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Nach Identitären-Aktion: Polizei ermittelt gegen AfD-Mitglied

 

Das ging daneben - die geplante Besteigung des Daches wurde von der Polizei verhindert. © Theo Schneider
Das ging daneben – die geplante Besteigung des Daches wurde von der Polizei verhindert. © Theo Schneider

Verstöße gegen das Sprengstoff- und Versammlungs-Gesetz, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr und 49 Platzverweise. Die Aktion der rechtsextremen Identitären Bewegung (IBD) am Freitag vor dem Bundesjustizministerium hat ein juristisches Nachspiel.

Von Theo Schneider und Janina Kaiser

Im Fokus der Ermittler steht der Fahrer des weißen LKWs, in dem mehrere Identitäre in Uniformen sowie die Leitern versteckt waren, mit denen die rund 50 Personen das Dach des Gebäudes besteigen wollten. Der Mietwagen stand direkt vor dem Gebäude auf dem Bürgersteig, als die Gruppe von der gegenüberliegenden Straßenseite um 12:45 Uhr angerannt kam. Nachdem die Leitern von den IBD-Mitgliedern herausgezogen wurden, konnte der Fahrer mit dem Wagen flüchten. Zivilpolizisten versuchten vergeblich ihn zu stoppen. Das Aufstellen der Leitern wurde jedoch verhindert.

Jannik Brämer als Ordner beim Aufmarsch der "Identitären Bewegung" in Berlin im Juni 2016. © Theo Schneider
Jannik Brämer als Ordner beim Aufmarsch der „Identitären Bewegung“ in Berlin im Juni 2016 © Theo Schneider

AfD-Funktionär als Tatverdächtiger

Von der Polizeipressestelle hieß es am Samstag lediglich: „Der Fahrer des Fahrzeugs ist der Polizei namentlich bekannt.“ Nach Informationen von ZEIT ONLINE soll es sich bei dem Tatverdächtigen um Jannik Brämer handeln. Er sitzt im Landesvorstand für die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative und kandidierte für die Partei bei der vergangenen Abgeordnetenhauswahl für die Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf. Schon mehrfach war er bei Aktionen der Identitären Bewegung aufgefallen. Zuletzt im Sommer 2016, als er bei einem IBD-Aufmarsch in Berlin mit Ordner-Ambinde und Identitären-Shirt mitlief. Für eine Stellungnahme war Brämer am Samstag zunächst nicht erreichbar.

Auch gegen zwei Frauen und zwei Männer wird ermittelt, weil sie vor dem Justizministerium Seenotrettungsfackeln gezündet haben. Dies stellt einen Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz dar.

Rechtsextreme aus mehreren Bundesländern beteiligt

Vor den beiden Transparenten dirigierte mit Megafon Alex Malenki von Kontrakultur Halle in NVA-Uniform die Gruppe, bis er als vermuteter Versammlungsleiter von den Polizisten abgeführt wurde. Ihn erwartet jetzt ein Verfahren wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Er ist unter den Identitären für sein Video-Format Laut Gedacht bekannt, das er mit Philip Thaler betreibt, der sich – ebenfalls uniformiert – auch unter den Teilnehmern befand. Weitere Kontrakultur-Aktivisten in der Gruppe waren unter anderem Melanie Schmitz und Till Lucas Wessels, die beide im September 2016 aufgefallen waren, weil sie als bekannte IB-Vertreter auf der Wahlparty der AfD-MV einen Bühnenauftritt hatten.

Der wegen mehrerer Gewalttaten vorbestrafte ehemalige Neonazi-Aktivist Mario Müller nahm als Kameramann an der Aktion teil. Die spätere Verbreitung von Videos ihrer Aktionen in sozialen Netzwerken ist zentraler Bestandteil der identitären Selbstinszenierung. Warum die Polizei die Speicherkarte von Müllers Videokamera nicht sicherstellte, bleibt unklar.

Auch Identitäre aus Mecklenburg-Vorpommern beteiligten sich: Mit Hannes Krünägel war der Regionalleiter der IB MV vor Ort, ebenfalls in Uniform der DDR-Armee. Er ist Vorsitzender eines regionalen Identitären-Tarnvereins, der sich Heimwärts e.V. nennt. Weitere Gründungsmitglieder dieses Vereins sind Daniel Sebbin und Albert Glas, die auch am Freitag vor dem Justizministerium standen. Erst im April hatte Endstation Rechts aufgedeckt, dass Glas als Wahlkreismitarbeiter des stellvertretenden AfD-Fraktionsvorsitzenden von Mecklenburg-Vorpommern, Holger Arppe arbeitet. Krünägel, Glas und Sebbin beteiligten sich bereits im Dezember an der „Blockade“ der CDU-Zentrale in Berlin.

Die Teilnehmerzahl aus Berlin blieb überschaubar. Mit Robert Timm nahm die aktuelle Führungsfigur der Berliner Identitären teil. Er fiel erst vor zwei Wochen bei einem Fußballspiel in Potsdam auf. Er stand bei einer Gruppe rechter Fußballfans des FC Energie Cottbus, aus der heraus mehrfach der Hitlergruß gezeigt und Parolen wie „Arbeit macht frei, Babelsberg 03“ oder „Zecken, Zigeuner und Juden“ gerufen wurde. Wenige Tage später beteiligte er sich mit weiteren Identitären an einer Feier der Berliner Jungen Alternative, bei der auch mehrere AfD-Landtagsabgeordnete zu Gast waren. Weitere Angehörige der Berliner Identitären unterstützten als Beobachter von der gegenüberliegenden Straßenseite die Aktion, machten – als Touristen verkleidet – Fotos mit ihren Smartphones.

Die Materialien der "Identitären" wurden von der Polizei wieder ausgehändigt © Theo Schneider
Die Materialien der „Identitären“ wurden von der Polizei wieder ausgehändigt © Theo Schneider

Kritik am Polizeieinsatz wird lauter

Inzwischen fragen sich Beobachter, weshalb die Polizei nur zögerlich gegen die Identitären vorging. Aufgrund einer Kundgebung kurdischer Gruppen gegenüber des Ministierums, waren zahlreiche Polizisten vor Ort. Trotzdem durften die Rechtsextremen knapp eine Stunde unbehelligt vor dem Ministerium stehen, Fackeln abbrennen und Parolen rufen. Zudem konnten sich zahlreiche Identitäre, die zuvor an der Aktion teilgenommen hatten, problemlos unter die Passanten mischen und Beifall klatschen.

Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke), die sich vor Ort einen Eindruck verschaffte, sagt ZEIT ONLINE, dass sie über den Ablauf des Polizeieinsatzes überrascht war. So wurden lediglich die Personalien der Teilnehmer überprüft und nicht einmal die Reste der bengalischen Fackeln für Fingerabdrücke gesichert. Selbst die Transparente wurden nicht beschlagnahmt, sondern den Rechtsextremen wieder ausgehändigt. „Dass der AfD-Nachwuchs an der Aktion beteiligt war zeigt, dass es keine Grenze zwischen dieser Partei und den völkischen Rassisten auf der Straße gibt“, sagte Renner.

Justizminister Heiko Maas nahm die Aktion gelassen. Er kam aus dem Gebäude, bedankte sich bei den Gegendemonstranten und gab ihnen Wasserflaschen. „Wir lassen uns nicht unterkriegen – von denen schon gar nicht“, twitterte sein Ministerium später.

Im Netz amüsieren sich inzwischen zahlreiche User über die misslungene „Besetzung“ des Gebäudes. Mit dem Spruch „Läuft nicht gut bei den Spartanern“, ist dieses Bild auf vielen Seiten zu finden: