, aber ihre Anzahl steigt augenscheinlich. Wer sich durch dschihadistische Internetseiten pflügt, findet auch immer mehr, die sich offen zum Isis bekennen – der denkbar brutalsten und ideologisch kompromisslosesten Gruppe im syrischen Bürgerkrieg, die nicht nur terroristische Methoden einsetzt, sondern auch Zivilisten zum Tode verurteilt, wenn sie sich vermeintlich unislamisch verhalten, Kinder eingeschlossen.

Wie stark Isis im Verhältnis zu den anderen Gruppen ist, die sich mit JN zusammengeschlossen haben, lässt sich nur schwer sagen, es ist je nach Region ganz unterschiedlich, aber ändert sich auch ständig. Wochenlang sah es danach aus, als werde der Isis an den Rand gedrängt; zuletzt schienen die Terroristen wieder etwas an Boden zu gewinnen.

Den Syrern kann es egal sein

Für Al-Kaidas Zentrale ist all das natürlich ein Debakel – erst sah es aus, als könne die Organisation aus dem syrischen Blutbad Profit ziehen, jetzt ist sie de facto gespalten. Vom Kampf gegen das syrische Regime wurde zwar immer noch viel geredet bei JN und Isis – aber ein guter Teil der Zeit und Ressourcen werden in den Bruderkampf gesteckt.

Den Syrern hilft all das aber noch viel weniger – nämlich schlicht und ergreifend gar nicht.

 

Georeferentielle Daten

In der vergangenen Woche habe ich hier über den Fall Patrick N. geschrieben – ein deutscher Islamist, der offenbar bereits im Februar 2012 durch eine US-Drohne in der pakistanischen Unruheprovinz Waziristan getötet wurde, wo er sich der „Islamischen Bewegung Usbekistans“ (IBU) angeschlossen hatte. Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans Christian Ströbele hat nun eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage erhalten, die er am 16. Januar zu dem Tod des Offenbachers gestellt hatte. Ströbele wollte wissen, ob Patrick N. V-Mann der Sicherheitsbehörden war – ein Gedanke, auf den man kommen konnte, wenn man die „Märtyrer“-Rede der IBU über Patrick N. gehört hatte. Und er fragte, ob die Bundesregierung ausschließen könne, dass deutsche Stellen „zuvor an US-Stellen Handy-Daten bezüglich des Opfers“ übermittelt hatten. Die zweite Frage zielte darauf ab, ob deutsche Behörden möglicherweise geholfen haben, bewusst oder unbewusst, Patrick N. zu orten.

Die Antwort der Bundesregierung ist heute bei Ströbele eingegangen. Patrick N., heißt es darin, „wurde durch die Bundessicherheitsbehörden nicht als Vertrauensperson beziehungsweise V-Mann geführt“. Hier gibt es sechs Buchstaben, auf die es besonders ankommt: BUNDES-Sicherheitsbehörden. Denn so ist technisch gesehen lediglich dementiert, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz oder das Bundeskriminalamt N. als Informanten führen. Es bleiben theoretisch noch die entsprechenden Landesbehörden oder sogar eine untergeordnete Polizeibehörde übrig. Für die, das muss man hinzufügen, kann das Bundesministerium des Innern wiederum nur bedingt sprechen.

Die zweite Auskunft lautet so: „Ein Informationsaustausch mit ausländischen Dienststellen hat im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenwahrnehmung und den hierfür vorgesehenen Übermittlungsbestimmungen stattgefunden. Georeferentielle Daten wurden auch in diesem Sachverhalt nicht übermittelt.“

Ich interpretiere das so, dass die Bundesbehörden durchaus mit US-Beamten, vielleicht auch mit pakistanischen Stellen, über Patrick N. kommuniziert haben. Allerdings „im Rahmen“ der „vorgesehenen Übermittlungsbestimmungen“. Ich bin nicht ganz sicher, was das bedeuten soll, vermute jedoch, dass darunter zum Beispiel „Beipackzettel“ gehören wie jener, den der Bundesnachrichtendienst (BND) anscheinend manchmal an übermittelte Informationen anhängt – und demzufolge die Informationen nicht widerrechtlich verwendet werden dürfen. Damit versucht der BND, sicherzustellen, dass seine Informationen nicht für extralegale Tötungen oder Ähnliches genutzt werden. Unklar bleibt, was es bedeuten soll, dass „georeferentielle Daten“ nicht übermittelt wurden. Klar, Koordinaten wären gewiss „georeferentielle Daten“. Aber was ist mit Handy-Daten? Nach denen hatte Ströbele ja gefragt.

Die Sicherheitsbehörden haben früher schon einmal erklärt, dass Handydaten ihrer Ansicht nach nicht geeignet sind, jemanden ausreichend genau für eine Drohnen-Zielerfassung zu lokalisieren. Das ist für Außenstehende freilich schwer zu überprüfen, vielleicht sogar für den BND selbst. Wer weiß schon, was die NSA alles kann?

Ströbele findet die Antwort, die er heute bekam, jedenfalls unzureichend: „Es bleibt nach dieser Antwort der Verdacht, dass Bundessicherheitsbehörden auch Handy- oder andere persönliche Daten des Getöteten übermittelten, die zur Ermittlung von dessen Aufenthalt entscheidend beitragen konnten. Dadurch müssen deutsche Behörden auch eine Verantwortung für den tödlichen Drohnen-Einsatz übernehmen.“

Wenn Ströbele als Ableitung aus einem Verdacht die Übernahme von Verantwortung fordert, ist das natürlich auch Politik.

Aber geklärt ist der Fall Patrick N. noch nicht. Es bleiben offene Fragen.

 

Wie Al-Kaida einen Protostaat in Syrien errichtet

Heute ist es genau 2.600 Tage her, dass das Terrornetzwerk Al-Kaida im Oktober 2006 im Irak einen Staat ausrief. Das weiß ich deshalb so genau, weil Al-Kaida diese Tage in einem Zähler auf einem der wichtigsten dschihadistischen Internetforen anzeigt.

Einen Staat ausrufen – das klang 2006 im Irak lächerlich und war es auch, und dass die Dschihadisten seinerzeit eine Kabinettsliste inklusive Fischereiminister veröffentlichten, änderte an diesem Eindruck nichts. Aber bedeutsam war der Schritt trotzdem.

Zum einen spiegelte er das universelle Verlangen von Dschihadisten wider, nach Möglichkeit staatsähnliche Gebilde auszurufen. Das hat ideologische Gründe, denn Dschihadisten sind der Ansicht, dass es verboten ist, selbst nominell, Untertan oder Bürger eines „gottlosen“ oder „ungläubigen“ Herrschers zu sein. Da sind dann Staatsgründungen die einzige Abhilfe. Zum anderen zeigte die Ausrufung aber auch, dass es Al-Kaida eben nicht ausschließlich um Terroranschläge ging, sondern auch um Herrschaftsausübung und Gebietskontrolle.

Im Irak ist das nie wirksam gelungen. In Syrien aber sieht die Lage anders aus. Hier steht den Al-Kaida-Kämpfern nicht die US-Armee gegenüber, sondern die Truppen von Baschar al-Assad, die nicht nur weniger effektiv sind, sondern vor allem einige Teile des Landes de facto aufgegeben haben. Und es ist deshalb kein Zufall, dass die irakische Kaida-Filiale, die sich seit jener Staatsausrufung im Irak 2006 Islamischer Staat im Irak nannte, sich mittlerweile Islamischer Staat im Irak und Großsyrien (Isis) nennt – und das Staatsprojekt auf Syrien ausgedehnt hat.

Am Wochenende veröffentlichte Isis ein Video, das veranschaulicht, wie man sich das vorzustellen hat. In dem 15 Minuten langen Film aus al-Dana nahe der Stadt Idlib haben die Dschihadisten einen sogenannten Islamischen Gerichtshof etabliert: Ein bestehendes Regierungsgebäude wurde umgewidmet, schon draußen wird vor den Strafen für „Beleidigung des Propheten“ gewarnt. Drinnen sitzen langbärtige Dschihadisten und loben die „Ordnung und Ruhe“, die das Gericht geschaffen habe. „Keine Gesetze, keine Verfassung“, erklärt einer das Prinzip. Es gelte nur, „was Gott gesagt hat und was der Prophet gesagt hat“.

Seit Monaten richten Isis und andere Dschihadisten in Syrien solche Gerichte ein, es häufen sich Berichte von verhängten Todesstrafen und Amputationen. Frauen und Mädchen werden gezwungen, sich komplett zu verschleiern, vormals in Syrien ein nahezu unbekannter Anblick. In den Schulen werden die Curricula auf Religion umgestellt. Sogar Nummernschilder gibt Isis Bildern zufolge heraus.

Wie ernst man das alles nehmen muss, lässt sich noch nicht abschließend sagen. Beunruhigend aber ist es in jedem Fall – zumal Isis-Kämpfer und deren Verbündete nach wie vor Städte und Dörfer einnehmen. Zuletzt, so berichtete die türkische Zeitung Hürriyet, die Grenzstadt Atimah. CNN zufolge droht diese Eroberung der Freien Syrischen Armee, der einzigen wenigstens teilweise säkularen und moderaten Miliz von Bedeutung, die Nachschubrouten abzuschneiden.

Isis operiert dabei – das muss man ergänzen – unter dem Oberbefehl des irakischen Al-Kaida-Chefs Al-Baghdadi, der wiederum seit Monaten den Befehlen des Kaida-Gesamtchefs Aiman al-Sawahiri zuwiderhandelt, indem er die Operationen in Syrien nicht einstellt. Warum nicht? Weil er es nicht braucht. Er ist unabhängig genug, sein eigenes Projekt durchzuziehen. Dabei stört ihn auch nicht, dass in Syrien mit Dschabhat al-Nusra eine zweite Kaida-Gruppe mit dem Segen al-Sawahiris aktiv ist. Vor Ort wird ohnehin gelegentlich kooperiert und Kämpfer wechseln immer mal wieder zwischen beiden Gruppen.

Es gehört zu den bitteren Erkenntnissen des syrischen Bürgerkrieges, dass die Vertreibung der Regierungstruppen nicht immer synonym ist mit einer Befreiung der Menschen, die dort leben. Jedenfalls nicht nach westlichen oder demokratischen oder rechtsstaatlichen Maßstäben. Es mag Orte geben, an denen Bürger die Verwaltung selbst an sich ziehen. Aber es gibt eben mittlerweile eine ganze Reihe von Ortschaften, in denen Dschihadisten regieren, und zwar allein nach ihren Vorstellungen.

Dies wirft ein erneutes Schlaglicht auf ein Problem, welches auch nur zu diskutieren der Internationalen Gemeinschaft derzeit der Mut fehlt: Wer soll eigentlich gegen die Dschihadisten in Syrien vorgehen? Wer soll verhindern, dass sie sich auf eine Art und Weise festsetzen und konsolidieren, dass keine einheimische Kraft auf absehbare Zeit in der Lage ist, sie herauszufordern?

 

Plötzlich ein Terrorverdächtiger

Weil ein Bonner Konvertit sich den Al-Shabaab-Milizen in Somalia angeschlossen hat, haben deutsche Medien suggeriert, er könne mit dem Anschlag von Nairobi zu tun gehabt haben. Das ist gedankenlos.

Die Geschichte von Andreas Ahmad Khaled M. aus Bonn ist keine einfache Geschichte, ich verfolge den Fall seit Jahren. Die für diesen Text relevante Zusammenfassung geht so: Auf der Suche nach einem „gottgefälligen Leben“, wie er es nennt, ist M. im Sommer 2011 mit seiner Ehefrau und der gemeinsamen Tochter nach Somalia ausgewandert, wo er sich, nach allem, was man wissen kann, den Al-Shabaab-Milizen angeschlossen hat. In den Jahren zuvor hatte das Paar sich radikalisiert, beide sind überzeugte Islamisten. Trotzdem meldet M. sich bis heute in unregelmäßigen Abständen bei seiner Familie im Rheinland. Für die Eltern ist das alles eine Tragödie; im vergangenen Jahr haben sie der ZEIT ihre Geschichte erzählt.

Was man noch wissen muss, das ist: Bis heute gibt es keinen Beleg dafür, dass M. je zu einer Waffe gegriffen hat. Das bestreitet M. auch selbst – auch wenn ein Al-Shabaab-Sprecher im Mai 2012 dem stern erzählte, M. sei zum Zwecke der miitärischen Ausbildung nach Somalia gekommen. Anders als im Falle anderer deutscher Islamisten, die in Krisengebiete ausgewandert sind und bei oder im Umfeld von militanten und/oder terroristischen Gruppen leben, gibt es von M. keine Ansprachen und keine Videos, in denen er mit Terror droht oder zu Gewalt aufruft. Niemand, die deutschen Sicherheitsbehörden eingeschlossen, weiß genau, wo in Somalia er sich aufhält, und womit er seine Tage verbringt. Es ist unklar, ob er sich im Zentrum der Al-Shabaab-Bewegung, an ihrer Peripherie oder an einer Front befindet.

Im Mai 2012 gab es schon einmal Aufregung um M.: In Kenia hatte ein Terroranschlag stattgefunden, und plötzlich tauchte sein Name in der kenianischen Presse auf – er werde gesucht, hieß es. Auch in Deutschland wurde berichtet. Ganz klar aber ist bis heute nicht, ob es vielleicht eine Verwechslung gab. Zumindest zeitweise verbreiteten die Behörden in Kenia augenscheinlich ein Bild zu seinem Namen, das nicht ihn zeigte. Es ist nicht einfach, solche Dinge von hier aus aufzuklären. Es fand sich aber bislang kein Beleg dafür, dass M. in Kenia war.

Als nun die Al-Shabaab-Milizen erneut in Kenia zuschlugen und im Shopping Center Westgate dutzende Menschen als Geiseln nahmen und töteten, erinnerten verschiedene Medien daran, dass es bei den Al-Shabaab auch Kämpfer gibt, die aus westlichen Staaten nach Somalia gereist sind, um sich ihnen anzuschließen. Das ist nichts Neues. Schon vor Jahren haben somalisch-stämmige Amerikaner im Namen der Al-Shabaab Selbstmordattentate ausgeführt. Im konkreten Fall gab es zudem die Vermutung, dass aus Großbritannien und den USA eingereiste Al-Shabaab-Kämpfer beteiligt gewesen sein könnten.

In diesem Zusammenhang interviewte die Presseagentur dpa den Berliner Terrorexperten Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. In dem Interview erwähnte Steinberg den Fall M.: Dieser solle ein Al-Shabaab-Kämpfer sein. dpa gab eine Meldung heraus, in der daraus ein Indikativ wurde: M. ist ein Al-Shabaab-Kämpfer, wurde Steinberg zitiert. Später korrigierte dpa das und bat um Verwendung der „Soll-Sein“-Form. Da hatten es etliche Medien schon als Tatsache verbreitet.

Am Mittwoch griff dann die Tagesschau den Fall M. auf – in einem Bericht über Al-Shabaab, der unmittelbar auf einen Beitrag über den Anschlag von Nairobi folgte. Darin hieß es: „Seit dem Einmarsch kenianischer Truppen in Südsomalia hat Al-Shabaab einen neuen Feind. Im Kampf gegen ihn können sich die Islamisten auch auf ausländische Helfer stützen. Steckbrieflich gesucht werden unter anderem eine 29-jährige Britin und ein deutscher Konvertit namens Andreas Khaled M. (Abkürzung des Nachnamens durch ZEIT ONLINE), nach dem Kenias Polizei fahndet.“

Diese sehr knappe Darstellung ließ aus, dass der kenianische Fahndungsaufruf nicht aktuell bedingt ist (falls er überhaupt noch gilt, was ich nicht weiß). Und sie ließ aus, dass unklar ist, ob M. je in Kenia war. (Die 29-jährige Britin wird – von Interpol – wegen mutmaßlicher Beteiligung an einem Anschlag aus dem Jahr 2011 gesucht; sie wird von kenianischen Behörden überdies tatsächlich verdächtigt, an dem Anschlag von Nairobi beteiligt gewesen zu sein.)

Ich finde, die Tagesschau hätte hier mehr Kontext liefern müssen. Ich habe den Chefredakteur Aktuell der ARD, Kai Gniffke, gefragt, wie er das sieht. „Ich habe mir den Beitrag noch einmal genau angesehen und kann auch nach sorgfältiger Sichtung keine journalistische Verfehlung feststellen“, schrieb er am Freitag zurück. „Der Autor hat konstatiert, dass sich Al-Shabaab im Kampf gegen die kenianische Armee in Somalia auf die Unterstützung ausländischer Helfer stützen kann. Steckbrieflich gesucht werden eine 29-jährige Britin und der deutsche Konvertit Ahmed Khaled M. Ein direkter oder indirekter Zusammenhang zum Anschlag in Nairobi wurde nicht hergestellt, sodass alle Aussagen des Beitrags richtig und durch die Recherche gedeckt sind.“

Gniffke mag recht damit haben, dass in dem Beitrag keine nachweisbar falschen Behauptungen gefallen sind. Aber ich bleibe dabei, dass der Kontext zu sehr eingedampft wurde. Andreas M. taucht allein im Zusammenhang mit gewaltsamen Aktionen der Al-Shabaab gegen oder in Kenia auf. Genau die aber sind in seinem Fall nicht belegt. Ich vermute ferner, dass bei vielen Tagesschau-Zuschauern hängen geblieben ist, hier würden zwei Terrorverdächtige vorgestellt.

Was der Kölner Express betrieb, dessen Meldung vom Mittwoch auch der Berliner Kurier online brachte, spielt wiederum in einer ganz anderen Liga: „Steckt dieser Bonner unter den Attentätern?“, fragte das Blatt ungeniert. Und im Text stand der Satz: „Ob M. (Abkürzung des Nachnamens durch ZEIT ONLINE) auch an dem Anschlag in Nairobi beteiligt ist, steht derzeit noch nicht fest.“

Lesen Sie den Satz bitte noch einmal.

Mit Verlaub: Das ist kein Journalismus, das ist freies Assoziieren.

Ich habe am Mittwoch und am Donnerstag mit den relevanten deutschen Sicherheitsbehörden gesprochen: Es gibt ihren Auskünften zufolge keinen Hinweis darauf, dass M. in das Attentat verstrickt ist. Natürlich schließt niemand aus, dass es so gewesen sein könnte. Wie sollte man das auch ausschließen? Aber es existiert eben kein Anknüpfungspunkt für einen Verdacht.

Bei den Eltern von Andreas M. hat die Express-Meldung am Mittwoch übrigens dazu geführt, dass sie stundenlang glaubten, die Journalisten dort wüssten etwas, das sie nicht wissen: Dass ihr Sohn verdächtigt wird, an einem Massenmord beteiligt gewesen zu sein.

Mittlerweile hat der Express reagiert: „Die Zuspitzung, die M. zumindest eine mögliche Beteiligung unterstellt, ist aus unserer Sicht in der Tat unglücklich. Wir haben das Thema in der Redaktion besprochen und den Artikel entsprechend angepasst“, schrieb mir der stellvertretende Chefredakteur Thomas Kemmerer am Freitag. In einer neuen Fassung des Artikels ist der Satz gestrichen.