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Plädoyer für Pynchon

Am 11. Oktober hat die Welt einen neuen Literatur-Nobelpreisträger. Da wird schon wild spekuliert. Don DeLillo, Phillip Roth, Ko Un oder Thomas Pynchon. Da machen wir mal mit! Ich möchte, dass Thomas Pynchon gewinnt. Nicht, weil ich seine Bücher besser finde als die von Roth zum Beispiel. Nein, aus einem einfachen Grund: Ich will wissen, wie er aussieht! Alle öffentlichen Bilder von ihm sind älter als 50 Jahre. Er verbittet sich seit mehr als 40 Jahren jedwedes Foto. Ein Phantom des Literaturbetriebs, das sogar in Simpsons-Folgen auftritt: mit einer Papiertüte über dem Kopf. Es gibt sogar die Geschichte, die CIA habe ihn Jahre lang beschattet, weil ihr der Foto-Boykott verdächtig vorkam. Eine weitere erzählt, dass Pynchon und der Schriftsteller J.D. Salinger lange Zeit als eine Person galten, weil auch Salinger sich zu einem ähnlichen Zeitpunkt aus der Öffentlichkeit zurückzog. Allerdings weiß man von ihm, wie er aussieht.

Nun. Sollte Pynchon den Preis tatsächlich bekommen, bestünde ja vielleicht die Chance, ihn endlich einmal zu Gesicht zu bekommen. Immerhin würden ihm auf der Verleihung noch ein paar Möglichkeiten bleiben, sein Antlitz vor gierigen Pressefotografen und Fernsehteams zu verbergen. Peter Licht hat es auf dem diesjährigen Bachmann-Preis vorgemacht. Die Kameras durften ihn nicht von vorn filmen, nur seinen Rücken, seinen Text, und was aus der Regie sonst noch so befohlen wurde. Sehen Sie selbst. Und wenn Sie schon mal da sind: Hören Sie auch den Text. Der ist hervorragend.

Was meinen Sie? Wem wünschen Sie den Nobelpreis?

 

Morgen feiert Danzig

Am Donnerstag feiert die polnische Stadt mit großem Programm den bevorstehenden 80. Geburtstag ihres berühmten Sohnes Günter Grass. Höhepunkt ist eine Podiumsdiskussion am Donnerstag mit dem deutschen Literaturnobelpreisträger. Daran nehmen auch der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der ehemalige polnische Arbeiterführer und Präsident Lech Walesa und der polnische Ex-Außenministers Stefan Meller teil. Es geht um die Zukunft der Beziehungen zwischen Polen und Deutschen nach den Erfahrungen der Vergangenheit. Grass wurde am 16. Oktober 1927 in Danzig geboren.

Vorgesehen sind außerdem eine Konferenz über Literatur, Kunst und Politik im berühmten Artushof in der Danziger Altstadt, die
Uraufführung eines polnischen Theaterstücks, das auf Grass‘ Roman Die Blechtrommel basiert und ein Jazzkonzert mit zu dieser Gelegenheit komponierten Stücken des Danziger Komponisten Mikolaj Trzaska. Außerdem gibt es zwei Kunstausstellungen mit Werken des Nobelpreisträgers, der neben seiner literarischen Arbeit als bildender Künstler Zeichnungen, Grafiken, Lithographien, Aquarelle und Skulpturen schafft. Unter anderen werden mehr als 50 Grafiken gezeigt, die Grass seiner Heimatstadt geschenkt hat.

Pünktlich zur vorgezogenen Geburtstagsfeier ist die polnische Übersetzung der Grass-Autobiografie Beim Häuten der Zwiebel erschienen. Das Eingeständnis des Autors, zum Ende des Zweiten Weltkrieges einige Monate bei der Waffen-SS gedient zu haben, bevor der im April 1945 verwundet wurde, hatte im vergangenen Jahr in Polen zunächst für Aufregung und Empörung gesorgt. Einige Stadtväter verlangten, er solle auf die Ehrenbürgerschaft der Hansestadt verzichten. Diese Diskussion wurde jetzt im polnischen Wahlkampf mit seinen stark antideutschen Tönen weitergeführt. So haben die Stadtverordneten der Regierungspartei der Brüder Kaczynski «Recht und Gerechtigkeit» (PIS) demonstrativ die Einladungen zu Veranstaltungen mit Grass abgelehnt. Der Stadtpräsident von Danzig Pawel Adamowicz, der Grass eingeladen hat, gehört zur wichtigsten Oppositionspartei der «Bürgerplattform» (PO).

Grass hatte letztes Jahr in einem Brief an die Stadtverwaltung erklärt, dass er 1944 nicht freiwillig in die Waffen-SS eingetreten,
sondern eingezogen worden sei. Daraufhin veranstalteten die Stadtväter eine Umfrage. Darin erklärten 52 Prozent der Einwohner der Stadt, Grass brauche nicht auf die Ehrenbürgerschaft zu verzichten, 20 Prozent waren der Meinung, man soll ihm die Ehrenbürgerschaft wieder entziehen.

Am 20. Oktober feiert Grass übrigens in Göttingen eine Riesenparty. John Irving kommt, Westernhagen auch. ZEIT online wird erzählen, wie es war.

(mit dpa)

 

Wurde auch mal Zeit…

83 Jahre nach Franz Kafkas Tod gibt es sein Gesamtwerk erstmals komplett auf Tschechisch. Mit der Veröffentlichung des 13. Bandes mit Schriften und Briefen sei das Projekt endlich vollendet, sagte heute die Franz-Kafka-Gesellschaft in Prag. Bis 1990 wurde Kafka nicht übersetzt, da den Regierungen zuvor Kafkas Visionen zu „reaktionär“ erschienen.
Nach der politischen Wende hatte die Kafka-Gesellschaft mit dem rund 360 000 Euro teuren Projekt begonnen. Leiter war der böhmische Germanist Kurt Krolop, einer der weltweit anerkannten Spezialisten für deutschsprachige Prager Literatur. Mehrere der 13 Bände waren nie zuvor ins Tschechische übertragen worden, andere wurden komplett neu übersetzt. Auch vor der kommunistischen Machtübernahme 1948 war Kafka bei den faschistischen Besatzern des „Protektorats Böhmen und Mähren“ unerwünscht. Viele Germanisten hatten stets geklagt, dass der Autor in Prag zwar als Werbeträger benutzt werde, sein Werk aber weitgehend unbekannt sei. Das ändert sich ja jetzt. Wie schön.
(mit dpa)