Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Tag 3

 

(Geschrieben gestern um fünf in der Früh, vergessen es online zu bringen)

Heute hat es mich erwischt. Der Tag begann recht normal, ein Interview fiel aus, ich hatte Zeit, lungerte ein bisschen rum, hier und da gab es Termine, nichts Spektakuläres. Die meiste Zeit verbrachte ich sowieso in meinem Lieblingsort, dem geheimen Knusper-Kämmerchen am Diogenes-Stand, wo ich mich wieder mit allerlei Leckereien eindeckte. Dann war es soweit. Ich stand teilnahmslos in irgendeiner Ecke des Standes rum, ehe ich von jemand aus dem Verlag zu einer Menschenmenge geführt wurde, offenbar eine sehr wichtige Person, die mich sprechen wollte. Ich konnte nicht erkennen, wer den Massenauflauf ausgelöst hatte, zu wem ich geführt wurde. Ich dachte an einen Verleger aus England oder dergleichen, vielleicht aber auch sogar Wolf Haas (okay, das dachte ich nicht wirklich, wäre aber schön gewesen). Es war jedoch nur ein Politiker, der nicht gerade zu meinen Lieblingen zählte. Und während ich nun von allen angesehen wurde, Verlag, Bodyguards, ihm und seiner mich sympathisch anlächelnden Ehefrau, er freundlich mit mir plauderte, hatte ich ihm in meinem Schockzustand auch schon das Buch signiert, dann war wieder alles vorbei. Zack.

Danach saß ich minutenlang allein irgendwo rum. Ich konnte es nicht fassen. Wie schwach man doch war. Die ganze Zeit das Maul aufreißen, zu Hause, bei Freunden, aber dann in so einer Situation so schlecht reagieren. Auf der anderen Seite hatte ich nicht gewusst, zu wem ich geführt wurde, sonst hätte ich natürlich vorher gesagt, dass ich das nicht mache. Ich würde eigentlich bei klarem Verstand keinem Politiker etwas signieren, vielleicht mit drei Ausnahmen. Doch als ich da so dastand und mich alle anstarrten, war ich im Schock, paralysiert, ein Reh im Scheinwerferlicht des heraneilenden Autos. Ich hatte den Skandal nicht gepackt. Ich weiß, dass eine Charlotte Roche es gepackt hätte (unvergessen ihre Attacke auf Döpfner), ich hingegen blieb einfach nur höflich distanziert – schwach eben. Keine Eier gehabt. Alle sagten mir später tröstend, dass viele Politiker hier vorbeikommen und sich Bücher signieren lassen würden, das wäre einfach so und Literatur wäre eine neutrale Zone. „Niemand sucht sich seine Leser aus, du warst professionell“, usw. Naja. Trotzdem ärgerte ich mich. Ich war überfordert gewesen. Mir wurde dadurch jedoch eines klar: Wie schnell alles geht. Ein falsches Wort, ein Mal schlecht reagiert, schon bleibt für alle Zeit etwas zurück. Ein Foto vielleicht, oder ein Zitat, das nie mehr verschwindet, sich an einen heftet, ein Makel, der nicht mehr vergeht.

Ich will versuchen, nicht anders zu werden, als ich vorher war. Ich habe auf den bisherigen Tagen schon ein paar Schriftsteller kennengelernt, manche auch nicht ganz nüchtern, und vielleicht erzählten sie mir deshalb davon, wie sie verglüht wären und dass ich aufpassen solle. Ich kenne starke Menschen die mir sagten, sie hätten dieser riesigen Medien-Welle nicht standgehalten. Auf der Buchmesse ist mir klar geworden, dass ich ihr auch nicht standhalten kann. Scheiß auf leere, ego-verseuchende und aufgeblasene Publicity. Ich bin nicht der neue Irgendwas. Ich bin nur Benedict Wells und wichtig ist das Buch. Ich freue mich auf die Lesungen und auf Interviews mit Leuten, die meine Sachen mögen und ehrlich interessiert sind. Ich freue mich auf die Stimmen und Meinungen von Lesern. Ich will einfach nur Geschichten erzählen, deshalb bin ich hier. Und es ist ein schmaler Grat, diese Geschichten zu verkaufen und nicht sich selbst. Man muss Kompromisse eingehen und ewig lockt die Versuchung, sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Widersetze dich ihr! In diesen Tagen, die einfach nur absurd sind, mit all der Aufmerksamkeit, fällt das zugegebenermaßen schwer. Ich weiß, dass ich gefährdet bin, wie alle, und ich will nicht, dass irgendwer oder irgendwas in den inneren Kreis vordringt, den ich um mein wirkliches Selbst gezogen habe. Mich tröstet, dass ich das heute mit dem Politikertreffen nicht tat, um irgendeinen Vorteil zu erlangen, denn den kriege ich weiß Gott nicht. Die Sache war neben ihrer lächerlichen Unwichtigkeit nämlich so verdammt uncool, dass ich fast lachen muss und ich weiß, dass jeder meiner Freunde, dem ich sie erzähle, auch lachen wird. Über mich. Den Spacko der ungeliebten Politikern die Bücher signiert, anstatt sich ihnen zu widersetzen. Ich fühle mich gerade so peinlich berührt wie damals, als ein Mädel mal meine ach so coolen CDs durchwühlte und irgendwo hinten versteckt im Regal ein altes Album von Sasha fand. (Ich hoffe durch das Beichten dieser wirklichen Jugendsünde wird mir das andere verziehen).

Danach war jedenfalls ein weiteres Verlagsessen in einer rustikalen Kneipe. Nach einer Stunde Trübsinn war ich schließlich wieder auf der Höhe und es wurde ein lustiger Abend, der auf einer Party endete, die von jungen Verlagen veranstaltet wurde. Ein altes, unrenoviertes Haus, voller Schriftsteller und junger Leute. Berlin Mitte Feeling. Es war jedoch eine seltsam stumme Veranstaltung. Es herrschte kein Fluss zwischen den einzelnen Cliquen, anderes als gestern beim Frankfurter Hof, wo man dauernd mit neuen Leuten ins Gespräch kam. Hier jedoch blieb man unter sich. Einmal sah ich Sven Regener vorbeihuschen (ihr wisst schon, der, mit dem richtigen Buchmesse-Blog, der sein Zeug nicht einfach nachts so hinschmiert), ansonsten unterhielt ich mich weiterhin nur mit den Mitarbeitern des Verlags, was aber auch schön war. Und dann ging es schließlich wieder heim ins Hotel. Dort sitze ich nun, noch immer emotional angeschlagen. Es ist kein schönes Gefühl zu wissen, dass man nicht so stark ist. Einen Fehler darf jeder machen, wichtig ist nur, daraus zu lernen, und ich war heute eben einfach überfordert mit dieser Situation. Dennoch sehe ich in der Ferne, irgendwo beim Messeturm, die ersten dunklen Wolken aufziehen. Jetzt kann mir nur noch einer helfen: Wolf Haas. Ein paar Kapitel Brenner, dann müsste es wieder gehen. Quasi: Therapie.