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Identitären-Aufmarsch floppt in Berlin

 

Identitären-Aufmarsch floppt in Berlin
Nur knapp 100 „Identitäre“ folgten dem Aufruf © Sebastian Wehrhahn

In Berlin konnten die „Identitären“ am 17. Juni gerade einmal ein Viertel der angekündigten 400 Teilnehmenden mobilisieren. In streng vorgegebener Choreographie marschierten sie durch Berlin-Mitte, bis sie durch eine Sitzblockade von Gegendemonstranten aufgehalten wurden.

Der von den „Identitären“ im Vorfeld angekündigte Aufstand ist erwartungsgemäß ausgeblieben. Am Ende reichte es mit Not für einen Aufmarsch. Dennoch: Mit ungefähr 100 Teilnehmenden war die Demonstration in Berlin-Mitte die bislang größte Veranstaltung dieser Strömung in Deutschland.

Kräfteverhältnisse wie in Frankreich, wo die „Identitären“ seit Jahren regelmäßig auch größere Aktionen durchführen oder wie in Österreich, wo vor einigen Wochen rund 600 „Identitäre“ demonstrierten, sind allerdings in Deutschland noch in weiter Ferne. Urteilt man nach den Reaktionen anderer rechter Strömungen, wird dies auch auf absehbare Zeit so bleiben. Mit der strikten Ansage, auf dem eigenen Aufmarsch neben der Deutschland-Fahne nur Flaggen und Transparente der „Identitären“ zu dulden haben sich die Veranstalter ebenso wie mit ihrer Distanzierung von „extremistischen“ Organisationen kaum Freunde im neonazistischen Lager gemacht.

Großzügiger zeigten sich da einige Anhänger der Alternative für Deutschland. So erschien beispielsweise Jannik Brämer, Vorstandsmitglied der Jungen Alternative in Berlin zurückhaltend mit Ordnerbinde statt AfD-Abzeichen. Auch Joel Bußmann und The-Hao Ha, wie Brämer Mitglieder des Vorstands der Jungen Alternative Berlin, zogen eine dezente Teilnahme vor. Wie gut sich deren Sympathie für die vom Verfassungsschutz beobachteten „Identitären“ mit ihrer Mitgliedschaft bei der Alternative für Deutschland bzw. der Jungen Alternative verträgt, wird sich vermutlich in den nächsten Monaten zeigen.

Man befand sich also in überschaubarem Kreis unter sich. Das schien vor allem einen nicht zu stören: Martin Sellner, extra aus Österreich angereist, genoss das Aufheben um seine Person sichtlich. Mit Verspätung, dafür aber mit Entourage traf Selllner auf dem verregneten Bahnhofsvorplatz ein, begrüßte in Führungsmanier die Gefolgschaft, dirigierte hier und da die Aufstellung und bemühte sich am Mikrofon um eine betont souveräne Außenwirkung.

Um die essentielle Bedeutung dieser Außenwirkung wissen die „Identitären“. Sie ist es, die ihre Distanz zum Rassismus der Neonazis unterstreichen soll. Inhaltlich ist diese Distanz auch schwer zu behaupten: Der Untergang durch Zuwanderung, insbesondere von Muslimen ist das überpräsente Thema der Veranstaltung.

Diese Endzeit-Vorstellung und die penetrant vorgetragene Behauptung einer politisch-kulturellen Dominanz von 68ern, Gutmenschen, Linken, Grünen und natürlich Feministinnnen haben die „Identitären“ mit den Rassisten und Neonazis gemein, deren Fahnen sie auf ihrem Aufmarsch untersagen. Doch die lockere Inszenierung misslingt: Immer wieder korrigiert Sellner den Aufzug, ermutigt die Anhänger vergebens, ihre Sonnenbrillen abzunehmen und auch das lässige Interview mit einer offensichtlich als Staffage in die erste Reihe beorderten Frau wird durch den bellenden Befehlston konterkariert, mit dem die Teilnehmenden nach Auflösung der Veranstaltung auf den Gehweg befehligt werden.

Was bleibt also vom Aufmarsch der „Identitären“ in Berlin? Es bleibt die positive Erfahrung, dass zahlreiche Menschen aus Geschäften und Büros den vorbeiziehenden „Identitären“ lautstark ihr Missfallen kundtaten, es bleibt die durchwachsene Erfahrung, dass es den zahlenmäßig überlegenen Gegendemonstranten zwar gelang, das letzte Stück der Route zu blockieren, dass die Proteste jedoch tatsächlich verhältnismäßig schwach ausfielen und schließlich bleibt die Erfahrung, dass eine relativ neue Strömung des aktionsorientierten Rechtsextremismus erstmals versucht hat, einen öffentlichen Aufmarsch im Zentrum Berlins durchzuführen.

Die damit verbundene Aufgabe ist zweifältig: Zum einen geht es darum, die Inszenierung der „Identitären“ zu entlarven. Die Abwesenheit von Frakturschrift und der Farbkombination schwarz-weiß-rot bedeutet nicht, dass die Inhalte nicht genau so rassistisch und rechts sind. Zudem ist auch das Aufgreifen von tendenziell unpolitischen kulturellen Referenzen für faschistische Strömungen nichts Neues. Sowohl die rechte Skinhead-Bewegung der 90er Jahre als auch die historischen Nationalsozialisten eigneten sich Ausdrucksformen an und nutzten die Ästhetisierung von Politik um ihre Anhängerschaft zu verbreitern und sich auch in anderen (Sub-)Kulturen zu verankern.

Zum anderen verlangt die Auseinandersetzung mit den Identitären eine Auseinandersetzung mit ihrer Ideologie. Auch wenn sie derzeit in Deutschland noch kaum bedeutend sind, vertreten sie anschaulich eine klassisch rechte Vorstellung von Mensch, Gesellschaft und Geschichte. Menschliche Identität ist bei ihnen Auftrag der Volksgemeinschaft, Erfüllung des Anspruches der „ethnokulturellen“ deutschen Tradition, in der sie sich wähnen. Dabei ist Identität als eine überhistorische Konstante, als Wesen bestimmt, das verleugnet, aber nicht verändert werden kann. Es ist also nicht nur der Rassismus und ihre Hetze gegen links, die die „Identitären“ anschlussfähig machen. Auch in der Bestimmung der Begriffe Identität, Tradition und Gesellschaft bestehen Anknüpfungspunkte sowohl in das bürgerlich-konservative als auch ins neonazistische Spektrum.

In einer solchen Vorstellung findet menschliche Existenz – ob individuell oder kollektiv – im schicksalhaften Gefängnis der „ethnokulturellen Tradition“ statt: Was wir sind ist, was wir waren; Was wir werden ist, wer wir sind. Wer hingegen an der Veränderbarkeit der Menschen und einer besseren Einrichtung der Welt festhält, der und die befindet sich in grundsätzlicher Opposition zu den „Identitären“.