Lesezeichen
 

Macht die Moderne rückgängig

Ich muss ständig an ein iPhone denken. Das macht mich wahnsinnig. Ich lege mich ins Bett, lese eine Seite, werde müde, knipse das Licht aus und muss – ehrlich – an ein iPhone denken.
Wie es wohl in Weiß aussieht? Schon einmal jemanden mit einem weißen iPhone in der Hand gesehen? Wie viel Musik geht da wohl drauf? Könnte vielleicht wirklich praktisch sein. Sieht auch toll aus. Ich habe sogar Angst, dass es Lieferengpässe gibt, dass der Vorrat nicht reicht. Dass es sich um ein limitiertes Angebot handelt.

+++ ANZEIGE VOM PRODUKT +++

Ich will es nicht wollen

Das ist die reinste Qual. Ich hasse es. Ich will nicht an das bescheuerte, dumme, kleine, Scheiß-iPhone denken. Es vernebelt mir den Kopf. Es kocht mein Gehirn weich. Ich will es nicht. Ich darf es auch nicht wollen. Aber jeder hat jetzt ein flaches, buntes, multifunktionales Superbooster-Internet-und-alles-sonst-auch-mit-drin-Telefon. Man unterhält sich über iPhone-Dinge, und ich bin nicht dabei, sondern träume in der Nacht davon, verliere auch die Lust am Trinken und Reden, während andere ein Thema haben, das sie zusammenschweißt.
Ich werde neidisch, ich werde missgünstig. Ich verbringe sehr viel Zeit damit, darüber nachzudenken, welcher Neuheit ich mich noch nicht anschließen konnte. Verpasse ich gerade etwas wichtiges? Das ist, zugegebenermaßen, absolut peinlich. Ich verachte mich, weil ich auch ein neues Telefon haben will. Ich hasse es überhaupt, darüber nachzudenken, was ich HABEN will. Ausgerechnet mir passiert das jetzt, wo ich doch am liebsten jede Einkaufspassage mit Beton aufgießen will und die moderne Gesellschaft generell ablehnt. Wäre es so schlimm, ein paar Dinge einfach rückgängig zu machen. Schon aus ästhetischen Gründen wäre das nicht nur von Nachteil. Die ganze zwanghafte Moderne könnte bei der Gelegenheit überdacht werden. Rückgängig? fragen Sie sich? Ja. Weg damit! Wir haben entsetzliche Sehnsucht, einen Liebeskummer nach dem distinguierten Alten.

+++ ANZEIGE +++

Und da wären wir auch schon bei dem Stadtschloss. Am Sonntagmittag wurde in der Schaubühne mit größter Erregung darüber gestritten, ob man nun das Schloss mit seinen barocken und renaissancehaften Fassadenelementen bauen soll, das so aus unserer Zeit herausgefallen sei. Das hätte es im 19. Jahrhundert auch nicht, nicht einmal unter Philistern gegeben, dass man eine Diskussionsrunde auf Sonntag 12 Uhr legt. Haben die denn keine Manieren, keinen Anstand, keine Haltung? Auch das sollte man sich einmal überlegen! Es sei typisch deutsch, sagte jemand am Sonntag in der Schaubühne, dass man nicht einmal auf die Idee kommt, moderne Architektur auf diesem freien Platz zu versuchen. Typisch deutsch ist es, mit „typisch deutsch“ zu argumentieren.
Es wäre sicherlich reizvoll, die Welt aus Stahl und Glas und Regen um eine weitere graue Sachlichkeit zu erweitern. Damit würde man auch an das Erfolgskonzept von Walter Ulbricht mit dem Palast der Republik anknüpfen. Indes lässt sich auch am Potsdamer Platz, in Berlin-Mitte und an jedem Kaufhaus die architektonische Schönheit und moderne Einzigartigkeit bestaunen.

Raubkunst im Schloss

Aber das Publikum war ganz erhitzt, denn im Stadtschloss werden nicht nur 500.000 Milliarden Euro plus Mehrwertsteuer verpulvert, vermutlich auf Kosten des Steuerzahlers. Hier wird auch noch angeblich Raubkunst von Indianern und Afrikanern ausgestellt. Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Hermann Parzinger weiß eine Antwort: „Man kann jederzeit in die Ausstellung gehen und sich die Exponate ansehen.“
Aber die Afrikaner, so eine engagierte Dame in der ersten Reihe, können sich das eben NICHT leisten, aus Afrika anzureisen, um sich IHRE EIGENE Kultur anzuschauen. „Nichts ist perfekt!“, erwidert Parzinger und hat, wie er da den Kopf rabenartig eingezogen vor seiner sehr gründlich erarbeiteten Powerpointpräsentation (mit kleinen Animationen) krümmt und vom Publikum heftig zur Rechenschaft gezogen wird, meine ganze Sympathie.
Ja, baut dieses Schloss! Kehrt der Moderne den Rücken und baut wieder Schlösser! Verpulvert das ganze Geld für eine garantiert übertriebene Renaissance der Renaissance. Es wäre ein diskretes Augenzwinkern, eine schmale Erinnerung, eine Liebeserklärung an die Anmut des Alten, die den Passanten einigermaßen verwirren dürfte. Ihr Schritt verlangsamt sich, sie spüren, dass sie in der Gegenwart ungewohnter visueller Vornehmheit geraten sind. Hier gibt es nichts zu kaufen. Hier muss man niemanden bezahlen! Hier kann man vielleicht, wenn man Glück hat und sich Parzinger das mit seiner eigensinnigen ethnologischen Kolonialgeschichte noch einmal überlegt, auch irgendwann einmal ganz große Kunst anschauen. Und ich müsste nicht ständig darüber nachdenken, ob ich ein IPhone brauche.

+++ ANZEIGE ZU WEIHNACHTEN +++

 

Es hat wenigstens nicht geregnet damals – Überlegungen zum 9. November

Seit meinem Umzug am Wochenende kommt mir die Welt verändert vor. Eine nackte kleine Glühbirne baumelt nur von der Decke, die, weil ich von Deckenhöhe nie genug bekommen kann, erst 6 Meter weiter über der Gammel-Matratze mit dem Raum Schluss macht.
Alles ist noch ganz weiß und leer und begleitet durch die im Nichts wiederhallenden Fragen: Wo sind die Gläser? Wo ist der Schlüssel? Bohrer? Schrauben verloren? Wo ist mein Fahrrad? Was ist mit dem Wetter?
Ja ja, das Wetter, denken Sie jetzt. Wenn ihr sonst nichts einfällt, erzählt oder schreibt sie eben über das Wetter. Das stimmt natürlich. Aber das Wetter ist grundsätzlich auch viel zu unterschätzt. Nichts kann uns so die Laune und das Wochenende vermiesen wie eine falsch platzierte Wolke am Himmel. Es bleibt nichts anderes übrig, als melancholisch zu werden, den Kopf gegen die Fensterscheibe knallen zu lassen und die herbafallenden Tropfen zu zählen. War das eigentlich schon immer so, dass der November so gnadenlos hässlich kalt und verregnet war? Schauen wir zurück auf den November vor zwanzig Jahren, der so gut dokumentiert im Fernsehen nachzuschauen und in Zeitungen nachzulesen und in Bilderbüchern nachzugucken ist. Da war kein Regen, der die winkenden Dauerwellenrevolutionäre in und um die Trabis herum irgendwie die Laune hätte verregnen können. Da sieht man eine klare Nacht, in Anoraks gepackte Weltveränderer, fröhliche rote Nasen.
Was wäre passiert, wenn es so trübe und unnachgiebig gewettert hätte, wie an diesem gerade ausklingendem Wochenende?
Ich persönlich hätte mir das sehr genau überlegt, ob ich zum Brandenburger Tor gehe, eine Mauer einrenne oder darauf bestehen soll, noch weiter weg von zu Hause gehen zu können. Ich hätte, wie gestern, aus dem verschmierten Fenster meiner neuen Wohnung geblickt, hinein in eine graue Mauer, in einen grauen Nebel, mit grauem Regen und hätte, wie ich das gestern auch getan habe, gesagt: „Sollen doch andere die Welt umwerfen. Mir ist das zu kalt. Und der Regenschirm ist auch verschwunden. In den Kartons.“
Weil ich mit Trägheit nicht gern allein bin, hakte ich im Freundeskreis nach, wo es auch nicht besser aussah: Jakobs Katze hat im Regen das Auto nicht kommen sehen und wurde deshalb überfahren, Jules Freund ist in eine andere Stadt gezogen, auch wegen des Wetters, sagt sie. Auch Christoph hat Magenprobleme. Und weil gestern auch mein Fahrrad von Deppen geklaut wurde, denen der Wind auch die letzten paar Fusseln aus dem Gehirn geweht hat, stieg ich in S-Bahn, und setzte mich neben ein Mädchen, dass sich gerade ihrer Taschen und Jacken wütend entledigte und angewidert in ein Schinken-Käse-Remouladen-Bäckersbrötchen biss, aus dem seitlich ein müdes Blatt Salat herausbaumelte. Sie kaute und fing plötzlich an, entsetzlich zu weinen. Sie biss entschlossen in den Nahrungsgegenstand. Die Remoulade tropfte, ihre Tränen auch und, weil man höflich wegguckt in so einem Moment, sieht man auch draußen die Tropfen gegen die Scheiben knallen. Entsetzlich. Man muss sich diese kollektive Depression nur vor 20 Jahren vorstellen. Gebückt und geschlichen wären ein paar noch seelisch stabile und die wenigen wetterresistenten Leute an die Grenzsoldaten getreten und hätten auf den „Guten Tach“-Gruß des Beamten wie IA aus Winnie Puh gesagt: „Guten Tag? Wenn es denn ein guter Tag ist. Was ich bezweifel.“ Und was wäre das für eine Revolution geworden? Zum Glück verlief alles ganz anders, als an diesem Wochenende. Und das vor allem, weil es nicht regnete. Unterschätzen wir die Wetterlage also besser nicht. Sie kann nicht nur die Laune, sondern eine ganze Bewegung versauen.
Ich möchte hier noch einmal eine Schleife ziehen, um den Text ordentlich und faltenfrei zu verpacken. Heute morgen nämlich steige ich in die S-Bahn und treffe dieses Mädchen wieder. Es telefonierte mit einem gewissen „Schatz Mobil“ wie ich sehen konnte, weil ich neben ihr Platz nahm. Ihrem „Schatz Mobil“ sagte sie dann: „Beweg deinen Arsch endlich nach draußen. Regen hin oder her. Reiß dich doch mal zusammen.“

Buchempfehlung zum Thema Deutsche Einheit:
Jana Hensel, Achtung Zone – Warum wir Ostdeutschen anders bleiben sollten
Piper Verlag, München 2009, 14,95 Euro.

 

Kleine Szene zwischen Büchern

Polizeioberwachtmeisterkommissar Fischer in dunkelblauer Polizeiuniform steht am KiWi-Stand. Er hat sich nicht verlaufen, sagt er und atmet eine Sekt-Fahne in die Luft. Ich dachte, das wäre ein Scherz, die Uniform Attrappe, der Mann eigentlich ein Mitarbeiter des Fischer-Verlags. Polizeioberwachtmeisterkommissar erklärte aber, dass er zur Sicherheit, zum Schutz aller vor irgendeiner dunklen Gefahr anwesend wäre. Und die Gefahr, sagte er, könnten die Urigesen sein. Das sind diese kleinen armen Menschen, die nur Stände draußen vor dem Haupteingang im Regen haben und Schilder mit Protest-Formeln schreiben.

 

Örtliche Betäubung

Die Deutschen kaufen nichts mehr, die CDU sorgt sich um die Sprache, im Uefa-Cup ist tote Hose, draußen wird’s kalt, doch Moment, was meldet die dpa:

„Birgit Schrowange nicht mehr solo.“

Dann, liebe Welt, ist ja alles wieder gut.