Für den 17. Juni ruft der Berliner Ableger der Identitären zu einem „Aufstand gegen das Unrecht“ auf. Auf Facebook haben bislang knapp 100 Personen ihre Teilnahme am Aufstand zugesichert.
Von Sebastian Wehrhahn
Wie groß dieser Aufstand wird, ist vielleicht auch schon die interessanteste Frage im Hinblick auf die Veranstaltung. In der Vergangenheit fanden die meisten Aktionen der Identitären in Berlin in durchaus überschaubarem Rahmen statt. Mehr als ein Dutzend Teilnehmende waren es selten. Dazu kommt, dass es in Berlin so gut wie keine identitäre Aktion in der Vergangenheit gab, die im Vorfeld angekündigt worden wäre – zu groß die Sorge vor Gegendemonstrationen und der Schmach der Niederlage. Stattdessen ziehen es die Berliner Identitären vor, ihre Aktionen im Nachhinein medial zu inszenieren. Unter das Video der Handkamera wird bedeutungsschwere Musik aus Fantasy-PC-Spielen gelegt, vielleicht noch ein Effekt, der so klingt, als ob irgendwo schon die Massen jubeln würden und vor dem Schnitt wird nochmal schnell nachgeschaut, wie die Kollegen aus Frankreich das immer so machen.
Das Resultat ist meist dementsprechend: fünf Gymnasiasten halten in einer SPD-Veranstaltung ein Transparent hoch und schauen dabei so ernst, als ob Gedeih oder Verderb der abendländischen Kultur auf ihren jungen Schultern liegen würde. Der Clou: Genau das glauben die Identitären und darin sind sie exemplarisch für ein rechtsextremes Geschichtsbild, das sie sowohl mit den historischen Nationalsozialisten wie auch mit ihren eigentlichen Vorbildern, den Vordenkern der Konservativen Revolution vereint. Die Drohung des kulturellen, sozialen und ethnischen Untergangs soll die Anhängerschaft mobilisieren und zu Opfern antreiben. Diese Drohung ist deshalb so bedeutsam, weil sie die Einheit der Volksgemeinschaft sowohl im gegenwärtigen wie auch im historischen Sinne herstellen soll. In Bezug auf die Gegenwart sind es Zuwanderung, Islam, Homosexualität und die verhasste angebliche Libertinage der 68er, die die „Ethnokulturelle Identität“ bedrohen. Historisch wird diese Identität durch das drohende Ende einer mehr als tausendjährigen Tradition gefährdet, als deren Erben, Bewahrer und Vollstrecker sich die Identitären sehen.
Auch Ort und Datum sind im Sinne rechtsextremer Geschichtspolitik gewählt: um den 17. Juni 1953 kam es in der DDR, unter anderem in Berlin-Friedrichshain zu Demonstrationen, Streiks und Ausschreitungen gegen die sozialistische Regierung. Bis 1990 wurde der 17. Juni in der Bundesrepublik als Nationalfeiertag begangen und wurde stets auch von neonazistischen Aufmärschen begleitet.
Prominente Unterstützung, bei dem Versuch, an diese rechtsextreme Tradition anzuknüpfen erhalten die Berliner von Martin Sellner, führender Kopf der österreichischen Identitären und Paradebeispiel moderner faschistischer Inszenierung. Im Spannungsfeld zwischen neurechten Zeitschriften und social media kleidet Sellner altbekannte rechte Politik in zeitgemäße Ästhetik. Ob es Sellner jedoch gelingt, am Freitag mehr als eine Handvoll Identitäre und das übliche Berliner Aufmarsch-Spektrum zwischen NPD und Bärgida zu mobilisieren, bleibt abzuwarten.