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Schland am Strand

 

Kinder vor der Strandbar "Tor" (Foto: Christian Spiller)
Kinder vor dem Strandkiosk „Tor“ (Foto: Christian Spiller)

Vielleicht ist es die Sonne. Sie glänzt hier ganz besonders. Oder die Brise, die vom Meer herüberweht. Oder die Aussicht auf den sichelförmigen Sandstrand auf der einen und die Felsen auf der anderen Seite. Auf deren Spitzen scheinen die grünsten Palmen der Welt zu wachsen. Oder alles zusammen. Auf jeden Fall ist es an der Copacabana viel zu schön, um blöd herumzugrölen.

Ich hatte einiges befürchtet. Einen der bekannten Strandkioske hat das deutsche Generalkonsulat während der WM-Wochen gemietet. Zum öffentlichen Fernsehgucken, wie es seit einigen Jahren arg angesagt ist. Wo sonst die Cariocas entspannt ihr Bierchen schlürfen und schöne Menschen am Strand beobachten, wollen die Deutschen nicht ganz so schönen Menschen auf einem fernen Fußballplatz zugucken. Dafür hingen sie schwarze, gelbe und rote Luftballons auf und verteilten aufblasbare Klatschhilfen und Hawaiiketten. „Tor“ nannten sie ihren Kiosk auch noch. Oje.

Für jedes deutsche Tor, so war es versprochen, würde es zudem Freibier geben. In Kombination mit der Mittagssonne, Anpfiff gegen Portugal war um 13 Uhr Ortszeit, ließ das nichts Gutes erahnen. In dieser Zeit kocht die brasilianische Sonne mit großer Freude mitteleuropäische Großhirne weich. Zumal ich mich unwohl fühle auf Fanfesten, all die scwharz-rot-güldene Seligkeit macht mich oft schon ohne Sonne ganz schummrig. Ich hasse Hawaiiketten. Und ein paar Schland-Deutsche und Fanmeilenprollos würden es sicher bis nach Rio de Janeiro schaffen. Ist doch klar.

Und dann kamen Leute wie Erika Schmidt. Erika Schmidt hatte sich an diesem Tag die Farben der deutschen Fahne auf die Wangen gemalt. Sie hatte extra ein schwarzes Top und goldene, in diesem Fall halt gelbe, kurze Hosen angezogen. Erika Schmidt ist für Deutschland, doch das einzige deutsche Wort, das sie halbwegs sicher beherrscht, ist – sorry – „Scheiße“. Sie spricht es so schön weich aus, wie „Scheise“.

Es geht an diesem Nachmittag herrlich unprollig zu. Das Publikum ist tendenziell jung und weiblich, was die Zahl der deutschen Bürstenhaarschnitte in einem überschaubaren Rahmen hält. Ebenso die Zahl öder „Deutschlaaaaand-Deutschlaaaand“-Choräle, ich vermute da einen Zusammenhang. Bei der Hymne bleiben fast alle sitzen. Gesungen wird, wenn überhaupt, nur der Refrain.

Erika Schmidts Großvater kam aus Deutschland, der andere aus Portugal, was die Sache an diesem Tag aber nicht verkomplizierte. „Scheise“, sagte sie, als in der siebten Spielminute der Fernseher ausfiel und alle im Tor das Erste von Thomas Müller verpassten. Einer aber hatte immerhin ein Handy mit Zimmerantenne dabei, als er jubelte, jubelten einfach alle mit. Es kam zu ersten spontanen Freibier-Sprechchören, die sich noch öfters wiederholen sollten.

Tatsächlich hatte niemand mit Thomas Müller gerechnet. Schon zur Halbzeit, 3:0 stand es da, waren die Torjubel fast routinemäßig in Freibier-Forderungen übergegangen. Doch die Biervorräte waren aufgebraucht. Ein deutsches Fanfest ohne Bier – das ist wie Public ohne Viewing.

Vor dem Strandkiosk "Tor" (Foto: Christian Spiller)
Vor dem Strandkiosk „Tor“ (Foto: Christian Spiller)

Auch Paul aus Australien ist etwas besorgt ob der zu Ende gehenden Getränkevorräte. Er trägt ebenfalls schwarzrotgold auf der Wange, weil die Deutschen ein großartiges Team haben. Er erzählt, wie angenehm er es hier findet. Ich erzähle ihm von meinem Problem. Er sagt, er wisse, was ich meine. Vor einiger Zeit ließ er sich ein Australien-Tattoo stechen, weil er sein Land so liebe. Später hörte er, dass in seiner Heimat einige Australier auf Muslime losgingen. Und viele von denen ließen sich jetzt dasselbe Tattoo stechen. Er würde seines am Liebsten wieder wegmachen. Doch ein Tattoo wird man fast ebenso schwierig los wie seine Nationalität.

Hier und heute aber ist alles harmlos. Das deutsche Fanfest kommt als Campusparty daher, zu der man ein paar Tonnen Sand herangeschafft hat. Das Spiel läuft so nebenher. Auf dem Bürgersteig bilden sich Grüppchen, die entspannt plaudern. Vom Strand kommen ein paar Beachboys mit freiem Oberkörper und wollen sehen, warum die Leute auf den Fernseher schauen statt auf sie. Kleine Kinder spielen mit Deutschland-Fähnchen im Sand.

Brasilianisches Fernsehteam in der Strandbar "Tor" (Foto: Christian Spiller)
Brasilianisches Fernsehteam im Strandkiosk „Tor“ (Foto: Christian Spiller)

Als es wieder Bier gibt, habe ich nur noch ein Ziel: All den Fernsehkameras aus dem Weg zu gehen. Vier oder fünf Teams sind da, aus Brasilien und Deutschland, sie wollen Jubelbilder und blöderweise sitze ich in der ersten Reihe, weil ich mal wieder zu spät kam und woanders nichts mehr frei war. Ich versuche mich, bei den Toren extra wegzuducken, aber es fallen ja so viele, am Ende vier.

Kurz nach dem Spiel bekomme ich eine Nachricht. Ich wurde im Fernsehen gesehen. Beim Torjubel. Mit einer schwarz-rot-goldenen Hawaiikette. Ich denke, so etwas kann schon mal passieren.