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Rassistisch beschimpft und mit Messer angegriffen

 

Ein Verfahren zu einem eskalierten Nachbarschaftsstreit in Berlin-Neukölln geht in die nächste Runde. Anfang des Monats fielen die erstinstanzlichen Urteile gegen Stefan E. (24 Jahre) und seinen Vater Kurt E. (56 Jahre) vor dem Berliner Amtsgericht Tiergarten. Die nicht vorbestraften und bei Tatbegehung unter Alkoholeinfluss stehenden Männer erhielten Bewährungsstrafen von neun und sieben Monaten für Gefährliche Körperverletzung. Der jüngere Täter wurde zusätzlich wegen Beleidigung verurteilt. Nun wurde bekannt, dass die Verurteilten Berufung eingelegt haben und der Prozess neu aufgerollt werden muss.

Die beiden Anwohner der Neuköllner Tellstraße hatten nach Auffassung des Gerichts am 8. März vorigen Jahres gegen 23:00 ihren Nachbarn Cengiz A. unter rassistischen Beleidigungen und Bedrohungen geschlagen und dabei am Hinterkopf verletzt. Stefan E. attackierte den Lokalbetreiber  sogar mit einem Messer, fügte ihm mit seinen Stichversuchen jedoch nur durch Glück keine Verletzungen zu, da es dem Betroffenen gelang auszuweichen und zu flüchten. Die Gäste einer nahegelegenen Shisha-Bar hielten die Angreifer von ihm fern, bis die eintreffende Polizei sie unter einigen Mühen festnehmen konnte.

Im Prozess traten die Angeklagten dann betont selbstbewusst auf. Sie wollten geltend machen, dass die Erwiderungen des Angeklagten auf ihre rassistischen Beschimpfungen sie provoziert hätten. Ferner gab der ältere Täter nur einen Schubser zu. Sein Sohn behauptete, das Messer habe der Angegriffene zur Auseinandersetzung mitgebracht und er habe es lediglich von der Straße aufgehoben, als A. es fallen ließ. Weshalb Stefan E. jedoch mit dem Messer in der Hand A. verfolgte und es später vor der Polizei verstecken wollte, konnte der gelernte Koch nicht erklären. Übertroffen wurden die Aussagen der Angeklagten nur von denen derjenigen Zeug/innen, die sie zu ihrer Entlastung mitgebracht hatten. So wollte die Schwester von Kurt und Tante von Stefan E. – ebenfalls eine Anwohnerin – als Augenzeugin ausschließen, dass ihr Neffe überhaupt ein Messer gehalten haben könne. Unabhängige Zeug/innen hatten zuvor den in der Anklageschrift formulierten Tathergang bestätigt.

Welche Rolle spielte Rassismus?

Weil sich die Täter und der Angegriffene seit Jahren persönlich kannten und vor einigen Jahren noch ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis pflegten, kam die Richterin zu dem Schluss, dass Rassismus zwar in Form der Beleidigungen eine Rolle spielte, aber nicht ausschlaggebendes Motiv für die Tat gewesen sei. Allerdings scheint für das sich verschlechternde Verhältnis der Beteiligten gerade die Entwicklung des jüngeren Angeklagten Stefan E. verantwortlich gewesen zu sein, der sich Zeugenaussagen zufolge zunehmend in Richtung rechter Auffassungen bewegte, während zeitgleich die Probleme mit A. und dessen Lebensgefährtin wuchsen. Die Messerattacke war dabei nur ein Teil einer ganzen Reihe von Vorfällen. Bei einer anderen Gelegenheit soll Stefan E. die Lebensgefährtin von A. von dem Balkon aus mit dem Handy gefilmt und ihr angedroht haben, das Material an seine „Neonazi-Freunde“ zu übergeben, damit diese sie erkennen können. Eine kaum verhohlene Drohung, die ihre beabsichtigte Wirkung auf die Betroffene, die ebenfalls als Zeugin aussagte, offenbar nicht verfehlt hatte.

Selbst wenn die Auseinandersetzung in der Neuköllner Tellstraße also zumindest auch den Charakter eines Streits unter Nachbarn trägt, dürfte die rassistische Ideologie doch zur Eskalation beigetragen und die brutale Tat in der Form erst möglich gemacht haben.

Der Termin für die Berufungsverhandlung ist noch offen.