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Die verschwiegenen Toten – Todesopfer rechter Gewalt in Leipzig

 

Hauptstraße von Gaschwitz in Richtung Großdeuben - Am 4. Juli 1998 wird Nuno Lourenço von acht Neonazis so stark misshandelt, dass er später an seinen schweren Verletzungen stirbt.  © visual-change
Hauptstraße von Gaschwitz in Richtung Großdeuben – Am 4. Juli 1998 wird Nuno Lourenço von acht Neonazis so stark misshandelt, dass er später an seinen schweren Verletzungen stirbt © visual-change.org

Seit 1990 zählt die Amadeu-Antonio-Stiftung mindestens 184 Todesopfer “rechter Gewalt” in Deutschland. Das sind mehr als doppelt so viele Opfer, als bisher in der Statistik der Bundesregierung aufgeführt wurden. In Leipzig ereigneten sich nach dieser staatlichen Statistik seit der Wende drei rechts motivierte Morde. Dass es auch hier bei weitem mehr rechtsextrem motivierte Verbrechen gab als bisher bekannt, zeigt nun die Recherche des Initiativkreises Antirassismus.

Es war im Spätsommer 2010 als der junge Kamal Kilade von zwei Rassisten in der nähe des Leipziger Hauptbahnhofes niedergestochen wurde und kurze Zeit später an seinen Verletzungen starb. Auch wenn es sich bei den beiden Tätern um vorbestrafte und bekennende Nazis handelte, wurde eine politische und rassistische Motivation durch die Staatsanwaltschaft zunächst nicht anerkannt.

Dies war Anlass für die Gründung des Initiativkreises Antirassismus, welcher seitdem eine Vielzahl an Verdachtsfällen rechtsmotivierter Tötungsdelikte überprüft hat und die Ergebnisse nun in der Ausstellung „Die verschwiegenen Toten – Opfer rechter Gewalt in Leipzig seit 1990“ präsentiert. Die Ausstellung ist „das Ergebnis einer monatelangen, jedoch nicht abgeschlossenen Recherchearbeit”, so Steven Hummel vom Initiativkreis Antirassismus. Er betont, dass diese auch unvollendet bleiben müsse, denn während der Rechereche seien sie auf weitere rechts-motivierte Morde gestoßen, so dass ein deutlich größeres Dunkelfeld wahrscheinlich sei. Doch solch eine intensive Recherchen bedürfe mehr Zeit und Geld, vor allem aber der Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft, „die uns leider die Einsicht in die Gerichtsurteile der Todesfälle verwehrte, wodurch ein Vorankommen erschwert, in Teilen gar verunmöglicht wurde.”

Trotz dieser Schwierigerkeiten gelang es der Gruppe neben den bisher offiziell anerkannten drei, weitere Fälle rechts-motivierter Morde seit 1990 aufzudecken. Die staatliche Statistik nennt bisher nur den von Rassisten erstochenen Kamal Kilade, Nuno Lourenco, welcher 1996 nach einem durch die deutsche Nationalmannschaft verlorenen EM-Spiel so so schwer geschlagen, das er sechs Monate später verstarb sowie Achmed Bachir, der 1996 in einem Gemüseladen in der Südvorstadt erstochen wurde. Letztgenannter Mord wurde wie auch bei Kamal erst im Zuge einer Nachüberprüfung des Sächsischen Innenministeriums 2012 nachträglich als rechts motiviert anerkannt.

Bereits das Rechercheprojekt „Todesopfer rechter Gewalt“ von ZEIT und Tagesspiegel ordneten drei weitere Morde in Leipzig als rechts motiviert ein: den sozialdarwinistischen Morden an Klaus R. (1994) und Karl-Heinz Teichmann (2008) sowie dem homophoben Mord an Bernd Grigol (1996). Im Zuge der Recherchen des Initiativkreises wurden nun mindestens vier weitere Fälle bekannt. 1995 fiel der wohnungslose Horst K. der Gewalt zweier Jugendlicher zum Opfer. Thomas K. wurde 2003 von einem Nazi erstochen. Als Verdachtsfälle, in denen ein rechtes Tatmotiv nicht ausgeschlossen werden kann, kommen Gerhard S. (von zwei Nazis aus einer Straßenbahn geworfen, 1991) und Gerhard Helmut B. (möglicherweise aufgrund seiner Homosexualität ermordet, 1995) hinzu.

„Die einzelnen Fälle erfordern eine kritische Auseinandersetzung mit den Ursachen in unserer Gesellschaft, die diese Taten erst ermöglicht haben“, so Hummel, „und die Ausstellung soll dazu beitragen, die Morde sowie die dahinter stehenden Ideologien fortwährend in einem gesellschaftlichen Rahmen zu betrachten. Mit ihr erhoffen wir uns eine Auseinandersetzung mit rechter Gewalt innerhalb der Leipziger Stadtgesellschaft, also in Verwaltung, Parteien, Medien sowie aber auch unter den Bewohnern selbst.“ Die Ausstellung arbeitet damit nicht nur die konkreten Fälle auf, sondern befasst sich auch mit den Tatmotiven und der Schwierigkeit eines adäquaten Umgangs mit dieser Dimension rechter Gewalt durch offizielle Stellen. So erkennt der Staat bisher nur zirka ein Drittel der durch JournalistInnen und Zivilgesellschaft recherchierten bundesweiten rechten Morde an.

Der Initiativkreis Antirassismus will mit der Ausstellung die Opfer in den Fokus rücken und fordert gleichsam einen offensiveren Umgang mit rechter Gewalt ein. So betont Hummel, dass dazu nicht nur eine schonungslose Aufarbeitung der Mordfälle gehöre, wie es beispielsweise das Land Brandenburg mit einer eigenes eingesetzten Expertenkreises aus Verwaltung, Polizei, Justiz und zivilgesellschaftlichen Organisationen tun würde, „sondern auch Sensibilität und Entschlossenheit im Umgang mit menschenfeindlichen Einstellungen in der Gegenwart, damit es erst gar nicht zu tödlicher Gewaltausübung kommt.“

Am 14. November 2014 wird um 17:00 im Neuen Rathaus in Leipzig die Ausstellung „Die verschwiegenen Toten – Opfer rechter Gewalt in Leipzig seit 1990″ eröffnet. Um 17 Uhr wird ein Rundgang durch die Ausstellung stattfinden, ab 18 Uhr folgt eine Podiumsdiskussion mit Heike Kleffner (Journalistin), Sebastian Scharmer (Anwalt der Familie von Kamal K. und Nebenklagevertreter im NSU-Prozess) und Andrea Hübler (RAA-Opferberatung).

Die Ausstellung ist vom 14.11. bis 11.12.2014 im Rahmen der Öffnungszeiten des Neuen Rathauses zu besichtigen (Montag bis Donnerstag 8:00 – 18:00 Uhr, Freitag 8:00 – 15:00 Uhr ). Rundgänge mit Vertretern der Ausstellungsgruppe gibt es jeden Donnerstag (20. und 27. November sowie 04. und 11. Dezember) jeweils von 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr.