Schach gilt als ruhiges, ja fast langatmiges Spiel. Da ist was dran. Doch Schach kann auch anders. Blitzschach zum Beispiel. Während im klassischen Schach eine Partie mehrere Stunden dauert, haben die Protagonisten beim Blitzen nur fünf Minuten Bedenkzeit für die gesamte Partie. Sollte die eigene Zeit abgelaufen sein, bevor der Gegner Matt gesetzt wird, ist die Partie verloren. Stundenlanges Brüten über den nächsten Zug ist nicht. Und genau das macht den Reiz aus.
Alle drei Tage schied ein Spieler aus. Von den 128 Schachprofis, die sich im Turniersaal des Fairmont Hotels in Baku zum diesjährigen Worldcup trafen, stehen sich ab heute nur noch zwei Spieler im Finale gegenüber. Mit Peter Svidler und Sergej Karjakin sind es zwei völlig unterschiedliche Charaktere, deren Schnittmenge sich wohl aufs Schachspiel begrenzt. Weiter„Wunderkind gegen Publikumsliebling“
Eigentlich hat Magnus Carlsen als amtierender Weltmeister keinen Grund zu klagen. Er ist selbst größter Nutznießer des bisherigen Systems. Während sich sein neuer Herausforderer erst beim nächsten Kandidatenturnier im März 2016 qualifizieren muss, ist der 24-jährige Norweger bereits für die kommende Weltmeisterschaft gesetzt, die aller Voraussicht nach 2016 in den USA ausgetragen wird. Weiter„Wie findet man einen Weltmeister?“
Vor Kurzem wurde der neunzehnjährige Amateur Dhruv Kakkar in Neu Delhi ertappt. Beim Dr. Hedgewar Open Chess-Turnier ließ er sich über Handys und einen Knopf im Ohr von seinem Freund Züge ansagen. Nach einer Beschwerde seines Gegners in der fünften Runde fand der Schiedsrichter schließlich einiges Equipment am Körper des Jungen: Zwei Handys, die er sich mit Tesastreifen an die Beine geklebt hatte, ein Gürtel voller Batterien und einen kleinen Lautsprecher im Ohr.
Eine Nation, die im Sport erfolgreich sein will, braucht gute Athleten. Auch im Schach. Doch was tun, wenn der eigene Nachwuchs nicht ausreicht, um die gesteckten Ziele zu erreichen? Immer mehr Landesverbände suchen deshalb nach starken Spielern aus dem Ausland, um den eigenen Kader zu verstärken. Geld spielt dabei häufig eine wichtige Rolle. Ist diese Tendenz gefährlich oder im Zeitalter der Globalisierung schlichtweg konsequent?
Wer etwas auf sich hält spielt in Wijk. Kaum ein Turnier kann auf eine derartige Tradition zurückblicken, wie das Turnier in der niederländischen 2.400-Einwohner-Gemeinde Wijk aan Zee. Schaut man sich die Siegerliste an, so finden sich fast alle Weltmeister der vergangenen Jahrzehnte wieder. Am Freitag begann nun das 77. Tata Stell Chess Tournament, in Schachkreisen bekannt als das Wimbledon des Schachs.
Während einer Partie musste ich etwas länger über einen meiner nächsten Züge nachdenken. Als ich hinauf schaute, stand er plötzlich da und starrte auch auf mein Brett: Viswanathan Anand, der Ex-Weltmeister, der vielleicht bald Wieder-Weltmeister. Ich war mir meines nächsten Zuges relativ sicher, traute mich aber nicht den Zug auszuführen, während Anand noch selber über meine Stellung nachdachte. Zu peinlich wäre es vor einem der besten Schachspieler der Gegenwart gewesen, etwas zu übersehen. Erst als der Inder wieder zu seinem eigenen Brett eilte, traute ich mich meinen Zug auszuführen.
So ist das wenn ich als Normalsterblicher plötzlich in der Champions League das Schachs antrete. In der Königsklasse, dem European Chess Club Cup (ECC). Teams aus ganz Europa treffen sich jedes Jahr, um den Besten auszuspielen. Auch mein Verein, die Schachfreunde Berlin, schickte dieses Jahr eine Mannschaft nach Bilbao. Für mich war es, im Gegensatz zu den meisten meiner Mannschaftskollegen, eine Premiere. Auf mich wartete so ziemlich alles, was im Schach Rang und Namen hat. Von der Top Ten fehlte lediglich der Weltmeister Magnus Carlsen. Der Rest ließ sich von den Teams aus Russland, Aserbaidschan oder Italien verpflichten oder spielte im parallel ausgetragenen Chess Masters Final. Ich war jedenfalls hoch motiviert.
Meine Euphorie erlitt jedoch bereits am Gepäckband am Flughafen von Bilbao einen Dämpfer. Mein Koffer war weg. Zum Glück erblickte ich die schwedische Weltklassespielerin Pia Cramling, die ebenfalls nach ihrem Koffer suchte. Ich erinnerte mich, dass sie mit dem spanischen Großmeister Juan Manuel Bellón López verheiratet ist und erhoffte mir durch ihre Sprachkenntnisse entscheidende Informationen zu erlangen. Meine Strategie ging auf. Mithilfe von Cramlings Spanisch erfuhr ich, dass mein Koffer noch in Brüssel feststeckte, während sich ihrer nur zwei Laufbänder weiter verirrte.
In einem Shoppingcenter musste ich mich mit neuer Kleidung und Waschutensilien eindecken. Aber dann wurde endlich Schach gespielt. Meine Kollegen und ich freuten uns auf die Auslosung der ersten Runde. Zumindest da hatten wir die Chance gegen die absolute Weltelite anzutreten. Und tatsächlich bekamen wir mit SHSM Nashe Nasledie, einer Mannschaft aus Moskau, die Nummer sechs der Startrangliste zugelost. Vom Papier hätte ich gegen den russischen Superstar Alexander Morozevich, derzeit Nummer 23 der Welt spielen können. Doch der russische Mannschaftsführer hielt es nicht für notwendig, in Bestbesetzung gegen unser Team anzutreten. Zu Recht. So bekam ich es in der ersten Runde lediglich mit dem Russen Boris Grachev zu tun, derzeit Nummer 73 der Welt.
Zu meiner Motivation trug sicherlich auch der Spielort bei, der Palacio Euskalduna. Rolltreppen verbinden die verschiedenen Ebenen, Glasfronten erlauben Blicke auf den nahegelegen Fluss Nervión, ein Champions-League-würdiger Spielsaal also. Und dann noch die ganzen Topspieler, die man aus dem Internet oder von Zeitschriften her kennt. Alles Königsklassenfeeling half am Ende jedoch nichts. Grachev und der Rest der russischen Mannschaft zeigten deutlich, dass Russland im Schach immer noch eine Macht ist. Wir verloren verdient mit 1,5-4,5. Wenigstens war mein Koffer wieder da.
Das Schönste: die Partien der Weltelite live anschauen zu können. Spielern wie dem ehemaligen Weltmeister Veselin Topalov, Viswanathan Anand oder dem aktuellen Überflieger und der Nummer zwei der Welt Fabiano Caruana, der nicht einmal vor einem Monat das beste Schachergebnis aller Zeiten erzielte, im Wortsinn bei der Arbeit über die Schulter schauen zu können, ist schon etwas Besonderes.
Dass auch das Zuschauen gefährlich werden kann, war jedoch auch mir neu. Beim entschiedenen Kampf zwischen den beiden Favoriten SOCAR Azerbaijan und Obiettivo Risarcimento in der 5. Runde lief beim Stand von 2,5 zu 2,5 die letzte Partie. Es zeichnete sich ein Sieg der azerischen Mannschaft ab, jedoch musste Veselin Topalov noch sehr präzise spielen, um den vollen Punkt und damit den Mannschaftssieg einzufahren. Sein Gegner an Brett 2, der Amerikaner Hikaru Nakamura wehrte sich bis aufs Letzte und ließ jedes Mal, nachdem er seinen Zug ausgeführt hatte, seine Hand auf die Schachuhr hämmern. Bei immer weniger Zeit war die Anspannung förmlich zu spüren.
Auf einmal war ein leises Knipsen einer Kamera zu hören. Die Akteure selbst haben höchstwahrscheinlich bei der ganzen Anspannung nichts davon mitbekommen. Mir und vor allem dem spanischen Schiedsrichter hingegen war das leise Geräusch aufgefallen. Mit wilden Gesten machte der Unparteiische dem bekannten Schachjournalisten deutlich, dass er sofort den Turnierbereich verlassen müsse. Nachdem dieser sich weigerte und lediglich drauf verwies, dass er zumindest das Knipsen einstellen werde, griff der Schiedsrichter kurzerhand nach dem Presseausweis der um den Hals des Mannes baumelte und zerrte ihn nach unten. Glücklicherweise gab das Plastik nach, der Ausweis trennte sich vom Halsband, niemand wurde erdrosselt. Der Schiedsrichter zog sich an seinen Platz zurück, der Fotograf ließ das Knipsen sein, obwohl der Vorfall mehr Aufregung erregte als das Knipsen an sich.
Das restliche Turnier verlief für mich und meine Mannschaft durchwachsen. Nach einem guten Start folgten zu viele Niederlagen in den Schlussrunden. Ein kleiner Trost: Zwischendrin konnten wir uns auch ein Spiel der anderen Champions League, der Fußball-Champions-League anschauen, dafür war das Stadion von Athletic Bilbao nahe genug an unserem Hotel, etwa 15 Meter Luftlinie. Jedoch, das darf ich bei aller Bescheidenheit sagen: Unsere Partien auf dem Schachbrett waren weitaus spannender als Bilbaos Spiel gegen Schachtar Donezk.
Es soll das Schachhighlight 2014 werden. Die diesjährige Schachweltmeisterschaft findet vom 7. bis 28. November im olympischen Sotschi statt. Die Schachwelt kann die Neuauflage des WM-Matches 2013 zwischen dem Ex-Weltmeister Viswanathan Anand und dem amtierenden Weltmeister Magnus Carlsen kaum erwarten. Sie rechnet mit einem engen Kampf. Anand ließ in letzter Zeit wieder seine alte Klasse aufblitzen und qualifizierte sich verdient beim diesjährigen Kandidatenturnier für den WM-Kampf.
Soweit die Theorie. Doch es ist unklar, ob sich Anand und Carlsen tatsächlich in zwei Monaten miteinander messen. Die Frist für die Vertragsunterzeichnung zwischen beiden Spielern und dem Weltschachbund FIDE endete offiziell am 31. August. Der Herausforderer Anand hat den Vertrag unterschrieben, der Weltmeister Carlsen hat seine Unterschrift verweigert. Lediglich durch das Eingreifen Emil Sutovskys, des Präsidenten der ACO (Association of Chess Professionals), konnte die Frist bis zu diesem Sonntag verlängert werden. Ob die Parteien sich einigen, wird bezweifelt. Zu groß erscheinen die Differenzen zwischen Weltmeister und Weltverband. Wird Carlsen Sotschi boykottieren?
Der Streit dreht sich um Geld, um Zeit. Nachdem die FIDE den Preisfond im Vergleich zum vorigen WM-Kampf halbiert hat, muss sich das Team Carlsen nach anderen Einnahmequellen umsehen. Bei einer Weltmeisterschaft geht es auch um Vermarktung, insbesondere um Fernsehrechte. Im Gegensatz zum Rest der Welt ist in Norwegen Schach massenmedientauglich geworden. Jede einzelne WM-Partie soll live im TV zu sehen sein, Carlsen ist nicht nur Weltmeister, sondern auch Nationalheld. Damit sich jedoch mit der Marke Carlsen Geld verdienen lässt, braucht es Zeit, um mit den Verantwortlichen des norwegischen Fernsehens zu verhandeln. Zeit, die verloren gegangen ist, weil die FIDE es nicht geschafft hatte, rechtzeitig einen Austragungsort für die Weltmeisterschaft zu finden. Nachdem die Bewerbungsfristen fruchtlos abgelaufen waren, musste der Präsident der FIDE Kirsan Iljumschinow Ergebnisse liefern. Mit Hilfe seines Ziehvaters konnte er im Juni Sotschi als Austragungsort präsentieren. Der Name seines Ziehvaters: Wladimir Putin.
Das war Espen Agdestein, Carlsens Manager, zu knapp. Er fragte die FIDE, ob sie die WM verschieben könne. Doch Iljumschinow hält es mit Anfragen aus dem Westen wie sein Vertrauter aus dem Kreml: Er schmetterte sie ab. Und verwies auf den engen Zeitplan der FIDE. Dies ist zwar legitim, schließlich besteht auch eine vertragliche Verpflichtung gegenüber dem Team Anand, das auf die Einhaltung des Termins vertrauen darf. Doch warum sucht der Verband nicht nach einer gemeinsamen Lösung?
Was auf dem Spiel steht, lehrt ein Blick in die Schachgeschichte: 1993 hatte sich der damalige Weltmeister Garri Kasparow zusammen mit seinem Herausforderer Nigel Short von der FIDE gelöst und eine eigene Organisation gegründet. In der Folge wurden die WM-Kämpfe parallel ausgetragen. Erst 2006 kam es zum Vereinigungsmatch zwischen Wladimir Kramnik und Weltmeister Wesselin Topalow. Diese 13 Jahre der Spaltung zwischen Weltmeister und Weltverband haben der Schachwelt geschadet, sie standen im Widerspruch zum Credo der FIDE: „gens una sumus“ („Wir sind ein Volk“).
Verzichtet Carlsen auf die Weltmeisterschaft, so würde nach den Statuten automatisch der Zweitplatzierte des Kandidatenturniers nachrücken. Es handelt sich um den 24-jährigen Sergey Karjakin, der in Semferopol, der Hauptstadt der Krim, aufgewachsen ist. Die russische Staatsbürgerschaft besitzt er seit 2009. Karjakin ließ bereits verkünden, dass er das Angebot annehmen werde. Sicher wäre ein WM-Kampf für den jüngsten Großmeister aller Zeiten ein früher Höhepunkt seiner Karriere. Es darf jedoch bezweifelt werden, dass der Sieger des Matches eine große Akzeptanz in der Schachwelt erfahren würde. Weder Karjakin noch Anand gehören aktuell zu den Top 3 der Weltelite. Der Sieger würde als Weltmeister zweiter Klasse in die Geschichte eingehen. Ein Etikett, mit dem von 1993 bis 2006 viele Weltmeister leben mussten, waren doch häufig die besten Spieler nicht an dem WM-Zyklus beteiligt.
Riskiert Magnus Carlsen wirklich seinen WM-Titel? Oder unterwirft er sich in letzter Sekunde dem Angebot, dem Diktat der FIDE? Die FIDE würde ihr Aushängeschild verlieren. Ohne Carlsen, den man auch außerhalb der Schachszene kennt, würde die WM erheblich an Attraktivität einbüßen. Auch der Herausforderer Anand wird gegen Ende seiner Karriere den Kampf gegen die Nummer 1 der Welt einem Match gegen den farblosen Russen vorziehen. Bis Sonntag muss sich der Weltmeister entscheiden.
Nach seiner zweiten Niederlage hatte Magnus Carlsen keine Lust mehr. Er hatte schon gegen den Deutschen Arkadij Naiditsch verloren und gegen den Kroaten Ivan Šarić. Und so trat er zur letzten Partie des norwegischen Teams bei der Schacholympiade am Donnerstag gegen Malaysia gar nicht mehr an. Er soll Tromsø, den Austragungsort, zu diesem Zeitpunkt sogar schon verlassen haben.
Dabei hatten sich alle so gefreut. Eine Schacholympiade im Land des Weltmeisters, des Schach-Models. Ganz Norwegen, so schien es, drängte sich um Carlsens Brett. Vor der Partie gegen Šarić kam sogar die norwegische Premierministerin Erna Solberg vorbei und machte den ersten Zug. Es half nichts. Zwei Niederlagen bei einer Schacholympiade, das war einem amtierenden Weltmeister noch nie passiert.
Das Team der Norweger landete am Ende nur auf einem enttäuschenden 29. Platz. Schon kam der Verdacht auf, Carlsen nehme das Turnier nicht ernst, bereite sich nicht gewissenhaft vor und spiele egoistisch. Doch stimmt das wirklich?
Die Schachfans sind in den vergangenen Jahren verwöhnt vom nahezu perfekten Spiel Carlsens. Ihre Erwartungen wurden mit jedem seiner Siege weiter nach oben geschraubt. Doch auch Magnus Carlsen kann nicht zaubern. Die meisten seiner Gegner bei dieser Olympiade gehören zur erweiterten Weltspitze. Und wenn die sich zu keinem Fehler hinreißen lassen und sehr vorsichtig agieren – schließlich geht es gegen den Weltmeister – ist es auch schwer für Carlsen, zu gewinnen.
Schon zu Beginn der Olympiade fragen sich einige, warum es dem stärksten Schachspieler der Welt nicht gelungen war, die Nummer 279 der Weltrangliste Tomi Nyback zu schlagen. Schließlich trennten die beiden gut 300 Elo-Punkte, beim Schach ein Klassenunterschied. Doch Nyback forcierte das Spiel, die Partie endete remis. Dass Carlsen wieder eine nahezu perfekte Partie gespielt hatte, ging inmitten der Verwunderung unter. Die Erwartungshaltung vieler ist eben nicht an die Leistung, sondern an den Erfolg gekoppelt.
Es wurde auch viel über Carlsens Experimentierfreudigkeit diskutiert. Hinter vorgehaltener Hand wurde ihm jene als Egoismus ausgelegt, da er sich ohne Rücksicht auf das Mannschaftsergebnis in neuen Dingen versuchte und so den Erfolg seines Teams gefährdete. In der Tat experimentierte Carlsen viel bei dieser Olympiade und geriet dadurch oftmals an den Rand einer Niederlage.
Besonders in den Runden fünf und sechs, als es mit Levon Aronian und Fabiano Caruana gegen die Nummer zwei und drei der Weltrangliste ging, stand Carlsen mehr als nur gefährdet, zum Teil gar auf Verlust. Viele Beobachter attestierten ihm Übermut, insbesondere bei der Eröffnungswahl gegen Caruana, als er zur skandinavischen Verteidigung griff. Diese genießt auf Topniveau zu Recht einen zweifelhaften Ruf und Carlsen kam schnell in Nachteil. Der Verdacht kam auf, er wolle seinen engsten Konkurrenten zeigen, er könne alles gegen sie spielen und verliere doch nicht. Besonders brisant ist, dass er tatsächlich aus den zwei Partien 1,5 Punkte mit den schwarzen Steinen erspielt hat.
Neuen Antrieb bekam die Ego-Diskussion nach der Partie gegen den Kroaten Šarić. Carlsen wählte eine selten gespielte Abfolge, die als sehr riskant gilt. Das Ergebnis war eine Niederlage gegen die Nummer 75 der Weltrangliste, der Weltmeister war komplett chancenlos. Dessen riskanter Partieanlage wurde mehr Aufmerksamkeit gewidmet, als der starken Leistung von Šarić. Und auch in dieser Partie wurde Carlsen unbedingter Siegeswille als Überheblichkeit und Desinteresse gesehen. Risikobereitschaft wird scheinbar nur dann positiv gesehen, wenn sie auch Erfolg bringt.
Besonders deutlich wurde dies nach der Partie gegen den polnischen Superstar Radosław Wojtaszek, derzeit die Nummer 26 der Welt. In den höchsten Tönen wurde Carlsens Spiel gefeiert, zu Recht. Der Weltmeister überspielte den Sekundanten seines WM-Gegners Vishwananthan Anand und ließ dabei die hohe Kunst der Leichtigkeit aufblitzen. Das Experiment war geglückt, die Lobeshymnen kamen prompt.
Die Unterstellung, Carlsen würde seine Gegner nicht ernstnehmen, läuft ins Leere. Der Weltmeister macht sich einfach seine Stärke zu Nutze, sich besser in unbekannter Stellung zurecht zu finden als andere. Darauf gründet sein Erfolg, warum sollte er das ändern? Ein Spieler dient seiner Mannschaft dann am besten, wenn er sich nicht verbiegt, sondern seinem Spielstil treu bleibt. Dass solche Experimente auch schief gehen können, ist ihm vollkommen bewusst und gehört zum Risiko.
Auf der einen Seite lieben die Schachfans Magnus Carlsen für seine Originalität. Dafür, dass er das Schach wieder belebt hat. Auf der anderen Seite wird er als überheblich bezeichnet, wenn seine Experimente angeblich zu weit gehen. Das ist ein Widerspruch. Ein Egotrip war sein Auftritt bei der Schacholympiade sicherlich nicht. Vielmehr hat Carlsen das gemacht, was er sonst auch tut: Verdammt gutes und vor allem außergewöhnliches Schach gespielt. Und verlieren? Ja, auch Magnus Carlsen darf das.
Für viele talentierte Sportler und Künstler stellt sich irgendwann die Frage, ob sie ihr Hobby zum Beruf machen wollen. Beim Schach ist das nicht anders. Die Vorstellung sich abseits der geregelten 40-Stundenwoche mit Schach selbst zu verwirklichen, erscheint auch für uns Hobbyspieler auf den ersten Blick sehr attraktiv. Doch wie sieht eigentlich der Alltag eines Schachprofis aus?
Für professionelle Schachspieler gibt es mehrere Einnahmequellen: Die Schwierigste ist die des Spielens selbst. Während die Elite um Magnus Carlsen um Preisgelder im fünf- bis sechsstelligen Bereich kämpft (nur bei der Weltmeisterschaft geht es dann auch mal um Millionenbeträge), muss sich das Gros der sterblichen Profis mit weitaus weniger zufrieden geben. Nicht selten bekommt der Sieger eines offenen Turniers, den Opens, weniger als 1000 Euro. Dabei ist die Konkurrenz aus dem In- und Ausland groß. Da tröstet es auch nicht, dass vom Veranstalter häufig freie Kost und Logis gestellt wird, damit dieser sein Turnier mit großen Namen aufwerten kann. Geld gibt es nur bei Siegen. Wer schlecht spielt, geht leer aus.
Deshalb spielen viele Profis auch für Mannschaften im Ligabetrieb. Im Gegensatz zum rein ergebnisorientierten Turniermodus, kann man dort mit festen, also erfolgsunabhängigen Einnahmen rechnen. Dabei kann es pro Partie je nach Spielstärke und finanziellem Background des Vereins mehrere Tausend Euro Honorar geben. Meist sind es 150 bis 500 Euro pro Partie.
Um möglichst viele Ligaeinsätze zu bekommen, spielen die Profis in mehreren Ländern gleichzeitig. Dies ist beim Schach ausdrücklich erlaubt. Auch viele starke Amateure nutzen die Möglichkeit Schach und Reisen miteinander zu verbinden. Durch das Mehrfachspielrecht kommt es immer wieder vor, dass man innerhalb kurzer Zeit gegen den gleichen Gegner oder gar einen Mannschaftskollegen spielen muss. So spielte mein Berliner Mannschaftskamerad Lars Thiede in der deutschen Bundesliga an einem Wochenende gegen die Schachlegende Zoltan Ribli. Keine fünf Tage später saßen sich die beiden erneut gegenüber, dieses Mal in der österreichischen Bundesliga. Bei dem jährlich stattfindenen European Chess Club Cup, der Championsleague im Schach, müssen sich viele Profis entscheiden, für welchen Verein sie an den Start gehen wollen. Ein Luxusproblem, das aber meist nur den ganz starken Spielern vorbehalten bleibt.
Nur die Stärksten, als inoffizieller Orientierungspunkt gilt die Grenze von 2650 Elo-Punkten, verdienen also ordentlich. So verwundert es nicht, dass viele deutsche Nachwuchstalente sich in den vergangenen Jahren für eine Art Zwitterlösung entschieden haben. Sie versuchen sich meist neben dem Studium oder der Ausbildung als „Semiprofi“ und verwenden nur so viel Zeit für das Schach, wie es die berufliche Ausbildung erlaubt. Dass sich das lohnen kann hat gerade erst der Nationalspieler Georg Meier gezeigt. Er holte als Semiprofi bei den Dortmunder Schachtagen gegen die Weltspitze über 50 Prozent der möglichen Punkte und wurde Zweiter hinter dem Italiener Fabiano Caruana. Meier nutzte sein schachliches Talent, um in den USA zu studieren und nach dem Collegeprinzip Sport und Ausbildung miteinander zu verbinden. Und obwohl Meier fast zu den besten 100 Schachspielern der Welt gehört, kommt auch für ihn eine Vollprofikarriere nicht Betracht.
Eine weitere Möglichkeit Geld zu verdienen: die Trainertätigkeit. Wissen weitergeben und dadurch regelmäßiges Einkommen erzielen wird bei vielen Profis immer mehr Haupt- statt Nebentätigkeit. Durch das Internet sind große Distanzen etwa via Skype problemlos überwindbar, sodass sich der Trainer weltweit nach Schülern umschauen kann. Es gibt Einzel- und Gruppentraining, die Zielgruppe reicht vom völligen Anfänger bis hin zum Vollprofi selbst. Dabei arbeitet der Profi als sogenannter Sekundant, er assistiert also einem anderen Profi vor oder während eines großen Wettkämpfes, damit der sich auf das Spielen konzentrieren kann. Allerdings sind diese Tätigkeiten rar und sehr begehrt.
In den vergangenen Jahren hat sich für Schachspieler eine weitere Einnahmemöglichkeit aufgetan: Das Internet. Neben dem klassischen Schreiben von Artikeln und Büchern bietet das Netz ganz neue Möglichkeiten sich zu präsentieren. Seien das Schachblogs oder Lehrvideos auf YouTube. Partien von großen Wettkämpfen werden live übertragen und häufig von Großmeistern in Echtzeit kommentiert. Zu den Profis, die sich im Internet präsentieren, gehören auch viele Aktive, die zu der Top 100 der Welt gehören und sich bisher fast ausschließlich als Spieler einen Namen gemacht haben. So betreibt der mehrfache Nationalspieler Jan Gustafsson zusammen mit anderen Schachenthusiasten und einem finanzstarken Investor im Rücken seit einiger Zeit eine neue Website, auf der laut eigener Aussage alles zu finden sein soll, was das Schachherz begehrt. Schachgrößen wie Paco Vallejo Pons, Peter Svidler und selbst Vizeweltmeister Vishwanathan Anand geben dort in Lehrvideos ihr Wissen preis.
Der Trend geht also weg vom spezialisierten Turnierspieler hin zum Allrounder, der sich immer wieder neu erfinden muss. Ein Umstand, mit dem einige besser zurecht kommen als andere. Mit dem erweiterten Betätigungsfeld entfernen sich Profis jedoch immer mehr von der ursprünglichen Idee, quasi spielend Geld zu verdienen. Der Profi von morgen kann sich auf einen offenen, aber auch weiterhin hart umkämpften Markt einstellen, an Nachwuchs gerade aus dem Ausland mangelt es nicht. Wer mit Schach gutes Geld verdienen möchte muss also entweder über eine ausserordentliche Spielstärke verfügen oder er sucht sich seine Nische.