Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Alltagsrassismus als Nährboden für Rechtsradikalismus

 

Rote Karte für Rassismus! © Getty Images
Rote Karte für Rassismus! © Getty Images

Am Arbeitsplatz, in Schule und Uni, im Sportverein oder in der Familie – Alltagsrassismus kann einem überall begegnen. Dass hinter vermeintlich harmlosen Äußerungen oftmals doch mehr steckt, zeigen verschiedene wissenschaftliche Studien. Was macht Alltagsrassismus so gefährlich – und was kann man dagegen tun?

Bei der Auftaktveranstaltung der „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, Rassismus beginne im Kopf, bleibe aber leider nicht nur da. Wie Recht sie damit hat und wie oft rassistische Denkmuster öffentlich verbreitet werden, kann jeder in vielfältigen, alltäglichen Situationen erleben.

Eine dieser Situationen: Zur Mittagszeit in der Kantine eines großen Unternehmens irgendwo in Deutschland. Frau Krause berichtet ihren Kollegen vom bevorstehenden Urlaub an der polnischen Küste. Die Antwort eines Kollegen: „Na, dann pass aber mal schön auf, dass die euch nicht das Auto klauen!“. Alle lachen.

Ein harmloser Spruch? Eine Gedankenlosigkeit? Oder ist der Kollege gar ein Rassist?
Wilhelm Heitmeyer vom Institut für interdisziplinäre Gewalt- und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld untersucht seit vielen Jahren das Phänomen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. In seinen Studien stellt er fest, dass die Zustimmung zu rassistischen Thesen seit 2009 signifikant steigt – quer durch alle sozialen Schichten und unabhängig vom Wohnort. Auch die sogenannten „Mitte-Studien“ der Friedrich-Ebert-Stiftung zeichnen ein beunruhigendes Bild des sich auf dem Vormarsch befindlichen Alltagsrassismus.

Szenenwechsel. Fußballstadion. Ein Stürmer der gegnerischen Mannschaft macht eine ziemlich offensichtliche Schwalbe. Ein Fußballfan schreit: „Was für ein Arschloch, das kennt man doch sonst nur von den scheiß Italienern!“.

Wieder die Frage: war das nur ein, möglicherweise durch Alkohol begünstigter, harmlos gemeinter Spruch? Oder steckt mehr dahinter?
Im Interview mit dem Autor Ronny Blaschke sagt Heitmeyer, das Stadion sei der einzige Ort, wo die Abwertung von Menschen ohne Sanktionen eine breite Öffentlichkeit erreicht. Derlei Sprüche  finden also im Stadion keinen Widerspruch. Viel mehr gehört es für viele Fußballfans dazu, den Gegner beiziehungsweise die gegnerischen Fans zu schmähen. Dass dabei die Grenzen bis hin zu rassistischen, sexistischen oder homophoben Abwertungen überschritten werden, wird in den meisten Fällen toleriert. Allerdings erfahren rassistische Äußerungen auch in anderen Zusammenhängen, sei es am Arbeitsplatz, in der Schule, im Sportverein oder im Freundeskreis viel zu selten einen entschiedenen Widerspruch.

Nach den Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung stimmen über 25 Prozent der Befragten ausländerfeindlichen Thesen zu. Damit wird klar, dass es sich hier nicht um ein Randphänomen handelt, das nur in ostdeutschen Kleinstädten vorkommt. Die Tatsache, dass offen rechtspopulistische oder rechtsradikale Parteien in Deutschland nur in Ausnahmefällen Wahlerfolge erzielen und in der Regel deutlich unter der 5-Prozent-Hürde landen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass von ihnen vertretene Denkmuster weit verbreitet sind.
Wahrscheinlich sind die beiden Sprücheklopfer aus den Beispielen keine Rassisten. Dennoch bewirken ihre Sprüche etwas. Sie bilden ein Umfeld, in dem Symptome der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit wie Rassismus, Sexismus, Antisemitismus oder Homophobie akzeptiert werden und sich so zur gesellschaftlich etablierten Realität entwickeln. Unbewusst schaffen sie damit den Nährboden für die Auswüchse eines rechten Radikalismus. Durch die verbreitete Akzeptanz menschenfeindlicher Argumentationsmuster wird ein Tabubruch bereits in der sogenannten Mitte der Gesellschaft vollzogen, der Neonazis den theoretischen Unterbau für ihren Radikalismus bietet und gleichzeitig dazu führt, dass sie sich als Vertreter einer „schweigenden Mehrheit“ fühlen können.

Was also tun? Während man vielfältige Möglichkeiten hat sich gegen Rechtsradikalismus zu engagieren, sieht das bei Alltagsrassismus etwas anders aus. Zum einen, weil Alltagsrassismus unter Umständen schwer zu erkennen ist. Zum anderen, weil Alltagsrassismus einem im engsten persönlichen Umfeld begegnen kann. Wer bricht schon gerne beim Familienfest einen Streit vom Zaun, weil jemand eine rassistische Anmerkung fallen gelassen hat? Wer gilt schon gerne als überkorrekter Moralapostel im Büro, der keinen „Spaß“ versteht? Und trotzdem oder gerade deswegen sollte man hier eingreifen. Eine Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Religion bleibt immer eine Ungleichbehandlung – auch wenn sie witzig gemeint sein soll. Oder um es mit Kurt Tucholskys Worten zu sagen: „Denn nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“