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Aus Solidarität mit den Flüchtlingen

 

Das Refugee camp am Brandenburger Tor im Dezember © Dirk Stegemann
Das Refugee camp am Brandenburger Tor im Dezember © Dirk Stegemann

„Ich bin etwas aufgeregt, jetzt über diese Erlebnisse zu sprechen“, sagt Mareike Peter zu mir, als wir uns in Berlin treffen. Sie ist Mitglied der Piratenpartei und hat die Flüchtlinge der Refugee tent action seit ihrem Hungerstreik am Brandenburger Tor begleitet. Schlaf- und Essmangel, die Kälte und die ständige Auseinandersetzung mit der Polizei – Mareike erinnert sich an alles. Und obwohl es schon einige Wochen her ist, hat sie die Erlebnisse mit den Flüchtlingen noch nicht verarbeitet.

Die ersten beiden Tage habe sie den Hungerstreik der Flüchtlinge nur online verfolgt. Danach sei sie Tag und Nacht dabei gewesen, aus Solidarität. Sie denkt zurück: „Ich war fast ununterbrochen vor Ort, habe dreißig-Stunden-Schichten übernommen, kaum geschlafen und kaum gegessen“. In der ersten Zeit hatte sie kein Handy und hat deshalb alle Ereignisse in einem kleinen schwarzen Buch notiert. Später hat sie regelmäßig getwittert. Mareike erinnert sich an die Nächte, in denen die Polizei das Protestcamp immer wieder räumen wollte. „Sie haben gewartet, bis die Touristen weg waren“, glaubt die 24-Jährige. Schon in der zweiten Nacht habe sie einen Einsatzleiter der Polizei belauscht, der gesagt habe: „Ich möchte, dass es friedlich bleibt, ich rechne aber nicht damit“.

Aus Solidarität wachte, protestierte und hungerte Mareike gemeinsam mit den Flüchtlingen auf dem Pariser Platz
Aus Solidarität wachte, protestierte und hungerte Mareike gemeinsam mit den Flüchtlingen auf dem Pariser Platz

Nach dieser Aussage seien die Aktivisten am Brandenburger Tor alarmiert gewesen. Die Polizei habe den Flüchtlingen in dieser Nacht immer wieder persönliche Gegenstände wie Decken, Wärmflaschen und Kleidung weggenommen. „Die Polizisten wollten die Räumung erzwingen, indem sie uns provozieren, bis die Situation eskaliert“, sagt Mareike. Darauf haben sich die friedlich streikenden Flüchtlinge aber nicht eingelassen.

Die Piratin berichtet von einer ständigen Anspannung im Protestlager auf dem Pariser Platz. „In jeder Schicht hat die Polizei die Auflagen für die Versammlung anders interpretiert, die Flüchtlinge wurden nie in Ruhe gelassen“, erinnert sich die 24-Jährige und fügt hinzu: „Eigentlich hätte die Polizei dem Leiter der Versammlung die Auflagen auch schriftlich geben müssen“. Später entschied das Gericht, dass es von den Polizisten rechtswidrig war, Wärmflaschen bei dieser Kälte wegzunehmen. „Die Polizei anzuzeigen, konnten sich die Flüchtlinge aber nicht auch noch leisten“, weiß Mareike. Denn bei jeder Anzeige eines Polizeibeamten kommt sofort eine Gegenanzeige wegen „Widerstand gegen die Staatsgewalt“. „Die Flüchtlinge hatten weder die Kraft noch das Geld, sich einem solchen Verfahren zu stellen“, fügt die Berlinerin hinzu.

Einer der Flüchtlinge sei Diabetiker und musste während des Hungerstreiks mehrmals ins Krankenhaus, berichtet Mareike: „Er wollte aber nie dorthin, weil er sagte, dort sei es schlimm, dort seien Rassisten“.

Nach dem zehnten Tag des Hungerstreiks sei die Anordnung einer Einsatzleiterin gekommen, dass sich keiner mehr setzen und nichts mehr rumliegen dürfe. „Wir haben uns dann alle Rucksäcke aufgeschnallt und die Tüten in die Hand genommen und standen so zwei Stunden vor dem Brandenburger Tor“, erinnert sich Mareike. Als die Aktivisten keine Kraft mehr hatten, haben sie alle Säcke auf einen Haufen geworfen und einen Kreis darum gebildet. „Wir haben immer gemeinsam unsere eigenen, noch verbliebenen Sachen, die die Polizei noch nicht weg genommen hat, geschützt“, sagt die Piratin. Gemeinsam starteten sie Sprechchöre wie „Kein Mensch ist illegal, Bleiberecht überall“ und „no borders, no nations, stop deportations“.

Mareike erzählt von ihren Erlebnissen als Unterstützerin im Refugee camp am Brandenburger Tor Das Refugee camp am Brandenburger Tor © Lisa Wagner
Mareike erzählt von ihren Erlebnissen als Unterstützerin im Refugee camp am Brandenburger Tor Das Refugee camp am Brandenburger Tor © Lisa Wagner

„Außerhalb des Kreises haben zwei fremde Menschen versucht, Krawall zu stiften, indem sie gerufen haben ‚Ganz Berlin hasst die Polizei’“, berichtet Mareike. Sie glaubt, dass das zivile Polizisten waren, die darauf gehofft haben, dass die Aktivisten bei diesem Spruch mitmachen und dafür dann belangt werden können. „Aber ich kannte diese Methode von anderen Demonstrationen und das war sowieso kein Spruch, der uns am Herzen lag“, weiß die 24-Jährige.

Dann erzählt Mareike von dem Abend, an dem der Wärmebus für die Flüchtlinge vom Pariser Platz abgeschleppt werden sollte. „Wir haben zur Sitzblockade aufgerufen, damit der Bus nicht weggefahren werden konnte“, erklärt sie. Sie sei dann von einem Polizisten gewürgt, am Hals weggetragen und auf den Boden geschleudert worden. „Danach war ich in einem Schockzustand und die ganze Woche darauf nur depressiv im Bett gelegen“, erzählt sie.

Auch andere Unterstützer des Protests seien weggetragen worden. „Ihnen wurde teilweise Nase und Mund zugehalten, sie konnten sich nicht wehren“, erklärt Mareike. „Das schlimmste war die Hilflosigkeit“, sagt sie und fügt hinzu: „Und dass die Polizisten mit ihren rechtswidrigen Aktionen immer wieder durchkamen“. Bewundernswert fand die Piratin die Flüchtlinge, die mit ihren Aussagen immer wieder für Staunen gesorgt haben. Einer habe bei der Aufnahme eines Podcasts gesagt: „Wenn ihr wissen wollt, wo ich herkomme, sage ich es euch. Aber eigentlich glaube ich nicht an Nationen“. „Damit hat er die Einstellung der Asylsuchenden auf den Punkt gebracht“, findet die 24-Jährige.

Nach dem Protest auf dem Pariser Platz habe sich die Bewegung aus 15-20 Flüchtlingen, die in den Hungerstreik getreten sind, gespalten. Doch die Refugee Tent Action geht weiter. „We will rise“ steht in ihrem Slogan – dafür stehen die Flüchtlinge nach wie vor.

Auch wenn weiterhin täglich Flüchtlinge des Refugeecamp-Protests über ihre Ablehnung und die bevorstehende Abschiebung informiert werden. Obwohl ihnen in ihren Heimatländern teilweise der Tod droht. Ein Beispiel dafür ist aktuell der Flüchtlings-Aktivist Patras Bwansi aus Uganda. Er lebt seit Oktober 2012 im Protestcamp am Oranienplatz in Berlin. Sein Asylantrag wurde im März 2012 abgelehnt. Ende Februar 2013 wurde ihm sein Abschiebungsbescheid ausgehändigt. Gerade beteiligt er sich an einer großen Bustour der Flüchtlinge durch Deutschland. Sein einziger Schutz vor der Abschiebung ist die Öffentlichkeit, die hinter ihm steht. Und eine Petition seiner Unterstützer.

„Für mich bleibt die Bewegungsfreiheit für alle Menschen politisches Thema“, so Mareike Peter. Zu einigen der Flüchtlinge habe sie mittlerweile persönlichen Kontakt. Sie sagt: „Ich möchte die Flüchtlingsbewegung weiterhin unterstützen, so gut ich kann“.

Das war der 3. Teil meiner Artikel-Serie über das Refugee Camp Berlin.