Der Mai begann gut für Deutschlands Schachspieler. Vier von ihnen verlieh der Weltschachverband den Großmeistertitel. Damit hat Deutschland jetzt 88 Großmeister, genauso viel wie die USA. Besser ist nur Russland mit 230 Großmeistern. Doch so richtig, richtig gut sind die deutschen Spieler nicht. So zählt mit Arkadij Naiditsch nur ein Deutscher zu den fünfzig besten Spielern der Welt. Andere Länder sind beim Hervorbringen von Spitzenspielern weniger zurückhaltend. So hat China acht Spieler unter den Top 50, älter als dreißig ist nur einer von ihnen. Dafür wäre Deutschlands Nummer 100 in China Nummer 40 der Rangliste.
Streit
Doch schon bald könnte Deutschland ganz ohne Spitzenspieler dastehen. Denn Arkadij Naiditsch will Verband und vielleicht auch Land verlassen. Naiditsch wurde 1985 in Riga geboren, 1996 zog er mit seiner Familie nach Deutschland, 2005 bekam er einen deutschen Pass, jetzt will er in den Süden, nach Aserbaidschan. Aserbaidschan lockt mit Geld, Naiditsch lockt das Geld. In Aserbaidschan fördert der Staat das Schach und Elman Rustamow, der Präsident des Schachverbands, leitet auch die Nationalbank, das hilft bei finanziellen Engpässen. Mit dem Deutschen Schachbund hatte Naiditsch hingegen immer wieder Streit, nicht zuletzt, weil er sich nie ausreichend gefördert und bezahlt fühlte.
Streiten kann der Deutsche Schachbund allerdings auch ohne Naiditsch. Mitte Mai trafen sich die Delegierten in Halberstadt im Harz zur Präsidentenwahl, die alle zwei Jahre stattfindet. Kurz vor dem Kongress verkündeten dann vier der fünf Präsidiumsmitglieder öffentlich ihren Rücktritt. Unterschiedliche Auffassungen über Führungsstil und politische Ausrichtung des Verbands lautete die Begründung. Plötzlich stand DSB-Präsident Herbert Bastian ohne Präsidium dar, wiedergewählt wurde er trotzdem.
Deutschlands Jugendspieler
Der deutsche Nachwuchs stritt hingegen lieber am Brett und ermittelte Ende Mai in Willingen die neuen deutschen Jugendmeister. Im U18-Open siegte der aus Niedersachsen stammende Spartak Grigorian knapp, bei den Mädchenmeisterschaften U18 gewann die Magdeburgerin Josefine Heinemann souverän. Aufsehen erregte der 2004 geborene Vincent Keymer, eines der größten deutschen Talente. Er hätte in der Altersklasse U12 starten können, spielte aber lieber bei den Älteren in der U16 und wurde dort Zweiter.
Brain Drain
Übrigens ist Naiditsch nicht der einzige Weltklassespieler, der den Verband wechseln will. So zieht es Fabiano Caruana, zur Zeit als Nummer zwei der Welt für Italien spielt, zurück in die USA. Dort wurde er 1992 in Miami geboren und feierte als Jugendlicher Erfolge, bis die Familie entschied, dass Europa dem jungen Talent bessere Trainer und Turniere bot. Ab 2005 spielte Caruana für Italien, im September 2015 geht er wieder für die USA an den Start.
Mit diesem Transfer gehören die USA jetzt neben Russland und China offiziell zu den führenden Schachnationen der Welt. Sie verfügen mit Hikaru Nakamura, Fabiano Caruana und Wesley So über drei Spieler der absoluten Weltklasse und potenzielle WM-Kandidaten. Diesen Aufstieg verdanken die Amerikaner vor allem ihren Immigranten. Wesley So ist auf den Philippinen geboren und ging in die USA, um dort zu studieren und Schach zu spielen. Das Studium brach er ab, in den USA ist er geblieben. Caruanas Großeltern stammen aus Italien und Hikaru Nakamura wurde als Sohn einer japanischen Mutter und eines amerikanischen Vaters in Japan geboren und zog mit zwei Jahren mit seiner Familie in die USA.
Chinas größtes Schachtalent
Russland und China sind keine klassischen Einwanderungsländer. Im Schach setzt Russland deshalb auf Talent und Tradition, China nur auf Talent. 13 der 50 besten Spieler und vier der zehn besten Junioren der Welt stammen aus Russland. Klare Nummer eins bei den Jungtalenten ist jedoch ein Chinese: der am 2. Juni 1999 geborene Wei Yi. Ende Mai gewann er kurz vor seinem 16ten Geburtstag zum ersten Mal die chinesische Meisterschaft. Mit am Start war fast die gesamte chinesische Nationalmannschaft, die im Sommer 2014 im norwegischen Tromsö die Goldmedaille gewonnen hatte. Wei Yi spielte damals am Ersatzbrett.
Auf dem Wege zur Weltmeisterschaft
Das wichtigste Turnier des Monats war jedoch der Abschluss der FIDE Grand Prix Serie im sibirischen Chanty-Mansijsk. Der Grand Prix besteht aus vier Turnieren, der Erste und der Zweite der Gesamtwertung qualifizieren sich für das Kandidatenturnier im Frühjahr 2016, dessen Sieger im Herbst 2016 gegen Magnus Carlsen um die Weltmeisterschaft spielen darf. Den Grand Prix in Sibirien gewann Dmitrij Jakowenko aus Russland, Grand Prix Gesamtsieger wurde jedoch Fabiano Caruana, Platz zwei ging an Hikaru Nakamura. Damit sind bereits zwei US-Spieler beim Kandidatenturnier 2016 dabei.
Der Weltmeister
Und was machte Magnus Carlsen im Monat Mai? Werbung für das Schach. Zuerst in Norwegen, dann in den USA. In Norwegen versuchte sich Carlsen in Oslo, beim Qualifikationsturnier für das Norway Chess Turnier, als Partiekommentator und Fernsehunterhalter, wenig später spielte er in den USA bei einer Fundraising-Veranstaltung gegen drei Gegner gleichzeitig und ohne Ansicht des Brettes Blitzschach. Carlsen hatte neun Minuten für alle drei Partien, seine Gegner jeweils drei. Einmal mehr beeindruckte der Weltmeister. Auf youtube kann man sehen, wie er das gemacht hat.
Ernsthaft Schach spielt Carlsen auch bald wieder. Beim Norway Chess Turnier, einem der stärksten Turniere des Jahres. Es beginnt am 15. Juni mit einem Blitzturnier aller zehn Teilnehmer. Mit dabei sind Magnus Carlsen, Vishy Anand, Fabiano Caruana und Hikaru Nakamura, die zur Zeit vier besten Spieler der Welt.