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„National befreite Zone“ mit Hilfe der Polizei

 

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Berichterstattung über die extrem rechte Szene und ihre Strukturen kommt ohne lang angelegte Recherchen sowie Hintergrundwissen und -berichte nicht aus. Weil die Akteure der Szene aber die Öffentlichkeit scheuen, stehen besonders Fachjournalisten in ihrem Visier. Doch nicht nur rechte Attacken erschweren deren Arbeit, teilweise macht sich die Polizei zu Erfüllungsgehilfen der Neonazis. Jüngstes Beispiel: der extrem rechte Eichsfeldtag im nordthüringischen Leinefelde.

„Jetzt provozieren Sie doch nicht!“ – wer als Fachjournalist mit Presseausweis die Aktivitäten der extrem rechten Szene beobachtet und dokumentiert, kennt wahrscheinlich diesen Spruch von Polizisten. Kaum ein Aufmarsch oder Konzert vergeht, an dessen Rand die Journalisten sich nicht gegen polizeiliche Zurechtweisungen wehren müssen, um ihrer Arbeit nachgehen zu können. So auch beim mittlerweile sechsten „Eichsfeldtag“, einem Rechtsrock-Open Air, das die NPD Eichsfeld um den mehrfach vorbestraften Neonazi Thorsten Heise einmal im Jahr auf einem Sportplatz im Süden der Stadt Leinefelde veranstaltet.

Unheilvolle Entwicklung in Sachen Pressefreiheit

Schon 2014 wollten einzelne Polizeibeamte anwesenden Fotografen vorschreiben, was sie fotografieren dürften und was nicht, ein Beamter versuchte auf die Kamera eines Fotografen zuzugreifen, um das Bildmaterial zu sichten. Wenig später notierten Beamte als „präventive Maßnahme“ sämtliche Daten der Presseausweise von einer Gruppe von Journalisten. Zur Begründung hieß es: „Die Datenerhebung erfolgte im Rahmen der Gefahrenabwehr und ist rechtskonform“.

Journalosten als Gefahr? Auch im vergangenen Jahr kam es zu ähnlichen Szenen, als den anwesenden Fotojournalisten untersagt wurde zu fotografieren, weil sich Neonazis beschwert hätten. „Wenn Sie nicht aufhören zu fotografieren, beschlagnahme ich Ihre Kamera“, erklärte ein Beamter und konnte erst durch eine lange Diskussion und die Intervention des Ordnungsamtes von seinem Vorhaben abgebracht werden. Mit Platzverweisen für Journalisten für einen Teil des öffentlichen Geländes beim diesjährigen „Eichsfeldtag“ am 28.05 erreichte diese Entwicklung allerdings ein neues Niveau.

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Thorsten Heise beschimpft Journalist_innen, Foto: Kai Budler

In diesem Jahr hatten die Neonazis den Zaun, der den Sportplatz umgibt, von innen nahezu gänzlich mit Transparenten zugehängt, um einen Einblick von außen zu verhindern. Nach der offiziellen Eröffnung der Veranstaltung schlug Matthias Fiedler, stellvertretender Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Eichsfeld, dem von zwei Securitys begleiteten mdr-Kamerateam vor, sie könnten unter Aufsicht kurz die Bühne vom Inneren des Geländes filmen. Dieses Angebot galt jedoch für die anderen drei anwesenden Journalisten in dieser Form nicht, da sie „nur provozieren“ wollten, so Fiedler, der einen Besuch auf dem Gelände vor der Bühne nur mit Polizisten als Zeugen durchführen wollte. Dort eingetroffen, nannte Thorsten Heise am Mikrofon die Namen der Pressevertreter, bezeichnete sie als „Antifa-Fotografen“ und beschimpfte und verhöhnte sie . Für einige Ordner und Konzertbesucher offenbar eine Aufforderung, denn sie gruppierten sich um die drei Fotografen, machten Aufnahmen der Bühne zum Teil mit aufgespannten Schirmen unmöglich und bedrängten und beschimpften die Journalisten unter den Augen der Polizei.

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Weiterarbeit verunmöglicht, Foto: Kai Budler

Darauf angesprochen, antwortete ein Beamter, dass die Neonazis sich aufhalten können, wo sie wollen und sie nur einen „Intimabstand“ einhalten bräuchten. Als auf der Bühne der Neonazi-Liedermacher Frank Rennicke mit den Beleidigungen fortfuhr und die Pressevertreter u.a. als „Minus-Menschen“ bezeichnete, brachen sie ihren Besuch auf dem Gelände unter Gefeixe und lauten Rufen der Neonazis ab. Im einem anschließenden Gespräch erklärte der Leiter der örtlichen Polizeiinspektion, in der Situation vor der Bühne habe der Schutz der Journalisten nicht zu den Aufgaben der anwesenden Polizisten gehört.

Platzverweise für Journalisten

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Keine Portraitbilder, wie behauptet. Dafür T-Shirt zur Werbung für Blood&Honour, Foto: Kai Budler

Rund zwei Stunden später sprach die Polizei gegen  Journalisten, die die öffentliche Veranstaltung von einem Erdwall außerhalb des Geländes dokumentierten, ohne Begründung Platzverweise für diesen Bereich bis nach dem Ende des Rechtsrock-Konzertes aus. Ihnen wurde die journalistische Kompetenz abgesprochen („Das was Sie betreiben, hat mit journalistischer Arbeit nichts zu tun“) und vorgeworfen „Sie provozieren und nichts anderes“. Unter Androhung von Gewaltanwendung („Sonst werde ich sie mit Gewalt hier räumen“) verließen die Journalisten in Polizeibegleitung den Wall und wurden von lachenden Neonazis fotografiert, als sie abgeführt wurden. Auch Staatsschutzbeamte höhnten und fragten „Wo kann man Ihre Bilder denn herunterladen?“. Später wird klar, dass der Platzverweis auf Initiative der Neonazis ausgesprochen wurde, wie ein Polizist erläuterte: „Der Veranstalter wünscht nicht, dass gefilmt wird“. Eine seiner Kolleginnen hatte bereits vorher gesagt: „Presserecht gibt’s in dem Sinne jetzt wahrscheinlich hier nicht“. Beim anschließenden Gespräch drohte der Leiter der örtlichen Polizeiinspektion Eichsfeld mit einer Anzeige wegen Beleidigung, weil der Spruch „Solche Leute wie Sie haben den NSU gemacht“ gefallen sei. Von den anwesenden Journalisten aber hatte niemand diese Bemerkung gemacht.

Weil in dieser Situation keine Hintergrundberichterstattung mehr möglich war, brachen die Pressevertreter ihre Arbeit ab und verließen das Gelände am Sportplatz. Als sie dabei den von außen undurchsichtigen Zaun filmten, wurden sie erneut von der Polizei angehalten, die verlangte, die gemachten Bilder einzusehen.

Wenig später erreichte der Gegenprotest seinen Zielort und einer der Redner machte auf das polizeiliche Handeln aufmerksam. Daraufhin sprach ein Lokaljournalist zwei der Pressevertreter an, die vorher am Rand des „Eichsfeldtages“ fotografiert hatten,und lobte ihre Arbeit, schließlich könne er so auf die entsprechenden Hintergrundinformationen zurück greifen. Dieses Mal klappt das leider nicht, denn mit ihrem Verhalten hat die Polizei diese notwendige Arbeit unmöglich gemacht.