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Naziaufmarsch am 8. Mai in Demmin: Diesmal alles anders?

 

Haben den Krieg verloren: 250 Neonazis verklären Geschichte in Demmin am 8. Mai © Sören Kohlhuber
Haben den Krieg verloren: 250 Neonazis verklären Geschichte in Demmin am 8. Mai 2013 © Sören Kohlhuber

Am Freitag den 8. Mai, dem 70. Jahrestag der Befreiung vom deutschen Faschismus, wollen Neonazis wieder durch Demmin marschieren. Mit einem Fackelmarsch wollen sie jenen Menschen aus der Stadt und Umgebung gedenken, die 1945 sich und ihren Familien aus Angst vor der Roten Armee das Leben nahmen. Im letzten Jahr war es erstmals gelungen, größere Proteste gegen den Nazi-Fackelzug in der vorpommerschen Kleinstadt zu organisieren, die jedoch von einem martialischen Polizeieinsatz begleitet wurden. Zahlreiche Pressevertreter klagten, ihre Arbeit sei von Neonazis und Polizei behindert worden. Dieses Jahr soll vieles anders laufen.

Michael Gielnik (NPD) am 8. Mai 2014 in Demmin © Hans Schlechtenberg
Michael Gielnik (NPD) am 8. Mai 2014 in Demmin © Hans Schlechtenberg

Von Hannes Stepputat

Der Mai beginnt für Antifaschisten in Mecklenburg-Vorpommern bereits seit Jahren mit einem Doppeltermin: Am 1. Mai der zentrale Aufmarsch des NPD-Landesverbandes irgendwo im Bundesland, am 8. Mai folgt der in der Vergangenheit von Michael Gielnik (NPD) privat angemeldete Fackelmarsch in Demmin. Die Mobilisierung des Bündnisses „Demmin Nazifrei“ konnte dabei stete Zuwächse verzeichnen. Im letzten Jahr gelang es den Protestierenden erstmals zahlreiche Blockaden auf der Aufmarschstrecke zu bilden, auf der die Neonazis durch die Stadt zur Kranzniederlegung am Peeneufer und wieder zurück durch den Ort gehen. Aufhalten konnten die Blockierer die Neonazis noch nicht, was einerseits an der Größe der Blockaden, vor allem aber an einem heftigen Materialeinsatz der Polizei lag.

Diese hatte eine Hundestaffel und mehrere Wasserwerfer aufgeboten, wobei letztere mitunter Probleme hatten, durch die engen Gassen der Kleinstadt zu manövrieren, was den Eindruck der Deplaziertheit noch verstärkte. Beim räumen der Sitzblockaden schlugen die Polizisten immer wieder zu oder führten den Fackelzug extrem eng an den Sitzenden vorbei – Anspuckerei und Tritte durch die Nazis inklusive. Ein Franzose, der an den Protesten teilnahm, wurde bei seiner rabiaten Festnahme nach einer friedlichen Sitzblockade schwer verletzt und musste noch in Demmin ins künstliche Koma versetzt werden. Wie zur Rechtfertigung warfen ihm Polizei und Innenministerium später vor, drei Polizeibeamte angegriffen zu haben. Zeugen widersprechen dieser Darstellung entschieden. Die Verletzungen der Beamten hätten diese sich offensichtlich bei der Festnahme selbst zugezogen. Der junge Mann aus Frankreich erhielt kürzlich einen Strafbefehl über 2400 Euro wegen Körperverletzung Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Mittlerweile hat er Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt, wie sein Anwalt Sven Richwin aus Berlin mitteilte. Damit sei „der Weg für eine gründliche Überprüfung des Einsatzgeschehens am 08.05.2014 im Rahmen einer öffentlichen Beweisaufnahme eröffnet“, so Richwin. „Die Aufnahmen des Geschehens erinnern fatal an die aktuellen Videos von Polizeigewalt in den USA, bei denen Personen durch mehrere Polizeibeamte erstickt wurden.“

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Polizeigewalt in Demmin am 8. Mai 2014 from Kombinat Fortschritt on Vimeo.

Kundgebung am Peeneufer am 8. Mai 2014 © Hans SchlechtenbergKundgebung am Peeneufer am 8. Mai 2014 © Hans Schlechtenberg
Kundgebung am Peeneufer am 8. Mai 2014 © Hans Schlechtenberg

Auch Medienvertreter waren mit dem Verlauf des Abends nicht zufrieden. Beim zentralen Element des Naziaufmarsches, dem Absenken eines Kranzes in die Peene, bei dem sich die Neonazis mit Fackeln im Kreis aufstellten, wurden sie von den NPD-eigenen Ordnern des Platzes verwiesen. Die Polizei duldete dies nicht nur, sondern rechtfertigte das Vorgehen mit einem angeblichen Hausrecht der Veranstalter. So etwas soll dieses Jahr nicht wieder passieren, sagt Gunnar Mächler vom Polizeipräsidium Neubrandenburg: „Ich will gar nicht bewerten, was da im letzten Jahr gelaufen oder passiert ist“. Klar sei, dass es „selbstverständlich kein Hausrecht bei Versammlungen unter freiem Himmel gibt“. Pressevertreter könnten sich frei bewegen.

Die neue Tonlage aus dem Präsidium, die auch schon am 1. Mai in Neubrandenburg zu spüren war, ist das Ergebnis heftiger Kritik an den Einsätzen des vergangenen Jahres. Zivilgesellschaftliche Initiativen hatten der Polizei vorgeworfen Proteste gegen Naziaufmärsche im Vorfeld zu kriminalisieren und mit überzogener Härte gegen Protestierende vorzugehen. Auch der Landtag in Schwerin befasste sich mit den Vorwürfen und verabschiedete mit allen demokratischen Fraktionen einen Beschluss für eine neue Demonstrationskultur. Als Konsequenz wurde die Einsatzleitung in diesem Jahr ganz oben angesiedelt. Ob die von der Polizei präsentierte neue Demonstrationskultur eine Eintagsfliege bleibt, oder auch in Demmin fortgesetzt wird, wird sich am Freitag zeigen: Wenn es dunkel ist, und die Kameras der Journalisten keine große Gefahr mehr darstellen.

„Demmin Nazifrei“ organisiert in diesem Jahr eine Friedensdemonstration, die am 8. Mai um 17:30 Uhr auf dem Marktplatz beginnen soll, und eine mehrtägige Konferenz zu den Themen Frieden, Neonazis und Flüchtlingen. Insgesamt sind derzeit acht Veranstaltungen in der Stadt angemeldet, zu denen auch antifaschistische Gruppen aus Norddeutschland und Berlin mobilisieren. Gemeinsam haben sie die Hoffnung, den Nazis die 8. Auflage ihres Gedenkspektaktels zu vermiesen.

Twitter-Hashtag:: #8mDM

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