Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Von geistigen Brandstiftern und guten Verkaufszahlen

 

Protest vor der Bundespressekonferenz © Christian Könnecke

Ein Sturm der Entrüstung ist dieser Tage über Deutschland hinweg gezogen. Die Einen meinen es ernst, die Anderen spielen nur mit. Der Auslöser: Thilo Sarrazin und sein rechtspopulistisches Buch „Deutschland schafft sich ab“. Thilo Sarrazin, schon wieder. Berliner Ex-Finanzsenator und vermutlich bald auch Ex-Bundesbankvorstand und Ex-Sozialdemokrat. Was hat man nicht gejubelt am rechten Rand. Über seine rassistischen Thesen und seine vermeintlichen Tabubrüche. NPD, DVU und Pro-Bewegung überbieten sich mit Solidaritätsbekundungen. Dabei könnte man vergessen, dass die Gefahr ganz woanders lauert. Sarrazin macht extrem rechtes Gedankengut anschlussfähig an die Mitte der Gesellschaft. Rassismus ist dabei nur einer von vielen kritischen Momenten dieses sich unschuldig gebenden Rechtspopulismus. Alter Wein in neuen Schläuchen.

Keine Glatzen, keine Schläger, sondern Handwerker, Beamte, Lehrerinnen und Angestellte. Das ist die Leserschaft Thilo Sarrazins. Rassistisch oder gar antisemitisch? Nein, das sind seine Aussagen mit Sicherheit nicht, behaupteten Sarrazins Fans. Eher ein „hilfreicher Debattenbeitrag“, „überspitzt formuliert“. Allenfalls hier und da „missverständlich ausgedrückt“. So lautet das Fazit. Vorausgesetzt man folgt der Mehrheit der Deutschen. Und den führenden Feuilletons. Und den  Boulevardblättern. Den Rassisten in Nadelstreifen wollen oder können die wenigsten erkennen. Dabei ist es wichtig, das Kind beim Namen zu nennen. Wer immerzu Ehrlichkeit in der Integrationsdebatte einfordert, darf auf dem rechten Auge nicht blind sein. Ein wenig Theorie schadet deshalb nie. Rassismus und Antisemitismus sind bekanntlich pauschale, kollektive Zuschreibungen negativer wie positiver Eigenschaften auf bestimmte Gruppen und Gemeinschaften. Nett oder böse gemeint, das spielt keine Rolle. Sei es der „fleißige Vietnamese“ oder der „faule Italiener“.  Ein jüdisches Intelligenzgen will Sarrazin entdeckt haben. Dieses fehlt den Muslimen angeblich. Deshalb werden sie und damit ganz Deutschland immer dümmer. Sarrazins Zahlen, das ist bekannt, beruhen bekanntlich auf viel Phantasie und eventuell auch dem ein oder anderen Glas Rotwein. Was kommt als nächstes? Stereotype gibt es wie Sand am Meer. Selbsternannte Rassenforscher auch. Nur die Tatsache, dass es keinen Rassismus ohne Rassisten gibt, die muss sich noch herumsprechen. Die gefährlichsten Rassisten sind ohnehin die, denen man es eben nicht direkt ansieht.

Eine weitere Lektion ist die Tatsache, dass eine rassistische Aussage nicht besser wird, indem man aufzeigt, dass an anderer Stelle des Buches auch gegen deutsche Arbeitslose polemisiert wird. Eine rassistische Aussage ändert sich nicht, wenn man erklärt, man habe ja nichts gegen alle Ausländer, sondern nur gegen den „islamisch kulturellen Hintergrund“ einiger von ihnen. Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass eine rassistische Aussage erst Recht nicht besser wird, indem man sich eine prominente Kronzeugin wie die deutsch-türkische Soziologin Necla Kelek mit ins Boot holt. Kulturrassismus à la Sarrazin zeichnet sich dadurch aus, dass nicht Herkunft und Ethnie im Mittelpunkt der Kritik stehen. Gleichwohl Sarrazin Herkunftsländer hierarchisiert wo er nur kann. Es geht Sarrazin um angeblich schädliche kulturelle Merkmale wie Religion und Religiosität. Dieses kulturelle Feindbild droht aber immer auch ethnisch rückprojiziert zu werden. Das bedeutet im Klartext, wo es anfangs um Muslime geht, werden später weitere Menschen aufgrund ihres Aussehen, ihres Namens oder ihrer Kleidung als vermeintliche Gefahr definiert. Auch wenn sie gar keine Muslime sind. Das Feindbild weitet sich aus. Ein komplexer Prozess, den Soziologin Necle Kelek nicht verstanden hat. Sie sägt an dem Ast, auf dem sie selber sitzt. Profitiert doch auch sie  nicht von einer aufgeheizten Stimmung gegen Ausländer und Menschen mit Migrationshintergrund. Für ihre Buchverkäufe mag die Rechnung  anders aussehen. Angst verkauft.

In Deutschland ist man eigentlich schon weiter. Auf Jahre der Entfremdung, der Diskussionen um Terror und Leitkultur, folgten Jahre der Annäherung. Politik, Medien, alle gesellschaftlichen Akteure wollten positive Impulse senden, für gemeinsames Leben und Lernen, für Aufstieg und Chancengleichheit, für Akzeptanz verschiedenster Kulturen und Lebensentwürfe. Dieser Dialog, dieses positive Gefühl zeigte erste Erfolge. Diese Fortschritte, diese Anstrengungen für etwas, werden konterkariert durch geistige Brandstifter wie Thilo Sarrazin und übereifrige Chefredakteure bei Springer und Co. „Ich möchte nicht, dass das Land meiner Enkel und Urenkel zu großen Teilen muslimisch ist, dass dort über weite Strecken Türkisch und Arabisch gesprochen wird, die Frauen ein Kopftuch tragen und der Tagesrhythmus vom Ruf der Muezzine bestimmt wird.“, so der Vorabdruck von „Deutschland schafft sich ab“, der exklusiv Spiegel und Bildzeitung vorlag. Musste man diese Zeilen veröffentlichen? Gezielte Verunsicherung. Die Gleichsetzung von Islam und Gefahr. Die latente Angst vor Überfremdung. All das könnte in Zukunft wieder bittere Früchte tragen. Solingen, Mölln und Rostock-Lichtenhagen. Symbole dunkler Zeiten der Nachkriegsgeschichte, die sich nicht wiederholen dürfen.

Laut der aktuellen Studie des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyers, ist die Ablehnung des Islam in unserem Land weit verbreitet. Nicht weniger als 48 Prozent der Bevölkerung stimmen der Aussage zu, es gäbe „zu viele Muslime“ in Deutschland. Über 52 Prozent der Deutschen vertreten gar die Auffassung, es gäbe generell „zu viele Ausländer“. Verifizierte Statistiken. Da kann sogar ein Thilo Sarrazin noch was lernen. Die Zahlen zeigen auf ernüchternde Art und Wiese, rassistische Denkmuster sind tief verwurzelt in der so genannten Mitte der Gesellschaft. Kein Wunder, dass die Medienmaschinerie rund um „Deutschland schafft sich ab“ wie geschmiert läuft. Die Absätze sind hoch. Der Vorgeschmack den uns Spiegel und Bild gegeben haben, hat seinen Zweck erfüllt. Dies ist neben der breiten gesellschaftlichen Akzeptanz für Sarrazins rassistische Thesen ein weiterer beschämender Skandal im Skandal. Verbreitung völkischer Genetik und kruder Rassentheorie getarnt als pointierte Denkanstöße und schillernde Meinungsfreiheit. Lösungen für die drängenden sozialen Probleme in diesem Land? Fehlanzeige. Dazu schweigen Autor, Chefredakteure und Leserbriefe.

„Wenn sie einer verabscheuungswürdigen Person begegnen, die behauptet: ‚Die Erde ist rund‘, bleibt ihnen nichts anderes übrig als zu antworten: ‚Du hast Recht, aber Du bist trotzdem ein Arschloch.‘ „, so Sarrazin zum Ende seiner Buchpräsentation im Haus der Bundespressekonferenz. Zugegeben, wo er Recht hat, hat er Recht.