Lange vor unserer Zeit zermarterten sich die Schachspieler ausschließlich über das Spiel auf dem Brett den Kopf. Sie organisierten Turniere und Wettkämpfe, um die Besten unter ihnen zu ermitteln, die fortan den Titel „Großmeister“ tragen durften. Weltweit gab es von diesem edlen Menschengeschlecht nur einige wenige Dutzend Vertreter, die ersten fünf wurden vom russischen Zaren persönlich zum Großmeister ernannt. Objektive Kriterien zur Messung der Spielstärke gab es so gut wie keine. Weiter„Die Elo-Zahl, der 32-Ender des Schachspiels“
Das Tradewise Chess Festival in Gibraltar, das Anfang Februar zu Ende ging, hatte alles, was ein Schachturnier braucht: ein starkes Teilnehmerfeld, eine gute Organisation, hohe Preise und ein vielfältiges Rahmenprogramm.
Doch so richtig freuen konnte sich der Ex-Weltmeister Viswanathan Anand aus Indien darüber nicht. Er spielte nicht gut. Mit einer Ratingzahl von 2784 startete er als Nummer drei der Setzliste, landete aber mit 6,5 Punkten aus 10 Partien am Ende nur im oberen Mittelfeld. Dabei lieferte er eine Ratingperformance von 2541 Punkten ab, womit Anand die Nummer 27 der deutschen Rangliste wäre. Dabei gehört der Inder seit über einem Vierteljahrhundert zur absoluten Weltspitze, von 2007 bis 2013 war er Schachweltmeister, 2013 und 2014 spielte er gegen Magnus Carlsen um die Weltmeisterschaft – und jetzt so etwas. Was ist da passiert? Weiter„Vishy Anand mag es nicht so wild“
Wie schrecklich! Ich genieße die Sünde. Seit Jahren, beinahe täglich und mit großer Leidenschaft – zumindest, wenn es nach Großmufti Scheich Abdulaziz Al al-Sheikh geht. Der höchste Islamgelehrte Saudi-Arabiens hat eine Fatwa gegen das Schach ausgesprochen und empfohlen, die Finger von meinem Lieblingsspiel zu lassen. Das hat er schon im Dezember getan, doch zum Thema wurde es erst jetzt, denn am Freitag begann in Mekka, der heiligen Stadt des Islams, ein Schachturnier.
Was treibt den Mann? Hat ihn seine Enkelin Schäfermatt gesetzt? Oder ist ihm peinlich, dass die zehn besten Schachspieler Saudi-Arabiens im Schnitt fast 100 Elo-Punkte schlechter spielen als die zehn besten Spielerinnen aus dem Iran, dem politischen Rivalen Saudi-Arabiens? Natürlich nicht.
Wie so vielen religiösen und politischen Führern geht es ihm um nichts anderes als das Seelenheil seiner Anhänger. Deshalb warnt er vor dem Schach, es ist in seinen Augen „eine Verschwendung von Zeit und Geld und verursacht Rivalität und Feindschaft. Es macht reiche Leute arm und arme Leute reich“.
Es fällt leicht, sich über solche Verbote lustig zu machen. Schließlich ist es Frauen in Saudi-Arabien auch verboten, Auto zu fahren oder sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, wenn sie nicht voll verschleiert sind. Doch mit seiner Angst vor dem Spiel und seinen Folgen befindet sich Scheich Abdulaziz Al al-Sheikh in guter Gesellschaft christlicher und jüdischer Gelehrter, die das Schach im Laufe seiner Geschichte auch gerne verbieten ließen. Selbst der Buddhismus warnt in einer seiner fünf ethischen Grundregeln davor, den Geist zu berauschen und das Bewusstsein zu trüben. Wer je stundenlang Blitzschach gespielt, ein Analysemarathon oder Zeitnot erlebt hat, der weiß, wovon die Rede ist.
Auch der Gedanke, dass Schach eine große Verschwendung von Zeit und Energie sein könnte, ist nicht neu. Stefan Zweig beschrieb das Spiel in seiner Schachnovelle als „ein Denken, das zu nichts führt, eine Mathematik, die nichts errechnet, eine Kunst ohne Werke, eine Architektur ohne Substanz“ und Gustave Flaubert meinte über das Schach lapidar: „Zu ernsthaft für ein Spiel, zu seicht als Wissenschaft“.
Aber was weiß und versteht Scheich Abdulaziz Al al-Sheikh denn eigentlich vom Schach? Hat er eine einzige Partie in seinem Leben gespielt, kennt er überhaupt die Regeln oder auch nur zwei Züge Eröffnungstheorie? Und wieso fühlen sich manche Leute überhaupt stets dazu berufen, anderen zu erklären, wie sie ihr Leben leben sollen, was gut und was schlecht ist, was man tun und was man nicht tun soll?
Schach mag Zeitverschwendung sein, aber es zeigt einem, wie leicht man sich irren kann, wie unzuverlässig das eigene Denken ist und wie schnell Überzeugungen, Züge, die man für gut und richtig hielt, sich bei genauerem Hinschauen und Nachdenken als schlecht herausstellen. Das schult den Geist und führt im besten Fall zu Toleranz und Bescheidenheit. Genau, zu Toleranz und Bescheidenheit.
Am 15. Januar begann das Tata Steel Schachfestival in Wijk aan Zee, das erste Weltklasseturnier des Jahres. Wijk aan Zee liegt an der Nordsee in Holland, hat etwa 2.400 Einwohner und lebt von Stahlindustrie und Tourismus. International bekannt gemacht hat den Ort jedoch das Schach.
1938 feierte das Turnier Premiere, seitdem spielt man jedes Jahr, nur 1945 gab es wegen des Zweiten Weltkriegs ein Jahr Pause. Nur wenige Turniere haben eine so lange Tradition und nur wenige Turniere wirken so jung und frisch. Wer in der Schachwelt etwas ist oder werden will, der freut sich, wenn er im Winter an die Nordsee fahren darf.
16 Weltmeister zählt die Schachgeschichte, elf davon waren schon einmal in Wijk dabei. Die meisten Siege gelangen dem Ex-Weltmeister Vishy Anand: Er gewann das Turnier fünf Mal. Magnus Carlsen, Anands Nachfolger auf dem Weltmeisterthron, hat vier Mal gewonnen und will den Rekord seines Vorgängers dieses Jahr natürlich brechen.
Ein Spaziergang wird das nicht, denn Wijk ist nicht nur das Turnier der Weltmeister, sondern auch das Turnier der Talente und Weltmeisterkandidaten. Dazu zählen Anish Giri aus Holland, Wesley So und Fabiano Caruana, die beide für die USA spielen, und der Chinese Ding Liren. Alle vier sind jünger als Carlsen, alle vier gehören zu den zwölf Besten der Welt.
Nicht zu vergessen Sergey Karjakin aus Russland, der 2002 im Alter von zwölf Jahren und sieben Monaten jüngster Schachgroßmeister aller Zeiten wurde. Oder der Chinese Wei Yi, 16 Jahre jung und schon Nummer 37 der Welt. Aus China stammt auch Hou Yifan, die beste Frau der Welt, die zeigen will, dass sie auch bei den Männern mithalten kann.
14 Teilnehmer spielen im Masters, das führt jede Runde zu sieben Partien, da kommt bei den Zuschauern vor Ort und im Internet keine Langeweile auf. Außerdem gibt es noch das Challengers Turnier, auch das geht über 13 Runden. Wer hier gewinnt, darf 2017 im Masters spielen und schreibt Schachgeschichte. 2006 gewann Magnus Carlsen, sieben Jahre später war er Weltmeister.
Eigentlich dachte ich, in 22 Jahren Schach alle Abgründe gesehen zu haben. Vor Jahren bekam ich mit, wie ein Senior sich während einer Runde hinter einer Gardine die Unterhose wechselte. Ein anderes Mal steckte sich ein Schachfreund mehrere alte Brotlaibe ein, die im Rahmen einer Kunstausstellung auf einer Theke ausgelegt waren. So mancher Spieler rauft sich während einer Partie so stark die Haare, dass seine Brettseite von Schuppen und Haarbüscheln übersät ist; der Gegner überlegt dann vielleicht zweimal, ob er dort wirklich eine Figur schlagen und in die Hand nehmen möchte. Nichts eignet sich so gut für Charakterstudien wie ein Besuch in einem Turniersaal. Weiter„Das Walnuss-Massaker“
Seit 20 Jahren ist Kirsan Iljumschinow Präsident des Weltschachverbands Fide. Richtig ernst nehmen ihn nur wenige Schachspieler. Warum auch? Schließlich hat Iljumschinow in Interviews wiederholt behauptet, Außerirdische hätten ihn im September 1997 auf einen Trip durchs All mitgenommen.
Auch die Bilanz der Amtszeit Iljumschinows fällt gemischt aus. Zwar hat er nach eigenen Angaben mehr als 80 Millionen Dollar aus seinem Privatvermögen in das Schach gesteckt, um Turniere und Wettkämpfe zu finanzieren. Zugleich aber wurden während seiner Amtszeit immer wieder wichtige Turniere abgesagt oder verschoben und eine Reihe willkürlicher Regeländerungen vorgeschlagen, durchgesetzt und wieder verworfen.
Dieses Chaos prallte an Iljumschinow ab, seit Kurzem aber hat er ein anderes Problem: Seine Nähe zu den Diktatoren dieser Welt könnte ihm zum Verhängnis werden. Am 29. April 2012 traf er sich mit dem syrischen Diktator Baschar al-Assad, laut Fide, um mit dem syrischen Herrscher über ein Projekt zur Förderung von Schach in Schulen zu sprechen. Doch das Finanzministerium der USA glaubt offenbar, Iljumschinow und Assad hätten noch andere Dinge besprochen und am 25. November 2015 verhängte das Office of Foreign Assets Control Sanktionen gegen Iljumschinow.
Die US-Behörde wirft ihm vor, als Hauptanteilseigner der russischen Finanz-Allianz-Bank Ölgeschäfte zwischen dem Irak und Syrien vermittelt zu haben. Durch die Sanktionen kann Iljumschinow nicht in die USA einreisen, seine Konten in den USA sind eingefroren und US-Bürger dürfen keine geschäftlichen Beziehungen zu ihm unterhalten. Da die Schachweltmeisterschaft 2016 in den USA stattfinden soll und drei US-Spieler beim Kandidatenturnier 2016 teilnehmen, das die Fide organisiert, gerät Iljumschinow und mit ihm der Verband allmählich in Zugzwang.
Die Sanktionen könnten tatsächlich das Ende der 20-jährigen Amtszeit von Iljumschinow als Präsident der Fide einläuten. Doch man sollte Iljumschinows Beharrlichkeit und sein politisches Geschick nicht unterschätzen. Er behauptet zwar, an Außerirdische zu glauben, doch seine gesamte Karriere hindurch bewies er großen Sinn für zwei sehr irdische Dinge: Geld und Macht.
Den Grundstein für sein Vermögen und seine Karriere legte der 1962 geborene Iljumschinow, als er von 1983 bis 1989 in Moskau am Institut für Außenpolitik studierte. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 kam er sehr schnell zu sehr viel Geld – wie genau hat Iljumschinow, der sonst gerne mit seinen Leistungen und Erfolgen prahlt, nie verraten. 1993 wurde Iljumschinow zum Präsidenten von Kalmückien gewählt, einer kleinen, armen, seit 1992 autonomen, ehemaligen Sowjetrepublik am Kaspischen Meer, die vor allem aus Steppe besteht.
Seine Wahl zum Präsidenten des Weltschachbundes 1995 bedeutete einen weiteren Karriereschritt für Iljumschinow, das Amt verschaffte ihm politische und geschäftliche Möglichkeiten, die er als Präsident von Kalmückien oder Geschäftsmann nie gehabt hätte. In Sachen Schach kann er durch die ganze Welt reisen und mit Politikern und potenziellen Geschäftspartnern sprechen. Iljumschinow wurde 2006, 2010 und 2014 durch Wiederwahl bestätigt. Über die Wahl des Fide-Präsidenten entscheiden die Vertreter der Länder, die Mitglieder der Fide sind. Dabei hat jedes Land nur eine Stimme, egal ob der jeweilige Schachverband 50.000, 50 oder nur fünf Mitglieder hat. Und bei jeder Präsidentenwahl steht die Möglichkeit im Raum, die Stimmberechtigten mit „Geschenken“, Versprechungen oder Vergünstigungen von den Vorzügen der eigenen Kandidatur zu überzeugen.
2014 war der Ex-Weltmeister Garri Kasparow Iljumschinows Gegenkandidat bei der Wahl zum Fide-Präsidenten. Nach seinem Rücktritt vom Turnierschach wurde Kasparow, den viele für den besten Schachspieler aller Zeiten halten, in der russischen Opposition politisch aktiv und ein lautstarker Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin, einem langjährigen Vertrauten und Freund von Iljumschinow. Dürften alle offiziell registrierten Schachspieler über den neuen Fide-Präsidenten direkt abstimmen, hätte Kasparow wahrscheinlich einen überwältigenden Sieg errungen. Bei der Abstimmung der Ländervertreter unterlag er Iljumschinow jedoch deutlich.
Neben einer fehlenden strategischen Linie bei der Leitung der Fide, Korruption und Wahlmanipulation werfen Kritiker Iljumschinow vor, er würde sich zu oft in schlechte Gesellschaft begeben und damit das Image des Schachs beschädigen. Berührungsängste kennt Iljumschinow tatsächlich nicht. Auf seinen Reisen als Fide-Präsident hat er sich unter anderem schon mit dem Dalai Lama, Papst Johannes Paul II., Henry Kissinger, Saddam Hussein oder Muhammad al-Gaddafi getroffen.
Die Schachweltmeisterschaft 1996 wollte Iljumschinow im von Saddam Hussein regierten Bagdad im Irak stattfinden lassen, doch nach weltweiten Protesten wurde dann doch in Elista, der Hauptstadt Kalmückiens, gespielt. 2004 verhallten alle Proteste ungehört und die Schachweltmeisterschaft fand in Tripolis, im von Gaddafi regierten Libyen, statt. Auch danach hielt Iljumschinow Kontakt zu Gaddafi. 2011, kurz vor dem Ende des Diktators, als Libyen schon von den USA und ihren Verbündeten bombardiert wurde, traf sich der Fide-Präsident noch einmal mit dem Diktator und posierte für eine Partie Schach mit ihm.
Derzeit aber kann Iljumschinow seine Aufgaben als Fide-Präsident praktisch nicht mehr ausüben. Anderthalb Wochen nach Verhängung der Sanktionen erklärte er Anfang Dezember deshalb, dass er sich von seinen Amtsgeschäften als Fide-Präsident zurückzieht, um Zeit zu haben, die Vorwürfe gegen ihn zu entkräften. Die offiziellen Aufgaben Iljumschinows übernimmt nun der Grieche Georgios Makropoulos, seit 1986 hochrangiger Funktionär des Weltschachverbands, seit 1996 stellvertretender Präsident der Fide und seit Jahren enger Vertrauter Iljumschinows.
Offene Turniere gibt es im Schach viele, doch außer den Teilnehmern interessiert sich eigentlich niemand dafür. Zu viel schachliche Ausschussware wird nämlich produziert durch Partien mit teilweise riesigen Spielstärkeunterschied in den ersten Runden. Gegen Ende des Turniers tasten sich die Profis in den Spielen ab, wenn sie nicht gleich direkt Remisen verabreden. Sich da die wenigen Rosinen herauszupicken, kann für Außenstehende eine mühsame, wenig befriedigende Aufgabe sein.
In den vergangenen Jahren aber gab es erfreuliche Entwicklungen. Viele wirklich starke Spieler sind bereit, sich in Opens zu stellen, die dadurch immer mehr echten Festivalcharakter bekommen. Aktuell läuft in Katar bereits die zweite Auflage eines nach der Aussage der Veranstalter der stärksten Open, die es jemals gab. Immerhin zehn Spieler aus den Top 40 der Welt sind im Emirat mit von der Partie, angeführt von einem gewissen Magnus Carlsen, der sich wohl nicht nur durch die Aussicht auf die schon stattliche Siegprämie von 27.000 US-Dollar, sondern auch durch ein saftiges Antrittsgeld locken lassen hat.
Und das mehr als 40 Jahre nachdem das letzte Mal ein Weltmeister (Boris Spasski) einen solchen Schritt gewagt hat. Insgesamt sind etwas über 100 Spieler am Start, darunter auch sechs Deutsche, unterhalb einer Meisterstärke ist eine Teilnahme nahezu unmöglich. Gespielt wird in einer riesigen Indoor-Sportanlage, natürlich in der größten der Welt, unter den Sponsorenbannern von Bentley oder Qatar Airways. Ein kleiner, luxuriöser Saal, mit großzügiger Beleuchtung, Holzverkleidung und schweren Teppichen.
Jeden Tag gibt es aufs Neue Dutzende hochklassige, reizvolle Begegnungen. Kennt jemand Nino Batsiashvili? Die junge Frau aus Georgien nahm – in rote High Heels gekleidet, wie die Schachpresse begierig aufgriff – in der ersten Runde Carlsen ein Remis ab. Mit Schwarz. Dieser berappelte sich daraufhin und gewann zumindest seine nächsten drei Begegnungen, nachdem er, wie ebenfalls allerorts berichtet, beim Fußball wieder eine Runde Selbstbewusstsein getankt hatte.
Die meisten Favoriten haben bereits mehr Punkte abgegeben, so musste der Exweltmeister Wladimir Kramnik bereits zwei Unentschieden quittieren gegen Kacper Piorun aus Polen und Daniele Vocaturo aus Italien, beide von den Schachfreunden Berlin. Zwei Internetportale übertragen und kommentieren live, es gibt Interviews, Zusammenfassungen, Tabellen satt. Die Spannung steigt, Kurzremisen sind verboten.
Und: Xavi Hernandez, der ehemalige Star des FC Barcelona, der jetzt in Katar angeheuert hat, durfte unter großem Tamtam den ersten Zug einer Runde ausführen (was ihm allerdings nur im dritten Anlauf gelang). Kann man Schach überhaupt noch besser präsentieren? Katar will scheinbar auch im Schach eine Großmacht werden, zumindest im Organisieren sind sie es schon.
Aber die Sache hat Haken. Da wäre zunächst die Frage, wo eigentlich zum Beispiel die ganzen israelischen Spitzenspieler abgeblieben sind? Oder warum das Turnier unbedingt über die Weihnachtsfeiertage stattfinden soll?
Und dann gibt es noch solche generellen Dinge, wie Menschenrechte. Es gibt viele, die die Fußball-WM 2022 in Katar ignorieren, gar boykottieren wollen, aufgrund der Dinge die da mächtig schief laufen beim Bau der Stadien und der Infrastruktur allgemein (und des protzigen Spiellokals im Speziellen). Sollten wir als Schachspieler nicht auch darauf verzichten, das System mit unserer Anwesenheit zu honorieren?
Leider lassen wir uns beim Schach viel zu leicht kaufen. Die Kassen ständig leer, viele Einzelkämpfer, jeder Spieler muss sehen, wo er bleibt, wie er an die lukrativen Einladungen, Trainingsaufträge und den Aufenthalt in Luxushotels gelangt – letzteres unter Schachspielern durchaus eine ernstzunehmende Währung.
Wenn solche Turniere wie Katar oder auch Dubai, Al-Ain oder andere in der reichen Golfregion genau das anbieten, was sich die von der großen Konkurrenz in Europa gebeutelten Spieler gegenseitig mit größter Mühe abjagen müssen, dann ist es kein Wunder, dass solche Verlockungen nicht verschmäht bleiben. Merkwürdig ist es eher, dass die wenigen, die nicht darauf angewiesen sind (wie zum Beispiel der Weltmeister Carlsen), trotzdem hinfahren.
Am dritten Adventswochenende endete in Saarbrücken die 86. Deutsche Meisterschaft im klassischen Schach. Es gewann der Großmeister Klaus Bischoff, eine der bekanntesten Figuren im deutschen Schach, sei es in seiner Rolle als unterhaltsamer Kommentator und lebende Anekdotensammlung oder unangefochtener deutscher Rekordmeister (13 Titel) im Blitzen. Er muss es bei jeder Siegerehrung aufs Neue nachrechnen. Schnellschachmeister war er auch mehrfach. Mannschaftsmeister alleine mit Bayern München – neun Mal. Doch im Einzel war es nach 2013 erst sein zweiter Titel, zum zweiten Mal löste er den Nationalspieler Daniel Fridman ab.
Bischoff lieferte sich über das gesamte Turnier einen spannenden Zweikampf mit seinem Großmeisterkollegen Vitaly Kunin, bevor er in der vorletzten Runde überraschend gegen den Außenseiter Christian Braun verlor. Bischoff, der in seiner jahrzehntelangen Karriere nun wirklich alles Menschenmögliche gesehen und erlebt haben muss, konnte sich in dieser Partie offenbar nicht an seine eigene, ein Jahrzehnt zurückliegende Begegnung gegen den Chinesen Li Shilong erinnern, gegen den er in identischer Stellung deutlich stärker fortgesetzt hatte. Bischoff musste bald aufgeben, er schien raus aus dem Titelrennen.
Doch in der Schlussrunde wendete sich das Schlachtenglück noch einmal. Bischoff besiegte mit Schwarz den ungestüm angreifenden Jungstar Alexander Donchenko, der von Kindesbeinen von seinem Vater, einem ebenfalls starken Meister trainiert wird und im Gegensatz zu seinem Prinzenkollegen Matthias Blübaum wohl eine Profikarriere anstrebt. Bischoffs Konkurrenten spielten allesamt unentschieden, nach Zweitwertung gewann er den Titel – er hatte im Verlaufe des Turniers rechnerisch gegen leicht bessere Gegner als Kunin gespielt, der Vizemeister wurde. Der Hamburger Jüngling Rasmus Svane wurde Dritter und auch sonst hatte die Jugend einige gute Platzierungen zu vermelden – der 16-jährige Dmitrij Kollars wurde Sechster, der elfjährige Vincent Keymer (dem selbst der große Garry Kasparow bereits Weltklasse-Potenzial bescheinigte) Zehnter.
Wenn Ihnen als Leser viele dieser Namen nichts sagen, liegt es nicht an Ihnen, sondern am Modus der Deutschen Meisterschaft. Seit Jahren halten sich die meisten echten Spitzenspieler fern. Sowohl der magere Preisfonds, als auch das Teilnehmerfeld, welches sich zum größten Teil aus den Gewinnern der ebenso dürftig besetzten Meisterschaften der Landesverbände speist, oder die Austragungsorte mit Saarbrücken als dauerhafte Notlösung, auf die jedes Mal zurückgegriffen wird, wenn niemand die Meisterschaft ausrichten will (also sehr oft) – all das ist nicht sonderlich attraktiv für Spieler, die nicht gerade auf Preisgelder angewiesen sind oder dringend Spielpraxis benötigen.
Dabei könnte man sich viel aus dem Ausland abgucken. In den Niederlanden ist die Meisterschaft ein Turnier der besten Acht, sich für die wenigen freien Plätze zu qualifizieren, ist eine große Ehre. In unzähligen anderen Ländern, ob Finnland, Polen oder Armenien, werden auf der Meisterschaft Plätze im Nationalteam ausgespielt, die Turniere selbst sind teilweise in große Festivals eingebettet, wo neben dem Hauptevent auch Frauen, Jugendliche oder Amateure zum Zuge kommen dürfen, und das alles vielleicht sogar in einer großen Stadt. Bei uns schickt man die Spieler wie 2012 ins sachsen-anhaltinische Osterburg – es ist schon schwer, einen Ort in Deutschland zu finden, der noch weiter von der Autobahn entfernt ist. Die deutsche Meisterschaft ist nun mal eine lästige Pflicht, die schnell und unbemerkt vorübergehen soll, damit niemand bemerkt, dass sie diesen Status kaum verdient.
Klaus Bischoff wird dies alles egal sein. Viel Aufsehen um seine Person ist ihm eh nicht wichtig, auf wie neben dem Brett ist er nicht gerade ein extrovertierter Charakter. Seinen Erfolg wird er im Stillen genossen haben. Und auch für die Nationalmannschaft muss er sich nicht mehr beweisen – er gewann mit Deutschland bereits schon einmal Silber, bei der Olympiade 2000 in Istanbul.
Der älteste noch bestehende Schachclub der Welt kommt aus der Schweiz: die 1809 gegründete Schachgesellschaft Zürich. Jetzt will der Traditionsverein die Schachwelt verändern, genauer: die Bedenkzeitregeln. Im Februar 2016 organisiert die Schachgesellschaft ein Turnier mit sechs Weltklassespielern, die in Zürich im klassischen Schach und im Blitzschach gegeneinander antreten. Im Schach bedeutet „klassisch“ eigentlich, dass mit langer Bedenkzeit gespielt wird, in der Regel haben die Spieler 90 Minuten Zeit, um 40 Züge zu machen und bekommen für jeden Zug eine Zeitgutschrift von 30 Sekunden.
Magnus Carlsen hat ein Auto, aber keinen Führerschein. Das verriet die englische Zeitung The Telegraph vor kurzem in einer Homestory über den Schachweltmeister. Der Nummer eins im Denksport Schach graut vor allem vor der theoretischen Prüfung. Autowerbung macht der Norweger trotzdem. In einem Werbespot für den neuen Porsche 911 spielt Magnus Carlsen als Bester seiner Branche Schach gegen Magnus Carlsen während Muhammad Ali gegen Muhammad Ali in den Boxring steigt und Maria Scharapowa gegen Maria Scharapowa Tennis spielt.