Vor kurzem antwortete der Dozent meiner Veranstaltung in Publizistik auf die Frage einer Kommilitonin, wie viel Ahnung sie denn von Statistik haben müsse, um die Hausarbeit schreiben zu können: „SPSS ist da der Neger für Sie.“ Ich war irritiert. Hat er tatsächlich „Neger“ gesagt? Im Sinne von „Sklave“? Ich fragte meine Nebensitzerin, doch sie hatte nichts gehört.
Dann meldete ich mich und fragte laut nach, was SPSS, die Analyse- und Rechensoftware, für meine Kommilitonin sein sollte und erhielt eine Wiederholung der Vorstellung. Im Nachhinein schäme ich mich dafür, dann nichts mehr gesagt zu haben. Ich war zugegebenermaßen relativ perplex und, was mir viel schlimmer schien, scheinbar der Einzige, der etwas daran auszusetzen hatte. Im Nachhinein erzählten mir auch noch andere Teilnehmer, dass sie zuerst ihren Ohren nicht getraut hatten.
Als ich in einer Mail zu meiner Hausarbeit nochmals darauf beharren wollte, dass dieser Begriff völlig inakzeptabel ist, hatte die Kommilitonin, mit der ich zusammen schrieb, Angst, dies könnte sich auf unsere Note auswirken. Um sie zu beruhigen, rief ich extra den Kollegen des Dozenten, der mit ihm gemeinsam das Seminar leitete, an. Er war selbst zusammengezuckt, als er das Wort „Neger“ gehört hatte. Doch nun erklärte er die Verwendung des recht unmissverständlichen Begriffs mit dem Verweis auf das Mainzer Idiom. Da die Franzosen seit der Mainzer Republik Ende des 18. Jahrhunderts Mainz immer wieder besetzt hatten und die Generäle nun mal schwarze Diener gehabt hätten, wäre das Wort dadurch zu entschuldigen.
Ich weiß, dass der Dozent ein toleranter und intelligenter Mensch ist, der niemandem etwas Böses will. Bei dieser Äußerung rollten sich mir aber doch die Krampfadern gen Nordpol.Man sollte auf das Wort verzichten. Gerade weil das Wort „Neger“ darauf verweist, dass Schwarze vor nicht allzu ferner Zeit und teilweise bis heute in großen Teilen der Welt immer noch als minderwertige Menschen, die vielleicht als Sklaven oder Diener taugen, angesehen werden. In exakt diesem herabwertenden Kontext, wie ihn sein Kollege benutzt hatte, ist es ganz einfach rassistisch.
Leider fehlt es auch unter Akademikern offenbar stellenweise in erschreckendem Ausmaß an Sensibilität für die Erfahrungen von Minderheiten. Ich stelle mir vor, wie sich eine schwarze Freundin von mir gefühlt hätte, wenn sie ebenfalls im Raum gewesen wäre. Sie hatte bei der Wohnungssuche in Mainz höchst seltsame Erlebnisse. Wohnungen waren urplötzlich doch schon vergeben, als die Vermieter ihren nicht sehr stammdeutsch klingenden Namen hörten. Ein ebenfalls schwarzer Kindergartenfreund von ihr wurde vor einigen Jahren in Magdeburg tot aufgefunden, er war vom Hochhaus gestürzt. Zum letzten Mal wurde er in Begleitung von einigen Neonazis gesehen, mit denen er ganz bestimmt kein freundschaftliches Verhältnis gepflegt hat. Mit solch einem Erfahrungshintergrund bekommen vergleichsweise Harmlosigkeiten wie „der Neger“ zumindest einen sehr bitteren Beigeschmack.
In meinem ersten ersten Semester an der Uni Mainz sprach mein Statistikdozent in einem Beispiel von Katholiken, Buddhisten und Islamisten. Aus dem Kontext ergab sich, dass er gar nicht Islamisten, sondern Muslime meinte. Ich weiß, wie egal das offenbar vielen Leuten ist, ich habe es ja selbst gemerkt, als ich es ihnen erzählte. Aber es ist doch zumindest bemerkenswert.
Wenn ich solche Dinge anspreche, bekomme ich neben Zustimmung und vielem Schulterzucken auch des öfteren hämische oder spöttische Kommentare mit dem Tenor des „Gutmenschen“-Vorwurfs. Dazu die unterschwelligen Unterstellung, ich sei ja sowieso aus Prinzip dagegen. Es ist schon traurig genug, dass es in diesem Land ein Vorwurf oder sogar eine Beleidigung ist, ein guter Mensch genannt zu werden. Mit Sicherheit gibt es auch Leute, die es mit der political correctness und vor allem der Aggression in der Richtung übertreiben und damit eher das Gegenteil erreichen. Nichtsdestotrotz geht es eigentlich nicht um die Korrektheit der Richtigkeit willen, sondern einfach um den Respekt vor anderen Individuen. Anstand, Menschlichkeit und Intelligenz.
So muss man sich allen Ernstes oft rechtfertigen, wenn man mal doch den Mund aufmacht und auch als nicht selbst Angegriffener Stellung bezieht. Wer schon einmal in einer voll besetzten S-Bahn verprügelt wurde, weiß, wie gut es tut, wenn sich doch mal jemand bequemt, einzugreifen. Im Endeffekt profitieren alle davon. Lieber ein Gutmensch als ein Herrenmensch.
Siehe auch: Netz gegen Nazis „Warum ich das nicht mehr hören will“