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MRR und die Frauen

Es gibt Fragen, die die Menschheit bislang nicht beantwortet hat, zum Beispiel diese: Wer hat den Käse zum Bahnhof gerollt? Warum ist am Rhein so schön? Und schreiben Männer besser als Frauen? Marcel Reich-Ranicki hat zumindest in der Sonntagsausgabe der FAZ auf letztere eine Antwort gefunden:

„Homer, Sophokles, Euripides, Horaz, Ovid, Vergil, Dante, Petrarca, Molière, Corneille, Racine, Shakespeare, Cervantes, Calderón, Voltaire, Goethe, Schiller, Balzac, Stendhal, Flaubert, Puschkin, Dostojewskij, Tolstoi, Proust, Brecht. Sie alle waren Männer. Genügt die Antwort?“

Ja, puh, natürlich, wie immer, gewiss. Aber der Käse, was ist mit dem Käse?

 

Shakespeare modert

Wie Literatur und Alltag sich verbinden, können wir verschieden finden. Am besten geht das mit Google News:

Sueddeutsche.de schreibt: „Donauschützer wittern Morgenluft“

Welt Online kann das auch: „Lyon trifft und wittert noch einmal Morgenluft“

RP Online lässt’s wehen: „Die Grünen wittern Morgenluft“

Und die Allgemeine Zeitung Mainz: „Der TuS Nieder-Wiesen wittert Morgenluft“

Wie das Neue Deutschland: „Koch und seine Freunde wittern Morgenluft“

Elegant das Näschen hoch in Wien: „Für das neue Geschäftsjahr 2008/09 wittert man beim Energieversorger wieder Morgenluft.“

Und was dräut da in der Frankfurter Rundschau: „Im Hintergrund allerdings dürfte stehen, dass der aktivistische, den Neonazi-Kameradschaften zugeneigte Parteiflügel Morgenluft wittert.“

Was die Morgenluft ihnen kündet, ist Hoffnung. Doch Shakespeare, Schöpfer dieser Wendung, meinte etwas anderes: „But, soft! methinks I scent the morning air“, lauten die Worte, die er dem Geist von Hamlets Vater in den Mund legte. Und der Geist jubelt nicht oder freut sich neuer Taten, sondern er muss zurück ins modrige Grab, wenn er das Morgenlüftchen spürt. Und hoffen kann nur Hamlet, da er nun weiß, wer seinen Vater zum Geist gemacht hat. Doch am Ende stirbt auch er.

Das nächste Mal bei Google News: „Ein Gespenst geht um in…“

 

Sie fragen, Reich-Ranicki antwortet

Meine Lieblingsrubrik auf faz.net ist „Fragen Sie Reich-Ranicki“. Dort beantwortet der Kritiker schlaue und dumme Fragen zur Literatur, mal nett, mal feuerspeiend. Manchmal zerstört er auch Träume. So fragt ein F. Scharpf:

„Wo finde ich die schönsten Liebesgedichte? Wenn ich in den Buchhandlungen suche, finde ich, dass die Gedichte oftmals einfach zu platt geschrieben sind. Sind die schönsten Gedichte nur die, die man selbst geschrieben hat?“

Nawodenkensedennhin. Achtung, MRR weiß Rat:

„Erstens: Die Liebesgedichte, die man selbst geschrieben hat, sind in der Regel Dreck und Mist.

Zweitens: Suchen Sie zunächst einmal bei Goethe, Heine und Brecht – und lesen Sie vor allem kurze Gedichte.“

Recht hat er. Aber das mit den kurzen muss er mir noch mal erklären.

 

Obamas Lieblingsbuch…

… ist das gleiche wie McCains. Das hat die New York Times herausgefunden. Es ist Hemingways Wem die Stunde schlägt:

„Robert Jordan is the hero of Ernest Hemingway’s For Whom the Bell Tolls, an American fighting Franco’s Fascists in the Spanish Civil War. And despite his radical roots, he’s a literary sensation during this election season. Senator Barack Obama told Rolling Stone that Hemingway’s novel, published in 1940, is one of the three books that most inspired him. As for Senator John McCain, few men, real or fictional, have influenced him as much as Jordan.“

Zumindest sind sie sich da einig. Auf amazon.com ist der Roman bereits auf Platz 504 geklettert. Pathetischer kann ein Buchtitel kurz vor der Wahlentscheidung kaum sein.

 

Kafkas Pornoschrank

Biografieforscher an vorderster Front. Erst entdeckt einer Goethes heimliche Liebe zu Anna Amalia, jetzt das: Franz Kafka las Pornos! Da graust sich der Germanist. Zumindest, wenn er vom Buch des britischen Autors James Hawes gehört hat, das gerade in England erschienen ist. Excavating Kafka heißt es, „Kafka freilegen“. Es beschreibt unter anderem, wie der Schriftsteller seine Schmuddelhefte in seinem Schrank einschloss. Den Schlüssel nahm Kafka in die Ferien mit, damit die Mutter die Sammlung nicht fand. Und Hawes will Bilder zeigen! Sexbildchen: Mit Tieren! Pfui, Franz! Die Hefte hatte er von Franz Blei – demjenigen, der die ersten Werke Kafkas 1908 veröffentlichte.

So, und jetzt atmen wir mal durch. Der Amethyst und Die Opale, so hießen die Zeitschriften. Sie erschienen um die Jahrhundertwende, Franz Blei war ihr Herausgeber. Das Groteske, das Erotische wollte er in ihnen zeigen. In den Heften standen Texte richtiger Schmuddelautoren: Goethe, Rimbaud, Wilde und Robert Walser. Die Zeichnungen kamen von Künstlern wie Alfred Kubin oder Theodor Thomas Heine. Wird Ihnen schon heiß?

Der Kafka-Biograf Reiner Stach sagt zu den Heften: „Es waren zwar pornografische Darstellungen dabei, aber Sie dürfen sich das nicht so vorstellen wie die harte Pornografie heute. Das sind Zeichnungen, keine Fotos. Das sind spielerische Darstellungen, die haben zum Teil karikaturistischen Wert.“ Die Zeitschriften waren also nicht die Praline und St.Pauli Nachrichten der Jahrhundertwende, und dass Kafka sie las, ist lange bekannt. Er hatte sie abonniert, als er 24 war. Das schrieb bereits Klaus Wagenbach vor 50 Jahren auf.

Was ist denn jetzt erstaunlich daran? Dass Kafka diese Hefte las, die damals zwar als erotisch, nicht aber als obszön galten und sogar in Bibliotheken liegen? Oder dass 100 Jahre später ein englischer Forscher, ihrer ansichtig geworden, „Porno, Porno“ schreit? Hawes sagt, er möchte endlich die Kafka-Forschung aus ihrer Verlogenheit führen, den Teppich lüften, unter dem die schmutzigen Details liegen. Er will den Mythos zerstören vom keuschen Dichter. Toll: Diejenigen, die selbst viel schlimmere Heftchen vor ihren Ehefrauen verstecken, können sich Kafka nun nahe fühlen. „Der ist ja wie ich! Den les ich jetzt!“ So bringt man die Literatur ins Volk.

Vielleicht kann Hawes aber einfach kein Deutsch lesen. Denn Kafkas schmutzige Seiten, seine Bordellbesuche, seine Flirts mit Wirtsmädchen sind doch schon längst aufgeschrieben worden. Den Schrank schloss Kafka übrigens aus anderen Gründen ab. Dort lag sein Sparbuch. Und das durften seine Eltern wirklich nicht sehen.

 

Steuerhinterziehung? Auch dufte!

Martin Walser widmet sich mal wieder dem Deutschen an sich. Kürzlich empörte er sich noch vor der Bayerischen Kulturakademie über das stetige „Rechthabenmüssen“, den „moralischen Oberton“ und „die Heuchelei“ seiner Landsleute – nun ist er wieder auf 180.

Es sei gerechtfertigt, wenn deutsche Unternehmen Bestechungsgeld zahlten, um an Aufträge zu bekommen, sagte der Schriftsteller dem Wirtschaftsmagazin Capital. Dass Manager wie Heinrich von Pierer oder Klaus Zumwinkel an den Pranger gestellt würden, findet Walser „deutsch, deutsch bis ins Mark“.

Zum Fall Siemens meinte er: „Meine Vermutung ist, so ein Unternehmen ist derart konstruiert, dass bis zu einer gewissen Ebene alle wissen, wir müssen bestechen, aber wir müssen für den Fall des Falles die Spitze davon freihalten. Dann ist das eine sehr solide, vernünftige Konstruktion.“ Nämlich so wie früher, als die Knechte putzten, wenn der König gepupst hatte.

Und Steuerhinterziehung? Auch dufte! „Der Staat sollte sich mal überlegen, warum so etwas passiert. Es gibt ja wenige Steuerflüchtlinge vom Ausland in die Bundesrepublik, oder?“ fragt Walser völlig undeutsch. Auf der Strafbank: die Journalisten. Diese setzten in ihrer Berichterstattung bei den Lesern ein „wollüstiges Interesse“ voraus.

Denn:

„Die wissen, es freut die Leute, wenn man zuerst sagt, das ist einer der am edelsten aussehenden Wirtschaftsmenschen und schau mal da: korrupt, korrupt, Sumpf, Sumpf.“ Viele Menschen seien vom Neid befallen, wenn Manager das Hundertfache verdienten.

Neid, Wollust, Walser wird biblisch. Und grundsätzlich:

Geld sei das einzige Mittel zur Unabhängigkeit. Er selbst habe materielle Not immer gefürchtet. Und der Rest wird auch nicht immer ärmer: „Da bin ich absolut erkenntnisabweisend. Wenn es jetzt heißt, jeder achte Deutsche ist arm, und wenn der Staat nicht zuzahlte, dann müsste jeder vierte als arm bezeichnet werden – das kann ich mir nicht vorstellen.“

„Nichts ist ohne sein Gegenteil wahr“, sagte Walser zur Kulturakademie in Bayern. Das Schöne: Er darf das alles sagen. Das Blöde: Man darf’s zitieren.

 

„Best of Booker“ für Rushdie

Na, da schau her:

Der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie ist mit dem Sonderpreis «Best of the Booker» ausgezeichnet worden. Die Ehrung, die anlässlich des 40-jährigen Bestehens des wichtigsten britischen Literaturpreises verliehen wurde, bekam Sir Salman heute für seinen Roman «Mitternachtskinder». Damit ist das Buch nach Meinung der Leserjury das beste, das je mit dem Booker-Preis ausgezeichnet wurde.

Rushdie, der Ende Juni von Königin Elizabeth II. zum Ritter geschlagen wurde, hatte den Booker-Preis 1981 für seinen zweiten
Roman bekommen. Mitternachtskinder (1981) gilt als großes Werk des Magischen Realismus und des Postkolonialismus. «Das sind großartige Neuigkeiten. Ich bin absolut erfreut», sagte Rushdie. Über den Sieger stimmten fast 8000 Leser aus der ganzen Welt im Internet ab.

Fünf weitere Booker-Preis-Sieger waren für den Sonderpreis im Rennen, darunter Schande des südafrikanischen Literaturnobelpreisträgers John M. Coetzee und Oscar und Lucinda des Australiers Peter Carey. Die Auszeichnung wird seit 1969 verliehen.

Gegen die Ritterwürde für Rushdie hatten vor einem Jahr in zahlreichen Ländern Muslime protestiert. Rushdie ist wegen seines
Romans Die Satanischen Verse in der islamischen Welt höchst umstritten, weil sich Muslime durch die Beschreibung des Propheten Mohammed beleidigt fühlen. Rushdie musste jahrelang unter strenger Bewachung im Untergrund leben, nachdem der iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini 1989 eine Todesdrohung gegen ihn ausgesprochen hatte.

 

Mal wieder Harry Potter

Eine kleine Vorgeschichte von Harry Potter ist am Dienstagabend in London für 25 000 Pfund (mehr als 31 500 Euro)
versteigert worden. In dem nur 800 Worte langen Text beschreibt die Autorin Joanne K. Rowling Ereignisse, die noch vor ihrem 1997
erschienenen ersten Potter-Band spielen. Die handgeschriebene Mini-Geschichte namens Potter Prequel behandelt die Zeit drei Jahre vor der Geburt des Zauberlehrlings. Die Interessenten lieferten sich nach Angaben der Nachrichtenagentur PA um die DIN-A5-große handbeschriebene Karte einen Bieterwettstreit.

Rowling hatte die Vorgeschichte Monate nach dem Erscheinen des siebten und letzten Potter-Bandes eigens für die Auktion für
wohltätige Zwecke geschrieben. Harry Potter und die Heiligtümer des Todes kam im vergangenen Juli auf Englisch heraus. Die Potter-Bücher verkauften sich weltweit mehr als 375 Millionen Mal. Im vergangenen Dezember hatte Rowling ihr handgeschriebenes Buch The Tales Of Beedle The Bard für fast zwei Millionen Pfund versteigert.

Außer Rowling spendeten jetzt auch andere berühmte Autoren – unter ihnen Doris Lessing, Nick Hornby, Margaret Atwood und Sebastian Faulks – kleine Werke. Der Text von Doris Lessing brachte so 3000 Pfund ein. Der Gesamterlös soll der englischen Sektion der Schriftstellervereinigung P.E.N. sowie dem Legastheniker-Programm Dyslexia Action zur Verfügung gestellt werden. (dpa)