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Altersfragen

Was tun im Alter? Der schöne Reading Room der FAZ nimmt sich der Frage an und macht Honneurs:

„Wer so viel geleistet hat wie die Herren Goethe und Walser, der hat nicht mehr viel zu verlieren, aber manches zu gewinnen, wenn er sich traut – oder?“

Das letzte Mal, da sich Herr Walser in der FAZ was traute, gab’s einen offenen Brief des Herausgebers, und Suhrkamp musste ein ganzes Buch umschreiben. Nun soll er wieder, schnellschnell, sonst kommt der Pöbel:

„Schon viele unwürdige Greise und Greisinnen haben noch viel zustande gebracht, weil sie sich um nichts mehr geschert haben.“

Die sind aber unwürdig. Die zählen also nicht. Während die würdigen, wer immer die sind, zu Hause sitzen, Däumchen drehen, das Zweite gucken und mit den Dritten klappern, oder wie oder was?

„Warum sich also nicht im hohen Alter noch in eine 20jährige verlieben..“

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„… oder Bücher über die Liebe im Alter schreiben, die viele für peinlich halten?“

Rolf Eden, wo sind Sie?

 

Clarkes Gesetze

Arthur C. Clarke schrieb Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum, war ein Wissenschafts-Visionär und Science-Fiction-Autor. Nun verstarb der britische Schriftsteller im Alter von 90 Jahren. An dieser Stelle sei noch einmal an seine drei Gesetze erinnert, die er 1962 im Buch Profile der Zukunft: über die Grenzen des Möglichen veröffentlichte und die die Science-Fiction-Literatur künftig stark prägen sollten:

1. „Wenn ein angesehener aber älterer Wissenschaftler behauptet, dass etwas möglich ist, hat er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit recht. Wenn er behauptet, dass etwas unmöglich ist, hat er höchstwahrscheinlich unrecht.“

2. „Der einzige Weg, die Grenzen des Möglichen zu finden, ist ein klein wenig über diese hinaus in das Unmögliche vorzustoßen.“

3. „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“

 

Goethe frisch gestrichen

In der Goethe-Gedenkstätte Gabelbach im Thüringer Wald sind mehrere grüne Wände für die Theaterverfilmung «Werther» ohne Erlaubnis der Denkmalpflege braun übermalt worden. „Ein Zimmer des in den 1990er Jahren nach originalen Farbfassungen
restaurierten Hauses wurde für die Filmaufnahmen farblich verändert“, sagte der Ilmenauer Kulturamtsleiter Ingolf Krause. Die untere Denkmalschutzbehörde sei nicht eingeschaltet worden, da „baulich nichts verändert wurde.“ Dies sei nicht nur eine Ordnungswidrigkeit, sagte die Sprecherin des Landesdenkmalamtes, Sibylle Putzke. „Es ist auch respektlos.“

 

Alt, wirklich alt

… aber lachen musste ich trotzdem in der Tübinger Innenstadt.

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Ja ja, die Bildqualität ist lausig. Daher für diejenigen, die es nicht lesen können: „Hier kotzte Goethe.“ Aus dem Fenster! Ein paar hundert Jahre Stadtreinigung haben inzwischen alle Spuren beseitigt. Falls Sie diesen historischen Ort besuchen wollen, empfehle ich hernach noch im Zimmertheater in der Bursagasse vorbei zu schauen. Dort läuft zurzeit Ernst Jandls „Die Humanisten“ – wirklich hervorragend, mit Geschrei, fast nackten Männern, einem Käfig und zwei Nobelpreisträgern. Blut fließt auch. Mehr Informationen gibt’s hier.

 

Irgendwann ist doch mal gut

Der siebte und letzte Harry Potter-Band Harry Potter und die Heiligtümer des Todes von Joanne K. Rowling bleibt weiter die Nummer eins der Spiegel-Bestseller-Liste Belletristik.

 

Bukowski im Iran

Texte des amerikanischen Schriftstellers Charles Bukowski sollen zum ersten Mal im Iran veröffentlicht werden. Nach Angaben der Nachrichtenagentur ISNA vom Freitag, wird der berühmte iranische Übersetzer, Ahmad Puri, eine Auswahl von Gedichten des exzentrischen Kultautoren ins Persische übertragen. Die Gedichte, Kurzgeschichten und Romane des 1920 in Andernach geborenen Amerikaners sind hauptsächlich autobiografisch und drehen sich um seine Erfahrungen mit Prostituierten, Sex und Alkohol. Daher ist ungewiss, ob die Texte die zuständige Zensurbehörde des konservativen islamischen Landes passieren.

Erst im November hatten die Beamten eine Übersetzung des Romans Erinnerung an meine traurigen Huren des Kolumbianers Gabriel Garcia Marquez kurz nach seinem Erscheinen verboten. Das Buch wurde zunächst veröffentlicht – anstatt Huren wurde im Titel Schätzchen benutzt. Kurz darauf hielten die Zensoren das aber doch für „prostitutionsfördernd“. Das Verbot allerdings weckte erst recht das Interesse der Iraner, die für das Buch auf dem Schwarzmarkt den doppelten Preis bezahlen.

Das gleiche Schicksal könnte dem Gedichtband von Bukowski widerfahren, sobald der Wächterrat im Ministerium über das wilde Leben des 1994 an Leukämie verstorbenen Bukowski aufgeklärt ist. (dpa)

 

Willi und Heini

Wilhelm Genazino ist neuer Heinrich-von-Kleist-Preisträger. Toll. Dieser Schriftsteller hat alle Preise dieser Welt verdient. Und weil das alles so schön ist, verleihe ich ihm auch noch einen dazu: den Seitenblick-Preis für den besten deutschsprachigen Buchtitel, nämlich für Mittelmäßiges Heimweh und Der Fleck, die Jacke, die Zimmer, der Schmerz. Leider, lieber Wilhelm Genazino, kann ich Ihnen keine 20 000 Euro spendieren, kein Tamtam und auch keinen Ulrich Matthes. Aber ich stimme ihm zu! Ihr Werk ist „außerordentlich und preiswürdig“ – allerdings: Ob es auf Regisseure wie Christian Petzold wartet…

Wie auch immer. Glückwunsch!

 

Endlich! Der Nobelpreis!

„Blauschielend der Himmel“, würde Friederike Mayröcker dichten. Das Radio sagt dazu: gutes Wetter. Aber das ist ja egal. Ist ja Buchmesse. Ist ja drinnen. Und ist schwülwarm und anstrengend. Menschen tragen Papptaschen rum, schieben und stoßen sich durch die Gänge. An vielen Buchständen zeigt sich gegen Mittag eine gewisse Spannung: Der Literaturnobelpreisträger wird gleich bekannt gegeben. Ein bisschen Weltmeisterschaftsgefühl. Beim Hanser-Verlag steht schon das ZDF, eine Journalistin hakt Fragen auf einem Zettel ab, der Kameramann entsichert sein Geschütz. Das Verlags-Personal ist vorbereitet und ist sich schon ein wenig sicher. Phillip Roth gilt seit Jahren als sicherer Preisträger. Immer wieder tauchte sein Name in den Spekulationen auf. Ein wenig der Martin Walser der amerikanischen Literatur. Wenn man böse wäre. Falls er gewinnt, wird die Buchwand umdekoriert. Dann heißt es Roth, Roth, Roth – solange das Fernsehen herumsteht. Der Sekt ist auch schon kalt. Sicher ist sicher.

Weniger Stress am Rowohlt-Stand. Mit Thomas Pynchon rechnet hier kaum jemand. Seine Bücher sind in den Regalen kaum zu finden. Ein anderer Kandidat lächelt an den Wänden S.Fischers herab. Aber auch er, Richard Ford, scheint nicht ernsthaft in Erwägung zu kommen. Auch der Verlag glaubt offenbar nicht dran. Oder ist er nur bescheiden?

Ein Stockwerk höher, mal wieder am Focus-Stand, lässt sich der Schauspieler Walter Sittler mit ein paar Gästen fotografieren, dann passiert’s, das Geraune beginnt: Ko Un? Nein. Pynchon? Neinnein! DeLillo? Neinneinnein! Oder Roth? N-E-I-N! Sondern die englische Schriftstellerin Doris Lessing! „Ach echt?“, sagt eine Besucherin. „Was hat’n die geschrieben?“ Das steht alles bei Hoffmann und Campe in Halle 3. Die Presse setzt sich in Bewegung. Man wird mitgeschoben, mitgezerrt, fast rennt man Alexa Hennig von Lange auf der Rolltreppe um, fegt vorbei an Roger Willemsen, und natürlich ist man nicht der Erste am Stand. Der Champagner in den Gläsern ist schon fast leer, Kameras blitzen, Videokameras halten auf das Stoffplakat der Schriftstellerin, die darauf gütig lächelt. Ihr jüngster Roman Die Kluft wird nachgelegt, das Regal muss voll. Verlagsangestellte Bettina von Sallwitz schüttelt Hände. „Na klar haben wir damit gerechnet“, scherzt sie. „Aber eigentlich ist sie ja seit einigen Jahren immer auf der Liste.“ Da sei man nicht allzu überrascht. Noch vor einer Woche hätten sie Doris Lessing getroffen, in Hamburgs Thalia-Theater. „Wer weiß, ob man dieser Frau noch einmal so begegnen kann.“ Schließlich ist Lessing 87.
Ein paar Studenten wurden vom Trubel angezogen. Sandra aus Bielefeld und Diane aus Stuttgart.
„Kennt ihr Doris Lessing?“
„Lessing, Lessing“, sagt Sandra und grübelt, „ist das nicht Nathan der Weise?“
„Nein“, sagt Diane, „die hat doch dieses Katzenbuch geschrieben.“

Das Journalistengedrängel wird weniger. „Hab alles!“, ruft einer, wischt sich die Stirn und klatscht in die Hände. Soviel Klischee muss sein. Außerdem locken die nächsten Bücherwände und die nächsten Schriftsteller. Ein paar Werbetaschen gibt’s sicher auch noch irgendwo. Ist ja Frankfurt. Ist ja Messe.

 

Die Kaiser haben’s gesehen

Frankfurt, Montag, kurz vor sechs, Kaisersaal im Römer. Von oben flimmern wuchtige Kronleuchter, von den Seiten blicken in Öl gemalte deutsche Kaiser auf das Treiben im Prunkzimmer. Friedrich, Wilhelm, Karl der Große. Was sie sehen: Männer in schwarzen Anzügen, Frauen in Hosenanzügen und dunklen Kleidern klimpern mit Perlenketten, Kellnerinnen tragen Sekt herum und das Fernsehen ist auch schon da. Verleger, Journalisten und die Autoren natürlich. Nur geladene Gäste. Großer Betriebsnudelauflauf. Und alle warten nur auf eins: den wichtigsten Roman des Jahres. Die Verleihung des Deutsche Buchpreises. Er soll als größter deutscher Literaturpreis etabliert werden, verliehen vom Börsenverein des deutschen Buchhandels, mit 25.000 Euro dotiert.

Eine siebenköpfige Jury nahm sich sechs deutschsprachige Romane zur Brust, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Das bin doch ich zum Beispiel – Thomas Glavinics humorvolle Betrachtung des Literaturbetriebs, oder Julia Francks Die Mittagsfrau, ein poetischer Familienroman zwischen den zwei Weltkriegen. Liebesromane gab’s auch: Martin Mosebachs Der Mond und das Mädchen und Böse Schafe von Katja Lange-Müller. Das einzige Debüt auf der Liste, die auch beim deutschen Buchpreis „Shortlist“ heißen muss, war Thomas von Steinaeckers Wallner beginnt zu fliegen. Zuletzt noch Michael Köhlmeyers Abendland.

Handys aus! Die Reden. Petra Roth, die Bürgermeisterin Frankfurts, beginnt, zitiert Goethe und alle klatschen, wegen Frankfurt und Goethe. Eine Frau platzt mit Sektglas hinein in den Saal, in die Stille und wird freundlich herausgeschickt. „Lassen Sie den Sekt bitte draußen, ja?“ Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins, ist der nächste am Pult. Nimmermüde betont er, die Verlage hätten keinen Einfluss auf die Auswahl der Bücher, nein, die Jury sei unabhängig und resistent gegen allerlei Anfragen oder gar Lenkung von außen. Eine Dame flüstert leise, aber so dass man es drei Reihen weiter noch hören kann: „Aber dreimal Hanser Verlag ist schon komisch“, und ein paar nicken. Honnefelder hofft, dass der Preis den Buchverkauf ankurble, alle sechs Bücher Bestseller würden, gerade zum Weihnachtsgeschäft. Das Schriftsteller-Dasein fasst er so zusammen: Papier, ein Laptop, Ruhe und vielleicht mal ein Glas Wein.

Jury-Vorsitzende Felicitas von Lovenberg sagt auch noch einmal, wie unabhängig die Jury sei. Warum sich alle Redner bemüßigen, das wieder und wieder zu erklären, weiß keiner. Ist ja auch egal. Videos laufen an. Kurzporträts der einzelnen Autoren, die ersten Sätze der Bücher, dann noch ein paar warme Worte eines Juroren. Katja Lange-Müllers Porträt erntet Beifall und Gelächter. Sie sitzt im Video am Küchentisch, schnippelt Bohnen in eine Schale und erzählt, dass Kochen und Schreiben eigentlich nicht viel gemeinsam hätten, aber irgendwie doch.

Und? Wer isses? Julia Franck! Sichtlich überrascht steht sie am Pult. Damit habe sie nicht gerechnet, sagt sie mit wackliger Stimme. In der Tat: Favoritin war sie nicht. Eher Lange-Müller oder der Frankfurter Mosebach. Wäre ja sein Heimspiel gewesen. Umso schöner, dass Franck ihn gewinnt und ihre Dankesrede kurz hält: Verleger, Lektor, ersten Leser, alle Leser, danke, tschüss. Sie vergisst sogar die Urkunde auf dem Pult, so eilig stürzt sie wieder vom Podium. Ein älterer Herr sagt zu seiner Begleiterin: „Also, ich hab ja nur den Mosebach versucht, aber der erste Satz von dieser jungen Dame“, er zeigt dorthin, wo eben noch Julia Franck gestanden hat, „der hat mich sofort überzeugt.“

Hier ist er: „Auf dem Fensterbrett stand eine Möwe, sie schrie, es klang, als habe sie die Ostsee im Hals, hoch, die Schaumkronen ihrer Wellen, spitz, die Farbe des Himmels, ihr Ruf verhallte über dem Königsplatz, still war es da, wo jetzt das Theater in Trümmern lag.“