Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Tag 2

 

„Die schlechteste Lesung der Buchmesse 08 und du warst dabei – Glückwunsch!“ sowie auch „Worst Reading ever, be part of it“. Das war meine Signatur für die beiden Bücher, die nach meiner Lesung im Azubistro verlost wurden, gehalten vor den jungen Auszubildenden des Buchhandels. Es war ein denkwürdiger Auftritt eines konfusen, verschlafenen Autors, der vergeblich gegen die beschissene Akustik ankämpfte. Reihenweise verließen Leute die Lesung, weil sie mich nicht verstanden. Daraufhin fing ich an wie ein Besoffener rumzubrüllen, was aber auch nicht die Taktik sein konnte. Auch wenn es Spaß machte die einst mühsam geschriebenen Worte einfach mal laut durch die Gegend zu schreien. Dann gab es zeitgleich noch eine weitere Lesung neben mir, so dass man jetzt sowohl mich als auch den anderen überhaupt nicht mehr verstand. Ich kam total aus dem Konzept, wusste gar nicht, was ich jetzt lesen sollte. Ich war am Ende, sah in die Gesichter der jungen Buchhändler, die zu Beginn noch so hoffnungsvoll gewirkt hatten und jetzt nur noch einen Geisteszustand verrieten, nämlich: „Häh?“ Beziehungsweise in der neuen Internetsprache: „WTF?“ Dann fragte ich, wie viel Zeit ich noch hätte, was, noch dreißig Minuten. Scheiße. Irgendwie ging es dann aber vorbei. Umgebracht hat mich keiner, immerhin.

Doch keine Sekunde, um sich zu grämen. Nächster Termin, Foto, nächster Termin, Interview, Signieren, Interview, Foto, Termin, Termin, Termin. Zeit um selbst mal zu lesen (Bin gerade tief in Wolf Haas‘ Hauptwerk versunken, der Brenner, einfach genial) hatte ich keine, nicht mal fünf Minuten, immer war was los. Klingt stressig, aber, mal unter uns, ist einfach geil. Davon träumt man doch, dafür schreibt man, kein Mensch kann mir sagen, ob jemals wieder jemand an meinen Büchern so interessiert ist. Ich versuche es, so gut es geht, zu genießen, aber das kann man einfach nicht. Es ist zu schnell, alles dreht sich, ein Rausch, und in ein paar Wochen werde ich aufwachen und realisieren, was sich abgespielt hat. Bla, bla, bla – okay, ich geb’s zu. Viel wichtiger: Sandwichs. Und da gab es grandiose in einer geheimen Kammer beim Diogenesstand. Ein zauberhafter Ort voller Schnittchen, Süßigkeiten, Getränken und überhaupt allem. Werde mich da wohl morgen mal längere Zeit einsperren müssen und… Okay, nächstes Thema.

Verlagsempfang im Frankfurter Hof. Da sind dann auf einmal Suter und Noll und Kara und Widmer und Dobelli und McCarten und überhaupt alle. Auch Paulo Coelho schwebte wie ein Gott durch den Raum, kein Wunder, bei 100 Millionen verkauften Büchern, wie ich erfuhr. Überall waren Verleger aus anderen Ländern, aufregende Atmosphäre, man spürte, hier werden Geschäfte abgewickelt. Auch dieser komische 23jährige Schriftsteller mit dem Vogelnest auf dem Kopf wurde hier und da jemandem vorgestellt, aber was daraus wird, das weiß kein Mensch. Weiter ging es nun zum Autorenessen. Während die anderen in gelöster, ja fast familiärer Stimmung die Hauptspeisen bestellten, hieß es für mich: Ab zum Römer, Lesung. Ich spazierte durch die Altstadt, kam an, wurde verkabelt und rein in die Halle und ach du Scheiße, wie viel ist denn hier los. Der Raum brechend voll, hunderte Leute. Vor mir las Tilman Rammstedt, sehr komisch, damit machte er es mir natürlich auch nicht gerade leicht. Auf der anderen Seite: Beschissener als beim Azubistro konnte ich einfach nicht sein, das war nicht möglich, ein Mensch hat auch da nur ein begrenztes Potenzial. Rammstedts Lesung war dann vorbei und ich ging in die Arena. Ich werde in meinem Leben nicht mehr den Moment vergessen, als ich auf der Bühne saß und auf einmal die Lichter angingen. Wromms. Zwölf Scheinwerfer, alles weiß. Ich konnte nicht mal mehr die erste Reihe sehen, ich kam mir vor wie ein fliehender Gefangener, der nun von den Lichtkegeln des Gefängnisses gestellt wurde. Shit. Herzschlag – lieber nicht wissen. Es lief dann aber doch ganz gut, was vor allem auch an der wirklich netten Moderatorin Kathrin Fischer lag und an einem Publikum, das einfach gut drauf war. Geschleimt, klar, aber war halt einfach so.

Nach der Lesung ging es dann wieder in den Frankfurter Hof, und dort ab zur Bar. Jetzt zeigten sich Anthony McCartens geheime Talente, beziehungsweise die seines alten Kumpels, der zu uns gestoßen war. Weiß nicht, wie der Kerl das gemacht hat, aber auf einmal tauchten hübsche Frauen sowie auch Wein- und Champagnerflaschen auf, er schien da eine unerschöpfliche Quelle zu kennen. Nicht schlecht. Denn ein winziges Weinglas kostete da schon mal seine vierzehn Euros. Ich sah mich dauernd um. Es war irgendwie kurios, all diese Schriftsteller, Verleger, Journalisten – auf einem Haufen. Getuschel, Geflüster, Gelächter, die Räume barsten, auch draußen vor dem Eingang war es überfüllt. Die einen Gläser wurden umgestoßenen und fielen zu Boden, mit anderen stieß man an. Viele Besoffene, aber das ist wohl okay, wer im Glashaus sitzt… Naja. Wir hockten dann irgendwie abseits, es wurde sich unterhalten, Karten ausgetauscht, wenn man denn eine hatte, und überhaupt. Ständiges Fragen. Wer bist du, was schreibst du, woher kommst du. Mein Buch, mein Verleger, mein Drink. Daran, dauernd fotografiert zu werden, hab ich mich irgendwie gewöhnt, was für sich genommen ja schon pervers ist. Vielleicht muss man sich das einfach als ein paar verrückte und auch tolle Tage vorstellen, so kann man das vielleicht begreifen. Ich bin jetzt jedenfalls irre müde und frage mich, was für einen Mist ich hier wohl schreibe und ob das überhaupt eine Sau interessiert. Seinen Blog um diese Uhrzeit zu tippen ist auch nicht gerade klug, aber wat solls. Ich bin jedenfalls mal gespannt, wie es morgen läuft. Und lest Wolf Haas, ich selbst kann es ja momentan nicht tun!