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Obamas Trippelschritte gegen die Folter

 

Kürzlich wurde ich auf einer Diskussionsveranstaltung gefragt, ob denn nicht doch alles gleich geblieben sei, seit US-Präsident Barack Obama im Januar 2009 sein Amt angetreten habe. Gemeint waren die Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung und insbesondere die Haltung zum Einsatz von Folter bei Verhören. Ich erwiderte, eine derart pauschale Sichtweise verkenne die kleinen, wichtigen Schritte, Entscheidungen und Positionen, die eine kritische Öffentlichkeit, Betroffene und Anwälte der US-Regierung in vielen Auseinandersetzungen abgerungen haben.
Natürlich ist es ein Skandal, dass das Gefangenenlager Guantánamo jetzt seit knapp fünfzehn Jahren existiert und dort immer noch Menschen illegal festgehalten werden – obwohl Präsident Obama bei seinem Amtsantritt vor sechs Jahren die Schließung des Lagers ankündigte. Dennoch: Schon die Ankündigung Obamas beinhaltete das Eingeständnis, dass in Guantánamo Unrecht geschieht, und das Versprechen, dass Folter nunmehr keine Regierungspolitik mehr sei. Es war eine Absage an Guantánamo als Modell für die Zukunft. Immerhin.

Enttäuschend wenig ist aber seit der Veröffentlichung des Berichts des US-Senats über die Foltermethoden der CIA vor einem Jahr geschehen. Trotz neuer schwerwiegender Belege eröffnete die US-Justiz keine Strafverfahren gegen die Verantwortlichen, ja noch nicht einmal gegen die unbedeutenden Täter.

Zunächst meinten die Bürgerrechtsorganisationen in den USA, zivile Schadensersatzklagen hätten keine Aussicht auf Erfolg – zu viele Verfahren sind seit September 2001 verloren gegangen, zu viele rechtliche Hürden haben die Gerichte aufgebaut. Doch dann wurde die American Civil Liberties Union (ACLU) im Oktober 2015 aktiv: Im Namen zweier Folter-Überlebender, Suleiman Abdullah Salim und Mohamed Ahmed Ben Soud, sowie der Angehörigen von Gul Rahman – der in einem CIA-Gefängnis in Afghanistan zu Tode gefoltert wurde – verklagte die ACLU die beiden Psychologen James Mitchell und Bruce Jessen, die für die CIA brutale Verhörtechniken entwickelt hatten. Vor einem Bundesgericht im Staate Washington forderten die Kläger eine Wiedergutmachung in Höhe von mindestens 75.000 US-Dollar. Experten räumen dem Prozess durchaus Chancen ein.

Überhaupt finden in den USA seit einem Jahr unzählige Veranstaltungen und Treffen statt, um die Straflosigkeit der Folter der US-Regierung zu überwinden. Auch die Interamerikanische Menschenrechtskommission in Washington, die Vereinten Nationen in Genf, das Europäische Parlament in Brüssel und die Anklagebehörde des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag behandelten das Thema.

Natürlich ist das alles viel zu wenig gemessen an der Schwere der Verbrechen und deren Auswirkungen. Die USA verletzten nicht nur durch die systematischen Misshandlungen von Gefangenen geltendes nationales und internationales Recht – auch die Nichtaufarbeitung des Folterprogramms und seine Vertuschung durch Geheimhaltung sind andauernde Rechtsbrüche. Die USA ist durch die UN-Anti-Folter-Konvention und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verpflichtet, den Betroffenen Wiedergutmachung, Entschädigung und Rehabilitierung zukommen zu lassen.

Insgesamt ist also zu wenig geschehen, auch wenn es kleine Schritte vorwärts gab. Dieses mühsam wiedergewonnene Terrain gilt es zu verteidigen. In den USA fordern mehrere Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, zum Rechtsbruch als Politik zurückzukehren und auch in Europa hört man immer wieder die Stimmen derer, die Folter und unmenschliche Behandlung hoffähig machen wollen. Ihnen werden wir uns weiter entgegenstellen.

Wer es etwas genauer wissen will, möge im aktuellen Human Rights Watch (HRW)-Bericht No More Excuses. A Roadmap to Justice for CIA Torture nachlesen. Die Empfehlungen der in New York ansässigen Menschenrechtsorganisation richten sich selbstredend zunächst an die Hauptverantwortlichen, den Präsidenten, die Regierung und den Kongress der USA. Doch auch viele weitere Staaten sind angesprochen – solche, die das US-Folterprogramm unterstützten, aber auch jene, in denen Staatsanwälte und Gerichte die Folter verfolgen könnten.

Namentlich nennt der HRW-Bericht Großbritannien, Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland. Die Generalbundesanwaltschaft wird aufgefordert, ein Strukturermittlungsverfahren wegen der US-Folter zu eröffnen, um künftige Strafverfahren in Deutschland und anderswo vorzubereiten. Eine Entscheidung aus Karlsruhe wird in den kommenden Monaten erwartet. Die Bundesregierung wird angehalten, von den USA formell die Auslieferung der dreizehn CIA-Agenten zu beantragen, die wegen der Entführung und Folter des Deutschen Khaled al-Masri per Haftbefehl gesucht werden. Kein schlechter Beitrag Deutschlands wären diese beiden Maßnahmen – nicht nur im Sinne der Gerechtigkeit, sondern auch zur Vorbeugung von Folter.