27. Januar, 20. April und 9. November – Neonaziveranstaltungen an geschichtsträchtigen Daten sind keine Seltenheit. Auch in Trier veranstaltete die NPD Kundgebungen an diesen Tagen, was Bevölkerung und Stadtverwaltung nicht verborgen blieb. Schnell wurden Rufe nach staatlichem Einschreiten laut. Die Stadt Trier reagierte unterschiedlich mit Verboten und zeitlichen Verlegungen. Erfolgreich war sie am 9. November jedoch nie. Gerichte bemängelten die Argumentation der Stadt und hoben ausgesprochene Verbote bzw. Verschiebungen mehrmals auf – ein Blick auf die Gründe einer gescheiterten Verbotspolitik.
Von Fabian Boist und Max Bassin
Gefährdung von Sicherheit und Ordnung?
Eine für den 9. November 2012 geplante Kundgebung der NPD wurde durch die Stadt Trier verboten. Deren Anmelder Safet Babic hatte drei mögliche Kundgebungsorte in seiner Anmeldung angegeben: Simeonstiftplatz, Viehmarkt und Hauptbahnhof. Aufgrund des wahrscheinlichen Zusammentreffens mit einem Martinsumzug am Simeonstiftplatz sowie der räumlichen Nähe des Viehmarktes zur städtischen Gedenkveranstaltung für die Opfer der Reichspogromnacht sei die öffentliche Sicherheit gefährdet und eine Kundgebung der NPD an diesen Orten nicht möglich, so die Stadt Trier in ihrer Verbotsverfügung.
„[E]ine auffällige Häufung von Anmeldungen Ihrer Kundgebungen an Tagen […], die mit dem Gedenken an die Opfer der Naziherrschaft verbunden sind (09.11. und 27.01.) oder einen sonstigen Bezug zum NS-Regime (20.04.) aufweisen“, stellt die Stadt Trier in ihrer, an die NPD gerichteten Verbotsverfügung fest und leitet daraus eine Störung der öffentlichen Ordnung und damit ein Argument für ein Versammlungsverbot am Hauptbahnhof, dem dritten Versammlungsort, ab.
Stadt scheitert vor Gerichten
Das Verwaltungsgericht Trier widerspricht: Es könne „allein aus diesem Umstand ohne Hinzutreten weiterer objektiv provozierender Versammlungsmodalitäten allein keine Gefahr für die öffentliche Ordnung hergeleitet werden“ (1 L 1281/12.TR). In der Konsequenz gibt das Verwaltungsgericht der Durchführung der Versammlung unter dem Motto „Gegen die Herrschaft des Kapitals – Wir sind das Volk!“, die sich vorgeblich mit dem deutschen Mauerfall befasst, unter Auflagen statt. Bereits im Jahr zuvor hatte die NPD unter gleichem Motto eine Kundgebung am 9. November abhalten können. Damals hatte das Oberverwaltungsgericht in Koblenz eine Verschiebung der NPD-Kundgebung vom 9. auf den 10. November aufgehoben. In der Kürze der Zeit vermochte es der Senat nicht festzustellen, ob der angemeldeten Versammlung eine Provokationswirkung zuzumessen sei. In der Urteilsbegründung heißt es: „Die von einer solchen Versammlung ausgehende Provokationswirkung könnte vielmehr auch von dem Versammlungsmotto, das heißt dem mit der Versammlung verfolgten Ziel und anderen Modalitäten abhängig sein“ (7 B 11298/11.OVG ). Aufgabe der Versammlungsbehörde, also der Stadt Trier, so hätte man die Begründung des Oberverwaltungsgerichts bereits 2011 interpretieren können, müsste es sein, das verfolgte Ziel und andere Modalitäten der Kundgebung bei künftigen Verbotsverfügungen stärker zu berücksichtigen. Anstatt diesem Hinweis in ihrer Verbotsverfügung 2012 nachzukommen, liefert die Stadt 2012 dennoch keine überzeugenden Verbotsgründe. Das Verwaltungsgericht in Trier befand in seiner Urteilsbegründung, es seien „keine Gesichtspunkte hinzugetreten, die eine andere Abwägung der Interessen gebieten“ (1 L 1281/12.TR ). Das Gericht entschied, die Kundgebung müsse zugelassen werden.
Mängel in der Verbotspolitik
Sowohl auf formeller als auch auf inhaltlicher Ebene hätte die Stadt die Möglichkeit gehabt, strategischer zu handeln und eine Provokationswirkung überzeugend zu begründen. So stellt sich beispielsweise die Frage, warum die Stadt am 9. November 2012 ein Verbot der Versammlung anstrebte, obwohl die juristischen Hürden für ein solches deutlich höher sind als die einer zeitlichen Verlegung. Eine solche erreichte die Stadt bei einer für den 27. Januar 2012 geplanten Kundgebung der NPD. Dass der 9. November im Gegensatz zum 27. Januar aufgrund des Falls der Berliner Mauer im Jahre 1989 für die Bundesrepublik Deutschland einen vielseitigen Gedenktag darstellt, war schon 2011 mit ausschlaggebend für die Genehmigung der NPD-Veranstaltung durch das OVG. Irritierend wirkt, dass die Stadt trotzdem in Bezug auf die Kundgebung am 9. November 2012 ihre Strategie änderte und ein juristisch schwerer durchzusetzendes Versammlungsverbot anstrebte.
Auch auf inhaltlicher Ebene hätte es Ansatzpunkte gegeben, fundierter zu argumentieren. So lässt sich durch das vermeintlich kapitalismuskritische Motto ein Bezug zum Antisemitismus herstellen. In seinem 2012 erschienenem Buch „Antikapitalismus von rechts“ untersucht der Soziologe Hendrik Puls die wirtschafts- und sozialpolitischen Positionen der NPD und kommt zum Ergebnis, dass der Antisemitismus in der Kapitalismuskritik der NPD eine zentrale Rolle spiele. „Mal explizit, mal eher implizit werden Jüdinnen und Juden als die Macht hinter dem ‚Finanzkapital‘ genannt. Das Verständnis von Kapitalismus und Globalisierung der NPD baut auf der Idee einer jüdischen Weltverschwörung auf. Vor allem Regierungen, Politiker*innen und Großkonzerne gelten als ausführende Organe und Interessensvertreter*innen der als ‚Globalisten‘ bezeichneten angeblichen ‚Hintergrundmächte‘. Ohne die antisemitische Feindbestimmung ist die Kapitalismuskritik der NPD nicht zu denken“ (S. 113). Eine vermeintlich antikapitalistische NPD-Veranstaltung impliziert daher immer antisemitische Inhalte und stellt somit einen inhaltlichen Bezug zur Reichspogromnacht dar. Schon mit Blick auf die Kundgebung im Jahr 2011 berichteten mehrere Antifaschisten von antisemitischen Äußerungen. „Der 9. November 1938 war ein großer Tag für das deutschen Glaserhandwerk“ und „Scherben bringen Glück“, soll aus den Reihen der Versammlungsteilnehmer gerufen worden sein. Eine Dokumentation dieser Geschehnisse seitens Stadt und Behörden hätte Material für ein mögliches Verbot nachfolgender Veranstaltungen liefern können.
Doch böten auch Vorkommnisse im Jahr 2012 Anlass, die Nähe zwischen der NPD-Versammlung und dem Nationalsozialismus herauszustellen. In den von der Stadt erlassenen Auflagen für die beiden Kundgebungen am 9. November heißt es unter anderem: „Ein völkischer Nationalismus oder eine elitäre Rassenideologie darf nicht bekundet werden. Gleiches gilt für eine auf einem Führerprinzip und einen unbedingten Gehorsam aufgebaute Wertevorstellung.“ Ob ein Verstoß gegen diese Auflage durch einen Versammlungsteilnehmer gegeben war, der das Symbol einer „Schwarzen Sonne“ auf seinem Pullover trug, bliebe zu prüfen. Bekanntlich zierte das Symbol einen Saal in der von der SS gestalteten Wewelsburg. „In Zusammenhang mit der Kundgebung wurden weder Straftaten noch Verstöße gegen Versammlungsauflagen durch Teilnehmer der NPD-Kundgebung festgestellt“, erklärte hingegen die Pressestelle der Polizei Trier auf Anfrage.
Eingeschränkte Pressearbeit
Eine inhaltliche Einschätzung der Reden kann im Einzelnen nicht vorgenommen werden, da ausgewiesenen Pressevertretern der freie Zutritt zur Versammlung durch Polizeibeamte untersagt wurde. Eine freie und kritische Berichterstattung, die letztendlich auch Material für mögliche Verbotsgründe liefern könnte, verhinderte die Polizei auf diese Weise. Diese Polizeitaktik fand auch bei zwei späteren Kundgebungen der NPD in Trier Anwendung. Pressevertreter durften sich auch bei Kundgebungen im Dezember 2012 und im Januar 2013 nur so nah wie die zahlreichen Gegendemonstranten der rechten Versammlung nähern. Eine kritische Begleitung der Äußerungen der NPD-Kundgebungen ist auf Grund des lautstarken Gegenprotests in diesen Fällen fast unmöglich gewesen. Somit konnten Vertreter der Presse ihrer öffentlichen Aufgabe, wie sie im Landespressegesetz Rheinland-Pfalz formuliert ist, nicht nachkommen.