Bückeburg, eine idyllische Kleinstadt im Schaumburger Land mit berühmtem Schloss samt Schlossgarten, historischer Altstadt und ein Magnet für Tourist_innen. Doch leider können sich nicht alle Einwohner_innen an dieser Idylle freuen: linke und alternative Jugendliche fühlen sich schon längst nicht mehr wohl in ihrer eigenen Stadt. Nachts sind sie lieber nur noch in Gruppen unterwegs, bestimmte Orte werden ganz gemieden und die Jugendlichen müssen sich stets überlegen, welcher der sicherste Weg nach Hause ist. Ein ungutes Gefühl im Bauch als stetiger Begleiter. So fühlt sie sich an, die Angstzone, die entstanden ist, seit eine Gruppe junger Neonazis aus Bückeburg und angrenzenden Orten (Stadthagen und Porta Westfalia) systematisch versucht politische Gegner_innen einzuschüchtern.
von Monitorex
Aktive Nazi-Szene
Viel ist passiert in der Kreisstadt: in den vergangenen Jahren wuchs eine Szene von jungen Neonazis heran, die sich selber als Autonome Nationalisten bezeichnen und optisch so gar nicht mehr in das Klischee des Stiefel tragenden Glatzkopfs passen wollen. Schwarze Windbreaker, längere Haare oder jugendliche Trendfrisur, einige in Skatermode und mit Tunneln in den Ohrläppchen. Optisch fast „ganz normale Jugendliche“, die als Nazis kaum zu erkennen sind. Trotz des unauffälligen Äußeren sind die Spuren dieser Gruppe nicht zu übersehen. An den Wänden und Stromkästen sind Parolen zu lesen wie „NS jetzt!“ oder „Anti-Antifa“.Die Parole „Nationaler Sozialismus jetzt!“ wurde gleich serienweise mit Hilfe einer Schablone gesprüht. Auch der Name der Nazi-Gruppe „AG Bückeburg“ (AG steht für Aktionsgruppe) prangt seit geraumer Zeit auf der Fassade der Realschule. Hinzu kommen zahlreiche Nazi-Aufkleber in der gesamten Stadt, die mit der Aufschrift „Westfalen-Nord“ auf das regionale Nazi-Netzwerk verweisen, in das die Bückeburger autonomen Nationalisten organisatorisch eingebunden sind. Mit der der lokalen Antifa, die diese Nazi-Parolen und Aufkleber nicht unkommentiert lassen wollte, lieferte man sich an den Hausfassaden eine Auseinandersetzung mit der Sprühdose. Blutiger Ernst wurde aus dieser Auseinandersetzung, nachdem die heranwachsenden Neonazis als mittlerweile gefestigte Gruppe dazu übergingen, politische Gegner_innen auch mit körperlicher Gewalt anzugehen.
Serie von brutalen Angriffen
Mit zunehmendem Grad der Politisierung und Organisierung stieg auch die Militanz der Bückeburger Autonomen Nationalisten. Während sich die Aktivitäten der Gruppe 2008 noch auf Propagandatätigkeiten in Form von Aufklebern, Parolen und einer eigenen Internetseite beschränkte, ging man seit Sommer 2010 zum Angriff auf politische Gegner_innen über. Ein als Nazigegner bekannter Mann wird im August letzten Jahres in Bückeburg von einer größeren Gruppe Nazis angegriffen und massiv im Gesicht verletzt. Bei einem weiteren Angriff im Dezember wird ein Jugendlicher ebenfalls schwer im Gesicht verletzt und muss im Krankenhaus operiert werden. Bei dem Angriff werden Schlagwaffen verwendet und auch als der Verletzte auf dem Boden liegt, wird weiter von mehreren Neonazis auf ihn eingetreten. Am Silvesterabend greift eine Gruppe Unbekannter mit Bierflaschen die Wohnung eines migrantischen Jugendlichen an, dabei werden auch die Scheiben einer Nachbarwohnung beschädigt. Noch am selben Abend wird ein weiterer Jugendlicher in der Bückeburger Innenstadt angegriffen und mit Schlagstöcken und Schlagringen krankenhausreif geprügelt. Im Januar diesen Jahres zieht erneut eine vermummte Gruppe vor das Haus des migrantischen Jugendlichen um die Wohnung nochmals zu attackieren. Dieses mal werden mit Hilfe von Pflastersteinen und einer Zwille mit Stahlmuttern die Scheiben eingeschossen. Nur dem Zufall ist es zu verdanken, dass es bei diesem Attentat zu keinen weiteren Verletzten kommt.
Zu diesen Angriffen kommen ferner zahlreiche Bedrohungen und Beleidigungen sowie telefonische Drohanrufe gegen Jugendliche, die von den Rechten als politische Gegner_innen ausgemacht werden. Makaberer Höhepunkt der Drohungen sind hierbei Trauerschleifen samt der Werbung für ein Bestattungsunternehmen in Briefkästen von Antifaschist_innen. Im März diesen Jahres werden zudem mehrfach alternative Jugendliche von den autonomen Nationalisten bedroht und regelrecht durch die Straßen gejagt. Dass die jungen Neonazis ihren Aktionsradius nicht nur in Bückeburg haben wird deutlich, als im nahe gelegenen Barsinghausen am Bahnhof drei alternative Jugendliche von
einer größeren Gruppe Nazis bedroht werden. Unter den Rechten werden einschlägig bekannte Bückeburger Nazis identifiziert, die scheinbar mit mehren vollbesetzten PKWs in Barsinghausen unterwegs waren.
Regionale Nazistrukturen
In Berichten der lokalen Presse charakterisiert die Polizei die Bückeburger Naziszene als lediglich „anpolitisiert“ und „ohne Organisationsstruktur“. Dass dieses eine fahrlässige Unterschätzung ist, zeigen die Verflechtungen der Bückeburger Autonomen Nationalisten in das regionale Netzwerk von Neonazi-Kameradschaften. Es bestehen enge personelle Verbindungen sowohl zu Kameradschaftsstrukturen in der Region Hannover als auch ins nahe Ostwestfalen. Diese engen Kontakte sind nachweisbar zu Aktivisten der jüngst aufgelösten „Freien Kräften Hannover Umland“ und zu der Struktur „Westfalen Nord“, in die man organisatorisch eingebunden ist. Bei „Westfalen Nord“ handelt es sich um ein regionales Netzwerk von lokalen Nazikameradschaften, das Bundesland übergreifend in den Regionen Schaumburg und Ostwestfalen-Lippe aktiv ist. Aktivisten der Autonomen Nationalisten Bückeburg sind auf Aufmärschen hinter dem Transparent von „Westfalen Nord“ anzutreffen und der Anführer der Bückeburger Szene steht in engem Kontakt zu Nazi-Kader Marcus Winter.
Der im nahe gelegenen Minden wohnende Marcus Winter ist der Hauptinitiator der jährlichen „Trauermärsche“ in nahen Bad Nenndorf. Seit seiner Haftentlassung im Frühjahr 2010 organisiert Winter zudem noch regelmäßig Rechtsrockkonzerte. Bei einem dieser Konzerte am ersten Weihnachtstag letzten Jahres im niedersächsischen Vallstedt waren Personen der Bückeburger Szene mit in die Organisation eingebunden. Sie fuhren Konzertbesucher vom Bahnhof zum Veranstaltungsort. Die Verbindungen in die Region Hannover werden deutlich anhand der gegenseitigen Besuche der autonomen Nationalisten Bückeburg und der ehemaligen „Freien Kräfte Hannover Umland“: bei einer Polizeikontrolle im Januar diesen Jahres wurde in Bückeburg Gruppe von ca. 25 Neonazis festgestellt, darunter auch polizeibekannte Aktivisten aus Wunstorf und Hannover. Beim Versuch eine Demonstration von linksalternativen Jugendlichen in Wunstorf im März diesen Jahres zu stören, wurden im Gegenzug Neonazis aus Bückeburg gesichtet. Nachdem der Störversuch von der Polizei unterbunden wurde, formierten sich die über 20 Nazis zu einer Spontandemonstration und sangen das Horst-Wessel-Lied.
Bagatellisierung und Extremismustheorie
Der Bückeburger Bürgermeister Reiner Brombach und die Polizei hingegen nehmen das Problem Medienberichten zu folge deutlich anders war, als die von den Nazi-Angriffen betroffenen Jugendlichen. So ist in der Schaumburger Zeitung die Rede von „Ausschreitungen zwischen linken und rechten Jugendlichen“. In mehren Veröffentlichungen wird betont, dass die Rechten höchstens anpolitsiert seien und eine gefestigte Szene nicht existiere. Organisierte Neonazis kämen indes nur von außen (aus den Region Hannover und Ostwestfalen) nach Bückeburg, gewissermaßen angelockt von den linken Aktivist_innen. Auch betont die Polizei, dass nicht alle von den Betroffenen der rechten Gewalt genannten Angriffe nachgewiesen seien, die Polizei geht von der Möglichkeit einer „bewussten Legendenbildung aus“. Mit solchen Argumentationen werden aus Opfern zwar nicht direkt Täter aber doch Mitschuldige gemacht. Dass es gerade bei rechter Gewalt, die überwiegend marginalisierte Gruppen mit geringem gesellschaftlichen Status trifft, eine extrem hohe Dunkelziffer gibt, ist unter Kriminolog_innen unbestritten. Expert_innen von spezialisierten Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt berichten immer wieder, dass viele rechtsmotivierte Angriffe aus Angst vor negativen Folgen von den Betroffenen nicht angezeigt werden.
Ein Umstand, der jedoch in Bückeburg scheinbar nicht in Erwägung gezogen wird. Statt einer Analyse der rechten Szene zur Eindämmung des Phänomens wird von vielen Verantwortlichen in Bückeburg verkürzend von politischem Extremismus gesprochen. Nach dieser Grundannahme werden radikale linke und extreme rechte Positionen gewissermaßen gleichgesetzt und als außerhalb der demokratischen Mitte stehend markiert. Extremisten unterschiedlicher Couleur stünden sich demnach zwar feindlich gegenüber, wären aber inhaltlich vereint in dem Ziel die Demokratie abzuschaffen zu wollen. Dieser analytische Kurzschluss übersieht jedoch, dass antifaschistische Aufkleber oder linke Sprühparolen qualitativ eben nicht mit NS-Verherrlichung oder rassistisch motivierten Angriffen zu vergleichen sind.
Ebenfalls wird bei solcherlei Grundannahmen das Problem von weit verbreiteten menschenfeindlichen Einstellungspotentialen in allen Teilen der Bevölkerung übersehen. Rassismus oder Antisemitismus existieren eben nicht nur an einem „extremistischen“ Rand der Gesellschaft. Der Bielefelder Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer kommt 2009 in einer Studie über das nahegelegene Bad Nenndorf zu dem Schluss, dass jede/r sechste hier „fremdenfeindlich“ eingestellt ist.
Zwar hat sich nach den Vorfällen in Bückeburg eine städtische Arbeitsgruppe formiert, die sich mit der eskalierenden Gewalt auseinandersetzt und zu einem Runden Tisch mit breiter zivilgesellschaftlicher Beteiligung aufruft. Aber auch hier ist der lokalen Berichterstattung im Vorfeld zu entnehmen, dass von solch fragwürdigen extremismustheoretischen Grundannahmen nicht wirklich abgerückt wird. Ob dieses Engagement im Kampf gegen die erstarkenden Naziszene so jedoch Erfolge zeigen wird, bleibt abzuwarten. Statt der Übernahme der behördlichen Deutungsmuster wären hier ein Ernstnehmen der betroffenen Jugendlichen und die Solidarisierung mit den Opfern rechter Gewalt als klares Signal gegen diskriminierende Ideologien wohl zielführender.
Polizeipannen
Eindeutig wenig Erfolg zeigt hingegen bislang die Ermittlungsarbeit der Polizei. Tatverdächtige rechte Angreifer konnten nach Angaben der Betroffenen bislang noch nicht ermittelt werden. Zwar wurden nach dem Bekanntwerden der massiven Angriffe in der Öffentlichkeit an den Wochenenden die Polizeipräsenz in Bückeburg verstärkt, die Nazi-Szene agiert aber weiter nahezu ungestört. Auch die Bedrohungen setzen sich nach Angaben der Antifaschist_innen weiter fort. Insbesondere bei drei Vorfällen wird der Polizei Versagen vorgeworfen:
Bei den genannten beiden Angriffen auf die Wohnung eines migrantischen Jugendlichen werden die Scheiben zerstört. Die alarmierte Polizei stellt die auf dem vorgelagerten Balkon liegenden Flaschen und faustgroßen Steine, die als Wurfgeschosse dienten, jedoch nicht als Beweismittel sicher. Bei einem weiteren Vorfall wird ein junger Mann, der von den Nazis der linken Szene zugerechnet wird, nach dem Aussteigen aus seinem Auto von einer Gruppe Rechten entdeckt und gejagt. Nach Schilderung des jungen Mannes weigert sich die von einer Passantin alarmierte Polizei nach dem PKW in der Nähe zu schauen, obwohl der Gejagte sich aus nachvollziehbaren Gründen um sein Auto sorgt. Kurze Zeit später stellt sich heraus, dass die Befürchtungen nicht grundlos waren, der Wagen ist stark demoliert. Die Beamten können hier jedoch keinen Zusammenhang zum vorangegangen Geschehen erkennen und gehen nach Aussage des Betroffenen von zufälligem Vandalismus aus. Auch die Reaktion der Polizei bei einem weiteren Vorfall im März diesen Jahres wird kritisiert. Hier versammeln sich nach Angaben einer jungen Frau, die in den Wochen zuvor bereits mehrfach telefonisch wegen ihrer politischen Einstellung bedroht wurde, etwa 20 Vermummte vor ihrem Haus. Zur selben Zeit wird sie angerufen und erneut bedroht. Die alarmierte Polizei trifft erst eine Stunde nach dem Notruf bei der verängstigen Frau ein.
Die betroffenen alternativen Jugendlichen und die Antifa wollen sich aufgrund der gemachten Erfahrungen nicht mehr allein auf die Polizei und die lokalen Verantwortlichen verlassen, sie planen eine Demonstration, um auf die Situation in Bückeburg mit der massiven Präsenz der Neonazis und den entstandenen Angsträumen aufmerksam zu machen.