Ein Kommentar zur Entscheidung des SPD-Schiedsgerichts Thilo Sarrazin nicht aus der Partei auszuschließen.
Wäre es nach Andrea Nahles gegangen, es hätte so einfach sein können. Am Gründonnerstag, dem Beginn der vermeintlich besinnlichen Ostertage, sollte ohne großes Aufsehen von Bürgern und Medien die Entscheidung gefällt werden, dass Thilo Sarrazin die SPD nicht verlassen muss. Ein besserer Termin wäre nur der Tag vor Heiligabend gewesen. Im Gegenzug sollte es Ruhe geben während des Berliner Landtagswahlkampfes. Involviert in die Verhandlungen mit Sarrazin, waren auch ranghohe Beamte der Berliner Senatsverwaltung um Klaus Wowereit. Alles in allem ein solider Plan der SPD Generalsekräterin. Wären da nicht Internet, E-Mail und eine gehörige Portion preußischer Gottlosigkeit. Keine zwei Stunden nachdem die Meldung über Sarrazins Nicht-Austritt über die Ticker läuft, trudeln bei der SPD in Berlin die ersten Austrittserklärungen ein. Darunter die des Gründers des „Arbeitskreises jüdische Sozialdemokraten“, Sergej Lagodinsky. Dieser erklärte seinen Austritt mit der sozialdemokratischen „Angst vor dem Stammtisch“. Er habe den Arbeitskreis gegründet, weil er „als jüdischer Mensch die Möglichkeit gesehen habe, die lange Tradition der Juden in Deutschland wiederzubeleben, nunmehr gemeinsam mit anderen Minderheiten und Mehrheiten in unserem Lande – Christen, Moslems, Nichtgläubigen“. Die SPD sieht er dabei nicht mehr an seiner Seite.
Das Parteiordnungsverfahren war nicht nur aus politischer Sicht eine Farce, auch juristisch ist es unglaubwürdig. Ist es möglich, ein Buch voller rassistischer Ideen zu verfassen, ohne dabei vorsätzlich „Gruppen, insbesondere Migranten, zu diskriminieren“? Nach dieser Logik müsste Karl-Theodor zu Guttenberg heute noch Verteidigungsminister sein. Überhaupt ist es interessant, wie sich beide Fälle ähneln, also „Plagiatsaffäre“ und „Sarrazin-Debatte“. Beide Protagonisten werden aus bisweilen schwer verständlichen Gründen von einer Vielzahl von Menschen verehrt. Beiden mangelt es offenkundig an Schuldbewusstsein und Selbstreflektion. Mit dem Unterschied, dass der eine politische Konsequenzen ziehen musste, der andere nicht. Zu recht wurde seinerzeit von Seiten der SPD Guttenbergs Erklärung, er habe nicht vorsätzlich plagiiert, als Schutzbehauptung zurückgewiesen. Eine Konsequenz, die die Sozialdemokraten bei ihrem eigenen Genossen vermissen lassen. Wie sonst ließe sich erklären, dass Sarrazin nun auf Grundlage einer dünnen, persönlichen Erklärung seinem Parteiausschluss entgangen ist, indem er den Vorsatz seiner Verfehlungen leugnet? Vielleicht liegt der Grund für seinen Verbleib in der SPD aber auch ganz woanders. Wo keine integrationspolitischen Leitlinien erkennbar sind, kann man auch nicht gegen selbige verstoßen. In diesem Kontext erscheint auch Sarrazins Absichtserklärung, er werde in Zukunft darauf achten, nicht sein „Bekenntnis zu den sozialdemokratischen Grundsätzen“ infrage stellen zu lassen in völlig neuem Licht.
Die SPD hat durch den faulen Kompromiss mit Sarrazin die Glaubwürdigkeit beim Kampf gegen Rechtspopulismus und Rassismus verloren – ja geradezu aufgegeben. Während man auf die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus schielt, hat man aus reiner Machttaktik rassistische und fremdenfeindliche Äußerungen salonfähig gemacht. Getreu dem Motto: Wählerstimmen um jeden Preis. Kein Wunder, dass nun ausgerechnet SPD rechtsaußen Heinz Buschkowsky, seines Zeichens mehr Gast diverser Talkshows als Bürgermeister von Berlin-Neukölln, den Deal mit Sarrazin als „vernünftig“ bezeichnet. Um dessen Wähler ging es bei dem ganzen Verfahren ja schließlich auch. Es reicht nicht aus, auf Sarrazin zu zeigen und „Rassist“ zu rufen. Was dieser Tage mehr denn je gebraucht wird, ist eine ehrliche Rassismusdebatte in Deutschland. Eine Debatte, die zeigt, dass rassistisches Gedankengut nicht vulgär sein muss, um Menschen zu verletzen. Rassismus beginnt nicht bei der Verunglimpfung bestimmter Bevölkerungsgruppen, sondern bei der Konstruktion selbiger. Es bleibt zu hoffen, dass die Gesamtgesellschaft selbstkritischer ist als Sarrazin und Konsorten. Wetten sollte man darauf nicht.