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Die Kaiser haben’s gesehen

 

Frankfurt, Montag, kurz vor sechs, Kaisersaal im Römer. Von oben flimmern wuchtige Kronleuchter, von den Seiten blicken in Öl gemalte deutsche Kaiser auf das Treiben im Prunkzimmer. Friedrich, Wilhelm, Karl der Große. Was sie sehen: Männer in schwarzen Anzügen, Frauen in Hosenanzügen und dunklen Kleidern klimpern mit Perlenketten, Kellnerinnen tragen Sekt herum und das Fernsehen ist auch schon da. Verleger, Journalisten und die Autoren natürlich. Nur geladene Gäste. Großer Betriebsnudelauflauf. Und alle warten nur auf eins: den wichtigsten Roman des Jahres. Die Verleihung des Deutsche Buchpreises. Er soll als größter deutscher Literaturpreis etabliert werden, verliehen vom Börsenverein des deutschen Buchhandels, mit 25.000 Euro dotiert.

Eine siebenköpfige Jury nahm sich sechs deutschsprachige Romane zur Brust, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Das bin doch ich zum Beispiel – Thomas Glavinics humorvolle Betrachtung des Literaturbetriebs, oder Julia Francks Die Mittagsfrau, ein poetischer Familienroman zwischen den zwei Weltkriegen. Liebesromane gab’s auch: Martin Mosebachs Der Mond und das Mädchen und Böse Schafe von Katja Lange-Müller. Das einzige Debüt auf der Liste, die auch beim deutschen Buchpreis „Shortlist“ heißen muss, war Thomas von Steinaeckers Wallner beginnt zu fliegen. Zuletzt noch Michael Köhlmeyers Abendland.

Handys aus! Die Reden. Petra Roth, die Bürgermeisterin Frankfurts, beginnt, zitiert Goethe und alle klatschen, wegen Frankfurt und Goethe. Eine Frau platzt mit Sektglas hinein in den Saal, in die Stille und wird freundlich herausgeschickt. „Lassen Sie den Sekt bitte draußen, ja?“ Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins, ist der nächste am Pult. Nimmermüde betont er, die Verlage hätten keinen Einfluss auf die Auswahl der Bücher, nein, die Jury sei unabhängig und resistent gegen allerlei Anfragen oder gar Lenkung von außen. Eine Dame flüstert leise, aber so dass man es drei Reihen weiter noch hören kann: „Aber dreimal Hanser Verlag ist schon komisch“, und ein paar nicken. Honnefelder hofft, dass der Preis den Buchverkauf ankurble, alle sechs Bücher Bestseller würden, gerade zum Weihnachtsgeschäft. Das Schriftsteller-Dasein fasst er so zusammen: Papier, ein Laptop, Ruhe und vielleicht mal ein Glas Wein.

Jury-Vorsitzende Felicitas von Lovenberg sagt auch noch einmal, wie unabhängig die Jury sei. Warum sich alle Redner bemüßigen, das wieder und wieder zu erklären, weiß keiner. Ist ja auch egal. Videos laufen an. Kurzporträts der einzelnen Autoren, die ersten Sätze der Bücher, dann noch ein paar warme Worte eines Juroren. Katja Lange-Müllers Porträt erntet Beifall und Gelächter. Sie sitzt im Video am Küchentisch, schnippelt Bohnen in eine Schale und erzählt, dass Kochen und Schreiben eigentlich nicht viel gemeinsam hätten, aber irgendwie doch.

Und? Wer isses? Julia Franck! Sichtlich überrascht steht sie am Pult. Damit habe sie nicht gerechnet, sagt sie mit wackliger Stimme. In der Tat: Favoritin war sie nicht. Eher Lange-Müller oder der Frankfurter Mosebach. Wäre ja sein Heimspiel gewesen. Umso schöner, dass Franck ihn gewinnt und ihre Dankesrede kurz hält: Verleger, Lektor, ersten Leser, alle Leser, danke, tschüss. Sie vergisst sogar die Urkunde auf dem Pult, so eilig stürzt sie wieder vom Podium. Ein älterer Herr sagt zu seiner Begleiterin: „Also, ich hab ja nur den Mosebach versucht, aber der erste Satz von dieser jungen Dame“, er zeigt dorthin, wo eben noch Julia Franck gestanden hat, „der hat mich sofort überzeugt.“

Hier ist er: „Auf dem Fensterbrett stand eine Möwe, sie schrie, es klang, als habe sie die Ostsee im Hals, hoch, die Schaumkronen ihrer Wellen, spitz, die Farbe des Himmels, ihr Ruf verhallte über dem Königsplatz, still war es da, wo jetzt das Theater in Trümmern lag.“