Nirgends treten Neonazis so unverblümt offen für Gewalt ein wie in ihren eigenen subkulturellen Zusammenhängen. Rechte Musik, Symbolik, Parolen, Lifestyle und Freizeitgestaltung kreieren eine Lebenswelt, die insbesondere Jugendliche radikalisiert. Das primäre Ziel: Sie mit möglichst wenig Theorie zum politischen Kampf zu gewinnen. Ob in lokalen Kameradschaften, in der Partei oder losen Freundeskreisen, ist dabei zweitrangig.
Von der Marschmusik zum Rechtsrock
Bis Ende der 70er Jahre dominierte in der seit Ende des Zweiten Weltkriegs fortwährend existierenden Neonaziszene Marsch- und Volksmusik aus den Jahren des Nationalsozialismus.
Mit dieser Musik wurden hauptsächlich Altnazis angesprochen, für Jugendliche war die Szene kaum attraktiv. Dies änderte sich Anfang der 80er Jahre, als aus der abflauenden Punkbewegung die ersten Rechtsrock-Gruppen in Großbritannien entstanden. Eine der ersten und bis heute beliebtesten Bands aus dem „Rock against Communism“-Bereich (RAC) ist „Skrewdriver“, deren Sänger Ian Stuart Donaldson (gest. 1993) und Musik bis heute Kultstatus unter Jugendlichen genießen. Donaldson ist Mitbegründer des Neonazi-Netzwerkes „Blood&Honour“ (deutsch: „Blut&Ehre“, dass seit den 80er Jahren Musik gezielt als Propagandamittel für Jugendliche einsetzt und bis heute mit der Produktion von Musik, der Durchführung von Konzerten und der Vernetzung von Neonazi-Bands international erfolgreich ist. Seit dem Jahr 2000 ist „Blood&Honour“ in der Bundesrepublik verboten, trotzdem treten bis heute auch deutsche Bands auf B&H-Konzerten im Ausland auf, ebenso wie internationale Bands aus dem B&H-Umfeld hier auftreten, wie bspw. auch auf dem „Fest der Völker“ 2005 und 2006 die niederländische Band „Brigade M“ oder die Italiener von „Hate for Breakfest“. Das es sich bei „B&H“ nicht nur um ein Musiknetzwerk handelt, sondern um eine neonazistische Kampfgemeinschaft, zeigt der in den frühen 90er Jahren gegründete „bewaffnete Arm“ des Netzwerks „Combat 18″ (C18). Dieser wird in Großbritannien u.a. für Bombenanschläge auf jüdische Friedhöfe und Mordversuche an sogenannten „politischen Gegnern“, wie Journalisten oder Homosexuellen, verantwortlich gemacht. In Deutschland durchsuchten Ende 2003 mehr als 300 Polizeibeamte über 50 Wohungen in Norddeutschland und zerschlugen so die Gruppe „Combat 18 – Pinneberg“. Bei den Durchsuchungen wurden sieben Personen verhaftet und „schussbereite Waffen“ beschlagnahmt. Die Buchstabenkombination „18″ steht für „Adolf Hitler“ und setzt sich aus dem ersten und dem achten Buchstaben des Alphabets zusammen.
Rechtsrock zwischen Kommerz und Idealismus
Mit extrem rechter und neonazistischer Musik werden Jugendlich bewusst und unbewusst in ihrem Alltag politisiert. Menschenverachtende und geschichtsverfälschende Texte wie die der populärsten deutschen Neonazi-Band „Landser“ prägen das Weltbild von Heranwachsenden, unter Umständen schon bevor diese selbst überhaupt in der Lage sind, die Inhalt zu reflektieren. Rechtsrock wird aber auch ganz gezielt zur Anwerbung von Jugendlichen eingesetzt wie im Falle der verschiedenen sogenannten „Schulhof-CDs“, von denen die erste mit dem Titel „Anpassung ist Feigheit“ 2004 aus dem Spektrum der freien Kameradschaften hergestellt wurde. Einer der Unterstützer der damaligen CD war das Chemnitzer Rechtsrocklabel „PC-Records“, dass heute zu den Marktführern gehört und neben zahlreichen Bands laut „Netz gegen Nazis“ auch weitere politische Projekte unterstützt, wie die extrem rechte Schülerzeitung „Invers“ oder das jährlich in Jena stattfindende internationale Neonazi-Festival „Fest der Völker“. Seit 2000 sind bei „PC-Records“mehr als 80 Tonträger erschienen. Mit einem angeschlossenem Ladengeschäft und einem Online-Versandhandel arbeitet das vom ehemaligen Herausgeber des neonazistischen Fanzines „Panzerbär“ betriebene Label äußert professionell und gewinnorientiert. Experten schätzen, dass in der Bundesrepublik über 30 Plattenfirmen und Vertriebe tätig sind und es einen entsprechend großen Markt für Tonträger und Merchandiseartikel wie T-Shirts, Anstecker und Schlüsselanhänger gibt. Bis jetzt haben deutsche Neonazi-Bands geschätzte 1.200 Platten und CDs veröffentlicht.
Vielfalt neonazistischer Subkultur
Lagen die Anfänge neonazistischer Jugendkultur auch im klassischen Rechtsrock und in der Skinheadbewegung, so gelang es extrem rechten Stategen in recht kurzer Zeit, das subkulturelle Spektrum beträchtlich zu erweitern. Insbesondere im Black Metal wurden inhaltliche Anknüpfungspunkte genutzt und gezielt neonazistische Bands platziert. Die Ablehung des Christentums, Satanismus, Okkultismus sowie die Glorifizierung archaischer Vorstellungen von Krieg, Kampf und Stärke steigern sich im National Socialist Black Metal (NSBM) zu einer ausgeprägten Ablehnung humanistischer Werte und der Verherrlichung des Antisemitismus, des Nationalsozialismus und der Ausrottung des Schwachen. Das norwegische Projekt „Burzum“ und die deutsche Band „Absurd“ waren wesentlich an der Etablierungen eines neonationalsozialistischen Flügels innerhalb dieser Szene beteiligt. „Absurd“ erlangte traurige Berühmheit und einen Kultstatus in der Szene als drei Mitglieder der Gruppe wegen des Mordes an einem 15 jährigen in Sondershausen verhaftet wurden. Der Sänger Hendrik Möbus wurde 1994 wegen „gemeinschaftlich geplanten Mordes, Freiheitsberaubung und Nötigung“ zu acht Jahren Jugendstrafe verurteilt. Während der NSBM mit seiner politischen Positionierung nicht hinterm Berg hält, agiert die Darkwave- und Neofolk-Szene uneindeutig und baut damit bewusst politische Grauzonen aus, die es auch unpolitischen Anhängern auf subtile Weise ermöglichen, sich extrem rechten kulturellen Vorstellungen zu nähern. Im Neofolk steht weniger die plumpe textliche Agitation im Vordergrund als die faschistische Ästhetik und das Spiel mit nationalsozialistischen Symbolen wie SS-Totenköpfen, der „Schwarzen Sonne“ oder bestimmten Runen. Mit Neofolk wird eher der neurechte Teils des Spektrums hofiert, der sich von extrem rechten bis zu rechtskonservativen Positionen erstreckt. Die auf den künstlerischen Ausdruck begrenzte Argumentation und der elitäre Habitus der Szene verhindern eine politische Auseinandersetzung.
Auch in der Hardcore-Szene begann sich schon in den 90er Jahren unter der Bezeichnung „Hatecore“ ein neonazistisch ausgerichteter Flügel zu etablieren, der heute als sogenannter „NS-Hardcore“ (NSHC) einen wesentlichen Einfluss auch auf neue politische Themen in der Szene hat. So sind Themen wie Naturschutz und Tierrechte mittlerweile in der extrem Rechten nicht nur salonfähig, sondern trotz einiger Widersprüche ein weiteres wichtiges Agitationsfeld. Auch äußerlich macht sich der Einfluss des Hardcore auf die Neonaziszene bemerkbar. Der Anblick von bunten Haaren und Bärten, Kapuzenpullovern und Piercings verwirren noch heute diejenigen Beobachter, die noch immer das Klischee vom Neonazi-Skinhead im Kopf haben.
Aber nicht nur aufgrund gezielter Agitation ist die extrem rechte subkulturelle Szene breiter, vielfältiger und attraktiver geworden. Einzelne Versatzstücke extrem rechter Ideologie existieren und entwickeln sich völlig unabhängig sowohl im Mainstream als auch in einzelnen Subkulturen. So ist auch HipHop anschlussfähig geworden für neonazistische Inhalte. Insbesondere die sich aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft speisenden homophoben, nationalistischen und rassistischen Tendenzen sorgen trotz Vorbehalte für eine steigende Beliebtheit von HipHop in der Neonaziszene.
Lechts und Rinks
Neonazis haben sich in den vergangenen Jahren nicht nur erfolgreich in verschiedenen Subkulturen festgesetzt, sondern versuchen sich auch mehr oder minder erfolgreich an der Übernahme und Uminterpretation von populärer linker Symbolik. Während das Palästinesertuch ursprünglich vor allem in linken und antifaschistischen Kreisen getragen wurde, verwenden Neonazis es zunehmend als Symbol ihrer Solidarität mit dem Kampf radikaler Islamisten gegen den Staat Israel. Auch Che Guevara als Symbolfigur für den Kampf gegen Unterdrückungen wird versucht, neben sozialen auch nationale Interssen zu unterstellen. In jüngster Zeit wurden sogar Zitate von RAF-Mitgliedern und Antifa-Aktions-Fahnen bemüht, um zu provozieren und Grenzen zu verwischen. Dieses oft als „Querfront“ bezeichnete Vorgehen führt jedoch auch innerhalb der Neonazis-Szene zu Konflikten und Auseinandersetzungen. Ebenso nicht unumstritten ist das Auftreten von Teilen, insbesondere der jüngeren Szene, als sogenannte „Autonome Nationalisten“ (AN) im nationalen „Schwarzen Block“, bei dem sich die Anhänger sowohl äußerlich mit schwarzen Kapuzen, Basecaps und Sonnenbrillen als auch in den Aktionsformen versuchen, die „Autonomen Antifa“ der 90er Jahre zu kopieren. Auch Streetart und Graffiti wird von den ANs als selbstverständlicher Bestandteil politischer Agitation und Jugendkultur in jüngeren Neonazikreisen zunehmend populär gemacht.
Fazit
Die extreme Rechte und ihr Umfeld entwickeln sich ständig weiter. Am deutlichsten hat sich in den letzten Jahren der äußerliche Stil der Neonazis verändert. Immer mehr legen den alten martialischen Skinheadlook oder den völkischen von Hitler- und Wikingjugend geprägten Braunhemd-Stil beiseite und suchen sich neue, diskretere oder modischere Kleidungsstücke. So finden sich heute in der Neonaziszene neben altbackenen Naziskins und den Parteibiedermännern, auch Anhänger vielfältiger jugendkultureller Stile. Letztere bleiben trotz einer ausgebauten eigenen Infrastruktur immer weniger nur unter sich. Vielmehr ist es für Neonazis zunehmend leichter geworden, auch über ihre Subkultur mit unpolitischen Menschen in Kontakt zu kommen und sich dort Akzeptanz für sich und ihre Einstellungen zu verschaffen und schleichend „durch die Hintertür“ neue Anhänger zu gewinnen. Das zeigt das es umso wichtiger ist, das sich Menschen aus unterschiedlichen Subkulturen miteinander austauschen und auf verschiedenen Ebenen vernetzen. Eine antirassistische, antisexistische und antifaschistische Grundhaltung sollten allen Vertretern von Jugendkulturen eigen sein. Nur durch diesen gemeinsamen und Szeneübergreifenden Grundkonsens können die Neonazis zurückgedrängt und ihre Ideologie entlarvt werden.
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit der freien Journalistin Silke Heinrich.