Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Spitznamen in Brasilien: Shampoo und die Ameise

 

Der brasilianische Spitznamengenerator.
Der brasilianische Spitznamengenerator

Ich würde Spillaldo heißen, meine Kollegen Dobbimo und Fra, mein Chef Wegnson. Angela Merkel wäre Merkaldo und Wladimir Putin, festhalten: Puta. So sagt es zumindest der brasilianische Spitznamengenerator im Netz, der mit einem Mausklick Exotik ausspuckt. Schon fast sechs Millionen Leute haben ihn ausprobiert. Weil er aus einem Karl-Heinz Müller einen Müllerauro macht.

Unwiderstehlich sprechende Spitznamen sind eines der brasilianischen Geschenke an die Welt. Die Brasilianer pfeifen auf Förmlichkeit wie Nachnamen oder so einen Quatsch. Sie sind stolz auf ihre Spitznamen, weil es in ihrem Land doch persönlicher und lockerer zugeht als im Rest der Welt. Jeder wird spitzgenannt: der Pförtner, der Professor, selbst Staatspräsidenten. Luiz Inácio da Silva, bis 2011 im Amt, nahm seinen Spitznamen Lula sogar in seinen offiziellen Namen auf.

Und natürlich die Fußballer: Fast niemand kann etwas mit Edson Arantes do Nascimento anfangen, fast alle mit Pelé. Manuel Francisco dos Santos kennt jeder nur als Garrincha, benannt nach einem etwas zerrupft aussehenden Vogel, weil Garrincha mit einem X- und einem O-Bein nicht den elegantesten Eindruck machte.

Ricardo Izecson dos Santos Leite war eindeutig zu kompliziert für dessen kleinen Bruder, der sich das für deutsche Ohren nicht ganz stubenreine Kaká einfallen ließ. Carlos Caetano Bledorn Verri litt unter seinem Onkel; der dachte, der kleine Carlos wachse nicht mehr und benannte ihn deshalb nach dem siebten und kleinsten Schneewittchen-Zwerg: Dunga.

Hmm, vielleicht doch Ähnlichkeiten mit einem Schneewitchen-Zwerg? Carlus Dunga, Ex-Spieler und -Trainer der brasilianischen Nationalelf (Foto: Martin Rose, Getty Images)
Hmm, vielleicht doch Ähnlichkeiten mit einem Schneewitchen-Zwerg? Carlus Dunga, Ex-Spieler und -Trainer der brasilianischen Nationalelf (Foto: Martin Rose, Getty Images)

Doch es geht auch weniger subtil. Es gab Fußballer, die hießen Formiga (Ameise), Bigode (Schnurrbart), Boquinha (kleiner Mund). Ein anderer hieß Manteiga (Butter), weil seine Pässe weich wie selbige waren. Selbst vor Hautfarben machte niemand halt. Ein Kicker heiß Escurinho (kleiner Dunkler), ein anderer Petroleu (Öl), der nächste Meia Noite (Mitternacht). Pretinha (kleines schwarzes Mädchen) spielte 1996 für Brasilien bei den Olympischen Spielen in der Frauenfußballnationalelf.

Bei der WM 1990 spielte der Stürmer Luis Antoni Correa da Costa, der sich einen ganz besonderen Künstlernamen wählte: Müller. Sein Vorbild war übrigens Gerd, nicht Thomas.

Es gibt sogar Überlieferungen von Fußballern, die nach Zahlen benannt wurden. Einer hieß 84, der nächste 109, ein anderer Duzentos (Zweihundert). Airton Beleza (Airton hübsch) soll es eher nicht so gewesen sein. Ein Fußballer bekam den Namen Shampoo verpasst, weil er nebenher als Frisör arbeitete. Einen seiner Söhne nannte er Shampoozinho, den kleinen Shampoo.

Spitznamen, ein Symbol der ewigen Jugend

Woher dieser Hang zum lockeren Namen kommt, ist nicht ganz klar. Die einen sagen, die Portugiesen sind Schuld, weil ihr Namenssystem viel zu kompliziert ist. Die Kolonisatoren kamen meist nicht ohne vier Namen aus: einen Vornamen, den eines Heiligen sowie den Nachnamen der Mutter und des Vaters. Da tat ein wenig Reduktion not.

Andere halten Spitznamen für ein Überbleibsel der Sklavenzeit, also vor allem für ein Mittel der Repression. Wieder andere sehen in den Spitznamen ein Symbol der verlängerten Jugend. Wer sich mit Spitznamen anredet, ist ein Kumpel. Ein Nationalteam voller Spitznamen zeigt, dass die Jungs genauso gut auch noch am Strand oder im Park kicken könnten.

Aus dem aktuellen WM-Kader haben 17 Spieler ausgedachte Namen. Der exotischste: Hulk. Wie er zu seinem Namen kam, darüber gibt es verschiedene Erzählungen. Er sieht ein wenig so aus wie der grüne Superheld, aber vor allem soll er so heißen, weil er als Kind schon gerne Comics las.

Doch, kommt hin: Hulk halt (Foto: Buda Mendes, Getty Images)
Doch, kommt hin: Hulk halt (Foto: Buda Mendes, Getty Images)

Auffällig auch: Torhüter oder Verteidiger haben seltener Spitznamen als offensive Spieler. Die Brasilianer lieben nun einmal ihre Offensivkünstler um einiges mehr als die Kaputtmacher. Für einen Defensiven ziemen sich Künstlernamen nicht, sie sollen gefälligst arbeiten. Die Innenverteidiger Thiago Silva und David Luiz klingen für brasilianische Verhältnisse auch anständig bodenständig.

In den sechziger Jahren versuchte der brasilianische Radiokommentator Edson Leite eine Kampagne zu starten, die die echten Namen durchsetzen wollte. Pelé sollte Edson Arantes heißen und Garrincha lieber Manuel Francisco. Es klappte nicht, die Magie wäre weg.

Oft sind ja auch die Eltern Schuld. Sie geben ihren Kindern gleich von vorneherein die absurdesten Namen. Wo in Deutschland jeder Standesbeamte vor Schreck umfallen würde, grinst er hier nur. So gibt es Fußballer, die heißen Michael Jackson, Allan Delon oder Michael Douglas. Ein anderes Talent heißt Kierrison, benannt nach Keith Richards und Jim Morrison.

1970 wurde ein Baby Tospericagerja genannt, das so viele WM-Helden wie möglich in seinen Namen vereinigen sollte: Tostão, Pelé, Rivelino, Carlos Alberto, Gérson und Jairzinho. Es gibt auch Berichte von Kindern die Gol, also Tor, heißen. Manche auch Gooooool. Vielleicht ist das in neun Monaten ja wieder ein beliebter Name.