Neonazis und Hooligans randalieren am polnischen Unabhängigkeitstag in Warschau. Über tausend Nazigegner protestieren dagegen zeitgleich.
Von Theo Schneider
Es scheint zur traurigen Tradition am 11. November in Warschau zu werden. Neben den staatsoffiziellen Zeremonien und Gedenkfeiern im ganzen Land marschieren auch tausende Nationalisten, gewaltbereite Neonazis und Hooligans bei einem eigenen „Marsch der Unabhängigkeit“ am polnischen Nationalfeiertag durch Warschau und liefern sich dabei Straßenschlachten mit der Polizei. Ziel des Marsches ist das Denkmal von Roman Dmowskiego. Er gilt als einer der Väter des polnischen Nationalismus und organisierte 1911 als überzeugter Antisemit einen Boykott jüdischer Unternehmen.
Vermutlich nicht zuletzt deswegen entwickelte sich in diesem Jahr die Veranstaltung, organisiert von den nationalistischen Gruppierungen „Nationalradikales Lager“ (ONR) und „Allpolnische Jugend“ mit rund 20.000 Teilnehmern auch zu einem Treffen diverser rechtsextremer Gruppen Europas: unter anderem Abordnungen der ungarischen Jobbik-Bewegung, Mitglieder der slowakischen SNS-Partei sowie Vertreter der italienischen Forza Nuova und serbische Neonazis liefen zum 94. Jahrestag der Unabhängigkeit in der polnischen Hauptstadt auf.
Unter ihnen auch, wie im Vorjahr über tausend Hooligans, denen es vor allem darum geht, sich Auseinandersetzungen mit der Polizei zu liefern. Schon auf dem Weg zum Auftaktort attackierten sie die Polizei mit Steinen und Feuerwerkskörpern, als diese verhinderte, dass die Gruppe in Richtung einer zeitgleich stattfindenden linken Demonstration „Zusammen gegen Faschismus und Nationalismus“ vordringen wollte. Im Vorfeld drohten Neonazis wiederholt mit Angriffen auf die Kundgebung der Nazigegner.
Die Polizei versuchte in diesem Jahr eine Strategie der Deeskalation und hielt sich deswegen nach Möglichkeit im Hintergrund. Das führte aber lediglich dazu, dass mangels Angriffsfläche die Teilnehmer des rechten Marsches am Warschauer Hauptbahnhof randalierten und die dortigen Sicherheitsleute attackierten. Später kam es auch zu heftigen Ausschreitungen, als der Demonstrationszug von seiner angemeldeten Route abweichen wollte und Polizisten sich dem entgegenstellten. Stundenlang wurden die eingesetzten Beamten von den Demonstrierenden mit Steinbrocken, Feuerwerkskörpern und sogar Straßenpollern beworfen. Eine Spezialeinheit aus vermummten Zivilpolizisten versuchte, Rädelsführer aus der Menge zu ziehen, augenscheinlich jedoch mit bescheidenem Erfolg. Die Bilanz des Tages: 176 Festnahmen, 22 verletzte Polizisten, drei davon schwer, und acht beschädigte Polizeiautos. Der Marsch selber wurde bis zum Schluss durchgeführt und die Veranstalter kritisierten durchgehend die Polizei wegen angeblicher „Provokationen“.
Eine zeitgleich stattfindende Demonstration linker Gruppen unter dem Motto „Zusammen gegen Nationalismus und Faschismus“ verlief trotz der Drohungen im Vorfeld friedlich mit rund 1000 Personen. Den Angriffsversuch der Hooligans bemerkten die Teilnehmer nicht einmal. Im vergangenen Jahr hatte die Blockade des rechten Marsches für die heftigsten Ausschreitungen in der Geschichte des 11. November-Feiertags in Warschau. Fast 50 verletzte Polizisten, über 200 Festnahmen und immense Sachschäden waren das Resultat. In diesem Jahr verzichteten die Nazigegner auf einen Blockadeversuch, da das Zahlen- und Kräfteverhältnis bereits im letzten Jahr deutlich gegen sie sprach.
Aber auch die polnischen Behörden zogen Konsequenzen aus der Gewalt im Vorjahr und verschärften jüngst das Versammlungsgesetz. Allerdings kam es am Sonntag noch nicht zur Anwendung, da es im Parlament lange Zeit umstritten war und erst letzte Woche endgültig beschlossen wurde. Das Abbrennen von Feuerwerkskörpern auf Demonstrationen ist künftig verboten, die Polizei hat die Möglichkeit Versammlungen örtlich zu verschieben oder gar zu verbieten, wenn verfeindete Gruppen sich zu nahe kommen könnten. Nach den diesjährigen Ausschreitungen ist nun auch ein Vermummungsverbot in der Diskussion. Ob allerdings eine immer weitere Verschärfung des Versammlungsgesetzes eine adäquate Antwort auf das rechtsextremes Massenevent mit internationaler Beteiligung ist?