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Wer aufklärt und wer versagt

 

In der Causa netzpolitik.org geht es um mehr als das – ohne Zweifel schwerwiegende – Strafverfahren gegen die beiden Journalisten. Zur Diskussion steht auch das Verhältnis zwischen Presse und repressivem Staat. Dazu haben sich in den letzten Tagen viele renommierte Medien wohltuend deutlich und solidarisch geäußert. Das ist vor allem deswegen wichtig, weil netzpolitik.org für eine neue Form des Journalismus steht, die mitnichten überall anerkannt wird, vor allem wenn es um die Frage geht, ob für sie auch die Pressefreiheit gilt.

Am deutlichsten bekommen dies momentan WikiLeaks, Julian Assange, und andere zu spüren, die nicht unter dem Dach traditioneller Medien arbeiten und denen daher der verfassungsrechtliche Schutz auch für den Teil ihrer Aktivitäten abgesprochen wird, der einen eindeutigen Bezug zur Pressearbeit aufweist.

Gegner dieser neuen Formen der öffentlichen Einmischung argumentieren, dass die SchreiberInnen, SprecherInnen, Twitterer und Blogger keine professionellen und unabhängigen Journalisten, sondern im Kern Aktivisten seien. Das ist erst einmal kein unbeachtlicher Einwand, denn Aktivisten agieren mitunter in verschiedenen Rollen. Wenn sie eine Demonstration organisieren, dann könnte die rechtliche Bewertung ihrer in diesem Fall nicht journalistischen Tätigkeit durchaus anders aussehen. Es wird Fälle geben, in denen die journalistischen und nicht-journalistischen Aktivitäten schwer voneinander zu trennen sein werden.

Auch ist das Bemühen vieler professioneller Journalisten um ethische und Qualitätsstandards durchaus berechtigt. Doch mitunter sprechen aus diesen Argumenten mehr der Dünkel und die Angst vor dem eigenen Bedeutungsverlust. Professionalität, soll heißen die Anstellung bei einem klassischen Medienorgan, garantiert keineswegs hochwertige Beiträge, und um die Unabhängigkeit ist es in weiten Teilen der Presselandschaft nun wirklich nicht gut bestellt. Werbebeiträge sind schon lange nicht mehr aus den Reise- und Automobilressorts wegzudenken auch viele Wissenschafts-, Wirtschafts- und Politikjournalisten berichten embedded – eingebettet in die Nester der Macht, nahe den politischen und ökonomischen Zentren. Dies kommt auch in einer Polemik von Glenn Greenwald zum Ausdruck, der ausführt, dass „alle richtigen Journalisten Aktivisten“ seien – das muss man nicht unbedingt so sehen, doch wenn er warnt, dass die scheinbare Objektivität so vieler Journalisten und Medien den Leser im Unklaren über deren Ansichten ließen und ihm somit die Möglichkeit nähmen, die Berichterstattung kritisch bewerten zu können, kann ich nur zustimmen.

Die neuen, „aktivistischeren“ Formen der Berichterstattung sind da ein wichtiges Korrektiv, das dazu beitragen kann, eine unabhängige Presselandschaft zu bewahren. Jetzt liegt es an den Behörden und Gerichten dieses Landes, dieser Entwicklung dadurch Rechnung zu tragen, dass sie anerkennen, dass auch die neuen Medien und Kommunikationsformen ebenfalls den Schutz der Verfassung genießen.

Und die netzpolitik-Ermittlungen? Ein Sündenbock ist mit Generalbundesanwalt Range ja bereits ausgemacht, wenn auch nicht ganz zu Unrecht. Denn das Verfahren wurde laut Berichten bereits im Mai eröffnet – da hätte es nahegelegen, innerhalb kürzester Zeit ein Gutachten darüber einzuholen, ob denn die inkriminierten Dokumente tatsächlich Staatsgeheimnisse darstellen. Und die für den Straftatbestand des Landesverrates notwendige Absicht der Blogger, die Bundesrepublik zu benachteiligen, ist nicht erkennbar, auch der Schutz der Pressefreiheit hätte schon in einem früheren Stadium des Verfahrens zur Einstellung desselben führen müssen.

Aber warum kam diese Ansage nicht vom weisungsbefugten Bundesjustizminister? Und wer will einem Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes den Schutz der Verfassung anvertrauen, der keine Skrupel hat, kleine Medien mit dem Strafrecht zu attackieren, um Informanten aus dem eigenen Hause in den Griff zu kriegen? Und nicht zuletzt: Hätte nicht das Parlament schon lange für die gesetzliche Beschneidung des aus autoritärer Tradition stammenden Staatsschutzrechts sorgen müssen?