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Totschlag unter Kameraden

 

Vor dem Amtsgericht Wismar sind fünf Männer angeklagt, gemeinsam einen Bekannten getötet zu haben. Einer der Angeklagten ist als Neonazi bekannt. Die Staatsanwaltschaft will dennoch nicht von einer Tat in der rechten Szene sprechen

Mit Sonnenbrillen und Handschellen betreten die fünf Angeklagten lässig den Gerichtssaal. Kurzes Küsschen für die Frau, schnelle Umarmung mit der Freundin, kräftiges Schulterklopfen mit dem Kumpel. „Alles gut?“, fragt Harald L. „Ja“, antwortet eine Frau und drückt ihren Sohn, den Angeklagten Oliver L. Lächelnd grüßt Silvio J., der seine Hände mit der Metallfessel spielerisch dreht, in die vollbesetzten Besucherreihen. Scham oder gar Reue strahlen auch Tobias E. und Hennig W. nicht aus. Breit grinsend laufen sie in rechten Szeneklamotten auf. Coolness aus Verlegenheit? In diesem Milieu zwischen Neonazismus, Gewalt und Alkoholismus schwer einzuschätzen. Seit dem 3. Juli stehen sie vor dem Schweriner Landgericht. Vorwurf: „Gemeinschaftlicher Totschlag“.

Die Luft ist am vergangenen Dienstag im Saal 3 schnell verbraucht. In dem provisorischen Gericht in einem Containerbau am Demmlerplatz sind alle Sitze belegt. Die Renovierung des Gerichtsgebäudes ist noch nicht abgeschlossen. 14 Verhandlungstage hat Richter Horst Heydorn insgesamt angesetzt. Am ersten Verhandlungstag legte Oberstaatsanwalt Hans Förster die Anklage dar. Am Neujahrstag 2007 sollen die Männer im Alter von 37 und 17 Jahren Andreas F. in der Wohnung von W. getötet haben. Mit einem Küchenmesser habe W. mehrfach auf den bereits verletzten F. eingestochen.
Man scherzt und witzelt

Zu dem Geschehen in Wismar äußern sich die Beschuldigten vor Gericht nicht. Still sind aber weder der Vater und Sohn L., noch die anderen. Man scherzt und witzelt. Ihre Angehörigen beeindruckt das Gericht offensichtlich ebenso wenig. Den Bruder von E. belustigen die „Ökolatschen“ des Gerichtsmediziners: „Wie der aussieht.“
Keine zwei Schritte von den Angeklagten entfernt, sitzt die Lebensgefährtin des Getöteten. Stellvertretend für den gemeinsamen 3-jährigen Sohn tritt sie als Nebenklägerin auf. Versteinert schaut sie ins Leere. Offen hatte sie bereits zu Beginn des Prozesses erklärt, dass F. ein Alkoholproblem hatte und bei entsprechendem „Pegel“ schnell zu provozieren war. Mehrmals stand der 34-Jährige selbst vor Gericht.
Je zwei Verteidiger haben die einzelnen Angeklagten, die am dritten Verhandlungstag eine Unterbrechung nach der nächsten erwirkten. Ein Zeuge, Wolfgang S., scheint ihnen nicht zu behagen. Nach seiner ersten Einlassungen am zweiten Verhandlungstag ist nicht mehr klar, inwieweit er bei der Beseitigung der Tatspuren selbst beteiligt war und damit die Angeklagten weiter belasten könnte. Der Getränkehändler soll „Klamotten“ der Beschuldigten auf seinem Hof verbrannt haben. Der Richter ordnete deshalb einen Rechtsbeistand bei der Befragung an. Die Staatsanwaltschaft entschied, auch gegen ihn Ermittlungen einzuleiten.

Das Streitmotiv ist unklar

Mit „Kumpels“ kam er zur Verhandlung. „Schon getankt?“, begrüßte ein Angehöriger einen von ihnen, der breit lächelte. S. berichtet, dass er am Neujahrstag um 14 Uhr im Laden einen Anruf aus der Wohnung von W. erhalten habe. Schnaps, Cola und Zigaretten sollte er in die Liselotte-Hermann-Straße liefern. Das spätere Opfer, das ein Freund noch gewarnt hatte, fuhr mit. Es brach ein Streit zwischen Oliver L. und F. aus, der in ein Handgemenge überging. Die Ursache der Auseinandersetzung ist nach wie vor ungeklärt. Im Wohnzimmer trank S. einen Kaffee und sah der ausufernden Gewalt zu. Nachdem er ausgetrunken hatte, brachte er dem am Boden liegenden und stark blutenden F. Papiertücher und will gefragt haben, „ob er nicht besser wieder mitkommen wolle“. Er wollte angeblich nicht.
Sorgen hätte er sich schon gemacht, versichert S., aber erst auf Nachfragen des Richters. Nach einem zweiten Anruf am Abend holt er E. und J. ab. Er sieht viel Blut an Wänden und am Boden. Ebenso bemerkt er die Fersen einer auf dem Bauch liegenden Person. An den Schuhen erkennt er, das es sich um F. handelt. Zurück im Laden fallen einem Kunden bei J. Blutspuren auf seinem Shirt und seinen Schuhen auf. „Farbe“, soll J. erklärt haben.

Familientreff im Gericht

Seit dem ersten Verhandlungstag verfolgt Beluga Post für die Ostseezeitung das Verfahren. Der Journalist kennt nicht nur die Angeklagten, sondern auch deren Verwandte und Freunde. „Die beziehen alle Hartz IV“, weiß er. So fehlten den Familien auch die Mittel, um ihre Angehörigen, die in unterschiedlichen Haftanstalten sitzen, damit sie keine Absprachen treffen, in der Untersuchungshaft zu besuchen. Die Verhandlungen nutzten die Familien daher auch, um sich zu sehen. Der Gerichtsreporter erzählt auch, dass die Polizei eine völlig gesäuberte Wohnung am 2. Januar vorfand.

An dem Tag hatte W. in Begleitung seines Anwalts Kai Helge Marnitz bei der Polizei gemeldet, dass eine Leiche in seiner Wohnung liege. Mehr sagte er nicht. Die Polizei fand den Toten, der schon Zeichen der Leichenstarre trug. In der Wohnung fielen den Beamten rechtsextremistische Devotionalien auf. Die taz berichtete damals schon, dass Anwohner von einer „Nazi-Wohnung“ sprachen. Dass hier eine Party und anschließend ein Kampf stattgefunden hat, sagt Post, konnte die Polizei nicht mehr erkennen. Die Räume waren aufgeräumt und der Boden noch feucht vom Wischen. Nur in einem Eimer und in der Badewanne stießen sie auf „rotes Wasser“. Sauber war um die Leiche gewischt worden.

Zwei Gesichter der Gewalt

Von einer politisch rechts-motivierten Tat wollte schon Anfang Januar die Staatsanwaltschaft nicht sprechen. Denn die Motive des Streits seien unbekannt. Anfänglich wollte die Staatsanwaltschaft auch gegenüber der taz nicht von einer Tat in der rechten Szene reden. In dieser Szene würde jedoch die Gewalt ein Doppelcharakter kennzeichnen, betont Michael Kohlstruck. Der Sozialwissenschaftler führt in einer Studie aus, dass in diesem Milieu Gewalt einerseits eine Form einer aggressiven Selbstdarstellung sei und anderseits ein Ausdruck einer politischen Haltung. Am 12. August 2006 war denn auch E. unter jenen Neonazis, die vor dem Szeneladen „Werwolfshop“ eine Antifa-Demonstration angriffen. Nur weil zwei Polizisten die Waffen zogen, geschah nichts Schlimmeres.

Ein Geständnis von den Beschuldigten wird bisher nicht erwartet.
Dieser Text wurde bereits in der taz veröffentlicht