Seit es dieses Blog gibt, war geplant, Kollegen, denen ich viel Inspiration und Motivation verdanke, ebenfalls zu Wort kommen zu lassen. Heute schreiben William Bourdon und Apolline Cagnat, Rechtsanwälte aus Paris. Bourdon und Cagnat sind langjährige Kooperationsanwälte des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und sind Verteidiger des Whistleblowers Antoine Deltour im sogenannten LuxLeaks-Prozess in Luxemburg.
Im November 2014 enthüllte Antoine Deltour, ehemaliger Mitarbeiter der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers, dass multinationale Konzerne in Luxemburg jahrelang von Steuerabsprachen mit den dortigen Finanzbehörden profitiert haben. Nun steht er im so genannten LuxLeaks-Verfahren vor Gericht und wir haben die Ehre, als seine VerteidigerInnen zu agieren.
Antoine Deltour verkörpert einen gewaltigen Antagonismus, der in Europa besteht: Da gibt es auf der einen Seite eine große Bürgerbewegung, der die Notwendigkeit, Whistleblower zu schützen, immer bewusster wird. Auf der anderen Seite steht eine politisch-finanzielle Oligarchie, die sich gegen jede Verbesserung des Schutzes von Whistleblowern stemmt.
Wie ich während des Prozesses klargemacht habe, findet diese Schizophrenie ihre Fortsetzung im politischen Bereich, denn Antoine Deltour erhielt 2015 nicht nur den European Citizen’s Prize, sondern wurde auch vom Europäischen Parlament und dem in Folge seiner Enthüllungen eingesetzten Sonderausschuss als Whistleblower anerkannt. Jean-Claude Juncker, der Präsident der Europäischen Kommission, äußerte, Antoine Deltour habe in moralisch verantwortungsvoller Weise gehandelt und es sei keine gute Wahl, ihn strafrechtlich zu verfolgen.
Dennoch wurde sein Verhalten in Luxemburg kriminalisiert: Er wurde angeklagt und die Staatsanwaltschaft forderte eine Haftstrafe von 18 Monaten ohne Bewährung.
Tatsächlich steht Deltours Selbstlosigkeit außer Frage, ebenso wenig wie die Bedeutsamkeit seiner Enthüllungen für das öffentliche Interesse und damit für alle Bürger Europas. Seine Motivation ist von besonderer Integrität, weil er keinerlei persönliches Interesse an der Veröffentlichung der durch ihn zugänglich gemachten Informationen hatte, sondern ausschließlich seinen moralischen Überzeugungen folgte. Das verbindet ihn mit Edward Snowden, den einer von uns, William Bourdon, ebenfalls vertreten durfte.
Wenn das aber weder anerkannt wird, noch ihn vor Strafverfolgung schützt, wird das andere potenzielle Whistleblower davon abhalten, an die Öffentlichkeit zu gehen. Dabei sollte man nicht vergessen, dass etliche große europäische Skandale nur durch Whistleblowing öffentlich wurden. Diejenigen, denen rechtliche Konsequenzen oder eine Schädigung ihres Rufes drohten, wenn ihr Verhalten auf Kosten des Gemeinwohls öffentlich würde, tun alles, um dies mithilfe komplexer Manöver und raffinierter Geheimhaltungstaktik zu verhindern. In dem Maße, in dem Verhalten, das dem öffentlichen Interesse entgegensteht, in unzugänglichen Computern und durch undurchsichtige Buchhaltungsmethoden verborgen, oder ans andere Ende der Welt outgesourct wird, muss der Schutz von Whistleblowern verbessert werden. Nur sie können diese Machenschaften öffentlich machen.
Wir haben darauf plädiert, dass Antoine Deltour freigesprochen wird. Wenn sein Fall die Maßgaben der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Schutz von Whistleblowern nicht erfüllt, welcher dann? Er erfüllt alle Kriterien der Straßburger Richter. Niemand kann anzweifeln, dass seine Enthüllungen im öffentlichen Interesse waren. Er sollte eigentlich unangreifbar sein.
Zudem stellte die Veröffentlichung der Enthüllungen durch die Presse die einzige Handlungsmöglichkeit dar, schließlich gab es keinen internen Mechanismus bei PricewaterhouseCoopers, der ihm gestattet hätte, in einen sicheren und effizienten Dialog einzutreten. Intern wurde Antoine Deltour erwidert, dass das, was ihn umtrieb, nicht nur legal, sondern auch die wirtschaftliche Grundlage des Unternehmens sei.
Niemand kann verhehlen, dass der Schaden für PricewaterhouseCoopers durch seine Enthüllungen nichtig ist im Vergleich zu dem Nutzen für die Öffentlichkeit. Dies gilt umso mehr, als der Profit des Unternehmens seit den Enthüllungen nicht etwa gesunken, sondern gestiegen ist.
Vom konkreten Fall einmal abgesehen, ist vollkommen klar, dass der beste Schutz für Whistleblower im Schutz gegen Strafverfolgung und nicht in nachträglicher Wiedergutmachung liegt. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten stehen hier in der Pflicht und sollten den Erlass entsprechender Gesetze fördern, zum Beispiel durch eine Richtlinie. Genau das hat der TAXE-Ausschuss des Europaparlamentes vorgeschlagen und die Grünen haben einen Gesetzentwurf vorgelegt. Der Schutz der Richtlinie zu Geschäftsgeheimnissen, die das Europäische Parlament am 14. April 2016 angenommen hat, ist jedenfalls unzureichend. Der Schutz von Whistleblowern muss sich auf alle denkbaren Fälle erstrecken, nicht nur auf das Aufdecken illegaler Praktiken. Was Antoine Deltour aufdeckte, war nicht per se illegal, aber stand eindeutig im Widerspruch zum öffentlichen Interesse.
Französische Abgeordnete sind hier vorangegangen, und auch wenn ihr Gesetzesvorhaben zur Verbesserung des Schutzes von Whistleblowern nicht perfekt ist, wäre es doch ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings hat der französische Senat seine Feindseligkeit gegenüber Whistleblowern zum Ausdruck gebracht, sodass wir jetzt schon sicher sein können, dass der Gesetzesentwurf seiner effektivsten Mechanismen beraubt werden wird – während anderswo in Europa Lobbyisten bereits hart daran arbeiten, ähnliche Initiativen von Bürgern und Abgeordneten zu unterlaufen.
Whistleblower verkörpern die Vision einer Welt, in der diejenigen, die das öffentliche Interesse schädigen, zur Verantwortung gezogen werden. Sie verkörpern zugleich die Hoffnung, dass diejenigen, die sich dem entgegenstellen, gegen die Kräfte des Zynismus und der Hyper-Individualisierung obsiegen. Ein wirksamer Schutz von Whistleblowern vor Strafverfolgung wäre ein erster Schritt in diese Richtung.