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Das mörderische Netz der Holocaustleugner

 

In einem Verband von Holocaustleugnern sammelten sich Rechtsextreme aus ganz Europa. Die Verbindungen reichen bis zu einem mutmaßlichen Polizistenmörder – und nach Deutschland.

Von Kai Budler

Axel Schlimper, früherer Bereichsleiter der Europäischen Aktion in Thüringen © Kai Budler

Die Durchsuchung des Anwesens eines bekannten Neonazis in Ungarn endete für den Polizisten Peter Palvölgyi im Oktober 2016 tödlich. Mehrere Schüsse aus einer Maschinenpistole trafen ihn in den Kopf, er verstarb noch am selben Tag im Krankenhaus. Ein weiterer Beamter wurde durch Schüsse in die Magengrube verletzt.

Abgefeuert hatte die Schüsse laut Anklage der Gründer der militanten rechtsextremen Ungarischen Nationalen Front, István Györkös. Seit Ende April dieses Jahres muss er sich vor Gericht verantworten. Bei der Durchsuchung seines Grundstücks waren Waffen, Munition und Sprengstoff gefunden worden. Dort hatte Györkös Wehrsportübungen veranstaltet, an denen auch Neonazis aus anderen Ländern teilnahmen.

Ein Österreicher lieferte die Waffe

Der Mord an dem Polizisten brachte nicht nur Györkös in Untersuchungshaft, er ließ auch einen großen Verband europäischer Rechtsextremer in anderem Licht erscheinen: die Europäische Aktion (EA). Sie galt als wichtigste Dachorganisation von Holocaustleugnern des Kontinents, hatte allein in Deutschland rund 100 Mitglieder, bis sie sich im Juni 2017 auflöste. Ihre Verbindungen reichen unter anderem nach Ungarn, Österreich und auch nach Thüringen.

Die Spur der Waffe, mit der mutmaßlich der Polizist erschossen wurde, führt nach Österreich. Die verwendete Maschinenpistole oder „eine Schusswaffe gleichen Typs“ soll der Rechtsextreme Peter Karsay nach Angaben der Wiener Staatsanwaltschaft illegal nach Ungarn geliefert haben. Dies sollen mitgehörte Telefonate belegen.

Seit 2010 hatte Karsay zudem regelmäßig bei den paramilitärischen Übungen mitgemacht. Und möglicherweise nicht nur er: Mithilfe seiner langjährigen Kontakte zur Ungarischen Nationalen Front sollten Aktivisten der Europäischen Aktion an den Trainings in Ungarn teilnehmen. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sollten die Camps dem Aufbau einer bewaffneten „europäischen Befreiungsarmee“ dienen. Der EA-„Landesleiter Österreich“, Hans Berger, sitzt deshalb seit Dezember 2016 in Haft, im März 2018 lehnte der Oberste Gerichtshof in Wien erneut seine Haftbeschwerde ab.

Spur nach Thüringen

Flaggen der Europäischen Aktion auf einer Kundgebung in Thüringen im April 2016 © Kai Budler

Die revolutionären Umtriebe passen in ein anderes Muster, das die Behörden beobachtet haben: Die 2010 in der Schweiz gegründete EA sei zuletzt zunehmend militanter geworden, heißt es in einem Papier der Staatsanwaltschaft Wien – das gilt vor allem für die Amtszeit des letzten Vorsitzenden Oliver Hasler aus Liechtenstein, unter dessen Ägide sich die Organisation nicht mehr nur auf Vorträge und Aufmärsche beschränkte.

Ungarn war nicht der einzige Ort, an dem sich europäische Neonazis für den Kampf stählten. Wehrübungen gab es auch in Thüringen. Dort richtete der EA-Gebietsleiter Axel Schlimper nach Erkenntnissen der Behörden im Wald Biwaks und Trainings aus. Im Juni 2017 durchsuchte das Thüringer Landeskriminalamt sein Haus im Süden des Freistaats wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die Ermittler fanden nach eigenen Angaben unter anderem Waffen, Munition, Propagandamaterial und Drogen.

Schlimper ist im Netzwerk der Holocaustleugner eine besonders interessante Figur. Drei Jahre vor der Durchsuchung seines Hauses, im Juni 2014, nahm er an einem Treffen in einem Wiener Gasthaus mit anderen EA-Mitgliedern teil – unter ihnen: Peter Karsay, der mutmaßliche Waffenbeschaffer.

Kamen die Ermittler zu spät?

Zur Verschleierung der Wehrübungen hatte Schlimper laut Ermittlungsergebnissen einen Autobastler-Verein namens Stahlsau gegründet. Ums Schrauben dürfte es dabei aber höchstens am Rande gegangen sein: Mitglieder der Gruppe waren teils jahrelang in der Neonaziszene aktiv, einer der Mitgründer sitzt für die NPD in einem Thüringer Kreistag.

Infolge der Razzia bei Schlimper ermittelt das LKA mittlerweile gegen insgesamt 14 Beschuldigte aus Thüringen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, weil sie sich an einer kriminellen Vereinigung beteiligt haben sollen. Auch die bundesdeutschen Sicherheitsbehörden waren offenbar auf eine zunehmende Radikalisierung aufmerksam geworden: 16 Mal innerhalb von zwei Jahren befasste sich das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum mit der Europäischen Aktion.

Tatsächlich waren die Ermittler offenbar zu spät dran. Zum Zeitpunkt der Razzien im Sommer 2017 hatte sich die EA bereits selbst aufgelöst, wie Schlimper in einem Interview mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der NPD, Thorsten Heise, erklärte.

Neue Heimat NPD

NPD-Funktionär Thorsten Heise will EA-Mitglieder in seine Partei integrieren © Kai Budler

Dort, in der NPD, finden nun offenbar mehrere frühere EA-Mitglieder ihre neue politische Heimat. Schlimper selbst wird im Thüringer Landesverband mittlerweile als „Landesorganisationsleiter“ geführt. Daneben tingelt er als Redner bei Neonazi-Aufmärschen und Festivals durch Thüringen, hielt erst im März 2018 beim geschichtsrevisionistischen „Verein Gedächtnisstätte“ einen Vortrag.

Für andere frühere Aktivisten hat Bundesvize Heise bereits konkrete Vorstellungen. Mit ihnen könnte in der Partei ein „Europaarbeitskreis“ zur Unterstützung des NPD-Europaabgeordneten Udo Voigt gegründet werden, sagte Heise in einem Video-Interview mit Schlimper.

Das Kalkül dahinter: Gelingt es ihm, die ehemaligen Mitstreiter an sich zu binden, könnte er seinem jüngst gegründeten „Völkischen Flügel“ zu mehr Mitgliedern und Macht verhelfen. Die innerparteiliche Gruppierung will Neonazis zurückgewinnen, die sich von der NPD abgewendet haben und vielfach in neu gegründete Kleinparteien gewechselt waren. Das dichte Netzwerk der Holocaustleugner funktioniert offenbar weiterhin bestens.