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Dan Browns CO2-Bilanz

Ein paar läppische Fragen zum Herbst:

– Kann man David Foster Wallace‘ Infinite Jest eigentlich jemals durchlesen? (Seite 837…)

– Warum in aller Welt wurde Pu der Bär fortgeschrieben?

– Wäre Der Turm nicht besser ein Sat.1-Zweiteiler?

– Schneuzen oder hochziehen?

– Wann wird endlich auf Klappentexte verzichtet, in denen „wunderbar“, „herrlich“, „Weltliteratur“ und/oder „Meisterwerk“ steht?

– Wie viele Bücher wurden in diesem Jahr auf Buchmessen geklaut?

– Wie sieht Dan Browns CO2-Bilanz aus?

– Sind Geheimbundromane nicht schon seit dem 18. Jahrhundert aus der Mode?

– Wer hat Angst vor dem E-Book?

– Warum liest in Deutschland eigentlich niemand Kurzgeschichten?

– Warum beginnen so viele Rezensionen mit „Um es gleich vorweg zu nehmen“?

Jaja, der Vorhang zu und alle… Sie kennen den Rest.

 

Kleine Messe-Benimm-Regeln

Ich habe inzwischen alle Peinlichkeiten auf der Messe ausprobiert und kann Ihnen nur empfehlen, sich ähnliches zu ersparen. Deshalb hier folgende Tipps:

1. Vermeiden Sie typische, dumme Messekonversation wie diese:

Ich sagte gestern zu Sebastian Koch: „Ja, natürlich kenne ich Sie. Ich bin ein natürlich ein großer Fan. Spätestens seit dem Film Mephisto.“
Er bedankte sich sehr freundlich. Doch heute morgen fiel mir ein, dass der Film „Mephisto“ mit Sebastian Koch gar nicht existiert.
Oder auch dieses schöne zweite beobachtete Beispiel. Jemand, ich weiß nicht mehr, wer es war, denkelte verschlafen über Kathrin Schmidt nach: „Diese Andrea Schmidt. Kenn ich natürlich alles. Die hat doch den Buchpreis bekommen.“

Tragen Sie deshalb verschiedene Lexika bei sich: Kindlers Literaturlexikon (In der Taschenbuchausgabe sind die 22 Bände etwas leichter), aktualisiertes Schauspieler- und Filmlexikon, Sportergebnisse der letzten Jahre, Geschichtsbuch.
Vielleicht haben Sie aber auch schon ein Telefon mit eingebautem Internet…

2. Empfänge, Messepartys, Menschenmenge

Versuchen Sie auch vor Verlagspartys in diversen Clubs und Bars niemals mit dem Türsteher zu diskutieren, sich vorzudrängeln, eine eigene Schlange zu bilden, sich generell auch ohne Einladung eingeladen zu fühlen. Ich habe das schon alles für Sie ausprobiert und kann Ihnen immer nur ans Herz legen, Abstand zu Türstehern zu halten und deren hässliche Regeln niemand versteht und für Sie selbst nur erniedrigend sind.

Zum ersten Mal in diesem Jahr feierte der Piper-Verlag ein rauschendes Fest im Velvet-Club, wo sich eine lange Schlange vor der Tür bildete, sich um die Säulen schlängelte, wo dann auch der eisige Wind durchfegte und durch die ganzen Drehungen um Säulen und Menschen noch etwas Rauer wurde. Wie Eingangs bereits angedeutet, war ich auch ohne Einladung, spazierte aber trotzdem munter und peinlich an der Schlange vorbei. Ich war die Andrea-Hünniger-Schlange. Ich lachte im vorbeigehen noch Kollegen aus, die frierend ihre Mäntel noch etwas weiter zuknöpften und rote Nasen von qualvollen Minuten im Frankfurter Winter erzählten. Leider scheiterte ich an dem Türsteher, er verwies mich „ganz nach hinten in die Schlange“. Als ich mich ungefähr mittig einreihte, kam er persönlich noch einmal und sagt: „Du“, wie ein Kampfschrei, „Du gehst hier raus und stellst dich wieder ganz nach hinten in die Schlange!“
Im übrigen sind immer Leute in der Schlange, die Sie kennen und vermutlich diese Vorkommnisse weiter erzählen oder gleich mit dem Telefon filmen.

3. Viren

Haben Sie ein Desinfektionsspray zur Hand, um sich nach Kontakt mit Menschen gleich alle Viren von Gesicht und Hand zu sprühen. Krankheiten treiben sich hier herum, angefangen von Unhöflichkeit bis zum unerträglichen Messeschnupfen.

4. Haben Sie immer Ausreden parat und tuen Sie sehr geschäftig

Polizei: „Machen Sie mal bitte Ihren Koffer auf.“
Ich: „Ich bin beruflich hier.“
Polizei: „Na und?“
Ich: „Ich bin auch zu müde, um den Koffer zu öffnen.“
Polizei: „Na gut, dann gehen Sie durch.“

5. Bücherklau

Jeder denkt daran. Beinahe jeder hat es schon getan. In der Grauzone der Messe weiß man eigentlich auch gar nicht, ob das überhaupt verboten ist. Nun denn.
Wenn Sie das schon vorhaben, dann sollten Sie das auch geschickt tun:
Gehen Sie zu einem Stand, schauen Sie interessiert und kritisch die Bücherregale an. Nehmen Sie ein Buch, blättern Sie, schauen Sie doch mal zwischendurch auf Ihr Telefon. Begrüßen Sie doch jemanden am Stand, den Sie natürlich nicht kennen. Entfernen Sie sich langsam.
Greifen Sie nicht wahllos zu, denn diese Bücher muss man auch wegtragen können und vermutlich auch lesen.

 

Günter Grass und das Geheimnis der Menschheit

Ich würde nie behaupten, der Auftritt von Günter Grass sei großspurig oder sogar breitbeinig. Nein, es ist viel schlimmer. Er ist im ersten Moment sympathisch. Er erregt Mitleid. Er wirkt zart und eingesunken, der arme geschundene, ausgeschimpfte alte Mann, der mal was bei den Nazis gemacht hat. Günter Grass ist diese kleine nette arme Schnecke, die man beschützen möchte, ihr den Weg frei räumen, eigentlich am liebsten ins Grüne, Freie und Friedliche hinaustragen tragen will.

Aus den Büchern "Im Schneckengang" oder "Beim Schälen eines Schneckenhauses"
Aus den Büchern "Im Schneckengang" oder "Beim Schälen eines Schneckenhauses"

Im ersten Moment denkt man so etwas. Aber Günter Grass ist nicht zum anschauen da, der Mann redet und das besonders viel, umfassend, großkalibrig, ernst, die Gesamtsituation überschauend. Und die Gesamtsituation ist schlecht. Ja, schrecklich. Für Grass ist die Welt aus den Fugen geraten. Angefangen bei den Nazis, die eine gesamte Nation grassisch ausgedrückt verführt hat, aber „wir haben uns aber auch – und Achtung – verführen LASSEN!“. Das klingt so ungeheuer schön pathetisch und tragisch, dass sich Grass ein wenig darin zu baden beginnt während Fragen des Journalisten mit viel Einfallsreichtum umgangen werden. Im übrigen, schließt er jetzt die verführerische Nazigeschichte, falle ihm da auch China ein, und wo wir gerade bei China sind, die ganze Welt ist ja furchtbar, denn jeder Sechste Mensch in der Welt hungert und keiner tut etwas dagegen. Dabei vergisst er natürlich nicht, noch das Thema der Deutschen Einheit und den Wir-sind-das-Volk Gedanken erneut auszubreiten. Aber die Geschichte verführt dazu ja auch und ist manchmal ein großer leuchtender Süßigkeitenladen.

 

Man kann es auch Sprache nennen

Hier zwischen den Hallen, in den schmalen Gängen, wo gedrängelt und getrunken werden kann, hier in der Enge der Buchmesse wohnt auch die Sprache:

Ein außerordentlich kluger Kollege fragt die nette Servicekraft hinter der Theke nach einer Apfelschorle. Sie zapft ordentlich und ruckelt an einer Maschine rum. Ein prickelnd gelbes Getränk stellt sie auf die Tresen. Schaum schlägt sich am Glas nach oben. „Ist das Bier? Ich wollte doch eine Apfelschorle?“, fragt der Kollege als Kunde.

Sie dann: „Sie können das schon auch als Apfelschorle trinken!“

Sprache hinterlässt so viele Fragen!!!

 

Kleine Szene zwischen Büchern

Polizeioberwachtmeisterkommissar Fischer in dunkelblauer Polizeiuniform steht am KiWi-Stand. Er hat sich nicht verlaufen, sagt er und atmet eine Sekt-Fahne in die Luft. Ich dachte, das wäre ein Scherz, die Uniform Attrappe, der Mann eigentlich ein Mitarbeiter des Fischer-Verlags. Polizeioberwachtmeisterkommissar erklärte aber, dass er zur Sicherheit, zum Schutz aller vor irgendeiner dunklen Gefahr anwesend wäre. Und die Gefahr, sagte er, könnten die Urigesen sein. Das sind diese kleinen armen Menschen, die nur Stände draußen vor dem Haupteingang im Regen haben und Schilder mit Protest-Formeln schreiben.

 

Würden Sie weiterlesen?

Wie klingen die Neuerscheinungen der Buchmesse? Würden Sie nach dem ersten Satz weiterlesen? Ich hab mal einen Test gemacht – vor der Kamera. Und neben der Satzvielfalt festgestellt, dass ich mich für solcherlei Unternehmen nicht eigne. An Kerstin Fritzsches guter Kameraarbeit liegts nicht. Aber, nun, sehen Sie selbst!

 

Tag 4

Meine lieben ca. zwanzig Leser, heute ist der letzte Tag der Buchmesse und auch mein letzter Blog. Ich danke David Hugendick für die Möglichkeit, hier mal ein bisschen schreiben zu dürfen und euch fürs Lesen (sowie natürlich auch für die lieben Kommentare). Ich hoffe, euch nicht zu sehr gelangweilt zu haben.

Heute also letzter Buchmessentag. Ich bin allerdings gestern bereits nach Hause gefahren. Wenigstens ein Tag Pause, bevor ich nun dann fast täglich woanders lesen werde, andere Städte, anderes Publikum, viel Zugfahren. Eine richtige Tour mit gut dreißig Lesungen. Ich freue mich sehr darauf, hoffe nur, dass mir nicht irgendwo in der Mitte die Luft ausgeht.

Ich habe den gestrigen Besuchertag jedenfalls sehr genossen, am besten war es, als eine Schulklasse da war, mitsamt Lehrer. Eine interessante Konstellation. Zum einen war es lustig, von einem Lehrer zu hören, ihm hätte das Buch gefallen, das hatte ich mir ehrlich gesagt ganz anders vorgestellt. Zum anderen fiel mir auf, wie alt ich geworden bin. Ich weiß, das ist relativ, aber zum ersten Mal ist mir wirklich der Abstand bewusst geworden, den ich zu meiner Schulzeit habe und dass mich diese jungen Leute als erwachsenen Schriftsteller begriffen haben. Einen erwachsenen Schriftsteller, der vielleicht aussieht, als könnte er mit ihnen noch ein paar Jährchen zur Schule gehen, aber immerhin. Übrigens haben mir viele Diogenes-Schriftsteller erzählt bzw. habe ich gehört, dass ihnen in punkto Politikertreffen / Signieren ganz ähnliche Missgeschicke passiert sind, u.a. auch Jakob Arjouni fast das gleiche wie mir. Das hat mich doch ein wenig aufgemuntert, wie auch die netten Worte von Yadé Kara.

Daneben wurden an diesem Tag noch viele Bücher getauscht. Auf der Messe kann man ja auch zum Stand eines anderen Verlags gehen, am besten mit Büchern des eigenen Verlags im Gepäck, und die tauscht man dann um. Also irgendwie wie beim Panini-Sammelalbum damals in der sechsten Klasse. Ein Klinsmann gegen einen Möller, jetzt eben ein Coelho gegen einen Tellkamp oder so. Ich war sehr am neuen Werk von Heinz Strunk interessiert. Ein Mitarbeiter vom Verlag, den ich hier mal nicht diskreditieren will, begleitete mich. Da wir keine Diogenes-Bücher dabei hatten, stellten wir den Leuten von Rowohlt einen Zettel aus, was sie für den Strunk als Gegenleistung bei uns tauschen könnten. Wir boten ihnen an, dass sie für zwei Strunk unseren gesamten Stand haben könnten, aber sie waren großzügig genug sich ebenfalls mit nur zwei Diogenes-Büchern zufriedenzugeben. Dann ein großer Moment, als ich den Lektor von Wolf Haas kennen lernen konnte. Das waren eigentlich die Gründe, wieso ich hier war, dachte ich. Ich habe auf dieser Messe viele Bücher signiert, um eins tut es mir wie gesagt leid, dafür jedoch wandert nun ein anderes direkt zu Wolf Haas. Also alles wieder okay.

Und dann neigte sich der Messetag langsam dem Ende entgegen. Ich schielte noch die ganze Zeit auf die Bundesligaergebnisse, kicker.de, ehe meine Zeit auf der Buchmesse dann endgültig vorbei war. Traurig machte es mich vor allem, mich erst mal von allen vom Verlag zu verabschieden, da es schon ein großer Spaß gewesen war, mit ihnen die Tage so viel rumgehangen zu haben. Das werde ich mit am meisten vermissen.

Als ich im Zug nach München saß, war ich ziemlich seltsam drauf. Ich las nicht, ich schrieb nicht, ich hörte nicht mal Musik. Ich dachte einfach nur nach. Ein Mensch kommt nicht oft in die Situation, einen solchen viertägigen Ausnahmezustand zu erleben. Die ersten beiden Tage waren wie ein Rausch, eine einzige Ekstase. Vier Jahre hatte ich in meiner vereinsamten Scheißwohnung schreibend an diesem Katapult gebastelt, das mich nun in das so ersehnte Rampenlicht geschossen hatte. Doch irgendwann, als der erste Rausch vorbei war, fiel mir auf, dass vor allem das ganze Ego-Zeug einfach nur Mist ist. Lächerlich. Da schreibt so ein Hanswurst ein Buch und ist dazu noch halbwegs jung – als ob das so wichtig ist. Verflucht unwichtig ist es. Das Ziel muss sein, dass über die Geschichten geredet wird, nicht über den Heini, der sie geschrieben hat. Die schönsten Momente waren, wenn Leute gekommen sind, die diese seltsame Story mit dem durchschnittlichen Lehrer und dem Wunderkind wirklich mochten. Die die Figuren liebten oder sogar an manchen Stellen traurig und berührt waren. Ein Geschenk.

Klar, ich will Frauen beeindrucken und so weiter, da kann ein nettes Foto oder ein guter Artikel manchmal nicht schaden. Trotzdem hoffe ich, dass mich die letzten Tage geschärft haben, dass ich nun klarer sehe, was wichtig ist und was nicht. Noch immer habe ich die drohenden Stimmen der Schriftsteller im Kopf, die mir von ihren Schwierigkeiten erzählt haben und wie sie sich verheizt hätten. Vergesse sie nicht!

Es war so oder so eine einzigartige, tiefe, auch surreale Erfahrung, auf der Buchmesse gewesen zu sein. Mal ein bisschen den eitlen Pfau raushängen gelassen zu haben, der sich mit seinem Federkleid schmückt. Für einmal ist das okay und ich habe Szenen erlebt, die ich in meinem Leben nicht mehr vergessen werde, über die es die nächsten Monate nachzudenken und dann vielleicht auch zu schreiben gilt. Manchmal habe ich mir gedacht, dass ich vielleicht noch sehr jung und ungefestigt für das alles war, wie ein staunender Schulbub stand ich da oft rum. Auf der anderen Seite bin ich unglaublich froh, dass ich nicht schon mit achtzehn oder neunzehn in diese Situation gekommen bin. Ich hätte es wohl nicht bewältigen können und wahrscheinlich eine echte Macke gekriegt. Das wär’s dann vielleicht gewesen, denn für einen Schriftsteller ist sein klarer, ich sag jetzt mal auch drogenfreier und wachsamer Verstand das höchste Gut.

Ich bin also sehr dankbar, dass mal so mitbekommen haben zu dürfen. Aber auch glücklich, dass es jetzt vorbei ist. Es ist halt einfach nicht das Wahre, ganz sicher nicht.

Eines jedoch hat sich tief in mir eingegraben: Gespannt irgendwo lauern, Sekunden zählen, auf die Bühne gehen, in erwartungsvolle Gesichter sehen, Herzschlag spüren, Adrenalin spüren, leichtes Zittern der Stimme, Buch aufschlagen, Mikro festhalten, vorlesen. Ich habe keine Angst davor, irgendwann mal süchtig danach zu werden.

Ich bin es schon.

 

Tag 3

(Geschrieben gestern um fünf in der Früh, vergessen es online zu bringen)

Heute hat es mich erwischt. Der Tag begann recht normal, ein Interview fiel aus, ich hatte Zeit, lungerte ein bisschen rum, hier und da gab es Termine, nichts Spektakuläres. Die meiste Zeit verbrachte ich sowieso in meinem Lieblingsort, dem geheimen Knusper-Kämmerchen am Diogenes-Stand, wo ich mich wieder mit allerlei Leckereien eindeckte. Dann war es soweit. Ich stand teilnahmslos in irgendeiner Ecke des Standes rum, ehe ich von jemand aus dem Verlag zu einer Menschenmenge geführt wurde, offenbar eine sehr wichtige Person, die mich sprechen wollte. Ich konnte nicht erkennen, wer den Massenauflauf ausgelöst hatte, zu wem ich geführt wurde. Ich dachte an einen Verleger aus England oder dergleichen, vielleicht aber auch sogar Wolf Haas (okay, das dachte ich nicht wirklich, wäre aber schön gewesen). Es war jedoch nur ein Politiker, der nicht gerade zu meinen Lieblingen zählte. Und während ich nun von allen angesehen wurde, Verlag, Bodyguards, ihm und seiner mich sympathisch anlächelnden Ehefrau, er freundlich mit mir plauderte, hatte ich ihm in meinem Schockzustand auch schon das Buch signiert, dann war wieder alles vorbei. Zack.

Danach saß ich minutenlang allein irgendwo rum. Ich konnte es nicht fassen. Wie schwach man doch war. Die ganze Zeit das Maul aufreißen, zu Hause, bei Freunden, aber dann in so einer Situation so schlecht reagieren. Auf der anderen Seite hatte ich nicht gewusst, zu wem ich geführt wurde, sonst hätte ich natürlich vorher gesagt, dass ich das nicht mache. Ich würde eigentlich bei klarem Verstand keinem Politiker etwas signieren, vielleicht mit drei Ausnahmen. Doch als ich da so dastand und mich alle anstarrten, war ich im Schock, paralysiert, ein Reh im Scheinwerferlicht des heraneilenden Autos. Ich hatte den Skandal nicht gepackt. Ich weiß, dass eine Charlotte Roche es gepackt hätte (unvergessen ihre Attacke auf Döpfner), ich hingegen blieb einfach nur höflich distanziert – schwach eben. Keine Eier gehabt. Alle sagten mir später tröstend, dass viele Politiker hier vorbeikommen und sich Bücher signieren lassen würden, das wäre einfach so und Literatur wäre eine neutrale Zone. „Niemand sucht sich seine Leser aus, du warst professionell“, usw. Naja. Trotzdem ärgerte ich mich. Ich war überfordert gewesen. Mir wurde dadurch jedoch eines klar: Wie schnell alles geht. Ein falsches Wort, ein Mal schlecht reagiert, schon bleibt für alle Zeit etwas zurück. Ein Foto vielleicht, oder ein Zitat, das nie mehr verschwindet, sich an einen heftet, ein Makel, der nicht mehr vergeht.

Ich will versuchen, nicht anders zu werden, als ich vorher war. Ich habe auf den bisherigen Tagen schon ein paar Schriftsteller kennengelernt, manche auch nicht ganz nüchtern, und vielleicht erzählten sie mir deshalb davon, wie sie verglüht wären und dass ich aufpassen solle. Ich kenne starke Menschen die mir sagten, sie hätten dieser riesigen Medien-Welle nicht standgehalten. Auf der Buchmesse ist mir klar geworden, dass ich ihr auch nicht standhalten kann. Scheiß auf leere, ego-verseuchende und aufgeblasene Publicity. Ich bin nicht der neue Irgendwas. Ich bin nur Benedict Wells und wichtig ist das Buch. Ich freue mich auf die Lesungen und auf Interviews mit Leuten, die meine Sachen mögen und ehrlich interessiert sind. Ich freue mich auf die Stimmen und Meinungen von Lesern. Ich will einfach nur Geschichten erzählen, deshalb bin ich hier. Und es ist ein schmaler Grat, diese Geschichten zu verkaufen und nicht sich selbst. Man muss Kompromisse eingehen und ewig lockt die Versuchung, sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Widersetze dich ihr! In diesen Tagen, die einfach nur absurd sind, mit all der Aufmerksamkeit, fällt das zugegebenermaßen schwer. Ich weiß, dass ich gefährdet bin, wie alle, und ich will nicht, dass irgendwer oder irgendwas in den inneren Kreis vordringt, den ich um mein wirkliches Selbst gezogen habe. Mich tröstet, dass ich das heute mit dem Politikertreffen nicht tat, um irgendeinen Vorteil zu erlangen, denn den kriege ich weiß Gott nicht. Die Sache war neben ihrer lächerlichen Unwichtigkeit nämlich so verdammt uncool, dass ich fast lachen muss und ich weiß, dass jeder meiner Freunde, dem ich sie erzähle, auch lachen wird. Über mich. Den Spacko der ungeliebten Politikern die Bücher signiert, anstatt sich ihnen zu widersetzen. Ich fühle mich gerade so peinlich berührt wie damals, als ein Mädel mal meine ach so coolen CDs durchwühlte und irgendwo hinten versteckt im Regal ein altes Album von Sasha fand. (Ich hoffe durch das Beichten dieser wirklichen Jugendsünde wird mir das andere verziehen).

Danach war jedenfalls ein weiteres Verlagsessen in einer rustikalen Kneipe. Nach einer Stunde Trübsinn war ich schließlich wieder auf der Höhe und es wurde ein lustiger Abend, der auf einer Party endete, die von jungen Verlagen veranstaltet wurde. Ein altes, unrenoviertes Haus, voller Schriftsteller und junger Leute. Berlin Mitte Feeling. Es war jedoch eine seltsam stumme Veranstaltung. Es herrschte kein Fluss zwischen den einzelnen Cliquen, anderes als gestern beim Frankfurter Hof, wo man dauernd mit neuen Leuten ins Gespräch kam. Hier jedoch blieb man unter sich. Einmal sah ich Sven Regener vorbeihuschen (ihr wisst schon, der, mit dem richtigen Buchmesse-Blog, der sein Zeug nicht einfach nachts so hinschmiert), ansonsten unterhielt ich mich weiterhin nur mit den Mitarbeitern des Verlags, was aber auch schön war. Und dann ging es schließlich wieder heim ins Hotel. Dort sitze ich nun, noch immer emotional angeschlagen. Es ist kein schönes Gefühl zu wissen, dass man nicht so stark ist. Einen Fehler darf jeder machen, wichtig ist nur, daraus zu lernen, und ich war heute eben einfach überfordert mit dieser Situation. Dennoch sehe ich in der Ferne, irgendwo beim Messeturm, die ersten dunklen Wolken aufziehen. Jetzt kann mir nur noch einer helfen: Wolf Haas. Ein paar Kapitel Brenner, dann müsste es wieder gehen. Quasi: Therapie.