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Was kostet braune Gewalt? In Euro und Cent?

 

Als vor einem Jahr in Mecklenburg-Vorpommern Wahlkampf war, schrieb die NPD „Touristen willkommen – Asylbetrüger raus“ auf ihre Plakate. Solch feinsinnige Unterscheidungen in gute Fremde und böse Fremde machen die braunen Straßenschläger im Land üblicherweise nicht. Und auch viele Urlauber fühlen sich von den ständigen rassistischen Angriffen in Ostdeutschland alles andere als angezogen. Dass Rechtsextremismus dem Ansehen der Region und damit der Wirtschaft schade, ist deshalb eine stete Klage von Ost-Landesvätern und dortigen Standortmanagern. Die nicht wenige potenzielle Wähler der NPD beeindrucken dürfte – vermutlich sogar mehr beeindruckt als die Leiden der Opfer rechtsextremistischer Gewalt oder der Schaden an Menschenrechten und Demokratie.

„Urlauberrekord nach NPD-Wahlerfolg in M-V“, konterten die Rechtsextremisten deshalb vor ein paar Wochen in einer Presseerklärung. Im Jahr 2006 habe es an der Ostsee so viele Übernachtungen gegeben wie nie zuvor – nicht trotz, sondern „vielleicht“ gerade wegen des Einzugs der NPD in den Schweriner Landtag, höhnten die Rechtsextremisten. Womöglich hätten „einige Urlauber Wert auf die politische Landschaft“ gelegt.

Doch beim Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern gehen immer wieder Beschwerden von Urlaubern ein – interessanterweise kaum von Reisenden aus anderen Teilen Ostdeutschlands. Dagegen berichten Reisende aus Westdeutschland irritiert, vor ihrem Hotel habe eine Flagge in den Farben des Deutschen Reiches gehangen. Anderen Besuchern fiel auf, dass an einer Fischbude in Vorpommern ein junger Mann mit Nazi-Tätowierungen am Unterarm servierte. Ein örtlicher Bäckerladen hatte lange Zeit „Glatzenbrot“ im Angebot, die Kruste glatt wie ein Skinheadschädel – und schön braun gebacken.

Jedenfalls gab der Verband in diesem Herbst eine repräsentative Umfrage in Auftrag, bundesweit wurden vom Marktforschungsinstitut ipsos 1000 Erwachsene nach ihren Reiseentscheidungen befragt. Ergebnis: Sieben Prozent der Befragten haben demnach in den vergangenen Jahren eine Reise nach Mecklenburg-Vorpommern abgesagt, weil es dort rechtsextremistische Überfälle und Wahlerfolge gab. Wohlgemerkt, sie drohten nicht nur mit der Absage einer Reise oder überlegten, es zu tun, sondern sagten, sie hätten es bereits getan.

Sieben Prozent mag wenig klingen. Doch wegen der überragendenden Bedeutung des Tourismus an der Ostseeküste bedeutet das gewaltige Summen an verlorenen Einnahmen für das strukturschwache Land. Bei fast sechs Millionen Gästen aus Deutschland im Jahr 2006, so eine überschlägige Rechnung des Verbandes, und einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von gut vier Tagen sowie täglichen Ausgaben von 65 Euro pro Gast ergäben sich Umsatzeinbußen von weit mehr als 100 Millionen Euro – allein für 2006.

„Es ist unseres Wissens die erste Umfrage dieser Art“, sagt Bernd Fischer, der Geschäftsführer des Tourismusverbands. Er betont, dass man nicht suggestiv gefragt habe und auch nicht allein nach Rechtsextremismus. Etwa doppelt so viele Befragte sagten beispielsweise, sie hätten eine geplante Auslandsreise abgesagt wegen Terroranschlägen oder Naturkatastrophen, etwa des Tsunamis in Ostasien.

Dagegen hielt die Angst vor der Vogelgrippe – auch das vor einem Jahr ein großes Medienthema – nur 2,7 Prozent der Urlauber von einer Reise an die Ostsee ab. In Sachsen-Anhalt und Sachsen, die sich ebenfalls an der Umfrage beteiligten und wo es gleichfalls viele rechtsextreme Überfälle und eine starke NPD gibt, war der prozentuale Anteil der Absagen deswegen übrigens noch größer. Weil der Tourismus dort aber eine wesentlich geringere Rolle spielt, waren die Umsatzeinbußen geringer.

„Wir werden uns künftig stärker und offener mit dem Problem Rechtsextremismus auseinandersetzen“, kündigte Fischer als Konsequenz an. Man werde wohl die Mitgliedschaft im landesweiten Bündnis „Bunt statt braun“ aufleben lassen – und andere Branchen und Verbände zu mehr Aktivitäten auffordern. Schließlich wolle man ein Urlaubsland sein, „in dem sich jeder Gast wohlfühlt“. Weil der Markt der deutschen Touristen nahezu ausgereizt scheint, will der Verband in den kommenden Jahren verstärkt international werben. Großbritannien, Skandinavien, Holland, Österreich und die Schweiz hat Fischer besonders im Blick. „Dafür brauchen wir ein gutes Image“, sagt der Tourismusmanager.

Angesichts der Zahlen allein aus Mecklenburg-Vorpommern erscheint der dauernde Streit um die staatlichen Programme gegen Rechtsextremismus reichlich grotesk. Beim letzten Mal, gerade ein halbes Jahr ist es her, ging es um die vergleichsweise lächerliche Summe von fünf Millionen Euro zusätzlich oder nicht. Bundesweit wohlgemerkt. Vielleicht sollte man künftig das Geld einfach aus den Etats für Wirtschaftsförderung nehmen?