Lesezeichen
 

Tag 2

„Die schlechteste Lesung der Buchmesse 08 und du warst dabei – Glückwunsch!“ sowie auch „Worst Reading ever, be part of it“. Das war meine Signatur für die beiden Bücher, die nach meiner Lesung im Azubistro verlost wurden, gehalten vor den jungen Auszubildenden des Buchhandels. Es war ein denkwürdiger Auftritt eines konfusen, verschlafenen Autors, der vergeblich gegen die beschissene Akustik ankämpfte. Reihenweise verließen Leute die Lesung, weil sie mich nicht verstanden. Daraufhin fing ich an wie ein Besoffener rumzubrüllen, was aber auch nicht die Taktik sein konnte. Auch wenn es Spaß machte die einst mühsam geschriebenen Worte einfach mal laut durch die Gegend zu schreien. Dann gab es zeitgleich noch eine weitere Lesung neben mir, so dass man jetzt sowohl mich als auch den anderen überhaupt nicht mehr verstand. Ich kam total aus dem Konzept, wusste gar nicht, was ich jetzt lesen sollte. Ich war am Ende, sah in die Gesichter der jungen Buchhändler, die zu Beginn noch so hoffnungsvoll gewirkt hatten und jetzt nur noch einen Geisteszustand verrieten, nämlich: „Häh?“ Beziehungsweise in der neuen Internetsprache: „WTF?“ Dann fragte ich, wie viel Zeit ich noch hätte, was, noch dreißig Minuten. Scheiße. Irgendwie ging es dann aber vorbei. Umgebracht hat mich keiner, immerhin.

Doch keine Sekunde, um sich zu grämen. Nächster Termin, Foto, nächster Termin, Interview, Signieren, Interview, Foto, Termin, Termin, Termin. Zeit um selbst mal zu lesen (Bin gerade tief in Wolf Haas‘ Hauptwerk versunken, der Brenner, einfach genial) hatte ich keine, nicht mal fünf Minuten, immer war was los. Klingt stressig, aber, mal unter uns, ist einfach geil. Davon träumt man doch, dafür schreibt man, kein Mensch kann mir sagen, ob jemals wieder jemand an meinen Büchern so interessiert ist. Ich versuche es, so gut es geht, zu genießen, aber das kann man einfach nicht. Es ist zu schnell, alles dreht sich, ein Rausch, und in ein paar Wochen werde ich aufwachen und realisieren, was sich abgespielt hat. Bla, bla, bla – okay, ich geb’s zu. Viel wichtiger: Sandwichs. Und da gab es grandiose in einer geheimen Kammer beim Diogenesstand. Ein zauberhafter Ort voller Schnittchen, Süßigkeiten, Getränken und überhaupt allem. Werde mich da wohl morgen mal längere Zeit einsperren müssen und… Okay, nächstes Thema.

Verlagsempfang im Frankfurter Hof. Da sind dann auf einmal Suter und Noll und Kara und Widmer und Dobelli und McCarten und überhaupt alle. Auch Paulo Coelho schwebte wie ein Gott durch den Raum, kein Wunder, bei 100 Millionen verkauften Büchern, wie ich erfuhr. Überall waren Verleger aus anderen Ländern, aufregende Atmosphäre, man spürte, hier werden Geschäfte abgewickelt. Auch dieser komische 23jährige Schriftsteller mit dem Vogelnest auf dem Kopf wurde hier und da jemandem vorgestellt, aber was daraus wird, das weiß kein Mensch. Weiter ging es nun zum Autorenessen. Während die anderen in gelöster, ja fast familiärer Stimmung die Hauptspeisen bestellten, hieß es für mich: Ab zum Römer, Lesung. Ich spazierte durch die Altstadt, kam an, wurde verkabelt und rein in die Halle und ach du Scheiße, wie viel ist denn hier los. Der Raum brechend voll, hunderte Leute. Vor mir las Tilman Rammstedt, sehr komisch, damit machte er es mir natürlich auch nicht gerade leicht. Auf der anderen Seite: Beschissener als beim Azubistro konnte ich einfach nicht sein, das war nicht möglich, ein Mensch hat auch da nur ein begrenztes Potenzial. Rammstedts Lesung war dann vorbei und ich ging in die Arena. Ich werde in meinem Leben nicht mehr den Moment vergessen, als ich auf der Bühne saß und auf einmal die Lichter angingen. Wromms. Zwölf Scheinwerfer, alles weiß. Ich konnte nicht mal mehr die erste Reihe sehen, ich kam mir vor wie ein fliehender Gefangener, der nun von den Lichtkegeln des Gefängnisses gestellt wurde. Shit. Herzschlag – lieber nicht wissen. Es lief dann aber doch ganz gut, was vor allem auch an der wirklich netten Moderatorin Kathrin Fischer lag und an einem Publikum, das einfach gut drauf war. Geschleimt, klar, aber war halt einfach so.

Nach der Lesung ging es dann wieder in den Frankfurter Hof, und dort ab zur Bar. Jetzt zeigten sich Anthony McCartens geheime Talente, beziehungsweise die seines alten Kumpels, der zu uns gestoßen war. Weiß nicht, wie der Kerl das gemacht hat, aber auf einmal tauchten hübsche Frauen sowie auch Wein- und Champagnerflaschen auf, er schien da eine unerschöpfliche Quelle zu kennen. Nicht schlecht. Denn ein winziges Weinglas kostete da schon mal seine vierzehn Euros. Ich sah mich dauernd um. Es war irgendwie kurios, all diese Schriftsteller, Verleger, Journalisten – auf einem Haufen. Getuschel, Geflüster, Gelächter, die Räume barsten, auch draußen vor dem Eingang war es überfüllt. Die einen Gläser wurden umgestoßenen und fielen zu Boden, mit anderen stieß man an. Viele Besoffene, aber das ist wohl okay, wer im Glashaus sitzt… Naja. Wir hockten dann irgendwie abseits, es wurde sich unterhalten, Karten ausgetauscht, wenn man denn eine hatte, und überhaupt. Ständiges Fragen. Wer bist du, was schreibst du, woher kommst du. Mein Buch, mein Verleger, mein Drink. Daran, dauernd fotografiert zu werden, hab ich mich irgendwie gewöhnt, was für sich genommen ja schon pervers ist. Vielleicht muss man sich das einfach als ein paar verrückte und auch tolle Tage vorstellen, so kann man das vielleicht begreifen. Ich bin jetzt jedenfalls irre müde und frage mich, was für einen Mist ich hier wohl schreibe und ob das überhaupt eine Sau interessiert. Seinen Blog um diese Uhrzeit zu tippen ist auch nicht gerade klug, aber wat solls. Ich bin jedenfalls mal gespannt, wie es morgen läuft. Und lest Wolf Haas, ich selbst kann es ja momentan nicht tun!

 

Buchmesse Tag 1

„Beep“, „Beep“, „Beep“. Natuerlich war ich vor dem großen Tag viel zu spät ins Bett gegangen. Trotzdem war das grausam.  Mitten in der Nacht wurde ich vom lauten Schrillen meines Handyweckers hochgeschreckt. Drei Uhr in der Früh. Ich war todmüde. Beim genaueren Hinsehen stellte sich dann auch noch raus, dass es doch schon sieben Uhr morgens war, Zeit zum Aufstehen. Eine Stunde später stand ich bewegungslos wie ein Zombie am Bahnhof in Berlin und stierte schlaftrunken ins Nichts. Mit dem Zug gings nach Frankfurt. Buchmesse. Aufregung.

Ich war die letzten drei Monate in den USA gewesen, während tausende Kilometer entfernt in Deutschland mein Roman erschienen war. Eine eigenartige Situation nun zum ersten Mal an die Öffentlichkeit zu gehen. Im Zug wurde ich, vielleicht auch durch den Schlafmangel, erst mal paranoid, weil natürlich ganz bestimmt jeder Fahrgast ein Journalist war, der mich beobachtete, also quasi: Spion. In Wahrheit stiegen alle irgendwo in der Pampa aus und keine Sau interessierte sich für mich. Im Zug traf ich auf Yadé Kara, ebenfalls von Diogenes. Es war interessant und spannend, sich mit ihr zu unterhalten, immerhin kannte sie alles schon ein bisschen. Dann kamen wir mit Verspätung in Frankfurt an und rein ins Hotel hieß es und dann auch schon wieder raus aus dem Hotel, endlich ging es los.

Drohend in der Ferne der Messeturm. Jetzt kam zum ersten Mal ein wenig Nervosität auf. Denn ich hatte heute meine erste Lesung überhaupt, die „Ur-Lesung“, wie alle sagten, und ich sollte gleich mal ins Lesezelt, direkt hinter Ingrid Noll war ich dran. Irgendwie hatte ich das mit der Pünktlichkeit wohl falsch verstanden, denn ich war beim staunenden Streifzug durchs Messegelände auf einmal verloren gegangen, so dass mich alle suchten. Kaum dass ich gefunden worden war, wurde ich am Ärmel gepackt und sanft ins Lesezelt gezerrt.

„Hier, Lies!“ Ich schauderte. Der Raum war ja voller Leute! In meiner Phantasie hatte ich immer vor fuenf oder sechs Menschen gelesen, von denen ich zwei oder so auch noch kannte, und auch da war ich schon ziemlich nervös gewesen. Das hier hingegen war einfach nur der Wahsninn. Während Ingrid Nolls wunderbare Erzählstimme durch den übervollen Raum flirrte, tappte ich auf und ab und auf und ab. Ich wollte Wasser. Vielleicht mit einem Schuss Alkohol. Ja, das wars. Wasser mit Alkohol, nur ohne Wasser. Gab es aber nicht.

Dann war ich auch schon dran. Ich wurde vorgestellt, ich war auf einmal auf der Bühne, ich las. Und dann war ich fertig mit lesen und wollte munter aus dem Zelt hinausgehen, ehe man mir sagte, ich hätte erst die Hälfte der Lesezeit erreicht. Ach ja, hm. Ich nickte nur verdutzt, ich war irgendwie wie in Trance, man hätte mir in dem Moment auch sagen können, dass David Hasselhoff Uno-Generalsekretär wäre, ich hätte es geglaubt. Ich las noch mal, diesmal lief es etwas besser. Ich starrte auf meine Hand, die noch immer hin- und herzitterte, meine Stimme war teils brüchig, mein Mund trocken. Irgendwie wurde am Ende trotzdem geklatscht, naja, vielleicht aus Höflichkeit, „Wollen wir mit dem armen Kerl mal nicht so sein“ oder so.

Dann wurde es angenehm, Autogramme geben, signieren, Fotografieren lassen, viele hübsche Maedchen. Ich dachte, davon hast du immer geträumt, das kann doch gar nicht wahr sein. Vor einem jahr war ich noch der typische erfolglose Schriftsteller, kurz davor, alles aufzugeben, und nun war ich mitten im Trubel. Als der Marathon dann endlich vorbei war, ging ich mit einigen aus dem Verlag noch indisch essen. Dreimal wäre ich fast eingeschlafen, einmal schrammte mein sich im Sturzflug befindender Kopf nur haarscharf am Chicken Curry auf dem Teller vorbei. Mein Körper wollte mir damit subtil andeuten: Geh ins Bett, du Pfeife, morgen hast du ein volles Programm. Da mein Körper meinem Hirn schon immer nicht nur technisch sondern meistens auch vom Wissenvorsprung her überlegen gewesen war, sitze ich nun hier noch kurz in der Hotellobby und schreibe, ehe es jetzt gleich ins Bett geht. Naja, und ein bisschen Länderspiel schauen geht auch noch. Aber dann wirklich schlafen. Denn morgen wieder Wecker. Und Buchmesse. Und Aufregung.

P.S. Bin gerade mit meiner Zeitmaschine ins Jahr 2009 gereist, zum 6. September, um zu schauen, wie mein nächstes Buch „Spinner“ ankommt. Eigentlich ist es ja mein erstes Buch, ich schrieb es mit neunzehn. Klar hat es deshalb noch nicht ganz die Reife, allerdings ist es dafür schneller und frischer und halt jünger als Becks letzter Sommer, mit allen Vor- und Nachteilen. Leider hat das die ZEIT nicht so verstanden und dabei den Eindruck vermittelt, als wäre Spinner einfach nur eine fürchterliche Enttäuschung,  in der es bloß um Partys und entlaufene Nachbarskatzen geht. Schade, und bestechen lassen wollten die sich seltsamerweise auch nicht. Auf der anderen Seite kann man daran sehen, wie schnell alles vorbei geht. Gerade ist man noch mit dem Debüt auf der Buchmesse, alles läuft super und man schreibt enthusiastisch diesen Blog, und ein Jahr später geht es genau anders rum und man kriegt Gegenwind.

Hm, das alles raubt mit jetzt aber doch ein bisschen die Stimmung. Vielleicht sollte ich einfach nicht mehr mit dieser verdammten Time Machine reisen, sondern jetzt besser die Formel für den Vergessensauber sprechen. Damit ich mich die nächsten Tage in die Buchmesse stürzen kann. Habe in der Zukunft nämlich auch diesen Blog gelesen, natürlich weiß ich jetzt schon, was die nächsten Tage auf der Messe so alles passiert. Eine ganze Menge! O Mann, diesem Politiker signiere ich sicher nicht das Buch, und ich sollte auch nicht so viel fressen in der Diogenes-Speisekammer!!! Und was? Klinsmann versaut es bei Bayern total und Wolfsburg wird Meister? Kann nicht sein. Dass Obama gewinnt habe ich aber sehr gehofft. Aber wer ist dieser Madoff? Bzw. Finanzkrise??? Egal. Die alte Zeitmaschine schrotte ich erst mal, die sorgt eh nur für Ärger. Und nun noch der Vergessenszauber, damit ich die nächsten Tage den Blog ganz unvorbelastet schreiben kann.

Unwissenheit ist ein Segen.

 

Hallo Buchmesse!

Alle Jahre wieder. Die Frankfurter Messe ruft, und Orhan Pamuk kommt, Günter Grass kommt, Uwe Tellkamp kommt, und na ja, ich auch. Dieses Jahr gibt’s aber etwas Neues in diesem Blog: Ich mache jetzt Videos. Also, ich versuch es. Ich habe eine Kamera mitbekommen. Ich werde das Gerät noch verstehen, wurde mir gesagt. Ich glaub das noch nicht ganz. Mal sehen. Das war jetzt sehr viel ICH. Und damit dieses Blog nicht so Ich-Lastig wird in diesen Tagen, schreibt hier ein Gastblogger, über den und dessen Buch ich (schon wieder) mich sehr freue: Benedict Wells! Er ist das erste Mal auf der Messe und wird uns seine Eindrücke und Erlebnisse erzählen. Wie das wohl wird? Seien Sie gespannt!

 

Ein letztes Mal: Buchmesse

Ich habe Listen gemacht. So heißt ein Kapitel in Sasa Stanisics wunderbarem Roman Wie der Soldat das Grammofon repariert. Ich habe auch Listen gemacht. Auf der Buchmesse. Wenn man ein paar Tage da herumläuft und zählt, kommt einiges zusammen. Das will ich Ihnen nicht vorenthalten:

Visitenkarten bekommen: 27
Visitenkarten vergeben: 0
Werbetüten abgestaubt: 13
Werbetüten wieder liegengelassen: 11
Prospekte mitgenommen: 86
Prospekte wieder weggeschmissen: 77
Hände geschüttelt: 49
Prominente gesehen: 30
Prominente aus Versehen umgerannt: 3
Prominente absichtlich umgerannt: Ich bitte Sie!
Bücher gekauft: 9
Bücher, die man noch gern gekauft hätte: Wer zählt sowas!
Signierstunden besucht: 1 (Richard Ford)
Schönste Entdeckung: David Blackbourn Die Eroberung der Natur (DVA)
Gruseligste Entdeckung: Hugo Müller-Voggs Gespräche mit Hartmut Mehdorn
Schönster Verlagsstand: Luchterhand
Hässlichster Verlagstand: BoD
Beste Kekse: Beim Zu Klampen! Verlag
Nervigstes Standpersonal: Focus
Nettestes Standpersonal: Klett Cotta, KiWi
Langweiligster Vortrag: Klaus Wowereit
Angenehmster Vortrag: Martin Mosebach

Toll auch, dass man so viele Literaturzeitungen geschenkt bekommt. In einer fand ich gleich ein sehr hübsches, nicht ganz ernstes Gedicht übers Lesen. Es stammt von Stephan Turowski und geht so:

„Komm zu mir nachhause,
ich bin über achtzehn und vollschlank,
Ich lese gerne bei Kerzenlicht,
dann kann ich die Bücher gleich anzünden.“

(Aus: Stephan Turowski Und jetzt bist du nackt Gedichte. Edition Azur, Leipzig 2006)

 

Mit Vollkornbuch im Schrebergarten

Eine Frage zur Messe wurde hier noch gar nicht beantwortet: Kann man da eigentlich was essen? Man kann! Ob man sollte, ist eine andere Frage. In den Gängen zwischen den Hallen quetschen sich kleine Buden. Da gibt’s Würstchen, da drüben Eis. Woanders steht eine Frau einsam an einem Brezelstand und serviert das Backwerk mit bemerkenswerter Achtlosigkeit. Eine Schlange steht vor dem Champagner-Stand und trinkt ein Gläschen für 16 Euro. Und draußen geht’s weiter. Imbissbuden. Rindswurst im Brötchen. Schmeckt nicht, wie es klingt. Schmeckt schlimmer. Inmitten der Besucher spazieren Edmund Stoiber und Angela Merkel vorüber. Nicht die echten. Mit Gummiköpfen bahnen sie sich ihren Weg, albern herum und kaum jemand lacht. „Muss warm sein unter der Maske“, sagt eine Besucherin gestrengen Blicks. „Naja, selbst schuld“, entgegnet eine andere.

Ein paar Meter weiter auf einem großen Platz befindet sich eine Ruhezone. Im Schatten überdimensionaler Brockhaus-Bände sitzen Heerscharen von Gästen und schnaufen kurz durch, ehe sie drinnen wieder die Neuerscheinungen inspizieren, Händeschütteln oder ihr Namensschild herumzeigen. Ein ungeheueres Sprachengewirr. Chinesisch, Französisch, Deutsch, Englisch, Spanisch, Spanisch, Spanisch. Katalonien ist Ehrengast der Messe. Ein paar katalanische Journalistinnen rennen um die bunten aufgeblasenen Lexika und fragen herum, ob die Ausstellung die Kultur ihres Landes gut repräsentiere. Die wenigsten machen mit. Wollen lieber rauchen, lesen oder kauen.

Drinnen wird weiter gewuselt und gedrängelt. In Halle 3 hat Dr.Oetker einen Stand. Essen kann man da nichts, kochen lernen schon. Gegenüber steht die Vollkornbrot-Literatur von Hanser und Luchterhand. Pompöse Stände. Die kleinen Verlage hingegen stehen zum Teil auf handtuchgroßen Plätzen, ein bisschen wie ein Schrebergarten, in denen jeder seine Gewächse pflegt und sorgsam zur Schau stellt. Nur die Gartenzwerge fehlen. Autoren lesen in Nischen vor ein paar Versprengten, die unruhig ihre Hälse verdrehen, weil ja jemand bekanntes vorbei laufen könnte. Dort der Fischer, hier der Matussek und da drüben, „ist das nicht der Dingsbums, weißt schon, der Die Vermessung der Welt geschrieben hat.“

Weiter weg, im gehobenen gastronomischen Bereich des Restaurants „Aubergine“ schnarren die Gesprächsfetzen der Verleger und Agenten. „Spitzentitel“ sollen rangeschafft, „Zugpferde“ präsentiert und der „Break-Even“ erreicht werden. Englische Literatur mache ja inzwischen jeder, lieber italienische Sachen, literarische Krimis, gern auch historisch, so richtige Schmöker halt, aber mit Anspruch und kommerziell, ja klar, „man hat ja nur wenige Slots“, „hier meine Karte“. Ein kurzes Weh und Ach über die Auflagen noch, dann werden die Nudeln serviert.

 

Endlich! Der Nobelpreis!

„Blauschielend der Himmel“, würde Friederike Mayröcker dichten. Das Radio sagt dazu: gutes Wetter. Aber das ist ja egal. Ist ja Buchmesse. Ist ja drinnen. Und ist schwülwarm und anstrengend. Menschen tragen Papptaschen rum, schieben und stoßen sich durch die Gänge. An vielen Buchständen zeigt sich gegen Mittag eine gewisse Spannung: Der Literaturnobelpreisträger wird gleich bekannt gegeben. Ein bisschen Weltmeisterschaftsgefühl. Beim Hanser-Verlag steht schon das ZDF, eine Journalistin hakt Fragen auf einem Zettel ab, der Kameramann entsichert sein Geschütz. Das Verlags-Personal ist vorbereitet und ist sich schon ein wenig sicher. Phillip Roth gilt seit Jahren als sicherer Preisträger. Immer wieder tauchte sein Name in den Spekulationen auf. Ein wenig der Martin Walser der amerikanischen Literatur. Wenn man böse wäre. Falls er gewinnt, wird die Buchwand umdekoriert. Dann heißt es Roth, Roth, Roth – solange das Fernsehen herumsteht. Der Sekt ist auch schon kalt. Sicher ist sicher.

Weniger Stress am Rowohlt-Stand. Mit Thomas Pynchon rechnet hier kaum jemand. Seine Bücher sind in den Regalen kaum zu finden. Ein anderer Kandidat lächelt an den Wänden S.Fischers herab. Aber auch er, Richard Ford, scheint nicht ernsthaft in Erwägung zu kommen. Auch der Verlag glaubt offenbar nicht dran. Oder ist er nur bescheiden?

Ein Stockwerk höher, mal wieder am Focus-Stand, lässt sich der Schauspieler Walter Sittler mit ein paar Gästen fotografieren, dann passiert’s, das Geraune beginnt: Ko Un? Nein. Pynchon? Neinnein! DeLillo? Neinneinnein! Oder Roth? N-E-I-N! Sondern die englische Schriftstellerin Doris Lessing! „Ach echt?“, sagt eine Besucherin. „Was hat’n die geschrieben?“ Das steht alles bei Hoffmann und Campe in Halle 3. Die Presse setzt sich in Bewegung. Man wird mitgeschoben, mitgezerrt, fast rennt man Alexa Hennig von Lange auf der Rolltreppe um, fegt vorbei an Roger Willemsen, und natürlich ist man nicht der Erste am Stand. Der Champagner in den Gläsern ist schon fast leer, Kameras blitzen, Videokameras halten auf das Stoffplakat der Schriftstellerin, die darauf gütig lächelt. Ihr jüngster Roman Die Kluft wird nachgelegt, das Regal muss voll. Verlagsangestellte Bettina von Sallwitz schüttelt Hände. „Na klar haben wir damit gerechnet“, scherzt sie. „Aber eigentlich ist sie ja seit einigen Jahren immer auf der Liste.“ Da sei man nicht allzu überrascht. Noch vor einer Woche hätten sie Doris Lessing getroffen, in Hamburgs Thalia-Theater. „Wer weiß, ob man dieser Frau noch einmal so begegnen kann.“ Schließlich ist Lessing 87.
Ein paar Studenten wurden vom Trubel angezogen. Sandra aus Bielefeld und Diane aus Stuttgart.
„Kennt ihr Doris Lessing?“
„Lessing, Lessing“, sagt Sandra und grübelt, „ist das nicht Nathan der Weise?“
„Nein“, sagt Diane, „die hat doch dieses Katzenbuch geschrieben.“

Das Journalistengedrängel wird weniger. „Hab alles!“, ruft einer, wischt sich die Stirn und klatscht in die Hände. Soviel Klischee muss sein. Außerdem locken die nächsten Bücherwände und die nächsten Schriftsteller. Ein paar Werbetaschen gibt’s sicher auch noch irgendwo. Ist ja Frankfurt. Ist ja Messe.

 

Kekse essen mit Christa Wolf

„Ey, geil!“ Vor einer Glasvitrine drängeln sich elf Schuljungen und stehen etwas umständlich im Gang herum. Der Gang zu Halle 3, die Kalenderabteilung. In den Auslagen stehen Kalender von Schiffen, Pandabären und, darum das „geil“, russische Mädchenkalender. Also mit Mädchen drauf, aber eher für Männer. Nude in Russia. Teil eins bis sieben. Träume schlafloser Schülernächte, der Albtraum der begleitenden Lehrerin: „Los, kommt schon! Wir sind hier, um echte Bücher anzugucken. Bücher! Und nicht so einen Schrott.“ „Haha“, macht ein Schüler, trottet aber dann mit seinen Kameraden der Lehrkraft hinterher. Rein ins Geschiebe.

Warm ist es, die Klimaanlagen blasen trockene Luft in die Hallen. Die zwei jungen Männer, die als Langenscheidt-Wörterbuch verkleidet Handzettel verteilen, sind nicht zu beneiden. Wer auf die Frankfurter Buchmesse geht, ohne Plan, ohne eigenes Programm, sondern nur darauf hofft, sich inspirieren zu lassen, der hat ein Problem. Es ist unübersichtlich! Überall locken Verlage mit überdimensionalen Postern ihrer Autoren: Da schaut Christa Wolf schwarz-weiß und matt auf einen herunter, ein paar Meter weiter Juli Zeh. Wer nicht weiß, wohin mit sich, kann in den dicken Broschüren nachgucken. In ihnen steht jeder Stand, jede Veranstaltung und sie riechen modrig wie ein Telefonbuch. Überall mikrofonverstärkte Stimmen. Wolfgang Clement redet am Focus-Stand über Bildung. Das Nachrichtenmagazin hat seinen Stellplatz ganz dem Thema gewidmet, dort stehen ein kleiner Hörsaal und ein paar Schulbänke. Manche sitzen sogar drauf. Davor schwadronieren Mädchen in engen roten T-Shirts und noch engeren schwarzen Hosen und versuchen Abos und Infos loszuwerden. In Lauf- und Hörweite bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung krächzt Joschka Fischer von Außenpolitik und Altersmildheit, und eine im Publikumshalbkreis sagt zu ihrem Begleiter: „Lass uns mal zu Suhrkamp, da waren die Kekse so gut.“

Vorher aber noch zu Pendo. Beim Stand ist das Gedränge nicht so groß, obschon Eva Herman ihr Arche-Noah-Prinzip dort veröffentlichte. Oder vielleicht auch deshalb. Eine Besucherin packt die Neugier: „Kommt Frau Herman auch an den Stand?“ Ihre Stimme klingt freudig aufgeregt oder aggressiv, das ist ab einer gewissen Tonlage ja nicht mehr zu unterscheiden. Die Dame am Stand schüttelt den Kopf. „Da hätten Sie gestern Kerner gucken müssen“, antwortet sie routiniert beflissen. Dann geht sie in die Mittagspause. Raus an die herrliche Oktoberluft.

P.S.: Die besten Kekse gibt’s beim ZuKlampen!-Verlag, Halle 4, Gang F, Stand 131. Falls Sie noch vorbeischauen wollen.

 

Mehdorn dichtet

Von den Machenschaften der Bahn bleibt man ja nicht verschont. Erst das endlose Gestreike der Lokführer, dann auf dem Weg zur Buchmesse kein Service im Bordbistro und jetzt auch noch das: Der Journalist Hugo Müller-Vogg sprach nicht nur mit Hartmut Mehdorn, nein, er macht ein Buch daraus! Es erschien gestern, trägt den passenden Namen Diplomat wollte ich nie werden und erscheint bei Hoffmann und Campe. Müller-Vogg ist ehemaliger Herausgeber der FAZ und schrieb in den vergangenen Jahren schon zwei ähnliche Begegnungsbücher. Eins über Angela Merkel und noch eins über Horst Köhler. Nun also Mehdorn. Anne Seith hat’s für Spiegel online schon gelesen. Und, gnade uns Gott, sie findet es ganz gut.

Die ersten 90 Seiten seien langweilig, schreibt Seith. Da frage sich Müller-Vogg durch die Kindheit des Bahnchefs, und heraus kommen Sätze, die einem Robin Hood zur Ehre gereichten: „Ich habe mich auf dem Schulhof für die Schwächeren geprügelt.“ Mit seiner Körpergröße sei „Macher“ Mehdorn sehr zufrieden. 1,70 m, „Astronautenmaß“. Habe der Leser das alles überstanden, werde das Buch spannend. Dann trete der „typische Mehdorn“ zu Tage. Doch auch seine heitere, träumerische Seite. Zuweilen wird’s gar discount-poetisch, spricht Mehdorn über den geplanten Börsengang des Unternehmens: „Mutter und Baby müssen sich trennen. Der Börsengang ist der Schnitt in die Nabelschnur.“ „Sehr lebhaft“, findet das Anne Seith. Vielleicht lesen wir ja fürderhin ein Paar Zeilchen Mehdornscher Poesie auf den Gleisanzeigen, gleich hinter dem Hinweis „Die Abfahrt des Zuges verzögert sich um unbestimmte Zeit“.

Und wer ist danach dran? Mehr Manager, mehr Macher, mehr Player – so nennt Hugo Müller-Vogg diese Leute. Josef Ackermann vielleicht? Ich hätte dafür schon einen Namen: „Gespräche mit Ackermann“. Goethe möge mir diesen Kalauer verzeihen.