Letzte Woche bereitete uns das Europaparlament eine positive Überraschung: Mit einer knappen Mehrheit verabschiedeten die Abgeordneten eine Resolution, welche die EU-Mitgliedsstaaten auffordert, Edward Snowdens Status als Whistleblower und internationaler Menschenrechtsverteidiger anzuerkennen. Infolgedessen seien die EU-Mitglieder auch gehalten, Snowden Schutz vor Strafverfolgung, Auslieferung und Überstellung an dritte Staaten, gemeint sind natürlich die USA, zu gewähren.
Dies ist ein gewaltiger Schritt, auch wenn die Resolution keine bindende Wirkung hat. Es sei noch einmal an Snowdens Situation im Sommer 2013 erinnert, als er fast verzweifelt von der Transitzone des Moskauer Flughafens aus Asylbegehren an europäische und andere Staaten richtete – vergeblich. In den zwei Jahren seitdem wurde in Deutschland diskutiert, ob er zumindest als Zeuge für den NSA-Untersuchungsausschuss unter freiem Geleit ein- und ausreisen könnte. Aber die Bundesregierung gab zu verstehen, dass ihr der politische Willen dazu fehlte. Nicht viel anders reagierten die Regierungen in der Schweiz oder in Schweden, als die Frage nach Asyl dort auf den Tisch kam.
Wieder einmal sind es also die europäischen Institutionen, die schneller als die nationalen Regierungen reagieren. So war es schon vor mehr als zehn Jahren bei den Menschenrechtsverletzungen in der Terrorismusbekämpfung, dem CIA-Entführungsprogramm und den EU-Terrorismuslisten. Der Europäische Gerichtshof etablierte zudem das Recht auf Vergessen, verurteilte die Vorratsdatenspeicherung und kippte das Safe Harbour-Abkommen mit den USA. Die parlamentarische Versammlung des Europarats verabschiedete unter Leitung von Pieter Omtzigt, einem niederländischen Christdemokraten, außerdem einen starken Bericht zu den Auswüchsen der Massenüberwachung und ein Plädoyer für die Verbesserung des Schutzes von Whistleblowern.
In einer Zeit also, in der viele populistische Politiker und Bewegungen als Reflex auf die Globalisierung eine Rückbesinnung auf Nation und Heimat proklamieren, beweisen europäische Institutionen, wie wichtig sie für den Aufbau eines europäischen demokratischen Rechtsstaats sind. Statt also die Europaverdrossenheit weiter hinzunehmen oder gar zu befördern, sollten diejenigen, die an der jüngsten Resolution des Europaparlaments mitgewirkt haben, also Grüne, Linke und Sozialdemokraten, in den Mitgliedsstaaten, etwa in Deutschland und Frankreich, alles daran setzen, den europäischen Datenschutz auszubauen. Es gilt, durch nationale und europäische Gesetzgebung die untragbare Position von Whistleblowern zu verbessern und dem derzeit bekanntesten Whistleblower, Edward Snowden, Schutz vor der dramatisch rechtswidrigen Verfolgung durch die USA zu gewähren.
Noch einmal zur Erinnerung: Die USA werfen Snowden unter anderem Verstöße gegen den sogenannten Espionage Act vor. Im Kern bedeutet dies eine politische Verfolgung, sodass die EU-Staaten einer Auslieferung ohnehin nicht zustimmen dürfen. Aber die Resolution des Europaparlaments verlangt mehr, nämlich einen gebührenden Schutz vor den menschenrechtswidrig hohen Gefängnisstrafen von bis zu dreißig Jahren, die Snowden für jeden einzelnen Rechtsverstoß drohen und die angesichts der Zahl von weitergegebenen Daten eine unabsehbar hohe Freiheitsstrafe bedeuten. Nach dieser Logik würde der jetzt 31-Jährige bis ans Ende seiner Tage in einem US Gefängnis sitzen, und zwar mutmaßlich unter menschenrechtswidrigen Isolationshaftbedingungen. Davor sollte Europa ihn bewahren.