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Literatur für Partys

 

Neulich sagte eine sehr gute Freundin, ich hätte ihr gegenüber einen sozialen Vorteil, da ich Literaturwissenschaft studiert habe und sie Biochemie. Denn über Literatur könne man überall reden. Auch und besonders auf Partys. Ihr Studium helfe ihr da bloß, falls jemand wissen wolle, wie er den Kater am nächsten Tag wegbekomme. Somit sei allen Biochemikern, Maschinenbauern, Physikern und Juristen diese kurze Party-Literatur-Smalltalk-Anleitung gegeben. (Die Bücher sollten Sie gelesen haben, ist aber auch nicht schlimm, wenn nicht)

Zunächst: Reden Sie nie über Handke! Daran gingen schon Freundschaften zu Bruch. Sagen Sie höchstens: „Sein Frühwerk gefällt mir ganz gut, schade nur, dass er da noch so viel von Kafka geklaut hat.“ Wenn Sie auf Krawall aus sind, schieben Sie nach: „Ich finde es ganz bemerkenswert, dass er seinen Milosevic-Fimmel aus seiner Literatur heraushält.“

Aber besser nicht Handke. Reden Sie lieber über Süßkind! Sagen Sie, wie mittelmäßig Ihnen Das Parfüm gefallen hat im Vergleich zu Die Taube, die ja viel weniger kennen. Da können Sie auch wieder den Kafka-Satz anbringen, denn auf die Taube trifft das auch zu. Beklagen Sie danach den Zustand der deutschen Literatur. Sagen Sie, dieses ganze brave realistische Erzählen sei mutlos und langweilig. Loben Sie Clemens Meyer als eine Ausnahme. Sagen Sie, er sei sehr amerikanisch, mehr wie Hemingway. Das ermöglicht den Schlenker zu amerikanischen Kurzgeschichten. Zeigen Sie sich begeistert von T.C. Boyles ersten Sätzen (Wenn möglich zitieren. Notfalls gehen Sie vorher in die Buchhandlung und schreiben einen ab.). Bejubeln Sie dann Raymond Carvers Kurzatmigkeit. Wenn Ihnen immer noch zu wenige Leute staunen, sagen Sie, dass Carver heute hierzulande durchaus seine Epigonen hat: Peter Stamm oder Judith Hermann etwa. Aber bei WEIIIIITEM nicht so gut. Trinkpause.

Gerne können Sie auch Namen osteuropäischer Autoren einstreuen. Milena Oda, Jagoda Marinic, Alek Popov. In deren Prosa stecke eine Energie… Schnalzen Sie mit der Zunge, breiten Sie die Hände aus und nehmen noch einen Schluck.

Seufzen Sie dann und erinnern sich an Brecht! Der hatte noch was zu sagen, sagen Sie. Außerdem finden sich da immer genügend Zuhörer, den hat ja jeder in der Schule gelesen. Fangen Sie seicht an und bemerken Sie, dass der Gute Mensch von Szechaun aus der neunten Klasse immer noch wie eingebrannt sei. Falls Ihnen jemand widerspricht und Sie schon angeheitert sind, lassen Sie den Peter Gauweiler raus: Brechts „Kleines Organon vermittelt darüber hinaus die Diktion, welche man braucht, um im Deutschland von heute als kritischer Mensch zu gelten.“ Kommt bestimmt super an.

Wenn man dann von Schule und Brecht fast unvermeidlich zu Hesse kommt, bügeln Sie jeden Beitrag sofort ab: „Hesse? Pah! Viel zu barock!“ Sagen Sie, nur den Steppenwolf hätten Sie mit Gewinn gelesen. Ansonsten nerve Sie das Kalenderspruchartige seiner Lyrik, seine Romane seien viel zu blumig, und seine Aquarelle könnte man in jedes Sparkassen-Foyer hängen. In neun von zehn Fällen kommt jetzt ein anderer deutschsprachiger Nobelpreisträger. Zu Grass passt zwischen Bier und nächstem Bier ein Satz: „Die Blechtrommel gut, die restlichen Romane aber zu betulich, seine Lyrik hingegen, hach ja, völlig unterschätzt!“

Kommen Sie dann rasch zu Arno Schmidt, bevor dieser ganze Flakhelferkram Ihnen die Feier versaut. Schmidt ja, der hätte den Nobelpreis bekommen sollen, und dann sagen Sie wörtlich: „Der ist wirklich so genial versponnen.“ Hören Sie auf zu schwärmen! Bemerken Sie beiläufig, wie Schmidts Montagetechnik die postmoderne deutsche Literatur beeinflusste. Die Partyküche wird sich leeren.

Diejenigen, die noch da sind, können Sie mit Ihrem Wissen zu Jörg Fauser beglücken. Sagen Sie: „Schon tragisch, dass jemand einfach so an seinem Geburtstag von einem Laster überrollt wurde.“ Wenn Sie schon bei Tragik sind, schieben Sie Kleists Kampf mit Goethe hinterher. „Kleist wollte doch immer nur Goethes Anerkennung. Deswegen hat er sich erschossen damals am Wannsee.“ Aber bleiben Sie nicht so lange in der Klassik, da ist das Eis dünn, da gibt es zuviele Profis. Trinken Sie nach diesem Satz lieber noch ein Bier und gehen tanzen. Wenn noch jemand reden möchte, verweisen Sie auf John Dryden und sagen: „Tanzen ist die Poesie des Fußes.“