Leipzig ist die einzige deutsche Stadt, in der ein Pegida-Ableger halbwegs Fuß fassen konnte. Doch nach dem Abschied einer Führungsfigur nähert sich Legida weiter dem Neonazispektrum an und führt absurde Aktionen durch – zum Beispiel den Transport eines Kothaufens zur örtlichen Polizeidirektion. Die eigenen Anhänger bleiben zunehmend fern.
Von René Loch
Stellen Sie sich mal Folgendes vor: Gemeinsam mit ein paar Freunden ziehen Sie besoffen um die Häuser. Es kommt zu einer Rangelei mit einer fremden Person, der Sie einen Schneidezahn ausschlagen. Kurz darauf verbreitet sich jedoch die Nachricht, Sie hätten auf einer anschließenden Party jemandem den Arm gebrochen. Wie würden Sie reagieren?
Sich entschuldigen, vielleicht sogar schweigen und darüber nachdenken, beim nächsten Mal etwas weniger Alkohol zu konsumieren, um ähnliche Vorfälle zu vermeiden? Oder eine Demonstration gegen jene Person anmelden, die den Sachverhalt falsch dargestellt hat, dabei immer wieder betonen, dass Sie keinen Arm gebrochen, sondern „lediglich“ einen Zahn ausgeschlagen haben, und zusätzlich einen Baseballschläger mit sich führen, um satirisch dagegen zu protestieren, dass Sie als Gewalttäter dargestellt werden? Es gibt Personen, die die zweite Variante für sinnvoll halten.
Eine oder mehrere dieser Personen haben vor einigen Wochen die Kontrolle über Legida, den Leipziger Ableger der völkischen Pegida-Bewegung, übernommen. Im März hatte sich der ehemalige Chef des Orgateams, Markus Johnke, wegen inhaltlicher Differenzen mit Dresden nach neun Monaten an der Spitze zurückgezogen. Er hatte zuvor für die „Merkel muss weg“-Demo in Berlin geworben. Pegidachef Lutz Bachmann hatte seine Anhänger vor dieser Veranstaltung gewarnt, weil im Hintergrund angeblich der Verfassungsschutz die Fäden in der Hand hielt.
Zu Johnkes Zeiten war Legida zumindest offiziell um Distanz zu Neonazis bemüht, wenngleich schon im Juni 2015 Tony Gerber von der „Identitären Bewegung“ auf die Bühne durfte. 2009 wollte Gerber für die NPD in den Zwickauer Stadtrat einziehen.
Anfang April – es war die erste Demo nach dem Abschied von Johnke – gab Legida diese Scheindistanz nun völlig auf. Gleichzeitig zur eigenen Kundgebung veranstaltete ein Bündnis namens „Wir lieben Sachsen/Thügida“ eine „Unterstützerdemo“. Beide Demonstrationen fanden unter dem Motto „Gemeinsam gegen imperialistische Kriegstreiberei“ statt. Die Teilnehmer der Thügida-Demo schlossen sich später dem Legida-Aufzug an.
Zu den maßgeblichen Akteuren des seit Ende 2015 bestehenden Bündnisses zählen David Köckert (NPD-Stadtrat in Greiz), Alexander Kurth (sächsischer Landesvorsitzender der Neonazipartei „Die Rechte“) und Silvio Rösler (Johnkes Vorgänger als Legida-Chef und laut sächsischem Verfassungsschutzbericht ein „Rechtsextremist“). Als Redner traten zudem der Münchner Stadtrat Karl Richter (NPD-Mitglied), die ehemalige „Ring Nationaler Frauen“-Vorsitzende Sigrid Schüßler und der Leipziger Stadtrat Enrico Böhm auf. Böhm war bis vor Kurzem ebenfalls NPD-Mitglied und Kreisvorsitzender der Partei. Im Machtkampf mit dem sächsischen Landesvorsitzenden Jens Baur zog er jedoch den Kürzeren und trat nach eigener Darstellung aus der Partei aus.
Die Gesinnung vieler der gerade einmal gut 70 Teilnehmer der „Unterstützerdemo“ drückte sich nicht nur in den Redebeiträgen, sondern auch in T-Shirts, Parolen und Accessoires aus. Immer wieder riefen Teilnehmer „Internationale Völkermordzentrale Israel“ oder „Nie wieder Israel“, auch nach Anschluss an die Legida-Demo. Ein Teilnehmer trug ein T-Shirt der Marke Lonsdale und verdeckte dabei mit seiner Jacke alle Buchstaben außer „nsda“. In der Regel ist dies als Anspielung auf die NSDAP zu verstehen.
Ein weiterer Teilnehmer trug ein T-Shirt mit Auschwitz-Bezug und eine Armkette mit einem silberfarbenen Hakenkreuz. Die Polizei hatte zunächst fälschlicherweise berichtet, dass es sich dabei um einen Legida-Teilnehmer mit Hakenkreuz-Armbinde handelte, sich später aber auf Wunsch des Legida-Anwaltes korrigiert. Doch damit nahm der Kothaufen seinen Lauf.
Anstatt es bei der Klarstellung zu belassen und einzugestehen, dass an der „Unterstützerdemo“ zahlreiche Neonazis teilnahmen (Variante 1 aus dem Eingangsbeispiel), meldete Legida eine Kundgebung vor die Polizeidirektion an, um dagegen zu protestieren, dass man öffentlich in die „rechte Ecke“ gestellt werde (Variante 2). Eines der Kundgebungsmittel war ein riesiger, künstlicher Kothaufen, den man bei der Polizei ablieferte. Dies sollte wohl ebenso satirisch gemeint sein wie ein mit der Buchstabenfolge „NSU“ beschrifteter Luftballon.
Was genau Legida mit dieser Demonstration bezwecken wollte, blieb den meisten Beobachtern schleierhaft. In Redebeiträgen warf man der Polizei unter anderem vor, auf dem linken Auge blind zu sein. Erreicht hat man mit der Kundgebung wohl vor allem eines: mehr Aufmerksamkeit für die Tatsache, dass im Umfeld von Legida-Demonstrationen mit Hakenkreuzen spaziert wird. Am selben Abend, an dem das Hakenkreuz zu sehen war, wurde direkt hinter dem Fronttransparent von Legida zudem ein Teilnehmer beim Zeigen des „Kühnengrußes“ gesichtet. Der Staatsschutz will gegen diese Person ermitteln.
Legida scheint auf dem besten Weg in die Bedeutungslosigkeit. Anfang April schlossen sich den beiden Kundgebungen insgesamt nur 500 Personen an, etwa halb so viele wie noch im März. Die Kothaufen-Demo vermochte lediglich 100 Interessierte zu versammeln. Auch die Facebookposts, die sich vermehrt der angeblich staatlich finanzierten Antifa widmen, werden zunehmend wirr. Gut möglich, dass Pegida in Kürze die einzige Stadt außerhalb Dresdens verliert, in der ein Ableger halbwegs Fuß fassen konnte. Mit der Annäherung von Legida an die NPD und andere Neonazigruppen scheint der Bruch zumindest ideologisch sowieso schon vollzogen.