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Hektischen Schrittes kommt er ans Brett herangeeilt. Die Hand (oder ist es der kleine Finger?) hält er seinem verdutzten Gegner für gerade mal den Bruchteil einer Sekunde hin, eines Blickes würdigt er ihn schon gar nicht. Sowieso interessiert er sich für alles, aber nur nicht für seinen Gegenüber.
Eine Schachparodie wie diese ist bei uns undenkbar, dafür sind die deutschen Schachspieler zu unbekannt, einfach nicht parodierbar. Für Magnus Carlsen und das Schach ist diese Nummer des norwegischen Komikers Haakon Lange quasi ein Ritterschlag. Und ganz nebenbei gelingt dem eine durchaus realistische Darstellung einer typischen „Schachprofi vs. Blutiger Amateur – Konstellation“, wie sie über auf der Welt in den ersten Runden von offenen Turnieren vorkommt. Die Mimik, achten Sie auf die Mimik!
Fabiano Caruana ist kein Mann der großen Worte. Ob er nun einen Hype um seine Person erwartet, nach dieser Leistung? Ja, der werde sich wohl kaum verhindern lassen, aber er wolle einfach weiter versuchen, normales Schach zu spielen wie bisher. Ein Match gegen den Weltmeister Carlsen? Noch ein weiter Weg bis dahin, er sähe Carlsen weiterhin als die Nummer eins, in einzelnen Partien könne er aber gut mit ihm mithalten.
Caruana sitzt gerade, die Hände gefaltet, er mustert beim Reden eher den Boden als den Moderator. Fast könnte man meinen, er schäme sich dafür, plötzlich so viel Aufmerksamkeit zu erregen. Nur sein Lächeln verrät ab und zu, dass er sehr stolz darauf sein muss, was er in den letzten Tagen vollbracht hat beim Sinquefield Cup in St. Louis.
Dafür, was der Italiener als „normales Schach“ bezeichnet, sind den Experten die Superlative ausgegangen. Ganze 8,5 Punkte aus 10 Partien erzielte Caruana bei seinem Sieg im nominell stärksten Turnier der Schachgeschichte, was einer bisher nie erreichten Performance von über 3.100 Elo entspricht. Das kann man sich so vorstellen: Ein Spieler mit 3.100 Elo hätte selbst gegen einen Magnus Carlsen in Normalform (2.870 Elo) eine Gewinnerwartung von etwa 8:2, gegen die Mitglieder dieser Schachblog-Redaktion etwa 99:1. Seine Siegesserie in den Runden 1 bis 7 steht in einer Reihe mit dem Sturmlauf des jungen Bobby Fischer, der auf dem Weg zu seinem WM-Titel 1972 sogar 21 Partien in Folge gewann oder mit dem WM-Turnier 2005 im argentinischen San Luis (!), wo Wesselin Topalow nach einem Start mit 6,5 aus 7 Punkten den Titel so gut wie sicher hatte.
Doch auch die Art und Weise, wie dieser Erfolg zustande kam, ist bemerkenswert. Immer öfter wurde zuletzt im Spitzenschach – Magnus Carlsen allen voran – eine Abkehr von prinzipiellen Eröffnungsvarianten zugunsten weniger erforschter Spielanfänge wie der englischen Eröffnung (1.c4) beobachtet. Die Großmeister sind es leid, immer wieder feststellen zu müssen, dass der Gegner die Vorbereitung genauso gut erledigt hat wie man selbst. Caruana und sein Trainer Wladimir Tschutschelow folgen diesem Trend nicht.
Sie scheuen von Beginn an keine scharfen Duelle, bereiten sich aber besser vor als die anderen, sitzen oft tagelang an einer kritischen Stellung. Tschutschelow hat schon einige Weltklassespieler trainiert, ihm eilt als Starcoach der Ruf voraus, dass er Ideen aufspüren kann, die nicht einmal von gegnerischen Computern berücksichtigt werden.
In St. Louis bekam Caruana in fast jeder Partie die Gelegenheit, eine dieser Neuerungen anzubringen. Dies brachte ihm 35 Elo-Punkte und einen klaren zweiten Platz in der Weltrangliste ein. Den Dritten Levon Aronjan, dem in den USA wenig bis gar nichts gelang, distanzierte Caruana bereits weiter, als er noch vom führenden Magnus Carlsen entfernt ist.
Stilistisch gesehen wäre ein Match zwischen den beiden höchst interessant. Bei der kürzlich beendeten Schacholympiade in Tromsø besiegte der Norweger Caruana noch in seinem typischen Stil, indem er sich hinten reinstellte und den anderthalb Jahre jüngeren Italiener nach vorne stürmen ließ, um im Endspiel dessen schwache Bauern einzusammeln. In St. Louis musste Carlsen nach zwei missglückten Partieanlagen bereits über ein 0,5:1,5 froh sein.
Nach ganz anderen Mustern verliefen die Partien der beiden im aserbaidschanischen Shamkir im Frühjahr, wo der Vergleich 1:1 endete. Es gibt Gründe zur Annahme, dass ein Match zwischen diesen Gegnern nicht in den Versuchen gegenseitiger Neutralisierung ersticken würde, wie es über große Strecken bei bei der vergangenen WM zwischen Carlsen und Anand der Fall war.
Doch so sehr sich die Schachliebhaber über eine solche WM freuen würden, sie liegt noch in weiter Ferne. Abgesehen davon, dass Carlsen seinen Titel zunächst noch im kommenden November verteidigen muss (wozu er sich nun erfreulicherweise bereit erklärt hat), ist die nächste WM erst für das Jahr 2016 ausgeschrieben. Bis dahin wird Caruana sich damit begnügen müssen, sein Spiel bei Einladungsturnieren weiter zu perfektionieren und die leichten Schwächen in Zeitnot abzuarbeiten.
Einen zählbaren Schritt Richtung Weltmeistertitel hat er in St.Louis aber wohl schon getan. Da ein Teil der Plätze beim nächsten Kandidatenturnier wieder über die Platzierung in der Weltrangliste vergeben wird, ist ihm eine Teilnahme bereits jetzt so gut wie sicher. Auch wenn Caruana niemals zugeben würde, dass er sich jetzt schon darüber Gedanken macht – man kann sich sicher sein, er freut sich drauf.
ZEIT ONLINE: Herr Bastian, vor wenigen Monaten musste der Schachsport um Fördermittel des Bundes, ja um seine Anerkennung als Sportart kämpfen. Darüber wurde breit debattiert, auch bei uns (hier und hier). Aber ganz praktisch gesprochen: Was macht es für einen Durchschnittsspieler für einen Unterschied, ob es etwas mehr oder weniger Fördermittel gibt?
Herbert Bastian: Das ist eine etwas egoistische Haltung. So wird man in der Konkurrenz zu anderen Sportarten nicht bestehen können. Die Diskussion um die Fördermittel war eine rein formal-juristische um die Formulierung der Förderrichtlinien. Es ist nicht so, dass jemand das Schach plötzlich nicht mehr fördern wollte, ganz im Gegenteil: Schach hat in der Politik einen sehr guten Rückhalt.
ZEIT ONLINE: Aber was hätte sich geändert, wenn diese 130.000 Euro pro Jahr wirklich entfallen wären?
Bastian: Im Extremfall hätte man das komplette Leistungssportpersonal entlassen können, dann hätten wir keine Trainer mehr. Oder wir hätten die Beiträge erhöhen müssen. Wenn die Mitglieder bereit gewesen wären, einen bis zwei Euro im Jahr mehr zu zahlen, dann hätten wir uns diese Diskussion sparen können. Aber man kann sich leicht vorstellen, was passiert wäre, wenn wir das vorgeschlagen hätten.
ZEIT ONLINE: Und zwar?
Bastian: Die Landesverbände hätten sich gegen die Beitragserhöhung gestemmt und wir hätten doch Personal entlassen müssen. Und die vielen Ehrenamtlichen hätten dadurch noch mehr Arbeit als vorher. Es kann nicht sein, dass der Staat sich dermaßen aus der Verantwortung zurückziehen will wegen einer unglücklichen Formulierung („eigenmotorische Aktivität des Sportlers“, Anm. des Autors). Es ist ja nicht so, dass man Schach generell nicht fördern will, oder nicht als etwas Sinnvolles ansieht, es stand nur diese Formulierung im Wege. Deshalb haben wir auch erbittert gekämpft.
ZEIT ONLINE: Es hat sich gelohnt?
Bastian: Es steht eine Einigung bevor, nach der es eine gewisse Reduzierung der Fördermittel geben wird. Die Richtlinien für förderungswürdige Sportarten werden im Dezember überarbeitet und anstelle der notwendigen eigenmotorischen Aktivität wird dort eine andere Formulierung stehen, die auch das Schach wieder diskussionslos mit einschließen wird.
ZEIT ONLINE: Ist auch eine Finanzierung jenseits der nächsten vier Jahre gesichert, oder ist die kommende Einigung ein letzter Akt der Kulanz seitens der Politik?
Bastian: Das glaube ich nicht. Wie gesagt, die Unterstützung der Politik ist sehr gut und es wird durchaus wahrgenommen, welche positiven Effekte das Schachspielen auf junge Leute ausübt.
Bastian: Zuallererst hoffe ich, dass sich das Verhältnis zur Fide etwas verbessert. Da ist einiges zu tun, zum Beispiel wurden bei den letzten zwei Olympiaden keine deutschen Schiedsrichter eingesetzt, als Strafe, weil der Deutsche Schachbund zuvor zusammen mit anderen Landesverbänden die Fide verklagt hatte. Solche Streitigkeiten müssen endlich ein Ende nehmen. Ein möglicher Vorteil für den Schachbund aus der engeren Zusammenarbeit könnte zum Beispiel ein Spitzenturnier der Fide sein, das in Deutschland stattfinden könnte. Auch für das Senioren- und das Frauenschach erhoffe ich mir starke Impulse.
ZEIT ONLINE: Ihre Wahl war für die Öffentlichkeit eine ziemliche Überraschung. War Ihre Nominierung geplant oder spontan?
Bastian: Solche Wahlen laufen nie unvorbereitet. Allerdings habe ich die Diskussion in Deutschland bewusst vermieden, weil es ja auch Diskussionen darüber gab, ob bei den Fide-Präsidentschaftswahlen der Herausforderer Gari Kasparow unterstützt werden soll oder nicht oder ob man eventuell sogar den alten Präsidenten Iljumschinow unterstützt. Wir haben uns entschieden, neutral zu bleiben, das soll auch weiter so sein. Deutschland ist ein starker und selbstbewusster Verband und wird sich auch weiter keinem Lager zuordnen oder instrumentalisieren lassen.
ZEIT ONLINE: Sie finden es nicht schade, dass es Kasparow nicht geschafft hat?
Bastian: Geld ist sicherlich auf beiden Seiten in Unmengen geflossen. Aber die Mehrheit für Iljumschinow ist nicht nur dadurch zustande gekommen. Kasparow gilt nicht als Teamplayer und er hat im Wahlkampf einen klaren strategischen Fehler gemacht: Er hat seine Opposition gegen Putin mit dem Engagement in der Fide verknüpft. Das konnte nicht gutgehen. Die russische Föderation ist seit jeher die stärkste und die wichtigste in der Fide und es ist unklug, wenn man diese gegen sich aufbringt. Der Präsident der Fide muss ein Diplomat sein und mit allen 181 Mitgliedsnationen klarkommen. Und Kasparow polarisiert zu stark.
ZEIT ONLINE: Aber ist Iljumschinow nicht schon aus dem Grunde untragbar, dass sich, solange er an der Macht ist, nichts daran ändern wird, dass jedes Land bei den Wahlen genau eine Stimme hat?
Bastian: Ich glaube nicht, dass er nichts ändern will. Das ist im Übrigen einer der Punkte, warum ich mich engagiere. Ich werde versuchen auszuloten, was man ändern könnte. Diese Regel ist in der Tat unsäglich und sie muss infrage gestellt werden. Aber es geht nur, wenn man Änderungen im Rahmen der geltenden Gesetze beschließt, also mit Einverständnis einer Mehrheit der Föderationen.
ZEIT ONLINE: Kein Präsident vor Iljumschinow hat diese Regel so skrupellos ausgenutzt. Warum sollte sich irgendetwas ändern?
Bastian: Der Pessimismus ist für mich durchaus nachvollziehbar, aber man muss sich trotzdem nicht in sein Schicksal ergeben. Wenn man etwas verändern will, muss man anfangen und nach Möglichkeiten suchen. Dass es nicht einfach sein wird, ist klar, aber so eine Materialschlacht wie bei diesem Wahlkampf war mit Sicherheit für keine der Seiten gut. Was da an Geld verpulvert worden ist, hätte man besser sinnvoll für Schach eingesetzt.
ZEIT ONLINE: So ist das Geld überall auf der Welt bei irgendwelchen Schachfunktionären versickert.
Bastian: An sich macht die Fide eine kluge Politik, weil sie Projekte bezuschusst. Aber es ist klar, dass diese Unterstützungen auch mit dem Wahlkampf zusammenhängen. Nur es darf auf keinen Fall passieren, dass man an Privatpersonen Geld verteilt im Rahmen des Wahlkampfs.
ZEIT ONLINE: Kann man sagen, dass Sie auch angetreten sind, um Iljumschinow zu zähmen?
Bastian: Mit so einer Formulierung würde ich mich selbst überschätzen. Aber ich sehe Iljumschinow gar nicht so negativ, wie er in der Presse dargestellt wird.
ZEIT ONLINE: Was ist Iljumschinow denn für ein Mensch? Wenige kennen ihn persönlich. In den Medien steht er nicht besonders positiv da.
Bastian: Ich empfinde ihn als sehr angenehm, als einen Menschen der sehr freundlich ist, immer lächelt und seinen Gegnern grundsätzlich immer die Hand ausstreckt. Wer in der Fide aber das Sagen hat, ist Georgios Makropoulos. Iljumschinow hat das Geld. Worüber man sich auch im Klaren sein muss: Iljumschinow ist ein Sonderbotschafter von Putin. Seine Besuche bei Gaddafi und Assad waren politische Missionen und dass das Schach dabei mit auf den Tisch gekommen ist, war sehr unglücklich. Diese Auftritte sind ihm sehr negativ angelastet worden, aber man muss auch bedenken, was die Fide in den vergangenen Jahren Positives geleistet hat. Im Grunde ist sie ein hervorragend funktionierender Apparat mit gesicherten Finanzen und kompetenten Mitarbeitern, wenn auch teils etwas überehrgeizigen Zielen. Iljumschinow und die Fide sind nicht das Gleiche.
ZEIT ONLINE: Schach wurde in Tromsø auch gespielt. Wie beurteilen Sie das Abschneiden der beiden deutschen Mannschaften?
Bastian: Die Frauen haben sehr gut gespielt. Leider hat es noch nicht für eine Medaille gereicht, aber jetzt haben sie endlich gemerkt, dass sie noch mehr können und werden hoffentlich in Zukunft weiter an Selbstbewusstsein gewinnen. Die Männer haben nur in den letzten beiden Runden Konditionsprobleme gehabt, bis dahin konnte man sogar auch auf eine Medaille hoffen. Deswegen bin ich mit dem Abschneiden der Männer nicht so unzufrieden, wie es Platz 30 vielleicht vermuten lässt. Wir brauchen aber noch mehr Spieler, die in der Nationalmannschaft spielen können. Aktuell sind wir zu sehr auf die Form einiger weniger angewiesen. Es wird sich bald zeigen, ob die Prinzen Dennis Wagner und Matthias Blübaum schon so weit sind, gegen Weltklasseleute antreten zu können.
ZEIT ONLINE: Der Schachbund und seine Sponsoren lassen sich das Schachjahr der beiden Jugendspieler einiges kosten. Die Spieler, die zurzeit in der deutschen Mannschaft spielen, sind aber auch ohne großartige Fördermaßnahmen dahin gekommen, wo sie jetzt stehen. Wie erklären Sie diese Schachjahr-Ausgaben dem normalen Beitragszahler?
Bastian: Vieles sind sowieso zweckgebundene Sponsorengelder. Es werden für das Schachjahr nicht mehr Gelder aus den Beiträgen benutzt als sonst, diese werden nur anders verteilt.
ZEIT ONLINE: Aber kommt das Geld auch irgendwann zurück?
Bastian: Wir müssen in Deutschland langfristig sowieso das komplette Ausbildungssystem von jungen Spielern umstellen. Es geht nicht nur um den Einsatz von mehr Geld, es muss sich auch strukturell einiges verändern. Wir müssen viel mehr Menschen an der Basis motivieren, dass sie die Talente früher erkennen und schneller zu einer hohen Spielstärke führen, dass wir schneller herausfinden können, wie konkurrenzfähig wir auch international sind. Wenn man eine Sportorganisation ist, muss man das Bestreben haben, in die Weltspitze zu kommen, sonst macht man sich überflüssig. Aber da haben wir noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Die Investition in Spitzenspieler zahlt sich immer aus, weil sie Sogwirkungen erzeugen.
ZEIT ONLINE: Für viele, die es versucht haben, hat sich der Weg Richtung Weltelite aber nicht als der richtige erwiesen.
Bastian: Das stimmt. Aber man lebt ja länger als ein paar Jahre. Es ist durchaus denkbar, dass eine Entwicklung wie in anderen Sportarten einsetzt: Dass unsere besten Talente ein paar Jahre Profischach machen und anschließend, vielleicht gerade mit Hilfe des Schachverbandes, wieder in den Jobmarkt eingegliedert werden. Viele Arbeitgeber schätzen hochqualifizierte Schachspieler sehr.
Schach ist kein Sport mehr. Zumindest kein förderungswürdiger. Diese Nachricht dürfte in den vergangenen Wochen niemandem entgangen sein, der sich für Schach interessiert. Das Bundesministerium des Inneren (BMI) hat dem Deutschen Schachbund die jährliche Förderung in Höhe von 130.000 Euro gestrichen. Der Grund: Eine im Dezember 2013 in Kraft getretene Richtlinie des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), die Sportarten ohne „eigenmotorische Aktivität des Sportlers“ für nicht förderungswürdig erklärt.
In der Schachwelt wollte man das nicht kampflos hinnehmen. Die entsprechenden Webseiten waren voller Diskussionen um die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme und Aufrufe zum Protest. Von einer DDR-isierung des Sports war die Rede, weil die Fördermaßnahmen auf den Spitzensport zugeschnitten seien. Schach sah sich als Bauernopfer. Es gab sogar eine parlamentarische Anfrage der Grünen zu diesem Thema sowie eine Petition gegen die Kürzung. Mit Erfolg: Am Donnerstag beschloss der Haushaltsausschuss des Bundestages, dass die Streichung der Mittel zurückgenommen wird.
Doch der drohende Ausschluss aus der Welt des echten Sports brachte Aufruhr in die Schachszene. Die meisten Debatten drehten sich um die erwähnte „eigenmotorische Aktivität“. Wehmütig wurden Vergleiche gezogen zwischen Schießen und Motorsport auf der einen und Schach auf der anderen Seite. Man fragte sich, warum ein geringer eigenmotorischer Anteil im einen Fall völlig ausreicht, um als Sport anerkannt zu sein und gefördert zu werden, in dem anderen aber nicht mehr.
Die von den Regularien geforderte „eigene, sportartbestimmende motorische Aktivität des Sportlers“ im Schach ist tatsächlich eher überschaubar. Allerdings: Bewegung und Reaktionsschnelligkeit werden wichtiger, je weniger Bedenkzeit die Spieler haben. Im Gegensatz etwa zum Poker existieren beim Schach sogar einige wenige reglementierte Bewegungsabläufe (es darf nur mit einer Hand gezogen und insbesondere geschlagen werden), an denen gute Spieler so zuverlässig erkannt werden, wie ein guter Tennisspieler an seiner Rückhandtechnik. Jegliches Bewegungsmoment beim Schach leugnen kann nur jemand, der noch nie eine umkämpfte Blitzphase einer Partie erlebt hat. Und nur jemand, der noch nie eine sechsstündige Turnierpartie oder ein neunrundiges Schnellschachturnier mitgespielt hat, kann bezweifeln, dass Schachspieler nach dem Wettkampf durchaus körperliche Erschöpfung verspüren können.
Doch auch in einem viel weiteren Sinne kann man sich die Frage stellen, ob Schach ein Sport ist. Neben der Eigenmotorik gibt es eine Vielzahl anderer Kriterien, an denen sich eine Sportart messen lassen sollte und bei dem Schach Probleme bekommt. Wir haben einige etwas genauer angeschaut:
1. Regularien
Jeder Sport hat seine eigenen Regeln, ohne geht es nicht. Sie aufzustellen und einzuhalten bildet einen elementaren Teil eines Sports. Doch der Schachspieler ist ein Gewohnheitstier. Neue Bestimmungen werden von der Fide oder vom Schachbund erlassen, aber nicht immer von der breiten Masse aufgenommen, wie sich zuletzt bei der neuen Spielervereinbarung in der 2. Bundesliga gezeigt hat. Dort soll vor allem der Deutsche Schachbund in Person des Schiedsrichters mehr Möglichkeiten haben, Spieler zu kontrollieren, die im Verdacht stehen, mithilfe von Computern zu betrügen. Doch Schachspieler möchten sich ungern auf neue Spielregeln einlassen, erst recht, wenn sie dadurch vermeintliche Privilegien verlieren.
Oft braucht es beim Schach einige Überzeugungsarbeit, um neue Regeln durchzusetzen. Besonders krass ist dieses Phänomen beim Thema Karenzzeit zu beobachten. In keiner anderen Sportart ist es den Akteuren gestattet, zu spät zum Wettkampf zu kommen und trotzdem antreten zu dürfen. Man stelle sich vor, ein Marathonläufer beginnt seinen Lauf eine halbe Stunde nach Beginn des offiziellen Massenstarts. So ähnlich ist es bei klassischen Partien, wo jeder Spieler am Anfang der Partie zwei Stunden Bedenkzeit zur Verfügung hat.
Bis heute ist es in vielen Klassen und Turnieren erlaubt, bis zu einer Stunde zu spät zu kommen und den Gegner warten zu lassen. Zwar läuft ab Beginn der Partie bereits die eigene Bedenkzeit, sodass die Verspätung auf eine gewisse Art bestraft wird. Doch das ist es vielen Spielern wert, sei es um das Frühstück auszudehnen oder sich intensiver auf den Gegner vorzubereiten. Als Verbände versuchten, diesen Passus aus dem Regelwerk zu streichen, leisteten die Spieler Widerstand. Die Gründe waren meist aberwitzig: Als Berufstätige hätten sie keine Zeit, könnten halt nicht früher kommen, sagten einige Spieler.
Oder die sogenannte Sofia-Regel: Sie verbietet eine einvernehmliche Punkteteilung zwischen beiden Akteuren vor einer bestimmten Anzahl von Zügen. Nur in Ausnahmefällen darf so etwas im Einverständnis mit dem Schiedsrichter vereinbart werden. Die Regel geht zurück auf ihre Premiere bei einem Weltklasseturnier, das vor wenigen Jahren in der bulgarischen Hauptstadt ausgetragen wurde. Eine Partie sollte nicht zu früh friedlich beendet werden, weil sonst der kämpferische, sportliche Aspekt zu kurz gerate. Bis heute ist diese Regel eine Ausnahme und findet sich hauptsächlich dort, wo Sponsoren und mediale Aufmerksamkeit sind (Bundesliga, Weltklasseturniere). In unterklassigen Ligen gibt es sie nicht. Zu groß ist der Widerstand der Spieler, die sich um ihre Rechte beschnitten sehen. Dies ist beispielhaft für die Haltung vieler Schachspieler, die zwar einerseits für das Schach den Status einer Sportart fordern, im Gegenzug aber nicht bereit sind, dafür einen Preis zu zahlen.
2. Mediale Darstellung
Ein Sport, der um Aufmerksamkeit buhlt, kann sich der Entwicklung der Medien kaum entziehen. So verwundert es nicht, dass die Turniere an denen die Weltstars teilnehmen, sich in den vergangenen Jahren eigene Standards wie Livekommentierungen, Videoübertragungen und ausführliche Rundenberichte auferlegt haben. Eine erfreuliche Entwicklung, doch auch hier wirft das Licht Schatten.
So wird zwar viel Wert darauf gelegt, berühmte und starke Spieler vor die Kamera zu holen, die dem eingeweihten Kenner die jeweiligen Finessen der Stellung erklären. Eine Berichterstattung für den Laien findet jedoch so gut wie nicht statt. Dem Spielgeschehen zu folgen ist für einen Durchschnittseuropäer um einiges schwieriger, als sich zum ersten Mal den Superbowl anzuschauen. Schach muss den Spagat zwischen Laienberichterstattung und der für Fortgeschrittene besser in den Griff bekommen. Ein Sport muss für jeden zugänglich gemacht werden, sonst wird es schwierig.
Auch was die interne Berichterstattung angeht, gibt es Verbesserungspotenzial. Die Darstellung auf den bekannten Internetseiten und Magazinen ist des Sports oft nicht würdig. Da werden immer wieder die Namen von Weltklassespielern verwechselt, es gibt klare fachliche Fehler, und sonderlich aktuell ist das Ganze oft auch nicht. Zudem mangelt es manchem Autor an Feingefühl, was die Außendarstellung des Schachs angeht. Dem Sport würde es jedenfalls guttun, wenn er die Klischees des einsamen, introvertierten Junggesellenzeitvertreibs nicht selbst noch bestätigen würde.
3. Soziales
Sport ist immer auch Hobby und ein soziales Ereignis. Häufig übt man seinen Sport über Jahrzehnte aus und findet Freunde fürs Leben. Der Verein und seine Mitspieler werden zur zweiten Familie, man trifft sich auch abseits von Training und Wettkämpfen und trinkt zusammen ein Bier. Ganze Wochenenden werden dem Vereinsleben gewidmet. Beim Schach gibt es so etwas eher selten. Viele Schachspieler kommen zum Vereinsabend oder Punktspiel des Spielens wegen. Das wars dann oft auch.
Schach ist ein Einzelsport, Mannschaftsbetrieb hin oder her. Beim Schach beschäftigt man sich vor allem mit sich selbst und seinen Fähigkeiten. Eine Identifikation mit seinem Verein erscheint den meisten nicht wichtig, da Schach zu einem großen Teil der Selbstverwirklichung dient und somit sehr ichbezogen ist. Schach ähnelt in dieser Hinsicht weniger dem Status einer Sportart, denn eines Hobbys, bei dem die eigenen Interessen mehr in den Vordergrund gerückt werden als das große Ganze.
Schach hat also auch abseits der Problematik der eigenmotorischen Aktivität noch andere Besonderheiten, die auf den ersten Blick für einen Sport ungewöhnlich sind. Es sind vor allem Barrieren, die eines Tages überwunden werden müssten. Das Zeug dafür hat das königliche Spiel allemal.
Elisabeth Pähtz, geboren 1985, ist die beste und bekannteste deutsche Schachspielerin und auch die einzige, die Schach professionell betreibt. Bereits mit 14 Jahren besiegte sie die Schachmannschaft des FC Bayern München, 2002 und 2005 wurde sie Mädchenweltmeisterin ihrer Altersklasse.
Die deutsche Schachjugend (DSJ) lässt auf ihrer Website aktuell wieder die Spieler des Jahres wählen. Insgesamt 20 Kandidaten werden zur Wahl angeboten, in den Altersklassen U20 und U14 gibt es jeweils eine Jungen- und Mädchenkategorie. Die Überschrift über dem Wahlaufruf lautet:
„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Beste, die Schönste im Land?“
Dieser Satz, der ganz unverhohlen zu unterschiedlichen Beurteilungskriterien für Jungen und Mädchen aufruft, stimmt nachdenklich. Hat die Schachjugend wirklich den gesamten Diskurs zum Thema Geschlechterstereotype, der in den vergangenen anderthalb Jahren geführt wurde, komplett verschlafen?
Umso schlimmer, da sie es ja eigentlich besser wissen müssten. Der Eintrag vor dem Wahlaufruf wirbt für eine Kampagne für Kinderschutz und gegen sexualisierte Gewalt im Sport. Auch der diesjährige Aprilscherz der DSJ, bei dem eine neue Gender-Richtlinie im deutschen Jugendschach angekündigt wurde, gemäß der jetzt auch deutsche Meisterschaften unter Trans- und Intersexuellen sowie Transgendern ausgetragen werden sollen, zeugt von einem gewissen Bewusstsein für brisante Themen.
So peinlich die Spieglein-Spieglein-Überschrift klingt, so nah ist sie doch an der Realität. Das an die Gebrüder Grimm angelehnte Zitat birgt viel Wahres in sich. Wer sich darüber beschwert, dass Jungen und Mädchen in der Schule nicht gleich behandelt werden, war noch nie bei Jugendschachturnieren. Ab der Altersklasse U14 werden die deutschen Meisterschaften getrennt nach Geschlechtern ausgetragen – spielstarke Mädchen sind bei den Jungen herzlich willkommen, der Rest dümpelt in eigenen Mädchenturnieren vor sich hin wie Aborigines in ihrem abgeschiedenen Reservat. Werden ihnen Trainer zur Seite gestellt, nehmen sich diese oft nur wenig Zeit. Die Männerteams sind besser und wichtiger.
So wird von allen Seiten die allgemein akzeptierte Haltung untermauert, dass Mädchen nur Schach zweiter Klasse spielen, dort sowieso keine Zukunft haben, aber vielleicht gut vor dem Spiegel aussehen.
Vielleicht steht dieses Bild beim Großmeisterturnier in Shamkir (Aserbaidschan) mehr für den derzeitigen Magnus Carlsen als alles andere. Er fläzt sich im Schachsessel, ein Bein auf der Lehne, nicht mehr mit beiden Beinen auf dem Boden. Weiter„Huch, Magnus Carlsen hat verloren!“
Seit einigen Jahren sind sie Teil der Schachübertragungen im Internet: Enginebewertungen, also Angaben einer allwissenden Maschine darüber, wie es gerade in der Schachpartie steht. Dargestellt werden diese durch kryptische Zahlen in der Partienotation. Als ob für einen Laien 24.Sbxd4 noch nicht verworren genug aussieht, steht neuerdings auch noch 0.35 daneben. Das bedeutet, dass Weiß in dieser Stellung einen leichten Vorteil besitzt, etwa ein Drittel Bauerneinheit. -1.03 würde gut eine Bauerneinheit für Schwarz anzeigen, Weiß müsste anfangen, sich Sorgen zu machen.
Meist sind diese Bewertungen noch graphisch über den gesamten Partieverlauf gesehen dargestellt. In jeder Stellung werden unabhängig davon, welcher Zug tatsächlich gespielt wurde, die drei besten Vorschläge des Rechners angezeigt, inklusive Varianten, wie es weitergehen könnte und entsprechender Bewertungen. Schach will massentauglich werden, sich nicht abkapseln von denen, die es nicht können. Daher dieses Entgegenkommen besonders an Zuschauer, die das Geschehen auf dem Brett nicht sofort beurteilen können.
Statt Entgegenkommen könnte man auch sagen: Betrug.
Gemessen an den eigenen Ansprüchen, geht es dem deutschen Schach nicht gut. Nach dem Sensationssieg bei der Mannschafts-EM 2011 blieben Erfolge der Nationalmannschaft zuletzt aus, als Titelverteidiger präsentierte sie sich 2013 in Warschau desolat. Auch der Nachwuchs bekommt bei den Welt- und Europameisterschaften regelmäßig seine Grenzen aufgezeigt.
Deshalb hat der Deutsche Schachbund eine einzigartige Maßnahme ergriffen: Er ließ sich das Schachjahr einfallen.
Zwei talentierte Nachwuchsspieler dürfen sich nach ihrem Abitur ein Jahr lang ausschließlich mit Schach beschäftigen, sich richtig austoben in den Turniersälen Europas. Sie sollen mit freiem Kopf ihre Kräfte ausreizen, probieren, wie weit sie es schaffen können, und so den Nationalspielern Konkurrenz machen. Einer der Jungen ist Matthias Blübaum.
Als die Schachbundesliga 1980 gegründet wurde, fanden die Begegnungen in Hinterzimmern von Gaststätten oder Kneipen statt. Oder in spartanisch eingerichteten Freizeitheimen. Ein Ärgernis waren zudem die damals verbreiteten „Salonremisen“, ob abgesprochen oder aus geringem Kampfwillen resultierend. Partien konnten nach 15, 10 oder auch schon mal 6 Zügen zu Ende gehen, wonach die beiden Profis sich oft ins gleiche Auto setzten und nach Hause Richtung Osteuropa fuhren.