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Jogginghosenträger gegen das System: Streit nach rechtsextremem Aufmarsch in Halberstadt

 

Ihren Aufmarsch am 2. Oktober in Halberstadt hatten sich die Jungen Nationaldemokraten (JN) in Sachsen Anhalt vermutlich anders vorgestellt. Sollte es für die einen ein Fanal gegen die verhasste Demokratie werden, galt die Aktion in JN- und NPD-Kreisen als Auftakt für den Wahlkampf zur Landtagswahl im März 2011. Doch die Teilnahme manch potenzieller Wähler an dem Aufmarsch führte im Nachhinein zu teils heftigen Auseinandersetzungen in der Neonazi-Szene.

Jogginghosen unter JN-Fahnen
Jogginghosen unter JN-Fahnen

„Vom Regen in die Traufe“ lautete das Motto, mit dem die Jungen Nationaldemokraten (JN) 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung überregional für ihren Aufmarsch geworben hatten. Doch schon ein Blick auf die Teilnehmer aus den umliegenden Bundesländern machte deutlich, dass es – abgesehen von vereinzelten Funktionsträgern – an Unterstützung jenseits der Landesgrenzen mangelte. Darüber konnte auch nicht das rote Feuerwehrfahrzeug hinwegtäuschen, das üblicherweise von der niedersächsischen NPD als Lautsprecherwagen genutzt wird. In Halberstadt verbot die Polizei seinen Einsatz, so dass die Neonazis am Bahnhof ausharren mussten, bis ein Pkw als Ersatz gefunden war. Derweil untersagten die Beamten mehreren Gruppen von Neonazis die Teilnahme an der Demonstration, die schon betrunken am Auftaktort eintrafen.

Kräuterlikör, Jogginghosen und Landser-Hemden

Umstritten: NPD-Spitzenkandidat Matthias Heyder
Umstritten: NPD-Spitzenkandidat Matthias Heyder

Angesichts solcher Anhänger waren selbst die Organisatoren mehr als nur erstaunt: „Unglaublich diese Bilder von eintreffenden Demonstrationsteilnehmer mit Bierflaschen bewaffnet, unglaublich das Reihumgehen von Kräuterlikör unter der Mittagszeit, unglaublich das Erscheinungsbild etlicher Teilnehmer mit Jogginghosen und Landser-Hemden“. Doch auch dieser Anblick hinderte die als Ordner eingesetzten Neonazis noch vor dem Auftakt nicht an ihren mittlerweile fast schon traditionellen Einschüchterungsversuchen gegenüber Pressevertretern und Beobachtern. Als sich der Aufmarsch rund eine Stunde nach dem geplanten Start in Bewegung setzte, folgten rund 200 Neonazis dem Transparent mit der unvermeidlichen Aufschrift „Wir sind das Volk“. Über einzelne Teile dieses „Volkes“ hieß es anschließend in Neonazi-Foren „Wer solche ‚Kameraden‘ hat, braucht keine Feinde mehr! Undeutsches Proletentum!“. Auch die Länge der Aufmarschstrecke sorgte offenbar bei manchen Teilnehmern für Unmut, so dass der Zug deutlich geschrumpft war, als er nach dem sieben Kilometer langen Weg wieder am Halberstädter Bahnhof eintraf.

Die JN als Wahlkampfhelfer für die Mutterpartei

Neonazis für "eine starke Hand"

Angesichts des sich verbreitenden Unmuts im eigenen Teilnehmerfeld konnten auch die vier Redner nur schwer dazu motivieren, „für etwas besseres als die BRD einzutreten“. Stattdessen machte die Rednerliste die Funktion des Aufmarsches als „Testballon“ für die bevorstehenden Landtagswahlen deutlich, ohne dass die NPD mit ihrem umstrittenen Spitzenkandidat Mattias Heyder explizit genannt wurde. Während Heyder die Zeit für inoffizielle Gespräche nutzte, wechselte sich am Mikrophon der hessische NPD-Vize Daniel Knebel mit dem Bundesvorsitzenden der JN, Michael Schäfer, ab. Die frühere Führungsfigur der mittlerweile aufgelösten „Wernigeröder Aktionsfront (WAF) hatte in der Deutschen Stimme schon nach seiner Wahl zum neuen Bundesvorsitzenden 2007 seine Auffassung bekräftigt, die JN seien ein „Bindeglied zwischen der Mutterpartei und radikaleren Kräften“. Dementsprechend gehört Schäfer nicht nur den JN an, sondern bildet mit Tobias Anders auch die NPD-Fraktion der NPD im Kreistag des Landkreises Harz. Auch die JN Landesvorsitzenden aus Sachsen Anhalt, Andy Knape, und Sachsen, Tommy Naumann, gehören nicht nur der Jugendorganisation der NPD an, sondern kandidierten bei Wahlen auch für die NPD. In ihrer Funktion als

Junge Nationaldemokraten: Michael Schäfer (r.) und Julian Monaco (2.v.r.)

Integrationsfiguren besonders für jüngere Neonazis sind sie für die Partei von nicht zu unterschätzendem Wert. Für die JN Niedersachsen zeigte der als Redner angekündigte Julian Monaco in Halberstadt seine Verbundenheit mit den Neonazis aus der sog. „Kameradschaftsszene“. Er überließ Dieter Riefling das Mikrofon, einem der bekanntesten Vertreter der „Freien Kräfte“ in Norddeutschland. In altbekanntem Stil hetzte der ehemalige FAP-Kader gegen das demokratische System als „Machwerk von dilettantischen so genannten Politikern“ und „Herrschaft des Abschaums“. Gleichzeitig mahnte er in Richtung NPD: „Die Partei darf niemals vergessen, woher sie gekommen ist: von der Straße. Die Kraft kommt von der Straße (…) Der parlamentarische Kampf darf niemals dazu führen, dass sich Teile des parlamentarischen Arms an dem Schweinetrog des Systems gütlich tun und vergessen, woher sie kommen“. Ein unmissverständlicher Wink in Richtung Heyder, schließlich hatte ein Streit der NPD mit Riefling vor fünf Jahren fast dazu geführt, dass NPD-Kreis- und Ortsverbände, der JN-Landesverband und mehrere führende Neonazis der NPD androhten, die Zusammenarbeit aufzukündigen.

„Kein Platz für Rechte in unserer Stadt“

Während die Neonazis durch Straßen abseits des Stadtzentrums zogen, protestierten rund 500 Personen gegen den Aufmarsch. Mit einer Demonstration wollten sie „Gesicht und Zivilcourage gegen Neonazis und Rechtsextremismus“ zeigen. Einige der Teilnehmer sorgten mit einer Sitzblockade dafür, dass der Neonazi-Aufmarsch kurzfristig umgelenkt werden musste. Der Innenstaatssekretär Sachsen Anhalts, Rüdiger Erben, und Rainer Neugebauer vom „Bürgerbündnis für ein gewaltfreies Halberstadt“ warnten vor einem möglichen Einzug der NPD in den Landtag am Magdeburger Domplatz. Um einen Einzug zu verhindern, reichten Aktionen wie in

"Wers nicht mag, soll wegbleiben"

Halberstadt am Vortag des 20. Jahrestages der Deutschen Wiedervereinigung nicht mehr aus, erklärte Neugebauer auf der Anschlusskundgebung am Holzmarkt. Gellende Pfiffe ertönten, als die Polizei den Neonazi-Aufmarsch auf der „Straße der Opfer des Faschismus“ vorbei leitete. Bei den JN in Sachsen Anhalt führte der Tag trotz des weitestgehend ungestörten Aufmarschs nicht zu den gewohnten anschließenden Jubelpapieren. Die sog. „Reflektion der Veranstaltungsleitung von der Demo in Halberstadt“ zeugte statt dessen von einer Ungläubigkeit angesichts des Erscheinungsbildes der eigenen Sympathisanten. Dort heißt es, das selbst gewählte Motto „Vom Regen in die Traufe“ habe der Aktion „mitunter ein tragisches Sinnbild“ gegeben. Pragmatischer umriss ein Neonazi die Situation in einem Internetforum: „Halberstadt eben. Wers nicht mag, soll wegbleiben“